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Weibliche sexuelle Funktionsstörungen und Libidoverlust aus urogynäkologischer Sicht
Jatros
Autor:
Prof. Daniela Dörfler
Klinische Abteilung für Allgemeine Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie<br> Universitätsklinik für Frauenheilkunde<br> Medizinische Universität Wien/AKH Wien<br> E-Mail: daniela.doerfler@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
23.03.2017
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<p class="article-intro">Libidoverlust ist die häufigste sexuelle Funktionsstörung („female sexual dysfunction“, FSD). Neue medikamentöse Ansätze befassen sich mit dem Thema mit unterschiedlichem Erfolg. Gerade die Urogynäkologie beschäftigt sich immer mehr mit dem wichtigen Thema der Sexualstörungen.</p>
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<p class="article-content"><div id=""> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Libidoverlust ist die häufigste „female sexual dysfunction“ (FSD).</li> <li>Neuere therapeutische Interventionen beinhalten das „rosa Viagra“ (Flibanserin), lokale Östrogenisierung, Testosteronpflaster und die Anwendung von Oxytocin als Nasenspray.</li> <li>Alle diese Therapien versprechen jedoch nur einen marginalen Effekt, insbesondere im Vergleich mit Placebo.</li> </ul> </div> <p>Bis zu 43 % aller Frauen leiden in unterschiedlichen Lebensphasen und Beziehungskonstellationen zeitweise oder permanent an einer sexuellen Funktionsstörung. Neue Untersuchungen besonders aus Japan fördern zutage, dass bis zu 60 % der bis zu 30-Jährigen gar keine Partnerschaft eingehen wollen. Diese „Generation Zölibat“ beginnt erst gar nicht mit partnerschaftlicher und sexueller Interaktion. Wirkliche potenzielle Geschlechtspartnerinnen können den virtuell erschaffenen Fantasien oder in Pornos dargestellten Sexualpartnerinnen nicht entsprechen, so die Interpretation dieses Phänomens.</p> <h2>Ursachen für weibliche sexuelle Funktionsstörungen</h2> <p>Hauptursachen für „female sexual dysfunction“ (FSD) sind neben physiologischem Alterungsprozess und Menopause iatrogene Ursachen wie chirurgisch induzierte oder medikamentös getriggerte sexuelle Funktionsstörungen. Urogynäkologische Probleme, wie koitale Inkontinenz, also unwillkürlicher Harnverlust beim Orgasmus oder bei der Penetration, Belastungsharninkontinenz, überaktive Blase und Harndrang (Urgency), interstitielle Zystitis, hyperaktiver Beckenboden, Schmerzsyndrome im kleinen Becken und vorangegangene operative Eingriffe zur Korrektur von Descensus (Senkung des Beckenbodens) und alle Formen der Inkontinenz können die Sexualität der Frau beeinflussen.<br /> Auch Medikamente können als Verursacher oder Auslöser von sexuellen Funktionsstörungen auftreten. Zu den Arzneimitteln, die eine Sexualstörung hervorrufen können, zählen Antihypertensiva, Hormonpräparate wie Antiöstrogene, Antiandrogene, manche orale Kontrazeptiva, Psychopharmaka, Antihistaminika, Anticholinergika und Chemotherapeutika.</p> <h2>Formen und Risikofaktoren der FSD</h2> <p>Man unterscheidet vier Formen der FSD:</p> <ol> <li>Libidoverlust</li> <li>Erregungsstörungen</li> <li>Orgasmusstörungen</li> <li>Schmerzsyndrome wie Vaginismus und Dyspareunie</li> </ol> <p>Man unterteilt diese in primäre (immer schon vorhandene) und sekundäre (ausgelöste oder provozierte) Formen mit und ohne Leidensdruck für die Betroffene.