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Weibliche sexuelle Funktionsstörungen und Libidoverlust aus urogynäkologischer Sicht

<p class="article-intro">Libidoverlust ist die häufigste sexuelle Funktionsstörung („female sexual dysfunction“, FSD). Neue medikamentöse Ansätze befassen sich mit dem Thema mit unterschiedlichem Erfolg. Gerade die Urogynäkologie beschäftigt sich immer mehr mit dem wichtigen Thema der Sexualstörungen.</p> <hr /> <p class="article-content"><div id=""> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Libidoverlust ist die h&auml;ufigste &bdquo;female sexual dysfunction&ldquo; (FSD).</li> <li>Neuere therapeutische Interventionen beinhalten das &bdquo;rosa Viagra&ldquo; (Flibanserin), lokale &Ouml;strogenisierung, Testosteronpflaster und die Anwendung von Oxytocin als Nasenspray.</li> <li>Alle diese Therapien versprechen jedoch nur einen marginalen Effekt, insbesondere im Vergleich mit Placebo.</li> </ul> </div> <p>Bis zu 43 % aller Frauen leiden in unterschiedlichen Lebensphasen und Beziehungskonstellationen zeitweise oder permanent an einer sexuellen Funktionsst&ouml;rung. Neue Untersuchungen besonders aus Japan f&ouml;rdern zutage, dass bis zu 60 % der bis zu 30-J&auml;hrigen gar keine Partnerschaft eingehen wollen. Diese &bdquo;Generation Z&ouml;libat&ldquo; beginnt erst gar nicht mit partnerschaftlicher und sexueller Interaktion. Wirkliche potenzielle Geschlechtspartnerinnen k&ouml;nnen den virtuell erschaffenen Fantasien oder in Pornos dargestellten Sexualpartnerinnen nicht entsprechen, so die Interpretation dieses Ph&auml;nomens.</p> <h2>Ursachen f&uuml;r weibliche sexuelle Funktionsst&ouml;rungen</h2> <p>Hauptursachen f&uuml;r &bdquo;female sexual dysfunction&ldquo; (FSD) sind neben physiologischem Alterungsprozess und Menopause iatrogene Ursachen wie chirurgisch induzierte oder medikament&ouml;s getriggerte sexuelle Funktionsst&ouml;rungen. Urogyn&auml;kologische Probleme, wie koitale Inkontinenz, also unwillk&uuml;rlicher Harnverlust beim Orgasmus oder bei der Penetration, Belastungsharninkontinenz, &uuml;beraktive Blase und Harndrang (Urgency), interstitielle Zystitis, hyperaktiver Beckenboden, Schmerzsyndrome im kleinen Becken und vorangegangene operative Eingriffe zur Korrektur von Descensus (Senkung des Beckenbodens) und alle Formen der Inkontinenz k&ouml;nnen die Sexualit&auml;t der Frau beeinflussen.<br /> Auch Medikamente k&ouml;nnen als Verursacher oder Ausl&ouml;ser von sexuellen Funktionsst&ouml;rungen auftreten. Zu den Arzneimitteln, die eine Sexualst&ouml;rung hervorrufen k&ouml;nnen, z&auml;hlen Antihypertensiva, Hormonpr&auml;parate wie Anti&ouml;strogene, Antiandrogene, manche orale Kontrazeptiva, Psychopharmaka, Antihistaminika, Anticholinergika und Chemotherapeutika.</p> <h2>Formen und Risikofaktoren der FSD</h2> <p>Man unterscheidet vier Formen der FSD:</p> <ol> <li>Libidoverlust</li> <li>Erregungsst&ouml;rungen</li> <li>Orgasmusst&ouml;rungen</li> <li>Schmerzsyndrome wie Vaginismus und Dyspareunie</li> </ol> <p>Man unterteilt diese in prim&auml;re (immer schon vorhandene) und sekund&auml;re (ausgel&ouml;ste oder provozierte) Formen mit und ohne Leidensdruck f&uuml;r die Betroffene.<br /> Als Risikofaktoren kommen neben internistischen Erkrankungen, wie Diabetes, Hypertonie und Adipositas, onkologische Grunderkrankungen und Krankheiten des rheumatischen Formenkreises als m&ouml;gliche vor&uuml;bergehende oder bleibende St&ouml;rfaktoren hinsichtlich einer erf&uuml;llten Sexualit&auml;t infrage. Die endokrinologischen Einfl&uuml;sse, etwa eine Hypothyreose, sollten mittels der Bestimmung des Hormonstatus und eventuell eines Belastungstests abgekl&auml;rt werden.