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Schilddrüsenerkrankungen in der Schwangerschaft

Eine Schwangerschaft hat einen grossen, oft unterschätzten Einfluss auf die Schilddrüsenfunktion. Obwohl es keine Empfehlung für ein universelles Screening von Funktionsstörungen der Schilddrüse in der Schwangerschaft gibt, kann dies in vielen Fällen trotzdem indiziert sein.

Keypoints

  • Auf eine ausreichende Jodzufuhr durch ausgewogene Ernährung und/oder Multivitaminpräparate ist insbesondere während der Schwangerschaft zu achten.

  • Ein Screening hinsichtlich des Vorliegens einer Schilddrüsenfunktionsstörung ist in der Schwangerschaft vor allem in anamnestischen Risikosituationen sinnvoll.

  • Therapiebeginn einer Hypothyreose bei
    • TSH >10mU/l unabhängig vom Antikörperstatus
    • TSH >4mU/l, sofern positive TPO-AK oder negative TPO-AK und Patientin im ersten Trimenon

  • Behandlung der Hyperthyreose in der Schwangerschaft ausschliesslich, wenn eine manifeste Hyperthyreose vorliegt

  • Interdisziplinäre endokrinologische und geburtshilfliche Betreuung von Patientinnen mit Morbus Basedow

  • Im 3. Trimenon nimmt die Krankheitsaktivität des Morbus Basedow ab, sodass die Therapie häufig reduziert oder sogar gestoppt werden kann.

In der ersten Schwangerschaftshälfte steigt das Östradiol deutlich an und führt somit auch zu einer erhöhten Konzentration des Thyroxin-bindenden Globulins (TBG). Zusätzlich weist das von der Plazenta produzierte humane Choriongonadotropin (hCG) eine Homologie zum Thyreoidea-stimulierenden Hormon (TSH) auf, was zu einer Kreuzreaktivität am TSH-Rezeptor führt. Diese beiden Mechanismen führen zu einem deutlichen, etwa 50%igen Anstieg, des totalen Thyroxins (T4) und Trijodthyronins (T3). Damit verbunden sinkt der Wert des TSH im ersten Trimenon entsprechend ab.1

All diese hormonellen Veränderungen können zu einer Dekompensation der zuvor stabilen endokrinen Situation der Schilddrüse führen. Gemäss Guideline der American Thyroid Association von 2017 kann trotz dieser Risiken keine klare Empfehlung für ein universelles, laborchemisches Screening hinsichtlich einer Funktionsstörung der Schilddrüse in der Schwangerschaft ausgesprochen werden.2 Allerdings wird ein solches vielerorts durchgeführt.

Falls einer der in Tabelle 1 aufgeführten Risikofaktoren zutrifft, sollte auf alle Fälle eine Kontrolle der Schilddrüsenfunktion durch Bestimmung des TSH-Wertes im 1. Trimenon erfolgen. Bei TSH-Werten zwischen 2,5 und 10mU/l sollte zusätzlich der Thyreoperoxidase-Antikörper (TPO-AK) bestimmt werden zur Evaluation, ob eine Therapie mit Levothyroxin notwendig ist.

Tab. 1: Risikofaktoren, die zu einer Kontrolle der Schilddrüsenfunktion führen sollten

Hypothyreose in der Schwangerschaft

Die Prävalenz einer subklinischen Hypothyreose (TSH erhöht, fT4 in der Norm) in der Schwangerschaft liegt bei 2,0 bis 2,5%, während eine manifeste Hypothyreose (TSH erhöht, fT4 erniedrigt) bei 0,3 bis 0,5% aller Schwangerschaften auftritt.

Die häufigste Ursache einer manifesten Hypothyreose stellt eine chronische Autoimmunthyreoiditis, Hashimoto-Thyreoiditis, mit Nachweis von TPO-AK und Thyreoglobulin-Antikörpern (TG-AK) dar. Aufgrund der geringeren funktionellen Reserve sollten insbesondere beim Nachweis einer Autoimmunthyreoiditis engmaschige Kontrollen durchgeführt werden.3

TPO-Antikörper finden sich zudem bei bis zu 17% der schwangeren Frauen mit einer bis dato kausal unklaren Assoziation zu Aborten und Frühgeburtlichkeit. Aus diesem Grund wird bei einer Autoimmunthyreoiditis auch die Indikation zur Substitutionstherapie grosszügiger ausgesprochen.4

