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Traumatisch erlebte Geburt – Konsequenzen für Folgeschwangerschaften

Die Geburt eines Kindes ist ein wunderbares, gleichzeitig aber auch überwältigendes Ereignis, bei dem etwas mit der Gebärenden passiert, das sie letztlich nicht vollständig kontrollieren und dem sie sich im Moment des Geschehens nicht entziehen kann. Je nach physischer und psychischer Grundkonstitution, persönlicher Vorgeschichte oder zuvor erlebten Traumata kann schon allein dieser Kontrollverlust unerträglich und nicht hinnehmbar sein, sodass auch eine formal problemlose Geburt als traumatisch erlebt werden kann. Der Geburtsverlauf kann sich aber vielfach auch schwierig gestalten, protrahiert und/oder kompliziert verlaufen und über die Massen schmerzhaft sein. Eine potenzielle Traumatisierung ist dann für das betreuende Team klar erkennbar, wenn Komplikationen auftreten, die das Leben der Mutter oder des Kindes bedrohen.

Das Geburtserleben selbst ist multidimensional. Es wird vom mütterlichen Alter, bestehenden Ängsten vor der Geburt, Ausmass und Art der Unterstützung unter der Geburt, Notwendigkeit einer Geburtseinleitung, Dauer der Geburt bzw. der Wehenschmerzen, Erwartungen vor der Geburt, Einbezogenwerden und Teilhabe an Entscheidungen unter der Geburt, dem Geburtsmodus und der etwaigen Notwendigkeit von operativen Eingriffen beeinflusst. Für Erstgebärende bringt eine normale vaginale Geburt die beste Geburtserfahrung, wohingegen eine ungeplante sekundäre Sectio die schlechteste Erfahrung darstellt.

Ca. 20% aller Geburten werden als traumatisch erlebt.1,2 Hiervon führt jede zweite in den ersten Wochen nach der Geburt zu einer traumatischen Stressreaktion, welche bei einem Teil der Frauen in einer posttraumatischen Belastungsstörung mündet.3,4 Bei knapp der Hälfte der betroffenen Frauen kommt es innert eines Jahres zu einer spontanen Remission des Beschwerdebildes.

Intrapartale Risikofaktoren für ein traumatisierendes Geburtserleben sind:

  • ungenügend wirksame Periduralanästhesie

  • vaginal-operative Geburtsbeendigung

  • Notfallsectio

  • vorzeitige Plazentalösung

  • schwere postpartale Hämorrhagie

  • abgebrochene Geburtshaus-/Hausgeburt

  • postnatale Verlegung des Neugeborenen

  • intrauteriner Fruchttod

Aber auch eine formal «komplikationslose, normale Geburt» kann traumatisch erlebt werden, wenn Risikofaktoren,5, 6 wie grosse Angst vor der Geburt, psychiatrische Vorerkrankungen, wie Z.n. posttraumatischer Belastungsstörung, häusliche Gewalt in der persönlichen Vorgeschichte oder Erfahrung von sexuellem Missbrauch vorliegen.

Hier können unter Umständen bereits die Durchführung einer vaginalen Untersuchung durch die Hebamme, das Einnehmen einer bestimmten Position unter der Geburt, eine Blutung aus der Scheide oder «Schreie» anderer Gebärender als Triggerreize wirken, welche durch Flashbacks ein Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins auslösen und in der Folge zu Dissoziation und Retraumatisierung führen.

Folgen einer traumatischen Geburtserfahrung

Die Folgen eines traumtischen Geburtserlebens können sich auf unterschiedliche Weise manifestieren:5

  • Gefühl der Hoffnungslosigkeit, Kraftlosigkeit und Traurigkeit

  • Minderung des Selbstwertgefühls und des Selbstvertrauens

  • Reizbarkeit, Agitiertheit, emotionale Instabilität

  • verringerte Stresstoleranz

  • erhöhte vegetative Reaktivität, akutes Schwitzen, Palpitationen

  • anhaltende Selbstzweifel, Versagensängste, Angstzustände, Panikattacken

  • Misstrauen, Missmut, Schuldzuweisung an sich selbst

  • Rückzug aus dem sozialen Leben, ängstliches und übervorsichtiges Verhalten

  • Schlaf- und Konzentrationsstörungen

  • Entwicklung einer Depression oder eines ungesunden Verhaltens, Substanzmissbrauch, Selbstmordgedanken

Nach der Geburt kann das Bonding mit dem Kind beeinträchtigt sein. Probleme beim Stillen treten vermehrt auf. Eine dauerhafte Störung der Bindung zum Kind ist möglich. Partnerschaftskonflikte und Probleme in der Sexualität können sich anschliessen. In Folgeschwangerschaften stellen sich häufiger Beschwerden wie Schwangerschaftserbrechen ein. Die Inanspruchnahme von Notfalldiensten kann zunehmen, aber auch die Vermeidung oder das Verpassen von Vorsorgeuntersuchungen können die Konsequenz sein.

