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Wenn Liebe (machen) weh tut …
Jatros
Autor:
Dr. Andrea Kottmel
Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe<br> Praxis für Gynäkologie und Geburtshilfe mit<br> Schwerpunkt Sexualmedizin, Wien<br> E-Mail: office@sexualmedizin-wien.at
30
Min. Lesezeit
23.03.2017
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<p class="article-intro">Schmerzen beim Geschlechtsverkehr sind ein häufiges Problem: Bis zu 50 % aller Frauen erleben zumindest sporadisch Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Werden diese chronisch, so kann das ihre Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Vor allem chronische Schmerzen erfordern eine sorgfältige Diagnose und eine oft multifaktorielle Therapie.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die neue Klassifikation nach DSM-5 betont noch deutlicher als früher die Nähe der Sexualfunktionsstörung „Genitale Schmerz- und Penetrationsstörung“ zu den Schmerzstörungen.</li> <li>Besonders bei Vulvaschmerzen ist die Biopsie ein wichtiges diagnostisches Mittel, da sonst oft diskrete Veränderungen übersehen werden, z.B. entzündliche Dermatosen oder die Vulvodynie (als Krankheitsbild im engeren Sinne).</li> <li>Eine tragfähige Arzt-Patientin- Beziehung und ein multidisziplinärer Ansatz für Diagnose und Therapie sind essenziell für den Therapieerfolg bei Patientinnen mit oft jahrelang bestehenden Beschwerden, die weit über den Bereich der Sexualität hinaus die Lebensqualität einschränken.</li> <li>Sexualberatung/-therapie ist fixer Bestandteil der Therapie und keine „letzte Chance“.</li> </ul> </div> <p>Das belastende Krankheitsbild der „Genitalen Schmerz- und Penetrationsstörung“ hat eine eher seltene Prävalenz (Tab. 1 und 2). Dafür sind die Implikationen teilweise extrem weit reichend, da viele Patientinnen Einschränkungen in zahlreichen Lebensbereichen erleben. Die Betreuung dieser Patientinnen ist anspruchsvoll: Oft finden sich über Jahre chronifizierte Symptome bei zahlreichen Arztkontakten, die teilweise als sehr frustrierend erlebt worden sind.<br /> Was können wir also unternehmen, um nicht als ein weiterer erfolgloser Therapieversuch in die (Patienten-)Geschichte einzugehen?</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Gyn_1701_Weblinks_s21_tab1.jpg" alt="" width="2150" height="811" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Gyn_1701_Weblinks_s21_tab2.jpg" alt="" width="1417" height="937" /></p> <h2>Das Wichtigste zuerst</h2> <p>Wenn es einfach wäre, wäre es nicht so schwierig. Oder anders gesagt: Die meisten genitalen Schmerzstörungen basieren auf einer multifaktoriellen Pathogenese. Dementsprechend sollte das Therapiekonzept ausgerichtet sein. Deshalb ist es wichtig, von Anfang an der Patientin und auch sich selbst klarzumachen: Es werden vermutlich verschiedene Therapieelemente, eventuell von verschiedenen Betreuungspersonen, notwendig sein. Sexualberatung und psychotherapeutische Ansätze sind keine „letzte Chance“, sondern integraler Bestandteil dieses multimodalen Konzeptes. Insgesamt handelt es sich um ein sehr breit gefächertes Krankheitsbild, in das im Rahmen dieses Artikels nur ein kleiner Einblick möglich ist.</p> <h2>Back to basics</h2> <p>Aktuell werden zwei verschiedene Klassifikationen für Sexualfunktionsstörungen verwendet: Allgemein ist in Österreich der ICD-10-Code in Verwendung (International Classification of Diseases, 10. Version). Im Bereich der Sexualmedizin wird aber zumeist das ausführlichere DSM-System verwendet (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, aktuell 5. Auflage, nach Annual Meeting of the APA 2013).<br /> Da bei genitalen Schmerzen und der Abwehrreaktion „Muskelanspannung“ die Abgrenzung zwischen Folge und Ursache schwierig ist, wurden die beiden Diagnosen „Dyspareunie“ und „Vaginismus“ im neuen DSM-5 zu einem Krankheitsbild zusammengefasst und neu benannt (Tab. 1 und 2).<br /> Insgesamt zeigen Patientinnen mit genitaler Schmerzstörung einige Ähnlichkeiten zu Patientinnen mit anderen Schmerzstörungen wie Komorbidität mit Depression und Angststörungen sowie negative Auswirkungen auf das Körperbild/ Rollenbild.