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Blutdruck bei chronischer HI mit eingeschränkter Pumpfunktion
Jatros
Autor:
Priv.-Doz. Dr. Christopher Adlbrecht, MBA, FHFA
Universitätsklinik für Innere Medizin II<br> Abteilung für Kardiologie<br> Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: christopher.adlbrecht@meduniwien.ac.at
Autor:
Dr. Raphael Wurm
30
Min. Lesezeit
08.09.2016
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<p class="article-intro">Erhöhter Blutdruck stellt einen der wichtigsten Risikofaktoren für die Entstehung einer chronischen Herzinsuffizienz (HI) dar. Sobald aber die Erkrankung ausgebrochen ist, scheint der höhere Blutdruck eine protektive Wirkung zu haben. Doch wie steht es um Patientinnen und Patienten mit niedrigem Blutdruck?</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Hoher Blutdruck ist ein wichtiger Risikofaktor für die Entstehung einer Herzinsuffizienz.</li> <li>Bei bereits bestehender Herzinsuffizienz ist allerdings ein höherer Blutdruck prognostisch vorteilhaft.</li> <li>Niedriger Blutdruck ist mit einer fortgeschrittenen Erkrankung assoziiert und sollte zu einer intensiven Herzinsuffizienztherapie führen.</li> <li>Asymptomatische Blutdruckveränderungen haben keinen Einfluss auf den Behandlungserfolg und die Herzinsuffizienz-spezifische Therapie sollte unabhängig davon verschrieben und auftitriert werden.</li> <li>Engmaschige Kontrollen sind gerade bei niedrigem Blutdruck und/oder eingeschränkter Nierenfunktion unumgänglich.</li> </ul> </div> <p>Die Herzinsuffizienz (HI) mit reduzierter Auswurffraktion, im Englischen abgekürzt als HFrEF, ist eine chronische Erkrankung mit weltweit zunehmender Inzidenz und Prävalenz. Neben einem durchgemachten Myokardinfarkt oder einer chronischen Durchblutungsstörung kann besonders auch ein erhöhter Blutdruck zur Entstehung der HFrEF führen.<br /> Hier zeigt sich ein klarer und linearer Zusammenhang: je höher der Blutdruck, desto höher die Wahrscheinlichkeit, im Verlauf mehrerer Jahre an HI zu erkranken. Dies gilt für beide Geschlechter und viele Altersgruppen und macht den erhöhten Blutdruck zum häufigsten Risikofaktor.</p> <h2>Blutdruck: Ist höher besser?</h2> <p>Bei Patientinnen und Patienten, die an HFrEF erkrankt sind, stellt sich die Situation interessanterweise völlig anders dar. Der Blutdruck bleibt zwar ein wichtiger Prognosefaktor, die Vorzeichen allerdings ändern sich. War bei Herzgesundheit ein hoher Blutdruck noch schädlich, so zeigt sich bei Patientinnen und Patienten mit HFrEF das genaue Gegenteil: Diejenigen mit dem nie­drigsten Blutdruck haben die höchste Mortalität. Studienergebnisse aus den letzten Jahrzehnten zeichnen hier ein eindeutiges Bild. Besonders ein systolischer Blutdruck unter 110mmHg ist mit einem deutlich erhöhten Sterberisiko verbunden. Ähnliches gilt für den diastolischen Wert, auch hier haben diejenigen mit den niedrigsten Werten, besonders unter 60mmHg, das höchste Risiko, im Verlauf zu sterben.<br /> Ganz so einfach scheint der Zusammenhang aber dennoch nicht zu sein. Weitere Forschung auf diesem Gebiet zeigte, dass ein deutlich erhöhter Blutdruck über 150mmHg systolisch ein erhöhtes Risiko birgt – allerdings nur bei leicht/mittelgradig reduzierter Pumpfunktion. Bei schwerer Erkrankung ist ein eindeutiger und linearer Zusammenhang zu sehen: je höher der Blutdruck, desto besser das Überleben. Quantifiziert wurde dieser Effekt in einer gemittelten Analy­se vieler Studien. Hier stellte sich heraus, dass bei allen Patientinnen und Patienten mit HFrEF eine Erhöhung des Blutdrucks um 10mmHg zu einem 13 % reduzierten Mortalitätsrisiko führt.