<br /> Der Stellenwert der Depression im Rahmen von weiblichen Funktionsst&ouml;rungen muss aus mehreren Blickwinkeln betrachtet werden. Einerseits kann die Depression pr&auml;existent sein und zu einer sexuellen Funktionsst&ouml;rung f&uuml;hren, andererseits kann eine belastende sexuelle Dysfunktion eine Depression induzieren. Antidepressiva m&uuml;ssen selektiv gew&auml;hlt werden, um eine FSD nicht als Nebenwirkung zu verursachen.<br /> Bei mehr als 50 % der Frauen mit Diabetes mellitus wird die Sexualst&ouml;rung hervorgerufen durch eine Depression und/ oder St&ouml;rung der Endothelfunktion und die damit verbundene verminderte Schwellung der vaginalen Corpora cavernosa sowie verminderte Lubrikation oder durch die diabetische Neuropathie, welche die genitale Empfindung st&ouml;rt.<br /> Bariatrische Chirurgie bei morbider Adipositas verbessert die sexuelle Zufriedenheit signifikant. Mehr als 63 % der Patientinnen mit koronarer Herzkrankheit leiden unter einer Sexualfunktionsst&ouml;rung. Bei Hyperprolaktin&auml;mie ist als Leitsymptom neben der laktierenden Brust oft ein Libidoverlust zu erheben.</p> <h2>Abkl&auml;rung von FSD</h2> <p>Entscheidend bei der Abkl&auml;rung einer Sexualst&ouml;rung ist die Sexualanamnese, die in den Status einflie&szlig;en sollte. Diese sollte auch die Erhebung der Medikamentenliste enthalten. Dann folgt eine k&ouml;rperliche und gyn&auml;kologische Untersuchung. Frageb&ouml;gen k&ouml;nnen die Anamnese erleichtern bzw. strukturieren. Speziell f&uuml;r urogyn&auml;kologische Patientinnen wurde von der IUGA der PSQ-R entwickelt, der Daten zur Sexualfunktion mit besonderer Ber&uuml;cksichtigung urogyn&auml;kologischer Probleme erfassen kann.<br /> Liegen der Sexualst&ouml;rung Traumen wie sexueller Missbrauch, tiefgehende Partnerschaftsprobleme oder Endokrinopathien zugrunde, so sind die jeweiligen Experten zur weiteren Abkl&auml;rung und Therapie zu involvieren.</p> <h2>Therapie und neue Ans&auml;tze</h2> <p>Die Behandlung von sexuellen Funktionsst&ouml;rungen beinhaltet eine ganze Reihe von therapeutischen Optionen, die ihren Schwerpunkt auf unterschiedliche Aspekte des multifaktoriellen Geschehens bei FSD legen. Die reichhaltigen therapeutischen Angebote richten sich nach dem jeweiligen Beschwerdebild, von der Trauma- und Gespr&auml;chstherapie &uuml;ber Psychoanalyse und Psychotherapie bis hin zu k&ouml;rperbetonter Sexualtherapie, beispielsweise klinischer Sexologie, physikalischer Therapie, Entspannungstechniken, K&ouml;rpererfahrungen mit Feldenkrais-&Uuml;bungen und anderem mehr.<br /> In der letzten Zeit wurden auch m&ouml;gliche neue medikament&ouml;se Therapieans&auml;tze zur Behandlung der h&auml;ufigsten Form der weiblichen Sexualst&ouml;rung, des Libidoverlusts oder der Lustlosigkeit, propagiert:<br /><br /> <strong>&bdquo;Rosa Viagra&ldquo;</strong><br /> Durch die Zulassung von Flibanserin (Addyi<sup>&reg;</sup>), dem &bdquo;rosa Viagra&ldquo;, in den USA r&uuml;ckte die Behandlung der Lustlosigkeit der Frau wieder einmal in den Mittelpunkt des &ouml;ffentlichen Interesses. Es handelt sich hierbei um ein Antidepressivum, das in der Dosierung von 100mg von der FDA nach mehreren Anl&auml;ufen im Oktober 2015 f&uuml;r diese Indikation zugelassen wurde. Bei dieser Substanz handelt es sich um einen Agonisten am Serotoninrezeptor-5-HT1A und Antagonisten am 5-HT2A. Am Dopaminrezeptor verh&auml;lt sich Flibanserin als schwacher Partialagonist. So hemmt es einerseits die Freisetzung des sexualit&auml;tshemmenden Serotonins und steigert andererseits die Aussch&uuml;ttung der sexualit&auml;tsf&ouml;rdernden Neurotransmitter Adrenalin und Noradrenalin. Die m&ouml;glichen auftretenden Nebenwirkungen wie Synkopen, Schwindel und Blutdruckabfall k&ouml;nnen durch die abendliche Einnahme gelindert werden. Eine gemeinsame Einnahme von Flibanserin mit Alkohol ist kontraindiziert.