© Morsa Images E+

«Warum das eine Frau macht, geht nur sie etwas an»

Ist Social Freezing überhaupt mit dem ärzlichen Prinzip vereinbar, seinen Patienten nicht zu schaden? Ist die Frau über Chancen und Risiken aufgeklärt, spricht nichts dagegen, sagt Prof. von Wolff aus Bern – selbst wenn die Erfolgschancen gering sind.

2019 haben sich 28 Frauen bei Ihnen behandeln lassen, um ihre Eizellen einzufrieren und den Kinderwunsch auf später zu verschieben. Warum machen das die Frauen?

M. von Wolff:Es sind zwei Typen von Frauen. Die meisten sind zwischen 35 und 40 Jahre alt. Sie haben keinen Partner, hören aber die biologische Uhr ticken. Ihnen ist bewusst, dass ihre Fruchtbarkeit mit jedem Jahr abnimmt. Die Betroffenen stehen unter einem grossen Druck. Die Zeit läuft ab, aber es ist kein Mann in Sicht, von dem sie schwanger werden könnten. Mit Social Freezing befreien sich die Frauen von diesem enormen Druck.

Und der andere Typ von Frauen?

M. von Wolff: Die sehe ich in der letzten Zeit immer öfter. Sie sind jünger, also Anfang 30. Mir scheint, diese Frauen wollen Social Freezing, weil damit ein Teil ihres Lebenskonzeptes als Frau abgesichert ist: erfolgreich im Beruf sein, Karriere machen und dann Kinder haben. Diese Frauen wollen oft gezielt mehrere Stimulationszyklen hintereinander, damit möglichst viele Eizellen gewonnen werden und die Chance auf ein Kind steigt.

Fragen Sie immer nach den Motiven?

M. von Wolff: Nein. Ich finde, warum eine Frau Social Freezing machen möchte, ist ihre private Angelegenheit und das geht uns Ärzte nichts an. Ich muss aber natürlich sicher sein, dass die Frau versteht: Das Social Freezing ist keine hundertprozentige Garantie für ihr Kind und sie darf sich nicht zu sehr auf das Depot verlassen.

Was halten Sie von Social Freezing?

M. von Wolff:Früher war ich skeptisch. Heute sehe ich das aber anders. Solange keine medizinischen Gründe dagegen sprechen und ich die Frau über die Chancen und Risiken ausführlich aufkläre, ist das ganz allein ihre Entscheidung.

Auch wenn die Chancen auf ein Baby sehr gering sind?

M. von Wolff: Als ich mit Social Freezing angefangen habe, habe ich die Indikation strenger gestellt. War eine Frau beispielsweise 38 und wäre ihre Chance auf ein Kind nur 10% gewesen, hätte ich es nicht durchgeführt. Heute bin ich liberaler. Ich mache Social Freezing auch dann, wenn die Chance nur 10% ist. Wichtig ist, dass man das der Frau gut erklärt.

Social Freezing ist ein invasiver Eingriff und mit gewissen Risiken verbunden. Ist das mit dem ärztlichen Prinzip der Schadensvermeidung vereinbar? Schliesslich greift ja letztendlich nur ein Bruchteil der Frauen auf die eingefrorenen Eizellen zurück. Die meisten werden dann doch auf natürlichem Wege schwanger oder entscheiden sich, kinderlos zu bleiben.

M. von Wolff: Es ist immer eine ethische Abwägung – wie übrigens bei fast allen Eingriffen in der Medizin. Möchten Sie Gegenargumente hören? Erstens treten relevante Komplikationen durch die Hormonstimulation heutzutage nur noch selten auf, in weniger als 1% der Fälle. Die Risiken bei der Entnahme der Eizellen sind noch geringer. Zweitens sollte die Frau Vor- gegen Nachteile selbst abwägen und nicht ich als Arzt oder gar unbeteiligte Dritte. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass ich der Frau die Vor- und Nachteile so erkläre, dass sie die Tragweite des Eingriffs abschätzen kann. Drittens stellt sich wie bei vielen medizinischen Eingriffen – etwa bei Schönheitsoperationen – die Frage nach dem Nutzen-Risiko-Verhältnis. Auch hier entscheidet die Frau selbst, ob sie beispielsweise eine Brustoperation haben möchte und das Risiko für Komplikationen eingeht. Viertens darf natürlich ein zukünftiges Kind nicht gefährdet sein durch das Social Freezing. Bisher haben wir aber keine Hinweise darauf, dass dem so wäre.

Was ist das ideale Alter für Social Freezing?

M. von Wolff: Von der Lebensplanung her wäre 30 bis 35 am besten. Denn in diesem Alter wissen die meisten Frauen, was sie wollen, und wir können noch viele qualitativ gute Eizellen gewinnen. Medizinisch wäre Mitte, Ende 20 am besten. Denn dann ist die Chance noch grösser, genügend gute Eizellen zu gewinnen. Doch in dem Alter macht sich noch kaum eine Frau Gedanken darüber.

Was für Informationen brauchen Sie, um die Erfolgschancen zu berechnen?

M. von Wolff: Das Alter und die Eierstockreserve – gemessen mit dem Anti-Müller-Hormon – sind am wichtigsten. Die Schwankungsbreite ist aber sehr gross. Ich hatte schon 38-Jährige, bei denen ich viele Eizellen gewinnen konnte.

