Versorgung von Kindern mit Hörimplantaten
Autor:
Dr. Kurt Stephan
Universitätsklinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen
Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail: kurt.stephan@i-med.ac.at
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Wenn Hörgeräte zur Versorgung von Hörstörungen bei Kindern nicht ausreichend sind, stellen Hörimplantate eine vielversprechende Möglichkeit zur prothetischen Rehabilitation dar.
Keypoints
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Es gibt Hörstörungen, für deren Versorgung Hörgeräte nicht ausreichend geeignet sind.
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Zur prothetischen Versorgung von Hörstörungen bei Kindern stehen mit Hörimplantaten vielfältige Möglichkeiten zur Verfügung.
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Die Art und das Ausmaß der Hörstörung bzw. spezielle Anforderungen der Patienten bestimmen die Auswahl des Implantats.
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Für den Erfolg entscheidend sind eine möglichst frühzeitige Diagnose der Hörstörung, die kompetente Indikationsstellung und professionelle Durchführung der Implantation, eine präzise Anpassung der Systeme sowie die Durchführung entsprechender Fördermaßnahmen.
Laut Erhebung der WHO sind derzeit über1,5 Milliarden Menschen von Hörverlusten unterschiedlichen Grades betroffen, eingroßer Teil davon Kinder unterschiedlichenAlters.1 Neben der kausalen Therapie (medizinisch, medikamentös) steht heute als symptomatische Therapie eine Vielzahl von Möglichkeiten zur prothetischen Versorgung vonHörstörungen zur Auswahl. Alle Möglichkeiten einer kausalen Therapie sind auf jeden Fall auszuschöpfen, bevor eine apparative Hörversorgung in Erwägung gezogen wird.
Prothetische/apparative Versorgung von Hörstörungen
Als prothetische Versorgung steht heute neben Hörgeräten, die den Großteil der Versorgungen betreffen, eine umfangreiche Palette von Hörimplantaten zur Verfügung. Hörgeräte sind prinzipiell schallverstärkende Systeme, bieten aber auch häufig eine „Schalloptimierung“ mit zusätzlichen Funktionen wie Störschallunterdrückung, Rückkopplungsmanagement und Anpassung an spezielle Hörbedürfnisse. Es gibt jedoch auch Hörstörungen, für deren Versorgung Hörgeräte nicht ausreichend geeignet sind. In diesen Fällen sollte die Versorgung mit Hörimplantaten in Betracht gezogen werden. Entscheidend für die Wahl eines Implantats sind die Art und das Ausmaß der Hörstörung oder auch besondere Anforderungen der Patienten.
Eine vielfältige Palette von Hörimplantaten
Die einzelnen Systeme unterscheiden sich primär durch die Art der Übertragung von akustischer Information an unser Hörorgan, die entweder mechanisch, elektrisch oder als Kombination akustisch/elektrisch realisiert wird (Abb.1):
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Der bekannteste Vertreter von Hörimplantaten ist wohl das Cochlea-Implantat für die Versorgung gehörlos geborener Kinder oder von Kindern mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit mit Resthörigkeit. In diesem Fall wird die mechanoelektrische Transduktion in der Cochlea durch die direkte elek-trische Stimulation des Hörnervs ersetzt. Die heute verwendeten Systeme sind 2-Komponenten-Systeme bestehend aus dem Implantat und einem extern zu tragenden Sprach- oder Soundprozessor. Die Informationsübertragung zwischen den beiden Komponenten erfolgt transkutan, d.h. durch die geschlossene Haut über eine Sender-Empfänger-Strecke.
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Hörstörungen, die über Knochenleitung zu versorgen sind, können heute neben Knochenleitungshörgeräten auch mit sogenannten Knochenleitungsimplantaten (z.B. MED-EL Bonebridge) versorgt werden, die ebenfalls aus zwei Komponenten bestehen, wobei Schallwellen über mechanische Schwingungen an den Schädelknochen übertragen werden.
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Bei Schallleitungsschwerhörigkeiten kommen in seltenen Fällen bei Kindern auch aktive Mittelohrimplantate (z.B. MED-EL Soundbridge) zur Anwendung, bei denen ein kleiner Schwingungskörper die schallbedingten Schwingungen verstärkt an die Gehörknöchelchenkette oder an das runde Fenster an das Innenohr überträgt.