<br /><br /> <strong>Topisches &Ouml;strogen</strong><br /> In Ovula- oder Salbenform stellt die lokale Gabe von &Ouml;striol bei Scheidenatrophie und/oder Lubrikationsst&ouml;rungen, bei &Ouml;strogenmangel oder Schmerzen bei der Penetration (Dyspareunie) eine wirksame Therapieoption dar. Die Verbesserung der Sexualfunktion wird der verbesserten Trophik vor allem im Bereich der Vagina zugeschrieben. Testosteron allein oder in Kombination mit &Ouml;strogen Das Intrinsa<sup>&reg;</sup>-Pflaster kommt beim medizinisch induzierten &bdquo;premature ovarian failure&ldquo; (POF) zum Einsatz, um die sexuelle Zufriedenheit zu verbessern. Die Ergebnisse zum Einsatz der Testosteronmonotherapie bei Sexualst&ouml;rungen bleiben noch abzuwarten. Eine Kontrolle der Testosteronspiegel ist lediglich zur Therapiekontrolle, nicht aber f&uuml;r die Diagnostik einer FSD sinnvoll.<br /> Die Gabe von DHEA zur Behandlung von Libidost&ouml;rungen erwies sich als nicht effektiv.<br /><br /> <strong>Oxytocin</strong><br /> Oxytocin als Hormon, das partnerschaftliche Bindungen vertiefen kann, ist vom Grundgedanken her ein interessanter Ansatz bei Libidost&ouml;rungen. In der Anwendung als Nasenspray handelt es sich um einen neuen m&ouml;glichen therapeutischen Ansatz mit angenehmer Applikationsform. Hinsichtlich der subjektiven Verbesserung der Sexualit&auml;t konnten bisher jedoch keine signifikanten Unterschiede zu Kontrollgruppen mit Placebo dargestellt werden.</p> <h2>Andere therapeutische M&ouml;glichkeiten</h2> <p>Im Wesentlichen fokussieren sexualtherapeutische Strategien abgesehen von Medikamenten einerseits auf die psychische Ebene und die Paardynamik und andererseits auf die k&ouml;rperliche Ebene, ausgehend von dem Grundsatz, dass sexuelles Erleben auf dem Erregungsreflex und auf erlernten sexuellen Erregungsmustern beruht. Sexualit&auml;t ist daher grunds&auml;tzlich erlernbar. Sexuelles Erleben und sexuelle Erregung k&ouml;nnen individuell durch Druck, Atmung, Muskeltonus und Bewegung oder Rhythmus ausgel&ouml;st, gesteigert und moduliert werden. Je nach erlerntem Muster ist jeder Mensch unterschiedlich eingeschr&auml;nkt oder offen im sexuellen Erleben. Da es sich um einen erlernten Prozess (wenngleich unbewusst erlernt) handelt, k&ouml;nnen die individuellen F&auml;higkeiten durch k&ouml;rperliches Lernen und Erweiterung des Repertoires an Atmung, Bewegung, Tonus und Rhythmus vertieft werden.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> Besonders Urogyn&auml;kologinnen haben in den letzten Jahren auf die enorme Bedeutung der Sexualit&auml;t und von FSD in unserem Fachgebiet Frauenheilkunde hingewiesen und auch die steigende Zahl an Publikationen aus diesem Bereich tr&auml;gt dieser Entwicklung Rechnung. Die AUB bietet im Rahmen des AUB-Fortbildungsdiploms das Modul &bdquo;Sexualanamnese&ldquo; an. Wer eine vertiefte Ausbildung als klinischer Sexologe m&ouml;chte, der kann diese auch in &Ouml;sterreich absolvieren (www.sexualpaedagogik.at). All dies ist Ausdruck daf&uuml;r, dass im klinischen Alltag von Frauen&auml;rztinnen und -&auml;rzten immer mehr wahrgenommen wird, wie wichtig ein erf&uuml;lltes sexuelles Erleben f&uuml;r die Patientinnen ist.</div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei der Verfasserin</p> </div> </p>
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