
Behandlung und Prävention der arteriellen Hypertonie
Autor:
Prof. Dr. med. Henner Hanssen
Leiter Abteilung Präventive Sportmedizin & Systemphysiologie
Universität Basel
Mittlere Allee 18
4052 Basel
E-Mail: henner.hanssen@unibas.ch
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Vor mittlerweile drei Jahren sind die europäischen Richtlinien zur Behandlung der arteriellen Hypertonie für die Umsetzung in die klinische Praxis neu definiert worden. Insbesondere in der nicht medikamentösen Therapie der Hypertonie haben sich seither wichtige neue Ansätze ergeben. Im Folgenden werden die Therapie- und Präventionsansätze zur arteriellen Hypertonie im Kontext der aktuellen Richtlinien und Expertenempfehlungen dargestellt.
Keypoints
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Die Therapie der arteriellen Hypertonie basiert auf einer Kombination aus Medikation und Bewegungstherapie.
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Neben einer effizienten Blutdruckeinstellung im Zielbereich um 130/75mmHg steht die Senkung des Gesamtrisikos durch die Behandlung von Begleiterkrankungen im Vordergrund.
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Die Bewegungstherapie zur Behandlung der arteriellen Hypertonie kann gemäss aktuellen Empfehlungen personalisiert in Abhängigkeit vom initialen Blutdruck verschrieben werden.
Im Jahr 2018 wurden die Richtlinien zur Behandlung der arteriellen Hypertonie in der klinischen Praxis von der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zusammen mit der Europäischen Gesellschaft für Hypertonie (ESH) veröffentlicht.1 Anders als in den ein Jahr zuvor erschienenen Richtlinien der amerikanischen Gesellschaften,2 die z.B. eine Grad-1-Hypertonie bei einem Blutdruck von 130–139/80–89mmHg definierten, wurden in den europäischen Richtlinien die Einteilungen der Blutdruckkategorien nicht angepasst. Damit gelten hier weiterhin die Blutdruckwerte von 130–139/85–89mmHg für den hochnormalen Blutdruck und 140–159/90–99mmHg für die Grad-1-Hypertonie.
Risikoeinschätzung
In den ESC/ESH-Vorgaben wurden einige für die klinische Praxis sehr relevante neue Empfehlungen für die Prävention und Therapie der arteriellen Hypertonie formuliert. Entsprechend den klinischen Stadien der Hypertonie und in Abhängigkeit von vorliegenden Risikofaktoren und Begleiterkrankungen werden Patienten nach ihrem Blutdruck in entsprechende Risikogruppen eingeteilt. Das hat zur Folge, dass eine Person mit einer unkomplizierten Grad-1-Hypertonie, aber 3 oder mehr Risikofaktoren bei einem Blutdruck von 145/90mmHg bereits ein moderates bis hohes Risiko aufweist. Diese Risikoabschätzung ist unspezifisch und berücksichtigt weder Alter noch Geschlecht. Zur Einschätzung eines differenzierten Risikoprofils für klinische Therapieentscheidungen wird die Verwendung von Risikotabellen wie dem SCORE-System («systematic coronary risk evaluation») empfohlen. Detaillierte Empfehlungen für die kardiovaskuläre (CV) Risikostratifizierung werden in den europäischen Richtlinien zur Prävention von CV Erkrankungen in der klinischen Praxis diskutiert.3
Therapie der Hypertonie abhängig vom Schweregrad
Entsprechend dem Grad der arteriellen Hypertonie und dem geschätzten Risiko wird nach den europäischen Richtlinien die Empfehlung für eine antihypertensive Therapie ausgesprochen.1 Unabhängig vom Grad der Hypertonie ist eine Lebensstilberatung immer die empfohlene Erstlinientherapie.
Beim hochnormalen Blutdruck wird nur dann eine medikamentöse Therapie zusätzlich zu einer Lebensstilberatung empfohlen, wenn das Risiko des Patienten als sehr hoch eingeschätzt wird, insbesondere bei gleichzeitigem Vorliegen manifester CV Erkrankungen.