<br /> Als Risikofaktoren kommen neben internistischen Erkrankungen, wie Diabetes, Hypertonie und Adipositas, onkologische Grunderkrankungen und Krankheiten des rheumatischen Formenkreises als mögliche vorübergehende oder bleibende Störfaktoren hinsichtlich einer erfüllten Sexualität infrage. Die endokrinologischen Einflüsse, etwa eine Hypothyreose, sollten mittels der Bestimmung des Hormonstatus und eventuell eines Belastungstests abgeklärt werden.<br /> Der Stellenwert der Depression im Rahmen von weiblichen Funktionsstörungen muss aus mehreren Blickwinkeln betrachtet werden. Einerseits kann die Depression präexistent sein und zu einer sexuellen Funktionsstörung führen, andererseits kann eine belastende sexuelle Dysfunktion eine Depression induzieren. Antidepressiva müssen selektiv gewählt werden, um eine FSD nicht als Nebenwirkung zu verursachen.<br /> Bei mehr als 50 % der Frauen mit Diabetes mellitus wird die Sexualstörung hervorgerufen durch eine Depression und/ oder Störung der Endothelfunktion und die damit verbundene verminderte Schwellung der vaginalen Corpora cavernosa sowie verminderte Lubrikation oder durch die diabetische Neuropathie, welche die genitale Empfindung stört.<br /> Bariatrische Chirurgie bei morbider Adipositas verbessert die sexuelle Zufriedenheit signifikant. Mehr als 63 % der Patientinnen mit koronarer Herzkrankheit leiden unter einer Sexualfunktionsstörung. Bei Hyperprolaktinämie ist als Leitsymptom neben der laktierenden Brust oft ein Libidoverlust zu erheben.</p> <h2>Abklärung von FSD</h2> <p>Entscheidend bei der Abklärung einer Sexualstörung ist die Sexualanamnese, die in den Status einfließen sollte. Diese sollte auch die Erhebung der Medikamentenliste enthalten. Dann folgt eine körperliche und gynäkologische Untersuchung. Fragebögen können die Anamnese erleichtern bzw. strukturieren. Speziell für urogynäkologische Patientinnen wurde von der IUGA der PSQ-R entwickelt, der Daten zur Sexualfunktion mit besonderer Berücksichtigung urogynäkologischer Probleme erfassen kann.<br /> Liegen der Sexualstörung Traumen wie sexueller Missbrauch, tiefgehende Partnerschaftsprobleme oder Endokrinopathien zugrunde, so sind die jeweiligen Experten zur weiteren Abklärung und Therapie zu involvieren.</p> <h2>Therapie und neue Ansätze</h2> <p>Die Behandlung von sexuellen Funktionsstörungen beinhaltet eine ganze Reihe von therapeutischen Optionen, die ihren Schwerpunkt auf unterschiedliche Aspekte des multifaktoriellen Geschehens bei FSD legen. Die reichhaltigen therapeutischen Angebote richten sich nach dem jeweiligen Beschwerdebild, von der Trauma- und Gesprächstherapie über Psychoanalyse und Psychotherapie bis hin zu körperbetonter Sexualtherapie, beispielsweise klinischer Sexologie, physikalischer Therapie, Entspannungstechniken, Körpererfahrungen mit Feldenkrais-Übungen und anderem mehr.<br /> In der letzten Zeit wurden auch mögliche neue medikamentöse Therapieansätze zur Behandlung der häufigsten Form der weiblichen Sexualstörung, des Libidoverlusts oder der Lustlosigkeit, propagiert:<br /><br /> <strong>„Rosa Viagra“</strong><br /> Durch die Zulassung von Flibanserin (Addyi<sup>®</sup>), dem „rosa Viagra“, in den USA rückte die Behandlung der Lustlosigkeit der Frau wieder einmal in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Es handelt sich hierbei um ein Antidepressivum, das in der Dosierung von 100mg von der FDA nach mehreren Anläufen im Oktober 2015 für diese Indikation zugelassen wurde. Bei dieser Substanz handelt es sich um einen Agonisten am Serotoninrezeptor-5-HT1A und Antagonisten am 5-HT2A. Am Dopaminrezeptor verhält sich Flibanserin als schwacher Partialagonist. So hemmt es einerseits die Freisetzung des sexualitätshemmenden Serotonins und steigert andererseits die Ausschüttung der sexualitätsfördernden Neurotransmitter Adrenalin und Noradrenalin. Die möglichen auftretenden Nebenwirkungen wie Synkopen, Schwindel und Blutdruckabfall können durch die abendliche Einnahme gelindert werden. Eine gemeinsame Einnahme von Flibanserin mit Alkohol ist kontraindiziert.