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Neuer metabolischer Fingerabdruck

„Amino acid profiling“ zeigt Herz-Kreislauf-Erkrankungsrisiko

<p class="article-intro">Aminosäuren sind zentrale Bausteine des Lebens und bilden die Proteine. Sie werden entweder über die Nahrung aufgenommen oder über den Stoffwechsel synthetisiert. Sie lassen Haare und Knochen entstehen, sind maßgeblich an der Ausbildung von Körpergewebe beteiligt oder auch an der Zusammensetzung von Enzymen und Hormonen. Aktuell sind 22 Aminosäuren bekannt, die in unterschiedlichen Sequenzen zu unzähligen Proteinen verknüpft werden können. Unsere Gruppe konnte nun im Rahmen einer prospektiven Studie die Bedeutung von Aminosäuren in der Beurteilung eines frühen kardiovaskulären Risikos zeigen.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>&bdquo;Branched chain amino acids&ldquo; (BCAA) werden direkt in den Muskelzellen verstoffwechselt und f&ouml;rdern dort die Synthese und Einlagerung von Proteinen.</li> <li>Erh&ouml;hte BCAA-Spiegel des Blutes im Jugendalter sind mit einem erh&ouml;hten Risiko f&uuml;r Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert.</li> <li>Individualisiertes &bdquo;BCAA-Profiling&ldquo; kann zur labordiagnostischen Risikoabsch&auml;tzung sp&auml;terer Erkrankungen des menschlichen Organismus dienen.</li> <li>Vorsicht ist geboten bei hoch dosierten langfristigen Leucin-Gaben in Form von Nahrungserg&auml;nzungsmitteln.</li> </ul> </div> <h2>Aminos&auml;uren</h2> <p>Aminos&auml;uren haben zahlreiche Stoffwechselfunktionen und sind Ausgangssubstanz f&uuml;r wichtige Biomolek&uuml;le wie Carnitin, Kreatin, Glutathion, Purine, Pyrimidine, Phospolipide und Gallens&auml;uren. Sie sind Vorstufen von Neurotransmittern und Hormonen und haben stoffwechselregulierende Eigenschaften. Bestimmte Aminos&auml;uren wie Alanin, Glutamin und Leucin werden zur Energiegewinnung herangezogen. Insbesondere Leucin aktiviert Signalproteine, welche die Zellteilung regulieren und zum Aufbau von neuem Muskelgewebe f&uuml;hren. Viele Neurotransmitter sind Aminos&auml;uren. Tryptophan ist die Ausgangssubstanz f&uuml;r die Bildung von Serotonin und Melatonin. Mithilfe von Serin entsteht Acetylcholin, ein Botenstoff f&uuml;r die Ged&auml;chtnisbildung und Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit. Arginin ist die Ausgangssubstanz f&uuml;r die Synthese von Stickoxid (NO). <br />Aminos&auml;uren werden vor allem auch als essenzielle Bausteine zur Gew&auml;hrleistung einer ausreichenden Immunkompetenz des menschlichen K&ouml;rpers ben&ouml;tigt. Die NO-Bildung von Arginin stellt einen unverzichtbaren Bestandteil in der Erregerbek&auml;mpfung dar. Glutamin ist ein lebensnotwendiges N&auml;hrsubstrat f&uuml;r die sich schnell teilenden Zellen des Immunsystems. Lang anhaltender Stress f&uuml;hrt h&auml;ufig zu einer Glutaminverarmung des Organismus und in weiterer Folge zu einer geringeren Belastbarkeit des Immunsystems. Glycin hat antientz&uuml;ndliche und hepatoprotektive Eigenschaften und ist ebenso wie Cystein ein wesentlicher Bestandteil des Glutathionmolek&uuml;ls, welches die Zellen vor oxidativem Stress sch&uuml;tzt und an zahlreichen Stoffwechselprozessen des menschlichen K&ouml;rpers beteiligt ist.