Künstliche-Intelligenz-gestütztes Screening nach kardialer Amyloidose
Autoren:
Dr. Clemens Spielvogel,PhD1
Priv.-Doz. Dr. Christian Nitsche,PhD2
1 Division of Nuclear Medicine
Department of Biomedical Imaging and Image-Guided Therapy
Medizinische Universität Wien
2 Division of Cardiology
Department of Internal Medicine II
Medizinische Universität Wien
E-Mail: clemens.spielvogel@muv.ac.at
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Die kardiale Amyloidose bleibt trotz verbesserter Diagnostik und neuer Therapien unterdiagnostiziert. Eine multizentrische Studie aus Wien und Essen entwickelte mit Amylo-Detect ein Machine-Learning-Tool, das Routinedaten aus elektronischen Gesundheitsakten analysiert und eine Risikostratifizierung für Patienten mit möglicher kardialer Amyloidose ermöglicht. Damit könnte die Zeit bis zur Diagnose verkürzt und der Zugang zu lebensrettenden Therapien verbessert werden.
Keypoints
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Die Diagnose der kardialen Amyloidose wird in der klinischen Routine häufig verzögert gestellt.
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Amylo-Detect nutzt 65 klinische und bildgebende Parameter aus elektronischen Gesundheitsakten zur Identifikation von Risikopatienten.
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In über 13000 Patienten erreichte das Modell eine exzellente Genauigkeit (AUC 0,91–0,94) und übertraf bestehende Scores.
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Zwei Drittel der in der Routine übersehenen Fälle wurden durch das Modell korrekt erkannt.
Hintergrund
Die kardiale Amyloidose (CA) ist eine progressive, lebensbedrohliche Erkrankung, die durch Ablagerung fehlgefalteter Proteine im Myokard gekennzeichnet ist. Hauptformen sind die Transthyretin-Amyloidose (ATTR) und die Leichtketten-Amyloidose (AL), die zusammen über 98% der klinisch diagnostizierten Fälle ausmachen. Neuere Studien zeigen, dass CA deutlich häufiger vorkommt als bislang angenommen – etwa bei bis zu 13% der Patienten mit Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF) oder 13% der TAVI-Patienten.
Obwohl die Diagnose dank Knochenszintigrafie mit 99mTc-DPD oder -PYP mittlerweile nicht invasiv möglich ist, bleibt die rechtzeitige Erkennung von Risikopatienten für eine Zuweisung zur Bildgebung eine zentrale Hürde. Unspezifische Symptome wie Vorhofflimmern, Karpaltunnelsyndrom oder Herzinsuffizienz erschweren die Früherkennung.
Studiendesign und Methodik
In die multizentrische Kohortenstudie wurden insgesamt 13137 konsekutive Patienten eingeschlossen, die sich zwischen 2010 und 2023 am Allgemeinen Krankenhaus Wien einer Knochenszintigrafie mit 99mTc-DPD unterzogen. Für die externe Validierung standen zusätzlich Daten aus dem Universitätsklinikum Essen zur Verfügung. Die Wiener Kohorte wurde zeitlich in eine Entwicklungskohorte (bis Juli 2020; 9170 Patienten) und eine interne Validierungskohorte (ab August 2020; 2446 Patienten) unterteilt. Die externe Validierung umfasste 1521 Patienten, die zwischen 2018 und 2025 in Essen untersucht wurden.
Das Ziel bestand darin, ein Machine-Learning-Modell (ML) zu entwickeln, das auf Basis von Routinedaten aus elektronischen Gesundheitsakten das potenzielle Vorliegen einer für eine kardiale Amyloidose indikativen Traceraufnahme (Perugini-Grad ≥2) vorhersagen kann (Abb. 1). Hierfür wurden insgesamt 65 Parameter herangezogen, darunter demografische Informationen, Laborwerte, echokardiografische und kardiale MRT-Parameter sowie Angaben zu Komorbiditäten. Die Daten wurden automatisiert aus den klinischen Informationssystemen extrahiert und in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Szintigrafie erhoben. Fehlende Werte wurden nicht ausgeschlossen, sondern mittels ML-gestützter Verfahren imputiert, um die Realität klinischer Routinedaten möglichst genau abzubilden.
