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Therapiestandards bei myelodysplastischen Syndromen
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Axel Rüfer
Co-Chefarzt Zentrum für Hämatologie<br> Luzerner Kantonsspital<br> E-Mail: axel.ruefer@luks.ch
30
Min. Lesezeit
15.11.2018
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<p class="article-intro">In der Fortbildung «State of the Art Therapie» bei den myelodysplastischen Syndromen (MDS) wurden in einem Vortrag im Rahmen der DGHO-Jahrestagung 2018 die aktuellen Therapiestandards dargelegt.<sup>1</sup> Der folgende Artikel beleuchtet Aspekte der Risikostratifizierung sowie der Therapie sowohl der Niedrigals auch der Hochrisiko-MDS.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Therapie der MDS ist abhängig von der Risikostratifizierung nach IPSS und IPSS-R.</li> <li>Bei Niedrigrisiko-MDS mit symptomatischer Anämie ist die Therapie abhängig davon, ob eine Deletion am langen Arm des Chromosoms 5 nachgewiesen wurde; in einem solchen Fall ist die Therapie mit Lenalidomid Standard. Bei fehlendem Nachweis muss individuell bezüglich zahlreicher therapeutischer Optionen entschieden werden (Erythropoetin ± G-CSF, ATG + CsA, EK-Transfusionen ± Eisenchelation, allogene HSZT).</li> <li>Bei Hochrisiko-MDS ist eine allogene HSZT zu evaluieren, für die allerdings nur etwa 10 % der Patienten infrage kommen. Therapiestandard bei Unmöglichkeit einer allogenen HSZT ist das hypomethylierende Agens Azacitidin.</li> <li>Als ein möglicher weiterer Therapiestandard bei Patienten mit Niedrigrisiko-MDS und symptomatischer Anämie kristallisiert sich Luspatercept (ACE-536) heraus; diesbezüglich werden die Daten der Studien MEDALIST und COMMANDS wegweisend sein. Insbesondere Patienten mit dem Nachweis der SF3B1-Mutation haben ein gutes Ansprechen auf diese Therapie.</li> <li>Um auch zukünftig therapeutische Fortschritte zu machen, sollten Studien Subsets identifizieren, die allenfalls von einer spezifischen, gezielten Therapie profitieren.</li> </ul> </div> <h2>Risikostratifizierung: Niedrig- oder Hochrisiko-MDS</h2> <p>Bevor über eine therapeutische Option entschieden wird, muss eine Risikostratifizierung nach dem International Prognostic Scoring System (IPSS) respektive der Revision desselben (IPSS-R) vorgenommen werden. Niedrigrisiko-MDS sind solche mit einem IPSS low und intermediate- 1 respektive mit einem IPSS-R very low, low und intermediate (≤4,5 Punkte). Hochrisiko-MDS sind beim IPSS in der Kategorie intermediate-2 oder high und beim IPSS-R in der Kategorie high oder very high (>4,5 Punkte). Deren mittleres Überleben beträgt 0,4 bis 1,6 Jahre.</p> <p>Bei Patienten mit normalem Karyotyp können zusätzliche molekulare Marker (die häufigsten ungünstigen Veränderungen bei den MDS sind ASXL1, RUNX1, TP53 und EZH2) hilfreich sein. Von der WHO-Klassifikation 2017 wird der Nachweis der SF3B1-Mutation bei Auftreten von Ringsideroblasten gefordert, da dies bezüglich Entität – und zukünftig möglicherweise auch therapeutisch – Konsequenzen haben kann.<br /> Auch die Frage nach dem Einschluss des Patienten in eine Studie sollte zuvor beantwortet werden.