Wegen übersteigerter Angst vor der Geburt wird oftmals die Entbindung per Kaiserschnitt gewünscht oder bei Zustand nach Kaiserschnittentbindung die vaginale Geburt im Geburtshaus angestrebt.

Bei Persistenz eines posttraumatischen chronischen Stresszustandes können sich Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck beschleunigt entwickeln.

Abb. 1: Die Geburt als primäre oder sekundäre Traumatisierung (mod. nach Weidner K et al. 2018)5

In den letzten Jahrzehnten entwickelte sich ein zunehmendes Bewusstsein hinsichtlich dieser Thematik. Die WHO hat im Jahr 2018 die Initiative «Making childbirth a positive experience» lanciert.

Hintergrund ist die zunehmende Medikalisierung des Geburtsprozesses mit den Möglichkeiten der Geburtseinleitung, der medikamentösen Wehenunterstützung, analgetischer Massnahmen und der operativen Geburtsbeendigung, wodurch vielfach das klinische Augenmerk auf die Einhaltung von Richtlinien, wie die Dauer der Eröffnungs- und Austreibungsperiode, gelegt wird und weniger auf die Bedürfnisse der Gebärenden selbst gerichtet ist, was wiederum zur Folge hat, dass die Frau weniger in den Entscheidungsprozess vor Interventionen miteinbezogen wird.

Eine kontinuierliche, emotionale Unterstützung durch den begleitenden Partner oder eine andere, der Frau nahestehende Bezugsperson sowie eine Eins-zu-eins-Betreuung durch die Hebamme können das Geburtserleben entscheidend verbessern, die Wehendauer und den Bedarf an analgetischer Medikation reduzieren, zu mehr physiologischen vaginalen Geburten und weniger operativen Geburtsbeendigungen (sowohl vaginal-operativ als auch per sectionem) führen.7 Dabei ist die Qualität der Beziehung zu den unterstützenden Personen im Sinne eines respektvollen, supportiven und einfühlsamen Umgangs, einer stets ruhigen, empathischen und transparenten Kommunikation sowie des steten Einbeziehens der Frau in alle anstehenden Entscheidungsprozesse von besonderer Bedeutung.8 Nach der Geburt fördert der direkte und kontinuierliche Haut-zu-Haut-Kontakt mit dem Neugeborenen das Bonding und kann besonders nach einer komplizierten Geburt präventiv hinsichtlich der Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsreaktion wirken.9

Durch ein direktes und offenes Ansprechen der Gefühle der jungen Mütter und ihrer Gedanken zur Geburt lässt sich ein traumatisches Geburtserleben bereits früh erkennen. Auch der Einsatz eines Fragebogens, wie der Wijma Delivery Expectancy/Experience Questionnaire, kann hilfreich sein.10 Ausserdem konnte gezeigt werden, dass sich das Niederschreiben von Gedanken, Erwartungen und Emotionen zur Geburt in den ersten Tagen postpartum, die sog. «expressive writing intervention», günstig auswirken kann und drei Monate postpartum deutlich seltener Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung persistieren.11

Eine Reihe psychologischer Interventionen wie Krisenintervention, psychologische Erste Hilfe oder kognitive Verhaltenstherapie können traumafokussiert unterstützend zum Einsatz kommen.

Die Inhalte dieses Artikels waren Thema eines Vortrags beim 23. Kongress für praktische Gynäkologie und Geburtshilfe.

1 Boorman R et al: Childbirth and criteria for traumatic events. Midwifery 2014; 30(2): 255-61 2 Haagen JF et al.: PTSD after Childbirth: J Affect Disord 2015; 185: 135-43 3 Olde E et al.: Posttraumatic stress following childbirth: a review: Clin Psychol Rev 2006; 26(1): 1-16 4 Yildiz PD et al.: The prevalence of posttraumatic stress disorder in pregnancy and after birth: a systematic review and meta-analysis. J Affect Disord 2017; 208: 634-45 5 Weidner K et al: Traumatische Geburtsverläufe: Erkennen und Vermeiden. Z Geburtshilfe Neonatol 2018; 222(5): 189-96 6 Ayers S et al.: The aetiology of post-traumatic stress following childbirth: a meta-analysis and theoretical framework. Psychol Med 2016; 46(6): 1121-34 7 Hodnett ED et al.: Continuous support for women during childbirth. Cochrane Database Syst Rev 2013; 7: CD003766 8 Hollander MH et al.: Preventing traumatic childbirth experiences: 2192 women’s perceptions and views. Arch Womens Ment Health 2017; 20(4): 515-23 9 de Graaff LF et al.: Preventing post-traumatic stress disorder following childbirth and traumatic birth experiences: a systematic review. Acta Obstet Gynecol Scand 2018; 97(6): 648-56 10 Khwepeya M et al.: Validation of the Wijma delivery expectancy/experience questionnaire for pregnant women in Malawi: a descriptive, cross-sectional study. BMC Pregnancy Childbirth 2020; 20(1): 455 11 Di Blasio P et al.: The effects of expressive writing on postpartum depression and posttraumatic stress symptoms. Psychol Rep 2015; 117(3): 856-82

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