
Dem Tumor auf den Fersen
Autor:
Priv.-Doz. Dr. med. Markus W. Groß
Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie
Universitätsspital Basel
E-Mail: Markus.Gross@usb.ch
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Eine Strahlenbehandlung besteht typischerweise aus mehreren einzelnen Bestrahlungen (Fraktionen), durch die der Tumor gezielt geschädigt und zugleich gesundes Gewebe maximal geschont werden soll. Im Idealfall gewährleistet der Bestrahlungsplan eine optimale Anpassung der therapeutischen Dosis an auch irreguläre Volumina, eine homogene Dosisverteilung im Zielvolumen, eine gezielte Platzierung von steilen Dosisgradienten zur Normalgewebs-schonung, eine Vermeidung von Dosisspitzen im Normalgewebe und eine möglichst rasche Dosisapplikation. Dies auch während der gesamten Behandlungsdauer zu erreichen, ermöglicht die Neuentwicklung der adaptiven Radiotherapie.
Keypoints
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Die adaptive Radiotherapie (ART) erlaubt eine tägliche Anpassung der Bestrahlung an die Situation bei den einzelnen Patient*innen.
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Durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz und maschinenbasiertem Lernen kann derzeit auch mit tagesaktuellem Bestrahlungsplan behandelt werden. Hierdurch kann das Zielvolumen besser erfasst und die Risikoorgane können stärker geschont werden.
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Eine Echtzeitanpassung des Bestrahlungsplans während der Fraktion kann diesen Vorteil auch über die ganze Fraktionsdauer unabhängig von Organbewegungen gewährleisten.
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Mit dem Einsatz funktioneller Bildgebung wird zukünftig ermöglicht, auch eine biologische adaptive Bestrahlung vorzunehmen.
Die intensitätsmodulierte Radiotherapie (IMRT) ist mittlerweile als Standard anzusehen und eine Weiterentwicklung und Verbesserung der 3D-konformalen Radiotherapie. Mit ihrer Hilfe können sowohl die Einstrahlwinkel (Projektionen) als auch die Strahlintensität innerhalb der einzelnen Projektionen variiert werden. So erreicht die gewünschte hohe Strahlendosis das Zielvolumen, während die gesunde Umgebung maximal geschont wird. Auf diese Weise ermöglicht die IMRT hervorragende Heilungschancen für viele Tumorerkrankungen (z.B. Prostatakrebs, Enddarmkrebs und Gebärmutterhalskrebs).
Zur Bestrahlungsplanung wird in Bestrahlungsposition zunächst eine Computertomografie(CT)-Bildgebung des Patienten/der Patientin angefertigt. Auf diesem Planungs-CT konturiert man Schicht für Schicht das Volumen, das mit der verordneten Dosis belegt werden soll (Zielvolumen), sowie die zu schonenden Risikostrukturen, wie benachbarte strahlenempfindliche Normalgewebe. Dieser Datensatz dient zur Berechnung der Bestrahlungspläne (Bestrahlungsplanung). Die Applikation der Strahlendosis kann physikalisch auf den Millimeter genau berechnet werden.
Allerdings ergibt sich im Rahmen der mehrtägigen oder mehrwöchigen Behandlung der Patient*innen eine Unschärfe der Bestrahlung durch die Variabilität der Anatomie. Zu diesen Veränderungen zählen das Gewicht der Patient*innen, das Tumorvolumen sowie Variationen der Risikoorgane, wie Organverformung, Füllungsänderung, Verschiebungen durch Atmung oder peristaltische Bewegungen. Diese Schwankungen können in verschiedenen Zeitskalen auftreten, die von Sekunden über Stunden bis zu Tagen reichen. Die inneren Organe können ihre Position von Tag zu Tag, teils von Stunde zu Stunde, leicht verändern (insbesondere im Bauchraum), und auch ihre Grösse kann variieren. Diese Faktoren muss man durch einen Sicherheitssaum um das eigentliche Zielvolumen herum berücksichtigen. Das bedeutet, dass das bestrahlte Volumen erweitert und damit grösser wird. Hierdurch nimmt auch das Risiko bzw. das Mass unerwünschter Wirkungen zu, während das Tumorgewebe unter Umständen zu wenig Dosis erhält.