<br /> Um die Einreihung des Krankheitsbildes zwischen Sexualfunktionsstörung und Schmerzstörung zu unterstreichen, wurde gegenüber der bisherigen Bezeichnung im DSM, „Genitaler Sexualschmerz“ (bzw. GSP/Genital Sexual Pain), in der Überarbeitung auf das Wort „sexual“ verzichtet.</p> <h2>Und wie weiter?</h2> <p>Die Arzt-Patientin-Beziehung ist für den Therapieerfolg entscheidend. Auch deshalb ist es wichtig, die Anamnese ausführlich genug, aber doch fokussiert zu gestalten. Vor allem Erfahrungen mit Therapieversuchen in der Vergangenheit spielen eine wichtige Rolle für die Compliance bzw. Motivation zu zukünftigen Therapievorschlägen.<br /> Die Basisuntersuchung bei genitalen Schmerzsyndromen richtet sich nach dem Schmerzort und der Schmerzart. Es sind viele Ursachen oder Risikofaktoren für eine „Genitale Schmerz- und Penetrationsstörung“ bekannt, die teilweise sehr erfolgreich behandelt werden können (Tab. 3).<br /> Bei eher äußerlichen Schmerzen im Bereich der Vulva ist vor allem die Inspektion, die Testung der Berührungswahrnehmung mittels Wattestäbchen (Q-Tip- Test) zur Erstellung einer „Schmerzlandkarte“ und eventuell eine Hautbiopsie bedeutsam.<br /> Die Biopsie erlaubt die genauere Diagnose (bzw. den Ausschluss von) Dermatosen, chronischen Infekten und Vulvodynie, welche vor allem bei diskreten Veränderungen mit freiem Auge oder Kolpo-/ Vulvoskop nicht abschließend möglich ist. Mikrobiologische Abklärungen sind meist schon mehrfach in der Basisbetreuung erfolgt.<br /> Bei eher tief liegenden Schmerzen stehen die gezielte bimanuelle Untersuchung und die Vaginalsonografie im Vordergrund. Im Zusammenhang mit (auch azyklischen) chronischen Unterbauchschmerzen sollte immer an eine Endometriose gedacht werden.<br /> Eventuell ist auch eine MRT-Untersuchung des kleinen Beckens (bzw. der LWS) sinnvoll, um die Frage nach beispielsweise Raumforderungen, Gefäßveränderungen oder Pathologien entlang der Nervenbahnen zu klären.<br /> Weitere Abklärungsschritte können je nach klinischem Verdacht sehr unterschiedlich aussehen (z.B. genaue neurologische Beurteilung bei Verdacht auf eine Neuropathie, Koloskopie bei Verdacht auf eine entzündliche Darmerkrankung, MRT des ZNS etc.).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Gyn_1701_Weblinks_s21_tab3.jpg" alt="" width="1417" height="1262" /></p> <h2>Der Therapieansatz</h2> <p>Das Therapiekonzept richtet sich nach dem/den auslösenden und erhaltenden Faktoren (Tab. 3) bzw. nach ähnlichen Strategien wie bei anderen chronischen Schmerzsyndromen. Eine Zusammenfassung der Optionen findet sich in Tabelle 4.<br /> Eine Sexualberatung bzw. Sexualtherapie sollte immer als ein integraler Bestandteil angeboten werden, vor allem wenn die Erkrankung im Rahmen einer Partnerschaft besteht. Schmerzen bei oder durch Sexualität stellen immer auch ein Problem des Paares dar. Die Rolle des Partners und seine Belastung durch die Symptome (oder die Therapie) werden sonst oft unterschätzt. Die Kommunikation über Sexualität sowie die Anpassung des sexuellen Repertoires kann enorm von einer therapeutischen Begleitung profitieren.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Gyn_1701_Weblinks_s21_tab4.jpg" alt="" width="2150" height="1034" /></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> Durch die wissenschaftlichen Fortschritte in der Sexualmedizin haben sich auch im Bereich der Diagnose und der Therapie der genitalen Schmerzstörung in den letzten Jahren viele Weiterentwicklungen ergeben. Die nächsten Jahre werden zeigen, wie gut sich die neue Klassifikation in der Praxis anwenden lässt; weitere Erkenntnisse zu therapeutisch relevanten Unterteilungen in diesem Bereich sind zu erwarten. Vor allem betreffend das Krankheitsbild der Vulvodynie, eines wichtigen Auslösers für eine „Genitale Schmerz-/ Penetrationsstörung“, ist die Auswahl der individuell passenden Therapieoptionen weiterhin eine Herausforderung. Die Zusammenarbeit in einem multiprofessionellen Team mit sexualmedizinischem Fokus ist und bleibt bedeutsam für die Betreuung von Patientinnen mit genitalen Schmerzstörungen.</div></p>
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