</p> <h2>Hypothesen für den Effekt</h2> <p>Als Erklärung für diesen paradoxen Effekt kommen zwei Hypothesen infrage. Einerseits könnte eine schwere Erkrankung grundsätzlich zu einer höheren Verschreibungsdosis der empfohlenen HI-spezifischen Medikation führen. Diese höhere Dosis senkt zwar den Blutdruck, vermag aber vielleicht das Überleben nicht so stark zu verbessern, und so hätte diese Gruppe nach wie vor das höchste Risiko. Andererseits könnte man annehmen, dass eine schwere Erkrankung initial bereits zu einem niedrigen Blutdruck führt und durch schlechtere Verträglichkeit zu einer nie­drigeren Verschreibungsdosis der empfohlenen Medikation. Dadurch hätte diese Gruppe den kleinsten therapeutischen Nutzen und die schlechteste Prognose.<br /> Um diesen Hypothesen auf den Grund zu gehen, lohnt sich ein Blick auf die Zulassungsstudien der etablierten medi­kamentösen Behandlungen der HFrEF. Betablocker bilden einen der Grundpfeiler dieser Therapie. Sie werden bei Patientinnen und Patienten mit Bluthochdruck seit vielen Jahrzehnten angewandt, und so herrschten anfangs Zweifel an der Wirksamkeit bei HFrEF – vor einigen Jahrzehnten waren Betablocker bei der HFrEF sogar kontraindiziert. Erst durch Studienergebnisse konnte belegt werden, dass ein zu Beginn mit einer niedrigen Dosis verabreichter Betablocker im Verlauf gesteigert werden kann und in der Lage ist, das Überleben zu verlängern. Doch Betablocker verlängern das Überleben nicht nur, sie führen auch in der Gruppe von Patientinnen und Patienten mit dem niedrigsten Blutdruck bei Therapiebeginn zu einem Anstieg ebendessen. Darüber hinaus war es auch diese Gruppe, die am meisten von einer Therapie mit z.B. Carvedilol profitierte.<br /> Für die Gruppe der Medikamente, die in das Renin-Angiotensin-System eingreifen, kann Valsartan als Beispiel herangezogen werden. Hier zeigte sich auch in der Gruppe mit dem niedrigsten Ausgangsblutdruck von 90–100mmHg keine weitere Verringerung des Blutdrucks durch den Therapiebeginn. Auch die Nebenwirkungsrate war in dieser Gruppe vergleichbar mit jener bei höheren Blutdruckwerten.<br /> Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Analyse der Daten zum Betablocker Nebivolol. Während der Blutdruck in der Gruppe mit dem höchsten Ausgangswert bei Therapiebeginn erwartungsgemäß fällt, steigt er in jener mit dem niedrigsten deutlich an.<br /> Die jüngsten Daten zum Zusammenhang zwischen Behandlungseffekt und Ausgangsblutdruck stammen aus der neuen Substanzgruppe der Angiotensin-Rezeptorblocker-Neprilysin-Inhibitoren (ARNIs). Im Vergleich zu Enalapril wurde der Blutdruck zwar deutlicher gesenkt, einen Einfluss auf den positiven Effekt des ARNI hatte das aber nicht.<br /> Es scheint also so zu sein, dass bei Behandlung einer chronischen HI der Blutdruck bei niedrigem Ausgangswert steigt, bei hohem eher fällt. Da der positive Effekt der Behandlung allerdings in diesen Studien über die gesamte Kohorte ersichtlich war, lässt sich vermuten, dass diese Effekte unabhängig von der Erhöhung oder Reduktion des Blutdrucks sind. Tatsächlich legt auch eine Analyse aus Spanien diesen Schluss nahe. Hier konnte in einer Population außerhalb von Studienbedingungen bestätigt werden, dass die Verlängerung des Überlebens nicht vom Ausmaß der Veränderung des Blutdrucks unter Therapie abhängt.