Eine weitere Ursache der Hypothyreose stellt neben der Autoimmunthyreoiditis der Jodmangel dar. Der tägliche Jodbedarf steigt in der Schwangerschaft von 150 auf 250mcg. In Ländern mit Konsum von jodiertem Speisesalz ist dieser erhöhte Bedarf durch eine ausgewogene Ernährung grundsätzlich gedeckt. Kuhmilchprodukte, Eier, Seefisch und Meeresfrüchte stellen besonders jodhaltige Nahrungsmittel dar und können im Falle eines Mangels vermehrt verzehrt werden. Auch in den gängigen Multivitaminpräparaten für die Schwangerschaft sind 150mcg Jod enthalten. Insbesondere das jodierte Speisesalz in Kombination mit der breiten Anwendung von Multivitaminpräparaten hat zu einer reduzierten Inzidenz des Jodmangels und der Hypothyreose in der Schwangerschaft geführt. Neben dem Jodmangel stellt auch die exzessive Jodzufuhr einen Risikofaktor für eine maternale und fetale Hypothyreose dar und sollte somit ebenso vermieden werden.5

Die Folgen einer maternalen Hypothyreose sind vielfältig und beinhalten ein erhöhtes Risiko für Aborte, Frühgeburten und Hypertonie. Insbesondere besteht das Risiko für eine spätere neurokognitive Beeinträchtigung der Kinder.6

Eine medikamentöse Therapie der Hypothyreose mit Levothyroxin ist in folgenden Situationen indiziert:2

  • TSH >10mU/l unabhängig vom Antikörperstatus

  • TSH >4,0mU/l und positive TPO-AK

  • TSH >4,0mU/l und negative TPO-AK, wenn Therapiestart im ersten Trimenon

Das Therapieziel entspricht der unteren Hälfte des Trimenon-spezifischen TSH-Referenzbereichs und sollte alle 4 Wochen bis Mitte der Schwangerschaft kontrolliert werden. Anschliessend ist bei gutem Ansprechen eine weitere Kontrolle um die 30. Schwangerschaftswoche (SSW) ausreichend. Die gleichen Kontrollintervalle werden auch bei erhöhtem Risiko für die Entwicklung einer Hypothyreose wie zum Beispiel bei ausschliesslich positiven TPO-AK oder St.n. Hemithyreoidektomie empfohlen.

Im Falle einer bereits vor der Schwangerschaft diagnostizierten Hypothyreose soll nach Konzeption die L-Thyroxin-Dosis um 20–30% erhöht werden. Postpartal muss die Dosis wieder auf die Ausgangsdosis reduziert werden. Eine Kontrolle des TSH sollte dann 6 Wochen nach der Geburt erfolgen.

Hyperthyreose in der Schwangerschaft

Eine Hyperthyreose fällt laborchemisch durch einen TSH-Wert <0,01mU/l sowie erhöhte fT3- und fT4-Werte auf. Klinische Symptome einer manifesten Hyperthyreose sind Palpitationen, Angstzustände, Tremor und Hitzeintoleranz.

Die durch hohe beta-hCG(humanes Choriongonadotropin)-Werte verursachte schwangerschaftsassoziierte Hyperthyreose tritt in etwa 1–3% aller Schwangerschaften auf, ist transient und auf die erste Hälfte der Schwangerschaft beschränkt (Normalisierung in der 14.–18. SSW). Sie bedarf in aller Regel keiner thyreostatischen Therapie. In Ausnahmefällen kann eine Therapie mit Betablockern (z.B. Propanolol) indiziert sein. Eine Kontrolle des TSH-Werts ist alle 4 Wochen bis zur Normalisierung empfohlen.

Die Prävalenz eines Morbus Basedow mit Nachweis von TSH-Rezeptor Autoantikörpern (TRAK) liegt in der Schwangerschaft bei 0,2%. Dieser ist verantwortlich für über 85% aller Fälle einer manifesten Hyperthyreose und ist klinisch gekennzeichnet durch eine Struma und Orbitopathie. Die Differenzierung einer schwangerschaftsassoziierten Hyperthyreose von einem Morbus Basedow kann anhand der in Tabelle 2 angeführten Eigenschaften erfolgen.

Tab. 2: Übersicht zur Differenzierung einer schwangerschaftsassoziierten Hyperthyreose von einem Morbus Basedow

Eine schlecht eingestellte Hyperthyreose ist assoziiert mit einem erhöhten Risiko für eine schwangerschaftsinduzierte Hypertonie, Frühgeburtlichkeit, eine intrauterine Wachstumsretardierung, einen intrauterinen Fruchttod und eine mütterliche Herzinsuffzienz.8

Da die maternalen TSH-Rezeptor-Autoantikörper in den kindlichen Kreislauf gelangen, können diese beim Feten eine hyperthyreote Struma sowie eine fetale Tachykardie bis hin zur Herzinsuffizienz verursachen. Diesbezüglich sollte eine sonografische Beurteilung folgender Punkte alle 4 Wochen erfolgen (Abb. 1):

  • Darstellung der fetalen Schilddrüse mit Fragestellung einer Vergrösserung/Struma9

  • Beurteilung der Fruchtwassermenge und Zervixlänge, da ein Polyhydramnion aufgrund einer möglichen Schluckstörung ein indirektes Zeichen einer fetalen Struma sein kann