Auch bei der Grad-1-Hypertonie wird eine sofortige medikamentöse Therapie nur bei einem hohen oder sehr hohen zugrundeliegenden Risiko empfohlen. Ansonsten wird bei Patienten mit niedrigem/moderatem Risiko erst nach einer 3- bis 6-monatigen Lebensstiltherapie eine medikamentöse Therapie erwogen, wenn der Blutdruck durch diese nicht kontrolliert ist.
Bei den höhergradigen Hypertonien (Grad 2: 160–179/100–109mmHg und Grad 3: ≥180/110mmHg) ist die Lebensstilberatung immer mit einer sofortigen medikamentösen Therapie verbunden.
Die initiale medikamentöse Therapie entspricht in der Regel einer dualen Kombination, aufgrund der zu erwartenden besseren Therapieadhärenz in einer einzelnen Tablette. Nur bei Patienten mit einer Grad-1-Hypertonie und niedrigem Risiko kann initial mit einer Monotherapie begonnen werden. Zur Auswahl stehen nach wie vor ACE-Hemmer oder Angiotensin-Rezeptor-Blocker (AT1-Antagonisten), Kalziumkanal-Blocker oder (Thiazid-)Diuretika. Als nächster Schritt bei weiterhin unkontrollierter Hypertonie kommt eine Tripeltherapie in Betracht, die als Ultima Ratio mit Spironolacton oder einer anderen Wirkstoffklasse wie zum Beispiel einem Betablocker, einem Alpha-1-Rezeptorblocker oder zentral wirksamen Alpha-2-Adrenorezeptoragonisten in Form von zwei Tabletten kombiniert werden kann.
Wichtig für die klinische Praxis ist der Hinweis, dass der Betablocker nur noch eine Drittlinientherapie der Hypertonie darstellt und immer dann zum Einsatz kommt, wenn spezifische Indikationen, wie z.B. eine Herzinsuffizienz, Angina pectoris oder Vorhofflimmern, vorliegen.
Von einer therapieresistenten Hypertonie ist auszugehen, wenn eine optimal dosierte Dreifachkombination nicht zu einer ausreichenden Blutdruckkontrolle führt. Die Zielwerte für die Blutdrucktherapie liegen bei 130–120/79–70mmHg, mit dem wichtigen erstmaligen Hinweis, dass diese nicht unter 120mmHg systolisch liegen sollten. Dies ist insbesondere aus gefässphysiologischer Sicht sinnvoll, da Patienten mit Bluthochdruck sehr häufig eine endotheliale Dysfunktion, zum Teil begleitet von einer manifesten Atherosklerose, aufweisen. Bei einem regulären nächtlichen Blutdruckabfall von >10% (Dipper) kann es zu Minderperfusionen kommen, die aufgrund der strukturellen und funktionellen Gefässstörungen bei Hypertonie nicht immer gegenreguliert werden können. Dies kann zur Folge haben, dass insbesondere in der Nacht eine passagere Minderdurchblutung zentraler Organe wie Gehirn und Herz auftritt. Die Begrenzung der Blutdrucksenkung mit 120mmHg systolisch kann dem vorbeugen. Der Vollständigkeit halber ist zu ergänzen, dass der Zielblutdruck bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz und Patienten >65 Jahre bei 139–130/79–70mmHg liegt.