</p> <h2>Therapie der Niedrigrisiko-MDS</h2> <p>Insbesondere die Therapie der symptomatischen Anämie ist abhängig davon, ob eine Deletion am langen Arm des Chromosoms 5 nachgewiesen wurde. Ist dies nicht der Fall, gibt es die folgenden Therapiemöglichkeiten (Abb. 1):</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Onko_1806_Weblinks_lo_onko_1806_s33_abb1.jpg" alt="" width="1454" height="1500" /></p> <p><strong>Erythropoetin ± G-CSF</strong><br /> In der Studie EPOANE 3021 hatten die mit Epoetin alfa behandelten Patienten im Vergleich zur Placebogruppe einen statistisch signifikant höheren prozentualen Anteil an hämatologischem Ansprechen nach den Kriterien der International Working Group (IWG) und auch in Bezug auf irgendein Ansprechen innerhalb von 24 Wochen. In der Studie ARCADE 20090160 konnte gezeigt werden, dass die mit Darbepoetin alfa therapierten Patienten in der 24-wöchigen Doppelblindperiode ein statistisch signifikant höheres erythroides hämatologisches Ansprechen (HI-E nach IWG 2006) hatten als die Patienten mit Placebo. Der modifizierte «Nordic Score», in den der endogene Erythropoetin-Spiegel und die Transfusionen mit Erythrozytenkonzentraten (EK) pro Monat einfliessen, sollte zur Prädiktion des Ansprechens auf die Therapie mit Erythropoetin genutzt werden. Bei Epoetin alfa sollten 40 000 bis 60 000 Einheiten s.c. 1–3 Mal/ Woche verabreicht werden, bei Darbepoetin alfa wöchentlich 150–500μg. Eine Kombination mit G-CSF (0,1–0,2 Mio. E s.c., 1–3 Mal/Woche) moduliert die Wirksamkeit von Erythropoetin und kann diese verbessern, eine Kostenübernahme durch die Kostenträger ist vorher abzuklären.</p> <p><strong>Immunsuppression mit Antithymozytenglobulin (ATG) und Ciclosporin A (CsA)</strong><br /> Die Studie SAKK 33/99 konnte eine signifikant höhere Rate an kompletten und partiellen Remissionen in der Gruppe ATG + CsA im Vergleich zu «best supportive care» (BSC) zeigen. Allerdings übersetzte sich dies nicht in ein verbessertes Gesamtüberleben oder transformationsfreies Überleben. Hypozellularität, Alter <60 Jahren, Transfusionsabhängigkeit <2 Jahren, Positivität für HLA-DR sowie normaler Karyotyp sind prädiktive Faktoren für ein Ansprechen.</p> <p><strong>EK-Transfusionen ± Eisenchelation</strong><br /> Der EK-Transfusionsbedarf scheint eine prognostische Bedeutung zu haben, in einer italienischen Kohorte konnte an 374 MDS-Patienten ein statistisch signifikant längeres Überleben bei transfusionsunabhängigen Patienten gezeigt werden. Transfusionsreaktionen, Alloimmunisierung, aber auch die Eisenüberladung sind Nachteile regelmässiger EK-Transfusionen. Die bisher umfänglichsten, retrospektiven Daten zur Eisenchelation stammen aus dem EUMDS-Register und zeigen, dass Patienten mit Chelattherapie, unabhängig davon, ob diese mit Deferasirox, Deferoxamin oder Deferipron durchgeführt wurde, ein besseres Gesamtüberleben haben als Patienten ohne Chelattherapie. Allerdings waren die Patienten mit Chelattherapie jünger, hatten einen besseren Performance Status und weniger Komorbiditäten. Eine Eisenchelation sollte aktuell bei Patienten mit Eisenüberladung vor einer allogenen hämatopoetischen Stammzelltransplantation (HSZT) bis zum Beginn der Konditionierung durchgeführt werden. Bei Patienten mit einer Lebenserwartung >2 Jahre, mindestens 20 EK-Transfusionen bzw. einem Serum-Ferritin >1000μg/l wird eine solche ebenfalls empfohlen. Die Daten der prospektiven TELESTO-Studie werden hoffentlich eine notwendige Klärung des Stellenwerts der Eisenchelation bringen.</p> <p><strong>Allogene HSZT</strong><br /> Bei Patienten in gutem klinischem Zustand, mit einer Hochrisiko-Zytogenetik, relevanter Panzytopenie, hohem Transfusionsbedarf (≥2 EK pro Monat über sechs Monate) sowie vorhandenem Stammzellspender sollte eine allogene HSZT in einem Transplantationszentrum diskutiert werden. Auch bei Patienten mit Versagen der zuvor beschriebenen Therapieoptionen ist eine solche Diskussion notwendig.