</p> <h2>Blutdruck bei Medikamente- und ­Gerätetherapie</h2> <p>Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Entscheidung zum Beginn einer medikamentösen Therapie, ihrer Auftitration oder ihrer Reduktion unabhängig vom ursprünglichen Blutdruckwert oder seiner Veränderung über die Zeit getroffen werden sollte. Selbstverständlich steht das Wohlbefinden der Patientinnen und Patienten im Vordergrund und so sollte bei symptomatischer Hypo­tension eine Dosisreduktion erfolgen. Auch beim Einschluss in die wichtig­sten Zulassungsstudien waren zum Teil noch recht niedrige systolische Blutdruckwerte erlaubt. So war z.B. bei COPERNICUS (Carvedilol) ein systo­lischer Blutdruck von zumindest 85mmHg in den Einschlusskriterien vorgeschrieben.<br /> <br /> Die Gerätetherapie hat in der HI einen maßgeblichen Einfluss auf das Outcome. Doch auch bei Device-Therapie ist der Blutdruck relevant. Bei symptomatischen Patientinnen und Patienten mit einer Auswurffraktion von ≤35 % trotz adäquater medikamentöser Therapie und einer QRS-Breite von ≥130ms mit Linksschenkelblockkonfiguration hat sich eine kardiale Resynchronisationstherapie (CRT) als prognostisch sehr wertvoll erwiesen. Das oben beschriebene Bild wiederholte sich in der MADIT-CRT-Studie: je niedriger der Blutdruck bei Einschluss, desto höher die Wahrscheinlichkeit, im Verlauf der Studie zu versterben. Bemerkenswert dabei ist, dass alle Patientinnen und Patienten zum Einschluss eine optimierte medikamentöse Therapie aufwiesen und sich nur in einem milden Stadium der HFrEF (NYHA I–II, jedoch LVEF <30 % ) befanden. Sieht man sich den Behandlungserfolg der CRT an, stellt man fest, dass dieser stark mit dem systolischen Blutdruck bei Einschluss zusammenhängt. Je niedriger dieser anfangs ist, desto größer der Effekt, der mit der Gerätetherapie erzielt wird. In diesem Zusammenhang ist der Einfluss der Herzfrequenz interessant. Eine hohe Herzfrequenz ist ein Risikofaktor für einen verfrühten Tod, sowohl in der gesunden Bevölkerung als auch bei kardiologisch Erkrankten. Bei Patientinnen und Patienten mit HI bleibt diese prognostische Wirkung erhalten, wird aber in Abhängigkeit des Blutdrucks stark modelliert. Bei niedrigem systolischem Druck <100mmHg ist eine erhöhte Herzfrequenz >90 Schläge/Min. als äußerst schlechtes Zeichen zu werten, während bei höheren Blutdruckwerten kaum ein Unterschied zu erkennen war.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Die Antwort auf die ursprüngliche Frage, ob der niedrige Blutdruck zu weniger medikamentöser Therapie oder breite medikamentöse Therapie zu niedrigem Blutdruck führt, sollte also mit weder noch beantwortet werden. Patientinnen und Patienten mit HFrEF profitieren von einer medikamentösen und einer Gerätetherapie weitestgehend unabhängig von ihren Blutdruckwerten. Wenn eine Gruppe tendenziell mehr profitiert, dann gerade diejenigen mit niedrigen Blutdruckwerten.</p> </div></p>
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<p>Literatur bei den Verfassern<br /><br /></p>
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