  • Ausschluss einer fetalen Wachstumsretardierung

  • Ausschluss einer fetalen Tachykardie bzw. Herzinsuffizienz

Abb. 1: Beispiel einer unauffälligen fetalen Schilddrüsensonografie in der 30. SSW

Aufgrund der genannten geburtshilflichen und fetalen Risiken kann insbesondere bei manifester Hyperthyreose mit hohen maternalen Antikörperspiegeln eine thyreostatische Therapie indiziert sein. Da die Thyreostatika Carbimazol (CA) und Propylthiouracil (PTU) die Plazentaschranke passieren, können diese eine fetale Hypothyreose verursachen und sich teratogen auf den Fetus auswirken.10 Eine Normalisierung des TSH sollte daher nicht angestrebt werden, da dies in aller Regel zu einer kindlichen Hypothyreose führt.11Zusätzlich wirken CA und PTU beim Feten stärker, weshalb das maternale Behandlungsziel des fT4 im oberen Normbereich oder darüber liegen sollte. Gemäss aktueller Studienlage scheint die Therapie mit PTU im ersten Trimenon aufgrund der geringeren Teratogenität mit Umstellung auf CA im 2./3. Trimenon aufgrund der geringeren maternalen Hepatotoxizität sinnvoll.12

Gegen Ende der Schwangerschaft sinken die Autoimmunität und auch die TRAK- Spiegel, weshalb eine Reduktion der thyreostatischen Therapie meist möglich ist.Eine Kontrolle der TRAK sollte in jedem Trimenon erfolgen. Ebenso sind TSH, fT3 und fT4 alle 2–6 Wochen zu bestimmen. Bei Patientinnen mit Morbus Basedow und vor der Schwangerschaft durchgeführter Thyreoidektomie oder Radiojodtherapie sollte eine Bestimmung der TRAK erfolgen, um eine mögliche Antikörperpersistenzauszuschliessen.13

Falls eine schwangere Patientin mit Morbus Basedow in der 2. Schwangerschaftshälfte eine thyreostatische Therapie einnimmt oder TRAK nachweisbar oder unbekannt ist, ist eine Abklärung und Überwachung des Neugeborenen indiziert. Hierfür werden TSH, fT4 und TRAK aus der Nabelschnurblutprobe bestimmt. Bei positivem Nachweis von TRAK im Nabelschnurblut sollte die Anmeldung in der pädiatrischen Endokrinologie erfolgen sowieKontrollen von TSH, fT4 und fT3 des Kindes am 3. bis 4. Lebenstag und 10. bis 14. Lebenstag.

1 Glinoer D: The regulation of thyroid function in pregnancy: pathways of endocrine adaptation from physiology to pathology. Endocr Rev 1997; 18(3): 404-33 2 Alexander EK et al.: 2017 Guidelines of the American Thyroid Association for the Diagnosis and Management of Thyroid Disease During Pregnancy and the Postpartum. Thyroid 2017; 27(3): 315-89. Erratum in:Thyroid 2017; (9): 1212 3 Korevaar TIM et al.: Thyroid disease in pregnancy: new insights in diagnosis and clinical management. Nat Rev Endocrinol 2017; 13(10): 610-22 4 Consortium on Thyroid and Pregnancy-Study Group on Preterm Birth et al.: Association of thyroid function test abnormalities and thyroid autoimmunity with preterm birth: a systematic review and meta-analysis. JAMA 2019; 322(7): 632-41 5 S2k-Leitlinie 174-024: Diagnostik bei Neugeborenen von Müttern mit Schilddrüsenfunktionsstörungen, Version 12/2018 6 Führer D et al.: Schilddrüsenfunktionsstörungen in der Schwangerschaft. Thyroid dysfunction in pregnancy. Dtsch Med Wochenschr 2014; 139(42): 2148-52 7 Zimmermann MM and Weber J: Schilddrüsenerkrankung in der Schwangerschaft. J Gynäkol Endokrinol 2012; 22 (1): 6-12 8 Millar LK et al.: Low birth weight and preeclampsia in pregnancies complicated by hyperthyroidism. Obstet Gynecol 1994; 84: 946-9 9 Ranzini AC et al.: Ultrasonography of the fetal thyroid: nomograms based on biparietal diameter and gestational age. J Ultrasound Med 2001; 20(6): 613-7 10 Andersen SL et al.: Maternal thyroid function, use of antithyroid drugs in early pregnancy, and birth defects. J Clin Endocrinol Metab 2019; 104(12): 6040-8 11 Cooper DS, Laurberg P: Hyperthyroidism in pregnancy. Lancet Diabetes Endocrinol 2013; 1(3): 238-49 12 Andersen SL, Andersen S: Antithyroid drugs and birth defects. Thyroid Res 2020; 13: 11 13 Laurberg P et al.: TSH-receptor autoimmunity in Graves’ disease after therapy with anti-thyroid drugs, surgery, or radioiodine: a 5-year prospective randomized study, European Journal of Endocrinol 2018; 158(1): 69-75

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