Abb. 1: Informationsübertragung bei Hörimplantaten (Quellen: www.medel.com, www.cochlear.com)
Entscheidend für die Auswahl der Systeme beim Kind ist die (noch) nutzbare Funktion der Haarzellen im Innenohr. Daher ist eine umfassende Abklärung der Hörstörung im Vorfeld notwendig. Bei der Verwendung von Cochlea-Implantaten ist die Nervenreizleitung entlang des Hörnervs zum Gehirn erforderlich.
Hirnstammimplantate werden bei Kindern nur in sehr seltenen Fällen eingesetzt, wobei eine elektrische Stimulation direkt im Hirnstamm erfolgt. Schließlich ist für spezielle Hörstörungen auch noch die Kombination von akustischer und elektrischer Stimulation zu erwähnen.
Knochenleitungsimplantat als Alternative zur konventionellen Knochenleitungsversorgung
Abb. 2: Beispiel für Knochenleitungsimplantat bei Kindern (Quelle: www.medel.com)
Ein Beispiel für ein Knochenleitungsimplantat ist in Abbildung 2 dargestellt. Ein derartiges System ist für die Versorgung von Schallleitungsstörungen und kombinierten Hörstörungen, die eine Versorgung über Knochenleitung erfordern, konzipiert. Hinsichtlich der Indikation sind für diese Systeme ein Mindestalter von 5 Jahren sowie eine Hörschwelle im audiologischen Indikationsbereich für Knochenleitungerforderlich. Auch müssen die anatomischen Rahmenbedingungen für die Implantation des Systems gegeben sein, damit das Implantat entsprechend platziert werden kann. Retrocochleäre Hörstörungen dürfen nicht vorliegen.
Cochlea-Implantate bei hochgradiger Schwerhörigkeit
Bei den Cochlea-Implantaten (CI) sind derzeit in Österreich Systeme von drei Anbietern im Einsatz(Advanced Bionics, Cochlear, MED-EL). Alle Systeme verfügen über Mehrfach-Elektrodenträger, die elektrische Stimulation an unterschiedlichen Stellen der Cochlea ermöglichen. Die extern zu tragende Komponente, bestehend aus dem Sprachprozessor und der über Kabel verbundenen Senderspule, wird meist mit Ohrhaken hinter dem Ohr getragen, seltener kommen Einkomponentengeräte zum Einsatz. Das eigentliche Implantat besteht aus Empfängerspule, Implantatelektronik und Elektrodenträger. Die derzeit verfügbaren Systeme sind ohne Eingriff für eine Feldstärke von 3T für die Kernspintomografie geeignet.
Prinzip der elektrischen Stimulation beim Cochlea-Implantat
Ziel der Stimulation beim CI ist eine Nachbildung der natürlichen Hörverarbeitung im menschlichen Hörorgan. Damit ist das Cochlea-Implantat das einzige technische System, das die Funktion eines Sinnesorgans weitgehend ersetzen kann. Dabei geht es um die Generierung von elektrischen Impulsmustern, die der Codierung akustischer Information durch die am Hörnerv normalerweise auftretenden Aktionspotenzialen entsprechen. Das primäre Hauptziel ist die Codierung von Sprache, wobei heute auch Aspekte des Klanges bei der Wahrnehmung von Schall eine zusätzliche Rolle spielen.
Zur Codierung akustischer Reize kommen daher die bekannten Verarbeitungsprinzipien des Hörorgans infrage. Einerseits wird das Tonotopieprinzip, d.h. die Ortsabbildung von unterschiedlichen Tonhöhen an entsprechenden Stellen der Cochlea, und andererseits das Periodizitätsprinzip, d.h. die durch Reize synchronisierte Erzeugung von Aktionspotenzialen, genutzt. Die Kombination beider Mechanismen ergibt schließlich die sogenannte „Sprachcodierungsstrategie“, die in Computeralgorithmen je nach Hersteller unterschiedlich realisiert wird.