</p> <h2>Aminos&auml;urenmetabolismus</h2> <p>Aminos&auml;uren sowie ihre daraus aufgebauten Peptide und Proteine unterscheiden sich prinzipiell von den anderen Substanzklassen des menschlichen K&ouml;rpers. Im Gegensatz zu den f&uuml;r die Energieversorgung wichtigen Kohlenhydraten und Lipiden werden weder Aminos&auml;uren noch Peptide oder Proteine in K&ouml;rperdepots als Vorrat gespeichert. Der Gesamtbestand an Aminos&auml;uren im menschlichen K&ouml;rper unterliegt daher einem sehr dynamischen Gleichgewicht zwischen Zufuhr und Verbrauch. Insbesondere die essenziellen Aminos&auml;uren (Isoleucin, Leucin, Lysin, Methionin, Phenylalanin, Threonin, Tryptophan, Valin) kann der humane Stoffwechsel entweder &uuml;berhaupt nicht oder nicht in ausreichendem Ma&szlig;e synthetisieren. Sie m&uuml;ssen daher mit der Nahrung aufgenommen werden. <br />Aus den Nahrungsproteinen werden nach Hydrolyse die Aminos&auml;uren im D&uuml;nndarm resorbiert, wobei in erster Linie Einzelaminos&auml;uren, aber zum Teil auch Di- oder Tripeptide resorbiert werden. Der Leber kommt hierbei in der Kon&shy;stanthaltung der Aminos&auml;urenversorgung &uuml;ber das Blut eine zentrale Bedeutung zu. Vorwiegend durch oxidative Prozesse metabolisiert sie die &uuml;ber die Nahrung aufgenommenen Aminos&auml;uren in dem Ma&szlig;e, dass sich im Blut weder die Gesamtkonzentration noch das Aminos&auml;urenprofil, d.h. die prozentualen Anteile der einzelnen Aminos&auml;uren am Gesamtgehalt, &auml;ndern. Somit ist das Aminos&auml;urenverteilungsmuster im Blut erstaunlich konstant und beinhaltet Informationen &uuml;ber metabolische &bdquo;Reaktionsreflexe&ldquo;, die bisher zu wenig in der Interpretation von Krankheits-(Risiko-)Konstellationen ber&uuml;cksichtigt wurden.</p> <h2>Verzweigtkettige Aminos&auml;uren: spezieller Stoffwechselweg und Muskelenergie</h2> <p>Der Stoffwechselweg der sogenannten verzweigtkettigen Aminos&auml;uren (&bdquo;bran&shy;ched chain amino acids&ldquo;, BCAA), welche aus den drei essenziellen Aminos&auml;uren Leucin, Isoleucin und Valin bestehen, unterscheidet sich wesentlich von den &uuml;brigen Aminos&auml;uren. Die BCAA werden nicht in der Leber, sondern direkt in den Muskelzellen verstoffwechselt. BCAA sind am Aufbau fast aller Proteine beteiligt und bilden ca. 35 % des Muskelgewebes des menschlichen K&ouml;rpers. Sie tragen ma&szlig;geblich zum Transport von Stickstoff und Energie zwischen Muskulatur und Leber bei und werden f&uuml;r den Energiestoffwechsel ben&ouml;tigt. <br />Unter den BCAA nimmt Leucin physiologisch eine besondere Stellung ein. Es dient nicht nur als Substrat f&uuml;r die Muskelproteinsynthese, sondern ist sogar ein direktes und sehr starkes Stimulans der Proteinsynthese. Diese Wirkung wird &uuml;ber einen speziellen Rezeptor der Muskelzellen, welcher m-TOR (&bdquo;mammalian target of rapamycin&ldquo;) genannt wird, vermittelt. Wird m-TOR stimuliert, erh&auml;lt die Muskulatur den Befehl, Eiwei&szlig; aufzubauen und st&auml;rker zu werden. Es han&shy;delt sich bei m-TOR um ein f&uuml;r das &Uuml;berleben, Wachstum und die Proliferation von Zellen wichtiges Enzym, das eine Phosphatgruppe zu mehreren anderen Proteinen und Enzymen hinzuf&uuml;gt und damit den Beginn einer Kaskade von Signalwegen im K&ouml;rper bildet. Leucin steht in direkter Interaktion mit dem m-TOR-System.<sup>1</sup> <br />Der K&ouml;rper ben&ouml;tigt die verzweigtketti&shy;gen Aminos&auml;uren, um die w&auml;hrend gro&szlig;er Belastungen (z.B. Sport) verbrauchten Aminos&auml;uren Glutamin und Alanin wieder zu synthetisieren und auf diese Weise einen Eiwei&szlig; abbauenden Zustand im K&ouml;rper zu vermeiden. Bei einem &Uuml;berangebot werden die BCAA jedoch in Glukose bzw. Glykogen umgewandelt. In zahlreichen Studien wurde beobachtet, dass erh&ouml;hte BCAA-Konzentrationen im Blut sehr eng mit der Insulinresistenz bzw. der Entwicklung eines Diabetes assoziiert sind.