<br /> Bei Nachweis einer Deletion am langen Arm des Chromosoms 5 ist Lenalidomid die Standardtherapie. In der Studie MDS- 004 konnte eine Dosis von 10mg Tage 1–21, gefolgt von einer Woche Pause, als die Dosierung mit dem statistisch signifikant häufigsten Erreichen des primären Endpunktes, der Transfusionsunabhängigkeit ≥26 Wochen, etabliert werden. Auch zytogenetische Remissionen waren häufiger als im Arm Lenalidomid 5mg täglich oder Placebo. In der Schweiz sollen solche Patienten in das erste nationale MDS-Register eingeschlossen werden, das Swiss Lenalidomide In MDS del(5q) – Registry (SLIM-Registry, www.slim-registry.ch). Bei Patienten, die nach sechs Zyklen einer Therapie mit Lenalidomid sowohl eine Transfusionsunabhängigkeit als auch eine komplette zytogenetische Remission erreicht und anschliessend mindestens weitere sechs Lenalidomid-Zyklen erhalten haben, kann die Unterbrechung dieser Therapie diskutiert werden, welche von einem regelmässigen, mindestens dreimonatlichen Monitoring (Blutbild, FISH für Deletion 5q) gefolgt werden muss. Patienten mit TP53-Mutationen sprechen schlechter auf die Lenalidomid-Therapie an, solchen Patienten sollte eine Lenalidomid- Therapie jedoch nicht vorenthalten werden. TP53-Mutationen können sich auch im Krankheitsverlauf entwickeln, sodass die Suche nach diesen bei erneuter Knochenmarkdiagnostik zu empfehlen ist. Bei Patienten mit einer Deletion am langen Arm des Chromosoms 5 und einem komplexen Karyotyp ± TP53-Mutationen sind hingegen Therapiestrategien zu diskutieren, wie sie bei Patienten mit Hochrisiko- MDS zum Einsatz kommen.</p> <h2>Therapie der Hochrisiko-MDS</h2> <p>Eine allogene HSZT sollte bei allen Patienten in diesem Setting evaluiert werden, auch wenn diese potenziell kurative Therapie nur bei etwa 10 % der Patienten möglich sein wird. Diesbezüglich sind eine enge Zusammenarbeit mit einem Transplantationszentrum und eine frühe Evaluation (auch der Komorbiditäten) wichtig mit Berücksichtigung der Wünsche des Patienten. Die beste Therapie vor einer allogenen HSZT bleibt unklar, bei einem Blastenanteil ≥10 % im Knochenmark ist eine zytoreduktive Therapie notwendig, wobei diese bei einem komplexen Karyotyp mit einem hypomethylierenden Agens (HMA) durchgeführt werden sollte.<br /> Zahlreiche Phase-II/III-Studien zeigen ein Gesamtansprechen von HMA (Azacitidin oder Decitabin) von weniger als 50 % , eine Dauer des Ansprechens von 10 bis etwa 14 Monaten, eine Rate kompletter Remissionen von etwa 10 bis 20 % und Rezidive bei allen Patienten. In der Studie AZA-001 führte die Therapie mit Azacitidin zu einem mittleren Gesamtüberleben von 24,5 Monaten versus 15 Monate mit konventioneller Therapie (BSC, «Low dose»-Cytarabin, intensive anthrazyklinhaltige Chemotherapie). Azacitidin sollte bei den Patienten eingesetzt werden, die für eine allogene HSZT nicht infrage kommen, und zwar in einer Dosis von 75mg/m<sup>2</sup> für 7 Tage (5–2–2) alle 28 Tage. Die Beurteilung des Ansprechens erfolgt nach 4–6 Zyklen und sollte zu einer Verbesserung der peripheren Blutwerte oder einer Remission im Knochenmark führen. Die Therapie sollte bis zum Verlust des Ansprechens durchgeführt werden. Tritt dies ein, sollte die Teilnahme an einer Studie evaluiert werden, alternativ kann ein Wechsel auf Decitabin oder eine Kombination mit dem BCL2-Inhibitor Venetoclax erwogen werden.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und
Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische
Onkologie, Fortbildung MDS «State of the Art
Therapie», 30. September 2018, Wien
</p>
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