Versorgungsablauf mit CI und Erwartungen bei Kindern
Nach der Indikationsstellung erfolgt die Versorgung mit dem Hörimplantat in folgenden Schritten: Implantation als Startpunkt der Versorgung, Anpassung des Sprachprozessors in der Regel ca. 4 Wochen nach der Operation sowie Einleitung von Fördermaßnahmen (Hörtraining, logopädische Therapie). Wesentlich für eine erfolgreiche Nachsorge sind auch laufende Kontrollen und Nachanpassungen des Sprachprozessors.
Bei einer optimalen hörtechnischen Versorgung, einer altersgemäßen kognitiven Entwicklung und entsprechenden Fördermaßnahmen zu einem frühen Zeitpunkt ist eine weitgehend normale Hör- und Sprachentwicklung und damit eine gute Integration des Kindes in die hörende Umwelt zu erwarten.
Indikationsstellung bei Kindern
Als generelles Kriterium gilt, dass eine Cochlea-Implantation bei Kindern dann indiziert ist, wenn eine optimale Hörgeräteversorgung zu keiner Verbesserung der lautsprachlichen Kommunikation führt. In der Praxis sind 2 Gruppen von Kindern zu unterscheiden:
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die Gruppe der prä- und perilingual hörgestörten Kinder (z.B. mit angeborener Taubheit) und
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die Gruppe der postlingual ertaubten und resthörigen Kinder und Jugendlichen.
Für die erste Gruppe ist vor allem wesentlich:
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eine frühzeitige Versorgung, d.h. Implantation rund um den 1. Geburtstag.
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Zuvor sollte eine 6-monatige Beobachtungsphase mit optimierter Hörgeräteversorgung erfolgt sein
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und eine entsprechende Frühförderung stattgefunden haben.
Folgende wichtige Ausnahmen sind jedoch zu erwähnen: Bei einer postmeningitischen Ertaubung oder auch bei bekannten Innenohrfehlbildungen ist es wichtig, rasch zu agieren und bereits früher zu implantieren.
Speziell betrachtet werden sollte auch derFall der auditorischen Neuropathie. Hierbei handelt es sich um Störungen der Synchronisation der Reizübertragung entlang der Hörbahn. Auch hier kann ein Cochlea-Implantat sinnvoll und oft die einzige Lösung zur Verbesserung des Hörvermögens sein.
Für die zweite Gruppe, die der postlingual ertaubten Kinder, ist vor allem eine rasche Versorgung bei akuter Ertaubung wünschenswert. Das selbe trifft auch bei Ertaubung nach progredienter Hörstörung zu. Ein weiteres Indikationskriterium für ein CI ist auch, wenn keine Fortschritte in der Hör- und Sprachentwicklung beobachtet werden.
Für die Indikationsstellung sind neben medizinischen Aspekten, die u.a. anatomische Gegebenheiten, den allgemeinen Gesundheitszustand, Details zur Operation etc. betreffen, auch audiologische sowie pädaudiologische Aspekte relevant. Hinzu kommen noch psychologische und psychosoziale Aspekte, die ebenfalls zu berücksichtigen sind. Entsprechend der Komplexität der Thematik ist daher ein multidisziplinäres Vorgehen mit Entscheidung in einem Expertengremium (z.B. einem „clinical implant board“) sinnvoll.
Ablauf der Versorgung nach der Operation
Die Implantation, die in spezialisierten Zentren von erfahrenen Ohr-Chirurgen durchgeführt wird, stellt vor allem aus Sicht der Eltern von Kindern den Startpunkt der Versorgung dar. Nach dem Prozess der Einheilung des Implantates erfolgt die Erstaktivierung des Systems in der Regel ca. 4 Wochen nach der Operation. Dabei erfolgt erstmalig die elektrische Stimulation über das Implantat, wobei die Reaktionen der Kinder beobachtet werden. Im Rahmen dieser „Erstanpassung des Sprachprozessors“ geht es primär um die Akzeptanz der Stimulation, die Reaktion auf akustische Reize sowie um die Verwendung des Sprachprozessors im Alltag.