<sup>2, 3</sup></p> <h2>Blutprofil verzweigtkettiger Aminos&auml;uren deutet auf Krankheitsrisiko hin</h2> <p>Eine Grazer Forschungsgruppe unter der Leitung von Harald Mangge &uuml;berpr&uuml;fte in einer gro&szlig;en prospektiven Studie, ob durch Ver&auml;nderungen der Aminos&auml;urespiegel im menschlichen Blut eventuelle Risiken von Erkrankungen, insbesondere Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, erkannt werden k&ouml;nnen. Dazu wurden 650 junge Erwachsene mit unterschiedlichem Body-Mass-Index (BMI; normalgewichtig, &uuml;bergewichtig, adip&ouml;s) und verschiedenartigen kardiometabolischen Ausgangswerten (Blutdruck, Glukose, Insulinresistenz, Triglyzeride, Cholesterin) in Hinblick auf ihr Aminos&auml;uren&shy;profil untersucht. Am Aufbau des Studiendesigns und der analytischen Bestimmung mittels Massenspektrometrie waren Sieglinde Zelzer und Andreas Meinitzer ma&szlig;geblich beteiligt.<sup>4</sup> <br />Es konnte gezeigt werden, dass die Serumspiegel von Valin und insbesondere von Leucin bei metabolisch ungesunden Normalgewichtigen und metabolisch ungesunden adip&ouml;sen Probandinnen und Probanden bereits im jugendlichen Alter erh&ouml;ht sind. Die metabolische Gesundheit wurde durch einen Score basierend auf Blutdruck, Blutfett und Blutzuckerverteilung ermittelt. Bestimmte Ver&auml;nderungen im Profil des Aminos&auml;urenstoffwechsels deuten somit auf eine individuelle Stoffwechselsituation hin, die wahrscheinlich sp&auml;tere Erkrankungen des menschlichen Organismus beg&uuml;nstigt. Die Ergebnisse unserer Studie unterstreichen damit die Wichtigkeit der verzweigtkettigen Aminos&auml;uren bei der Beurteilung des fr&uuml;hen kardiovaskul&auml;ren Risikos.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p><strong>Risikodynamik bereits im Jugendalter ablesbar</strong><br />Aminos&auml;uren sind nicht nur lebensnotwendige Bausteine des menschlichen K&ouml;rpers, sondern bilden in ihrer Verteilung und Konzentration im menschlichen Blut eine Art Fingerabdruck &shy;einer individuell bestimmten Risikodynamik. Dies kann zuk&uuml;nftig f&uuml;r diagnostische als auch therapeutische Zwecke von Bedeutung sein. Besonders bemerkenswert ist, dass die von der Grazer Forschergruppe beobachteten Risikoprofile unabh&auml;ngig vom Ern&auml;hrungszustand bestehen und schon im Jugendalter feststellbar sind. Das kann f&uuml;r zuk&uuml;nftige pr&auml;ventive Ma&szlig;nahmen eine Grundlage bilden. Jedenfalls sind langfristig durchgef&uuml;hrte &bdquo;Kuren&ldquo; mit hoch dosierten Leucin-h&auml;ltigen Nahrungserg&auml;nzungsmitteln, wie sie in zahlreichen Fitness- und Body-Building-Ratgebern zwecks Muskelaufbau propagiert werden, aus dem Blickwinkel unserer Forschungsergebnisse kritisch zu betrachten.</p> </div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Wolfson RL et al: Sestrin2 is a leucine sensor for the mTORC1 pathway. Science 2016; 351(6268): 43-8 <br /><strong>2</strong> Newgard CB: Interplay between lipids and branched-chain amino acids in development of insulin resistance. Cell Metab 2012; 15(5): 606-14 <br /><strong>3</strong> Newgard CB et al: A branched-chain amino acid-related metabolic signature that differentiates obese and lean humans and contributes to insulin resistance. Cell Metab 2009; 9(4): 311-26 <br /><strong>4</strong> Mangge H et al: Branched-chain amino acids are &shy;associated with cardiometabolic risk profiles found &shy;already in lean, overweight and obese young. J Nutr Biochem 2016; 32: 123-7</p> </div> </p>
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