<br /><br /> <strong>Topisches Östrogen</strong><br /> In Ovula- oder Salbenform stellt die lokale Gabe von Östriol bei Scheidenatrophie und/oder Lubrikationsstörungen, bei Östrogenmangel oder Schmerzen bei der Penetration (Dyspareunie) eine wirksame Therapieoption dar. Die Verbesserung der Sexualfunktion wird der verbesserten Trophik vor allem im Bereich der Vagina zugeschrieben. Testosteron allein oder in Kombination mit Östrogen Das Intrinsa<sup>®</sup>-Pflaster kommt beim medizinisch induzierten „premature ovarian failure“ (POF) zum Einsatz, um die sexuelle Zufriedenheit zu verbessern. Die Ergebnisse zum Einsatz der Testosteronmonotherapie bei Sexualstörungen bleiben noch abzuwarten. Eine Kontrolle der Testosteronspiegel ist lediglich zur Therapiekontrolle, nicht aber für die Diagnostik einer FSD sinnvoll.<br /> Die Gabe von DHEA zur Behandlung von Libidostörungen erwies sich als nicht effektiv.<br /><br /> <strong>Oxytocin</strong><br /> Oxytocin als Hormon, das partnerschaftliche Bindungen vertiefen kann, ist vom Grundgedanken her ein interessanter Ansatz bei Libidostörungen. In der Anwendung als Nasenspray handelt es sich um einen neuen möglichen therapeutischen Ansatz mit angenehmer Applikationsform. Hinsichtlich der subjektiven Verbesserung der Sexualität konnten bisher jedoch keine signifikanten Unterschiede zu Kontrollgruppen mit Placebo dargestellt werden.</p> <h2>Andere therapeutische Möglichkeiten</h2> <p>Im Wesentlichen fokussieren sexualtherapeutische Strategien abgesehen von Medikamenten einerseits auf die psychische Ebene und die Paardynamik und andererseits auf die körperliche Ebene, ausgehend von dem Grundsatz, dass sexuelles Erleben auf dem Erregungsreflex und auf erlernten sexuellen Erregungsmustern beruht. Sexualität ist daher grundsätzlich erlernbar. Sexuelles Erleben und sexuelle Erregung können individuell durch Druck, Atmung, Muskeltonus und Bewegung oder Rhythmus ausgelöst, gesteigert und moduliert werden. Je nach erlerntem Muster ist jeder Mensch unterschiedlich eingeschränkt oder offen im sexuellen Erleben. Da es sich um einen erlernten Prozess (wenngleich unbewusst erlernt) handelt, können die individuellen Fähigkeiten durch körperliches Lernen und Erweiterung des Repertoires an Atmung, Bewegung, Tonus und Rhythmus vertieft werden.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> Besonders Urogynäkologinnen haben in den letzten Jahren auf die enorme Bedeutung der Sexualität und von FSD in unserem Fachgebiet Frauenheilkunde hingewiesen und auch die steigende Zahl an Publikationen aus diesem Bereich trägt dieser Entwicklung Rechnung. Die AUB bietet im Rahmen des AUB-Fortbildungsdiploms das Modul „Sexualanamnese“ an. Wer eine vertiefte Ausbildung als klinischer Sexologe möchte, der kann diese auch in Österreich absolvieren (www.sexualpaedagogik.at). All dies ist Ausdruck dafür, dass im klinischen Alltag von Frauenärztinnen und -ärzten immer mehr wahrgenommen wird, wie wichtig ein erfülltes sexuelles Erleben für die Patientinnen ist.</div></p>
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