Adaptive Strahlentherapie
Seit ihrer Konzeption in den späten 1990er-Jahren1 hat sich die adaptive Strahlentherapie (adaptive Radiotherapie, ART) zu einer vielversprechenden modernen Form der Krebsbehandlung entwickelt. Bei ihr wird mithilfe eines systematischen Feedbacks durch repetitive Bildgebungen die Bestrahlungsplanung an die aktuelle anatomische Situation angepasst. Damit können wir Veränderungen der Anatomie der Patient*innen während der Behandlung Rechnung tragen und die Bestrahlungsplanung entsprechend modifizieren.
Dementsprechend wird die Implementierung von ART häufig in drei Hauptklassen eingeteilt:
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Offline-ART, zwischen den Fraktionen
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Online-ART, unmittelbar vor einer Fraktion
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Echtzeit-ART (Real-Time-ART), während einer Fraktion
Offline-ART
Offline-ART befasst sich hauptsächlich mit systematischen und fortschreitenden Veränderungen, die während des Behandlungsverlaufs auftreten, wie z.B. Gewichtsverlust der Patient*innen und morphologische Veränderungen der Tumoren, z.B. eine Volumenabnahme.2 Bei der Offline-ART werden Anpassungen der Bestrahlungsplanung basierend auf diesen beobachteten Änderungen nach der aktuellen Behandlungsfraktion vorgenommen, typischerweise nach dem gleichen klinischen Arbeitsablauf wie bei der regulären anfänglichen Behandlungsplanung. Dies kann im Behandlungsverlauf auch wiederholt erforderlich sein, jeweils mit Konturierung, Planung und patientenspezifischer Qualitätssicherung. Die Offline-ART hat in prospektiven klinischen Studien an Prostata-, Kopf-Hals- und Lungentumoren gezeigt, dass sie zu einer verbesserten Zielabdeckung und OAR(«organs at risk»)-Ersparnis führt.3
Die bildgesteuerte Radiotherapie (IGRT) ist eine Vorstufe der Online-ART. Sie gleicht die Problematik der Organbeweglichkeit zum Teil aus. Indem das Bestrahlungsgerät zusätzlich mit einem modernen bildgebenden Verfahren, z.B. einer Computertomografie, direkt am Bestrahlungsgerät selbst kombiniert wird, können Lage und Bewegung von Patient*innen und Zielvolumen überprüft und die Positionierung kann entsprechend angepasst werden. Auf diese Weise erhöhen sich durch die IGRT die individuellen Heilungschancen. Dieser Prozess benötigt wenige Minuten und ist tagesaktuell möglich. Kompensieren kann man hiermit allerdings lediglich eine variante Position des Zielvolumens, nicht jedoch eine veränderte Form oder ein verändertes Volumen, beispielsweise eine Schrumpfung des Tumors durch die Behandlung. Dies zu berücksichtigen erfordert eine komplett neue Bestrahlungsplanung auf der Basis der aktuellen anatomischen Situation. Weil der gesamte Prozess von der CT bis zum fertigen Bestrahlungsplan mindestens mehrere Stunden bis Tage benötigt, war er bislang nicht täglich durchführbar. Die Strahlenbehandlung basiert somit jeweils auf einer mindestens einige Tage alten anatomischen Information. Neu entwickelte Bestrahlungsgeräte haben CT oder MRT, Bestrahlungsplanungssystem und Bestrahlungsgerät in einem System integriert und verwenden Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) und des maschinellen Lernens. Dadurch kann mit ihnen die modernste Form der intensitätsmodulierten und bildgeführten Strahlentherapie, die Online-adaptive Strahlentherapie, durchgeführt werden.