Reduktion des Gesamtrisikos steht im Vordergrund
In internationalen Gesellschaften gilt für die Behandlung chronischer nicht übertragbarer Erkrankungen allgemein der Konsens, dass bei den Patienten die Behandlung des Gesamtrisikos im Vordergrund steht. So weisen Patienten mit arterieller Hypertonie in der Regel eine Fülle von begleitenden Risikofaktoren und Komorbiditäten auf, wie z.B. Adipositas, Hyperlipidämie und Typ-2-Diabetes. Eine gleichzeitige Behandlung dieser Faktoren ist für die Senkung der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität essenziell. Mit der antihypertensiven Therapie wird der Blutdruck gesenkt, ohne jedoch die Begleiterkrankungen zu beeinflussen. Im Gegensatz dazu besteht mit einer Bewegungstherapie prinzipiell die Möglichkeit, neben dem blutdrucksenkenden Effekt auch die meisten Risikofaktoren und Begleiterkrankungen der arteriellen Hypertonie mitzubehandeln (Abb. 1). Die Bewegungstherapie ist somit eine einzigartige «Polypille», die eine effiziente Therapie zur Reduktion des Gesamtrisikos von Patienten mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen wie der arteriellen Hypertonie darstellt.
Abb. 1: Bewegungstherapie bietet prinzipiell die Möglichkeit, neben dem blutdrucksenkenden Effekt auch die meisten Risikofaktoren und Begleiterkrankungen der arteriellen Hypertonie mitzubehandeln. Dadurch ist sie eine effiziente Therapie zur Reduktion des Gesamtrisikos von Patienten
Empfehlungen zur Bewegung bei kardiovaskulären Erkrankungen
In den aktuellen (2020) ESC-Richtlinien für Sportkardiologie und Bewegungstherapie bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen werden allgemeine Empfehlungen zur Bewegungstherapie für Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen ausgesprochen.4
Dem FIT-Prinzip folgend wird eine Trainingsfrequenz (F) von 5–7x/Woche empfohlen. Hierbei soll der Terminus Training nicht abschreckend wirken, da es sich bei den meisten Patienten um eine einfache Bewegungseinheit handelt.
In Bezug auf die Intensität (I) gilt eine moderate bis leicht anstrengende Belastung bei einer Herzfrequenz (HF) von 50–70% der maximalen HF. Für die Dauer (T) der Einheiten gelten 30min/Tag als Ziel mit einem Wochenvolumen von 150min. Für das Krafttraining gilt: 2–3x/Woche niedrig- bis moderat-intensives Training (50–70% des 1-Wiederholungs-Maximums) von ca. 6 grösseren Muskelgruppen mit 3Sets und je 10 Wiederholungen.
Patienten mit Hypertonie und einem hoch einzuschätzenden Risiko oder Zielorganschäden sollten ein hochintensives Krafttraining meiden. Patienten mit einem unkontrollierten Blutdruck >160mmHg systolisch sollten intensivere Bewegungstherapien ebenfalls meiden.
Der physiologische Blutdruckabfall infolge eines Bewegungsstimulus ist abhängig vom initialen Blutdruck einer Person. Es bleibt zu klären, ob die bisherigen «One size fits all»-Empfehlungen für die Bewegungstherapie bei Hypertonie durch ein personalisiertes Bewegungsrezept optimiert werden können.
Bewegungstherapie für Patienten mit arterieller Hypertonie
Der Frage nach ausreichend Evidenz für eine individuelle Priorisierung der Bewegungstherapie in Abhängigkeit vom initialen Blutdruck ist eine Expertengruppe der Europäischen Gesellschaft für präventive Kardiologie (EAPC) und des ESC-Rats für Hypertonie in ihrem aktuellen Konsensus-Dokument nachgegangen.5 Auf Basis einer Übersichtsarbeit zu bisher publizierten Metaanalysen (Meta-Review) wurde es als evident angesehen, dass sich individuelle Prioritäten der Bewegungstherapie je nach initialem Blutdruck empfehlen lassen (Tab.1).
Tab. 1: Empfehlungen zur Trainingstherapie und erreichbare Blutdrucksenkung in Abhängigkeit vom initialen Blutdruck des Patienten (nach Hanssen et al.)5
Hierbei zeigte sich, dass für Patienten mit arterieller Hypertonie ein Ausdauertraining am effektivsten ist. Dabei ist eine Blutdrucksenkung von durchschnittlich –7,4/–4,5mmHg zu erwarten.