Wie viele Eizellen gewinnen Sie im Schnitt?

M. von Wolff: Das ist individuell sehr unterschiedlich. Nehmen wir an, eine 35-jährige Frau hat noch genügend Eizellen, was man an einem normalen Anti-Müller-Hormon-Wert sieht. Ich würde dann beispielsweise 8 bis 10 Eizellen mit einer Stimulation bekommen. Davon könnte ich 6 bis 8 einfrieren. Die Frau hätte dann eine Chance von 40%, ein Kind zu bekommen. Das erkläre ich der Patientin so: Von 100 Frauen in genau Ihrer Situation bekommen später etwa 40 ein Baby.

Wie kann man die Chance erhöhen?

M. von Wolff: Ganz einfach: Wir machen mehrere Zyklen, um mehr Eizellen zu gewinnen. Die Chance auf ein Kind steigt aber mit jeder Eizelle mehr nicht linear, sondern in einer abgeflachten Kurve. In unserem Beispiel: Gewänne ich in einem weiteren Zyklus nochmals 8 bis 10 Eizellen und könnte davon nochmals 6 bis 8 einfrieren, würde sich die Chance auf ein Baby nicht verdoppeln, sondern um etwa 60% erhöhen.

Abb. 1: Geschätzte Wahrscheinlichkeit, mindestens 1, 2 oder 3 lebend geborene Kinder zu bekommen, abhängig von der Zahl reifer kryokonservierter Oozyten und vom Alter. A: 30–34 Jahre; B: 35–37 Jahre; C: 38–40 Jahre; D: 41–42 Jahre (nach Doyle JO et al.: Fertil Steril 2016; 105: 459-466.e2)

Warum kostet der Eingriff 4000 bis 5000 Franken?

M. von Wolff: Abgesehen von der Zeit für Aufklärung, Planung, Behandlung und Organisatorisches ist es sehr aufwendig, die Eizellen einzufrieren. Dies Vitrifikation geschieht mit einem speziellen Einfriersystem und wird quasi per Hand gemacht. Deshalb sage ich auch jeder Frau, dass sie die Eizellen lieber dort in der Eizell-Bank lässt, wo sie eingefroren worden sind. Denn die Vitrifikation ist von Labor zu Labor unterschiedlich. Bringt man die Eizellen in Stickstoff eingefroren in eine andere Eizell-Bank, läuft man Gefahr, die mühsam gewonnenen Eizellen zu verlieren. Das andere Labor muss nämlich den gleichen Kit haben, mit dem die Eizellen eingefroren wurden. Ich würde nie die mühsam gewonnenen Eizellen einem so hohen Risiko aussetzen.

Wie erleben Sie Frauen während der Hormonbehandlung und der Eizellentnahme?

M. von Wolff: Ganz anders als Frauen, bei denen ich eine künstliche Befruchtung mache, weil sie nicht schwanger werden können. Diese Frauen hoffen inständig, schwanger zu werden, und haben ständig Angst, dass es nicht klappen könnte. Frauen mit Social Freezing erlebe ich so: Habe ich Eizellen entnommen, ist den Frauen der hohe Druck genommen und die Sache ist erst einmal erledigt.

Nutzen Sie auch Ovargewebe und frieren es ein, damit die Frau später schwanger wird

M. von Wolff:Die Idee ist im Prinzip gut. Bei Krebspatientinnen mache ich das manchmal, zum Beispiel bei jungen Frauen, wenn die Zeit bis zum Beginn der Chemotherapie kurz ist. Aber bei Social Freezing halte ich das nicht für gut. Zum einen ist die Chance, damit schwanger zu werden, geringer als mit Eizellen, weil die Funktion des Ovargewebes nach der Reimplantation reduziert ist. Zum anderen muss man zweimal eine Laparoskopie machen: einmal bei der Entnahme und einmal später beim Einpflanzen. Das ist ein unverhältnismässig hohes Risiko. Bei den ersten Transplantationsversuchen wurde versucht, das Ovargewebe in den Unterarm zu pflanzen. Eine coole Idee. Das funktionierte aber nicht, weil die Druck- und Temperaturverhältnisse am Arm völlig anders sind als im Bauchraum.

Können auch Männer Social Freezing machen?

M. von Wolff: Ein interessanter Gedanke. Spermien vom älteren Mann führen nur halb so häufig zu Schwangerschaften wie in jüngerem Alter. Es würde also Sinn haben, Spermien einzufrieren. Ich glaube aber, dazu wird es nicht kommen. Die Spermienqualität lässt ja erst mit Mitte 50 nach. Wenige Männer wollen bewusst in dem Alter ein Kind zeugen. Und wenn, dann ist ihre Fruchtbarkeit immer noch recht hoch oder man hilft mit IVF oder ICSI nach.

Das Interview führte
Dr. med. Felicitas Witte

Zur Person:
Prof. Michael von Wolff ist Chefarzt der Kinderwunsch-Sprechstunde am Inselspital in Bern. 2006 gründete er FertiPROTEKT, ein Netzwerk aus Fertilitätskliniken in der Schweiz, Deutschland und Österreich. Anlass war die Entwicklung neuer Techniken, welche die Konservierung von Eizellen und Eierstockgewebe bei Krebserkrankungen ermöglichten.

Back to top