Sprachprozessoranpassung
Nach einer Verwendungsdauer von ca. 10 Tagen bei moderater Stimulation erfolgt die genauere Anpassung des Sprachprozessors. Primäres Ziel ist dabei eine vorsichtige Annäherung an den nutzbaren Dynamikbereich der elektrischen Stimulation, das „elektrische Hörfeld“ unter Einbeziehung aller Stimulationselektroden, wobei die minimale elektrische Stimulationsstärke, die zu einer Wahrnehmung führt, und die maximal tolerierte Stimulation bestimmt werden.
Nach ca. 3 Wochen weiterer Verwendung des CI-Systems erfolgt eine Folgeanpassung, bei der der volle Dynamikbereich für die Stimulation genutzt werden soll. Wichtig ist vor allem, dass die Unbehaglichkeitsschwelle bei elektrischer Stimulation auf keinen Fall erreicht oder überschritten wird. Daher ist für die Anpassung des Prozessors die Rückmeldung des Kindes von wesentlicher Bedeutung. Dies kann entweder durch sorgfältige Beobachtung bei kleinen Kindern oder durch Lautheitsskalierung bei älteren Kindern erfolgen. Häufig werden aber auch objektive Methoden eingesetzt, die auf physikalischen Messverfahren beruhen. Dazu zählen der Nachweis des elektrisch über Implantat ausgelösten Stapediusreflexes2 sowie die Messung von evozierten Potenzialen, die in der Cochlea generiert werden. Auf Basis der erhaltenen Messergebnisse wird der Stimulationsbereich im Rahmen der Anpassung festgelegt.
Von der Hörwahrnehmung zum Sprachverstehen
In der 1. Phase der Implantatverwendung (ca. 6 Monate) stehen die Gewöhnung und Reifung im Vordergrund, in der vor allem vielfältige Geräusche aus der Umwelt erstmals zugeordnet werden. In dieser Phase sollte auch die spezielle Frühförderung besonders beachtet werden. In der weiteren Phase geht es zunehmend um die Förderung des Sprachverstehens und der Sprachentwicklung, wobei der Hörfrühförderung sowie der logopädischen Therapie eine wesentliche Rolle zukommt.
Akustische Überprüfung der CI-Anpassung
Ergänzend zu der auf elektrischer Stimulation basierenden Implantatanpassung sind auf jeden Fall eine akustische Überprüfung des Gesamtsystems und eine Bestimmung der Hörschwelle mit Implantat sinnvoll. Damit kann abgeschätzt werden, welche minimalen akustischen Reize im Alltag wahrgenommen werden oder auch welche als zu laut empfunden werden. Insbesondere spielt auch die Rückmeldung der Eltern über die Fortschritte des Hörens mit dem Implantat im Alltag eine wichtige Rolle.
Neuerungen und Zukunftsperspektiven
Was kann in Zukunft an Neuerungen im Bereich der Hörimplantate erwartet werden? Hier gibt es generelle Trends, die einerseits von den Herstellern, andererseits aber auch in Kooperation mit Kliniken im Rahmen von Forschungsprojekten verfolgt werden.
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Eine interessante Entwicklung ist derzeit die Individualisierung der Systeme. So soll z.B. die Vorwahl der Implantat-Elektroden auf Basis der präoperativen Bildgebung individuell auf die Größe der Cochlea abgestimmt werden. Ein weiterer Schritt scheint in Richtung „Robotik“ zu gehen, wodurch eine noch präzisere Einführung der Elektrode in die Cochlea erwartet wird.
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Ein weiterer Trend geht in Richtung einer verbesserten Betreuung und Versorgung von Patienten mit Hörimplantaten aus größerer Entfernung („remote care“). Wichtige Aspekte dabei sind die Unterstützung von Patienten und Experten über das Internet, „Fernanpassung“ sowie Cloud-Dokumentation von Implantatdaten in Datenbanken.
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Schließlich soll auch das intraoperative Monitoring der Implantatfunktion erweitert werden, um eine verbesserte Qualitätssicherung zu erreichen.
Literatur:
1 World Health Organization (WHO): World report on hearing 2021. https://www.who.int/publications/i/item/9789240020481 ; zuletzt aufgerufen am 22.5.2024 2 Stephan K, Welzl-Müller K: Post-operative stapedius reflex tests with simultaneous loudness scaling in patients supplied with cochlear implants. Audiology 2000; 39(1): 13-8
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