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Unterschätzt und unterdiagnostiziert
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21.09.2017
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<p class="article-intro">Lichen sclerosus gilt zu Unrecht als seltene Krankheit der Haut des Genitales älterer Frauen. Da seine Symptome jenen von Infektionen der Scheide und der unteren Harnwege gleichen, erhalten viele Patientinnen zunächst keine adäquate Therapie. Als Gynäkologe sollte man hellhörig werden, wenn Patientinnen wiederholt mit den gleichen Beschwerden vorstellig werden. In solchen Fällen ist es ratsam, auch an einen Lichen sclerosus zu denken.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Lichen sclerosus ist eine chronische, nicht infektiöse Hauterkrankung der Vulva, ausgelöst durch eine T-Zellvermittelte Autoimmunreaktion.</li> <li>Betroffen sind Frauen jeden Alters, Männer und Kinder beiderlei Geschlechts.</li> <li>Die Krankheit wird oft erst sehr spät diagnostiziert und adäquat behandelt, da sie häufig mit bakteriellen oder Pilzinfektionen verwechselt wird.</li> <li>Die Therapie erfolgt mit hochpotenten Steroiden, die die Immunreaktion unterdrücken. Eine Heilung ist nicht möglich.</li> </ul> </div> <p>Der Lichen sclerosus (LS) ist eine nicht infektiöse chronische Hauterkrankung, die meist das äussere Genitale der Frau betrifft, aber auch andere Körperbereiche befallen kann. Männer können ebenfalls daran erkranken, allerdings seltener als Frauen. Obwohl die meisten Patienten älter sind, kann LS auch Kinder betreffen. «Beim LS findet eine T-Zellvermittelte Autoimmunreaktion statt, die zu einer Elastase-Überaktivität führt. Die Folge ist eine Perivaskulitis», erklärt Prof. Andreas Günthert, Chefarzt der Frauenklinik am Kantonsspital Luzern. Er setzt sich dafür ein, die Krankheit bei Patientinnen bekannter zu machen und das Bewusstsein seiner Kolleginnen und Kollegen dafür zu schärfen, denn: «Die Häufigkeit wird wahrscheinlich unterschätzt, bei Frauen nach der Menopause wird der LS bei etwa einer von 30 Frauen diagnostiziert », betont er. Auch die familiäre Häufung des LS ist höher als angenommen und liegt vermutlich in bis zu 50 % der Fälle vor.</p> <h2>Diagnostik und Therapie</h2> <p>Die betroffenen Frauen stellen sich zumeist wegen Schmerzen, Juckreiz und Brennen im Genitalbereich vor. Bei der klinischen Untersuchung können häufig verschiedene Hautveränderungen gleichzeitig beobachtet werden, unter anderem Hyperkeratosen, Rhagaden, Erosionen und Exkoriationen. In der Regel resultiert daraus eine ausgeprägte Atrophie. «Typisch sind aber vor allem auch Lichenifizierungen der Haut, also weissliche Veränderungen mit pergamentartiger Struktur », so Günthert. Zur Diagnose des LS müsse nicht immer eine Gewebeprobe durchgeführt werden, da man die Krankheit in den meisten Fällen durch eine Blickdiagnose identifizieren könne. «Im Zweifelsfall kann eine Gewebeprobe jedoch nützlich sein», sagt der Gynäkologe.<br /> Behandelt wird der LS mittels einer topischen Immunsuppression, insbesondere in Form von Salben mit ultrahochoder hochpotenten Steroiden wie Clobetasolpropionat und Mometason. «Sollten diese unverträglich sein, dann können auch Calcineurin-Inhibitoren eingesetzt werden, etwa Pimecrolimus und Tacrolimus », erklärt er. Eine Heilung sei nicht möglich, aber die Therapie könne das Fortschreiten der Krankheit verzögern oder aufhalten. Zu Beginn oder bei erneuten Beschwerden im Verlauf der Behandlung werden die Immunsuppressiva täglich gegeben. Anschliessend ist eine Erhaltungstherapie mit grösseren Intervallen dringend zu empfehlen. Bei korrekter Anwendung kommt es nicht zu einer Atrophie der Haut. Ergänzend sollten bestimmte pflegerische Massnahmen erfolgen, vor allem die Anwendung von fettenden Salben. Wird nicht oder zu spät behandelt, kann es zu Verwachsungen und Narbenbildung kommen, die unter Umständen einen chirurgischen Eingriff erfordern.<br /> Grundsätzlich könne jeder Gynäkologe LS-Patientinnen behandeln, sagt Günthert. «Wenn jemand gut ausgebildet ist, benötigt es keine Spezialisten. Eine sehr gute Beratung und Instruktion sind notwendig. Ausserdem ein gutes Netzwerk mit Physio- und Sexualtherapeuten, weil die Betroffenen häufig gleichzeitig an physischen, psychischen und sexuellen Problemen leiden. Bei Unsicherheiten ist aber eine Anbindung an eine Spezialsprechstunde zu empfehlen.»</p> <h2>Wissen mehren, Bewusstsein schärfen</h2> <p>Lichen sclerosus wird oftmals sehr spät diagnostiziert und behandelt. Viele Patientinnen blicken auf ein jahrelanges Leiden zurück, bevor sie die richtige Diagnose und Therapie erhalten. Eine Ursache liegt in den zunächst unspezifischen Symptomen. «Der LS kann im Anfangsstadium sehr schwierig zu diagnostizieren sein, weil oft charakteristische Veränderungen noch fehlen und die Symptome denen eines Harnwegsinfektes oder einer vulvovaginalen Mykose ähneln können», betont Günthert. Im Frühstadium sei auch eine Biopsie oft nicht konklusiv. «Zudem wurde dieses Krankheitsbild lange Zeit schlichtweg ignoriert, wie auch das betroffene Organ selbst, die Vulva. Sie fehlte bisher praktisch vollständig in der Ausbildung und tritt erst in den letzten Jahren immer mehr in den Vordergrund – und damit verbunden auch die Krankheitsbilder dieses Organs. Bei frühzeitiger Diagnose und adäquater Langzeittherapie lassen sich die Folgen eines LS praktisch vollumfänglich aufhalten. Auch das Krebsrisiko scheint dann nicht erhöht zu sein, bei unbehandeltem Lichen sclerosus allerdings sehr wohl.»<br /> Der Chefarzt der Frauenklinik am Kantonsspital Luzern, der auch an der europäischen S3-Leitlinie «Lichen sclerosus » mitgewirkt hat, setzt sich aktiv dafür ein, die Situation zu verbessern. Wichtig sei eine systematische Aus-, Fort- und Weiterbildung für die Ärzte. Gleichzeitig müssten die Patientinnen verstärkt informiert und aufgeklärt werden, damit sie sich nicht scheuen, mit ihren Ärzten über das Thema zu sprechen. Und schliesslich spiele auch die Öffentlichkeitsarbeit eine grosse Rolle, etwa die Präsenz auf medizinischen Kongressen sowie Berichte in Zeitschriften und im Fernsehen.<br /> Günthert rät allen Gynäkologen, auch an LS zu denken, wenn Patientinnen sich mit wiederkehrenden vermeintlichen Pilzinfektionen, Blasenentzündungen ohne Bakteriennachweis oder Rissen in der Vulvahaut nach dem Geschlechtsverkehr vorstellen.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Interview mit Prof. Dr. med. Andreas Günthert, Chefarzt
Frauenklinik, Kantonsspital Luzern, European Dermatology
Forum: Guideline on Lichen sclerosus. 2014
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