Online-ART
Online-ART ermöglicht einen für die Patient*innen stark verbesserten Ablauf der Behandlung, indem das Zielvolumen und die zu schonenden Strukturen täglich neu, hochpräzise und individuell entsprechend der jeweils aktuellen Situation der Patient*innen erfasst werden und ein optimaler Bestrahlungsplan errechnet wird, während die Person auf dem Bestrahlungstisch liegt. Im Grunde genommen verläuft die adaptive wie eine herkömmliche intensitätsmodulierte Bestrahlung auch. In das Gerät ist ein CT oder ein MRT integriert, das Aufnahmen der Grösse und Position des Tumors sowie der umliegenden Organe erstellt. Mit Unterstützung durch die KI werden alle relevanten Organe erkannt, und dann wird ein exakt auf die aktuelle Situation abgestimmter Bestrahlungsplan errechnet. Diese Innovationen ermöglichen die Reduktion des Zeitraums für die Bildakquisition, Konturierung und Bestrahlungsplanung von bisher mehreren Tagen auf etwa 15–30 Minuten. Das ärztliche und das medizinphysikalische Team können dadurch während der Behandlung auf momentane Veränderungen reagieren und die Behandlung noch stärker personalisieren und individuell anpassen. Die adaptive Strahlentherapie wird beispielsweise in der Behandlung von gynäkologischen Tumoren sowie beim Bronchialkarzinom und beim Prostatakarzinom angewandt. Vielversprechende Daten für die tägliche Verwendung MR-geführter Online-ART bei lokalisiertem Prostatakrebs liegen vor, die eine geringe Inzidenz früher gastrointestinaler und urogenitaler Toxizitäten bei klinischen und patientenberichteten Ergebnissen zeigen.4
Basis für die Online-ART ist zunächst eine konventionelle Bestrahlungsplanung mit Auswahl des optimalen Plans (Abb. 1). Am Tag jeder einzelnen Bestrahlung erfolgt eine Bildgebung an und mit dem Bestrahlungsgerät. Diese Bildgebung wird mit der Planungsuntersuchung verknüpft und die konturierten Organe und Volumina werden übertragen (Abb. 2). Nach einer ärztlichen Kontrolle und ggf. Korrektur werden der originale Plan im neuen Bilddatensatz und zugleich mehrere neue Bestrahlungspläne kalkuliert (Abb. 3a,b). Bei unveränderter Anatomie kann der ursprüngliche (Abb.3a), andernfalls einer der neuen Pläne (Abb. 3b), gewählt und verifiziert werden, dann kann damit bestrahlt werden. Die Kontrolle der Dosisverteilung in Form einer Messung oder Überprüfung mit einem unabhängigen System (Verifikation) dauert im Normalfall nur eine bis wenige Minuten. Nach der Planfreigabe, kurz vor Start der Bestrahlung, wird eine weitere Bildgebung angefertigt, um sicherzustellen, dass sich der Patient/die Patientin nicht bewegt hat. Die eigentliche Bestrahlung ist dann, je nach Dosis, innerhalb einer bis weniger Minuten abgeschlossen. Insgesamt variiert die erforderliche Zeit von der Bildgebung bis zum Abschluss der Bestrahlung zwischen 15 und 45 Minuten. Das Ablaufschema, das wir auch an unserem ART-System verwenden, zeigt Abbildung 4.
Abb. 1: Darstellung des Bestrahlungsplans einer Patientin mit Zervixkarzinom im Planungs-CT. Das Zielvolumen ist in Rot gezeichnet, der Uterus der Patientin in Orange
Abb. 3a und 3b:Vergleich des CT vor der Bestrahlung (links) mit dem ursprünglichen Planungs-CT (rechts). In 3a sieht man den ohne Adaptation übertragenen Bestrahlungsplan mit der unzureichenden Dosisabdeckung im Zielvolumen. In 3b sieht man den neu kalkulierten, aktuellen Plan, der das Zielvolumen wieder optimal mit der therapeutischen Dosis versorgt
Um Veränderungen, die innerhalb einer Behandlungsfraktion auftreten, wie z.B. die Atmung, Peristaltikbewegungen und Füllungsänderungen von Hohlorganen, zu berücksichtigen, wurde der Begriff der Echtzeit-ART eingeführt, bei der die Bestrahlung während der jeweiligen Fraktion automatisch und ohne Eingriff des Bedieners automatisch angepasst wird.
Echtzeit-ART
Die Echtzeit-ART kann ohne und mit Anpassung des Bestrahlungsplans vor sich gehen. Beim sogenannten Gating mithilfe der Echtzeit-IGRT können Lage und Bewegung der Patient*innen und Zielvolumen überprüft werden, die Positionierung kann entsprechend angepasst werden. Einzelne Ansätze hierzu sind die intrafraktionelle dynamische Bewegungsverfolgung des Tumors mithilfe stereoskopischer gepulster Durchleuchtung, ohne oder mit implantierten Markern, die Lokalisation des Zielvolumens über die Korrelation mit der Oberflächenkontur oder die simultane Erfassung der Zielvolumenposition und MLC-Anpassung.