Der Bildauswertung dienten in Wien konsensusbasierte Perugini-Graduierungs-Bewertungen, während in Essen die klinischen Routinediagnosen herangezogen wurden. Das Modell, welches unter dem Namen Amylo-Detect öffentlich zur Verfügung steht, nutzte eine Kombination aus Feature-Selektion, Klassifikationsalgorithmen und Risikokalibrierung. Eine interne Kreuzvalidierung diente der Robustheitsprüfung, ehe die endgültige Version an den unabhängigen Wiener und Essener Kohorten getestet wurde.
Ergebnisse
Von den insgesamt 13137 untersuchten Patienten zeigten 388 (3,0%) eine hochgradige kardiale Traceraufnahme, die als Hinweis auf eine kardiale Amyloidose gewertet wurde. In der Entwicklungskohorte erreichte das ML-Modell eine exzellente Diskriminierung mit einer AUC von 0,94, die sich in der unabhängigen internen Validierung (AUC 0,91) und auch in der externen Essener Kohorte (AUC 0,91) bestätigte. Damit übertraf Amylo-Detect sowohl einzelne klinische Parameter als auch den etablierten Mayo-ATTR-CM-Score deutlich.
Besonders relevant für die klinische Praxis war der Nachweis, dass das Modell in jener Subgruppe, in der eine Szintigrafie ursprünglich aus nicht kardialen Gründen angefordert worden war, 27 von 42 Fällen korrekt identifizierte, die im Routinebetrieb übersehen worden wären. Insgesamt konnten so rund zwei Drittel der „verpassten“ Fälle durch die algorithmische Analyse entdeckt werden.
Darüber hinaus zeigte sich eine klare prognostische Relevanz der Modellvorhersagen. Patienten, die von Amylo-Detect als risikobehaftet klassifiziert wurden, wiesen ein signifikant erhöhtes Risiko für Mortalität und herzinsuffizienzbedingte Hospitalisationen auf. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 66 Monaten betrug die adjustierte Hazard-Ratio für die Gesamtmortalität 3,05 in der Entwicklungskohorte und 1,78 in der Validierungskohorte. Vergleichbare Ergebnisse zeigten sich für die Endpunkte herzinsuffizienzbedingte Hospitalisationen.
In Subgruppenanalysen konnte das Modell auch bei Vorliegen von Komorbiditäten, die üblicherweise mit einer Myokardverdickung einhergehen – etwa Aortenstenose oder Hypertonie –, eine robuste diagnostische Performanz zeigen. Besonders hervorzuheben ist die Fähigkeit des Modells, mit unvollständigen Datensätzen zuverlässig zu arbeiten, was den Einsatz im klinischen Alltag wesentlich erleichtert.
Klinische Bedeutung
Die Einführung krankheitsmodifizierender Therapien wie Tafamidis, Acoramidis oder Vutrisiran hat den Stellenwert einer frühzeitigen Diagnose erheblich gesteigert. Amylo-Detect adressiert die zentrale Herausforderung, Risikopatienten rechtzeitig für eine Bestätigungsdiagnostik (Szintigrafie, Serum-/Urindiagnostik) zu identifizieren.
Mit einer frei verfügbaren Web-App ( https://amylo-detect.streamlit.app ) steht das Tool bereits jetzt für die wissenschaftliche Anwendung zur Verfügung. Langfristig ist die Integration in EHR-Systeme denkbar, um automatisiert Patienten mit Risikokonstellationen zu kennzeichnen.
Ausblick
Die Ergebnisse legen nahe, dass KI-basierte Screening-Tools künftig eine Schlüsselrolle bei der Diagnostik seltener, aber behandelbarer Erkrankungen wie CA spielen können. Amylo-Detect ist ein Schritt in Richtung präziser, automatisierter kardiologischer Diagnostik, der die Lücke zwischen unspezifischen Symptomen und definitiver Bildgebung schließen könnte.
Literatur:
bei den Verfassern
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