Dagegen ist bei Patienten mit hochnormalem Blutdruck ein dynamisches Krafttraining zu bevorzugen (–4,0/–3,4mmHg).
Bei gesunden Personen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines erhöhten Blutdrucks, wie zum Beispiel bei Patienten mit Adipositas, einer positiven Familienanamnese für Hypertonie oder Frauen nach einer Schwangerschaftshypertonie, ist ein isometrisches Krafttraining die erste Priorität (–7,2/–2,6mmHg). Jedoch ist die Evidenzlage für die letztere Empfehlung als mässig einzustufen, da hierfür relativ wenige Studiendaten vorliegen.
Als Besonderheit ist hervorzuheben, dass bei dunkelhäutigen Patienten mit Hypertonie ein dynamisches Krafttraining die erste Priorität bezüglich Bewegungstherapie darstellt. Die Kombination von Ausdauer- und Krafttraining ist der jeweiligen Einzelpriorität nicht überlegen.
Gesamtsituation des Patienten beachten
Insgesamt ist zu berücksichtigen, dass bei der Auswahl der Art der Bewegungstherapie die Präferenzen und die Umsetzbarkeit für die Patienten im Vordergrund stehen. Bei Patienten mit mehreren CV Risikofaktoren kann ein Ausdauertraining unabhängig von der Blutdruckkategorie sinnvoll sein, um das Gesamtrisiko möglichst effektiv zu senken. Es ist zudem bekannt, dass bereits regelmässige Alltagsaktivität bei Patienten mit Hypertonie das Risiko für CV Ereignisse wie Schlaganfall, Herzinfarkt sowie auch für die CV Mortalität deutlich senken kann.6,7 Die Grundlage einer erfolgreichen antihypertensiven Therapie bleibt die Zusammenarbeit zwischen Patient und behandelndem Arzt, um durch eine gemeinsame Entscheidungsfindung («shared decision making») und die Kombination aus medikamentöser und Lebensstiltherapie eine Blutdruckeinstellung bis in den Zielbereich zu ermöglichen.
Literatur:
1 Williams B et al.; Authors/Task Force Members: 2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension: the Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Cardiology and the European Society of Hypertension: the Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Cardiology and the European Society of Hypertension. J Hypertens 2018; 36: 1953-2041 2 Whelton PK et al.: 2017 ACC/AHA/AAPA/ABC/ACPM/AGS/APhA/ASH/ASPC/NMA/PCNA Guideline for the prevention, detection, evaluation, and management of high blood pressure in adults: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Clinical Practice Guidelines. J Am Coll Cardiol 2018; 71: e127-e248 3 Piepoli MF et al.: Authors/Task Force Members: 2016 European Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice: the Sixth Joint Task Force of the European Society of Cardiology and Other Societies on Cardiovascular Disease Prevention in Clinical Practice (constituted by representatives of 10 societies and by invited experts) developed with the special contribution of the European Association for Cardiovascular Prevention & Rehabilitation (EACPR). Eur Heart J 2016; 37: 2315-81 4 Pelliccia A et al.: 2020 ESC Guidelines on sports cardiology and exercise in patients with cardiovascular disease. Eur Heart J 2021; 42: 17-96 5 Hanssen H et al.: Personalized exercise prescription in the prevention and treatment of arterial hypertension: a Consensus Document from the European Association of Preventive Cardiology (EAPC) and the ESC Council on Hypertension. Eur J Prev Cardiol 2021; online ahead of print 6 Fang J et al.: Exercise and cardiovascular outcomes by hypertensive status: NHANES I epidemiological follow-up study, 1971-92. Am J Hypertens 2005; 18: 751-8 7 Fossum E et al.: The effect of baseline physical activity on cardiovascular outcomes and new-onset diabetes in patients treated for hypertension and left ventricular hypertrophy: the LIFE study. J Intern Med 2007; 262: 439-48