Bei der atemgetriggerten Bestrahlung beispielsweise gibt das Bestrahlungsgerät den Therapiestrahl nur frei, wenn der Tumor bzw. das Zielvolumen in der richtigen Position ist. Im Verlauf des Atemzyklus erfolgt die Bestrahlung nur während einer bestimmten Zeitspanne. Dadurch verlängert sich die Zeit pro Fraktion allerdings deutlich. Bei dieser Form des Gatings könnte auch eine dynamische Anpassung der Multilamellenkollimatorpositionen oder des Bestrahlungsgeräts selbst erfolgen.3,6–9
Die Echtzeit-ART mit kontinuierlicher Anpassung auch des Bestrahlungsplans selbst erfordert die Unterstützung durch KI und maschinelles Lernen, um die Zeit pro Fraktion auf ein für die Patientin tolerables Mass zu limitieren. Ein solcher Ansatz erfordert aber typischerweise eine kontinuierliche Bildgebung mit konstanter Neuplanung, schneller Planberechnung und Dosisapplikation.10
Extrem spannend wird der Einsatz von Biomarkern in der adaptiven Strahlentherapie, bei der der Behandlungsplan während der Therapie, basierend auf der biologischen Reaktion des einzelnen Patienten, angepasst werden kann. Die Kopplung eines PET-Scanners mit einem Linearbeschleuniger hätte das Potenzial zur Durchführung einer biologisch individualisierten Strahlentherapie.11
Fazit
Insgesamt zeigt die adaptive Strahlentherapie, obwohl sie sehr ressourcenintensiv ist, ein grosses Potenzial, um die Normalgewebsschonung und die Dosisbelegung des Zielvolumens zu optimieren. Da das Angebot entsprechender Systeme zunimmt und die Arbeitsabläufe innerhalb des klinischen Standardbetriebs einfacher durchzuführen sind, wird die Wahrscheinlichkeit einer routinemässigen Implementierung von ART weiter ansteigen. Allerdings sind auch die Krankenversicherungen gefragt, diesen Mehraufwand entsprechend rückzuvergüten.
Literatur:
1 Yan D et al.: Adaptive radiation therapy. Phys Med Biol 1997; 42: 123-32 2 Yan D: Adaptive radiotherapy. Semin Radiat Oncol 2010; 20: 79-146 3 Keall PJ et al.: The first clinical implementation of real-time image-guided adaptive radiotherapy using a standard linear accelerator. Radiother Oncol 2018; 127(1): 6-11 4 Bruynzeel AM et al.: A prospective single-arm phase 2 study of stereotactic magnetic resonance guided adaptive radiation therapy for prostate cancer: early toxicity results. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2019; 105(5): 1086-94 5 Glide-Hurst CK et al.: Adaptive radiation therapy (ART) strategies and technical considerations: A state of the ART review from NRG Oncology. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2021; 109(4): 1054-75 6 Pathmanathan AU et al.: Magnetic resonance imaging-guided adaptive radiation therapy: a “game changer” for prostate treatment? Int J Radiat Oncol Biol Phys 2018; 100(2): 361-73 7 Kontaxis C et al.: Towards fast online intrafraction replanning for free-870 breathing stereotactic body radiation therapy with the MR-linac. Phys Med Biol 2017; 62(18): 7233 8 Schweikard A et al.: Respiration tracking in radiosurgery. Med Phys 2004; 31(10): 2738-41 9 Ferris WS et al.: Evaluation of radixact motion synchrony for 3D respiratory motion: Modeling accuracy and dosimetric fidelity. J Appl Clin Med Phy 2020; 21(9): 96-106 10 Archambault A et al.: Making on-line adaptive radiotherapy possible using artificial intelligence and machine learning for efficient daily re-planning. Med Phys Internat J 2020; 8(2): 77-86 11 Crehange G et al.: Interest of positron-emission tomography and magnetic resonance imaging for radiotherapy planning and control. Cancer Radiother 2020: 398-402
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