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Psychische Erkrankungen in der Schwangerschaft

Dem Thema psychische Erkrankungen in der Schwangerschaft wurde in den letzten Jahren vermehrt Aufmerksamkeit gewidmet, da es immer mehr Studien gibt, die zeigen, dass psychische Erkrankungen während der Schwangerschaft nicht nur negative Auswirkungen auf die Mutter, sondern auch negative Auswirkungen auf das Kind haben.1

Auswirkungen schwerer psychischer Erkrankungen auf den Schwangerschaftsverlauf

Frauen mit einer bipolaren affektiven Störung haben ein signifikant höheres Risiko für eine Sectio und es kommt signifikant häufiger zu geburtshilflichen Komplikationen.2,3 Eine Studie aus Australien bestätigt die Ergebnisse und hat gezeigt, dass auch Frauen mit einer Schizophrenie signifikant häufiger unter Gestationsdiabetes, vorzeitigen Wehen und anderen geburtshilflichen Komplikationen leiden.4 Ein Grund dafür ist, dass Frauen mit einer Schizophrenie oder einer anderen schweren psychischen Erkrankung seltener geburtshilfliche Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen und dass häufig ein komorbider Substanzgebrauch besteht.

Schizophrenie und Schwangerschaft

Patientinnen mit einer Schizophrenie, die vor der Schwangerschaft stabil waren, bleiben dies meist auch im Verlauf der Schwangerschaft. Es empfiehlt sich aber, eine bestehende antipsychotische Medikation nach Möglichkeit während der Schwangerschaft unverändert beizubehalten, da insbesondere bei raschem Absetzen der Medikation das Risiko für eine neuerliche psychotische Episode steigt.5,6 Psychotische Episoden gehen mit einer sehr hohen Belastung für die betroffene Frau und ihr Umfeld einher und häufig ist eine stationäre Behandlung erforderlich. Bei der pharmakologischen Therapie der Schizophrenie kommen heute in der Langzeitbehandlung nahezu ausschliesslich atypische Antipsychotika wie Olanzapin, Quetiapin, Risperidon oder Aripiprazol zum Einsatz. Bisher liegen keine Daten vor, die nahelegen, dass atypische Antipsychotika als teratogen einzustufen sind,7,8 und in der Praxis gibt es gute Erfahrungen mit Aripiprazol und Quetiapin, wobei die Datenlage begrenzt ist.8 Studien haben gezeigt, dass bei Einnahme von Quetiapin und Olanzapin ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Gestationsdiabetes besteht.9 Wichtig ist, in der Schwangerschaft nach Möglichkeit eine Monotherapie mit der niedrigsten wirksamen Dosis anzustreben.

Affektive Erkrankung in der Schwangerschaft

Von grosser Relevanz im klinischen Alltag sind depressive Episoden in der Peripartalzeit. Während der Schwangerschaft ist die Prävalenz für eine mittelgradige bis schwere depressive Episode mit 11–12% nicht erhöht,10 postpartal steigt die Prävalenz aber je nach Studie auf bis zu 17% .11 Depressive Episoden in der Anamnese und Gestationsdiabetes wurden als Risikofaktoren für das Auftreten einer postpartalen Depression identifiziert.12 Gemäss den aktuellen Leitlinien besteht eine Empfehlung, schwere depressive Episoden nach Möglichkeit mittels einer Kombinationstherapie aus Pharmakotherapie und Psychotherapie zu behandeln. Bei mittelgradigen depressiven Episoden ist auch eine alleinige psychotherapeutische Behandlung oder eine alleinige pharmakologische Therapie vertretbar.13 In der Schwangerschaft kommen in erster Linie Sertralin und Citalopram aus der Gruppe der SSRI zur Anwendung, da für diese die meisten Daten vorliegen.14,15 Allgemein liegen bisher keine eindeutigen Hinweise auf eine erhöhte Fehlbildungsrate bei der Gabe von einzelnen Antidepressiva im ersten Trimenon vor, wobei die Datenlage vor allem in Bezug auf neuere Antidepressiva wie Vortioxetin oder Agomelatin nicht zufriedenstellend ist. Auch Venlafaxin und Paroxetin sollten nur bei fehlendem Ansprechen auf Sertralin oder Citalopram zum Einsatz kommen, da die Datenlage insbesondere für Venlafaxin nicht eindeutig ist.15 Es gibt Hinweise auf ein leicht erhöhtes Risiko für eine postpartale Hämorrhagie unter SSRI16 sowie Hinweise auf ein geringgradig erhöhtes Risiko für eine persistierende pulmonale Hypertonie beim Neugeborenen.17 Aktuell gibt es keine Hinweise auf einen Zusammenhang einer intrauterinen Exposition mit SSRI und erhöhten Raten von ADHS oder Autismusspektrumsstörungen beim Kind.18 Klinisch relevant ist das gehäufte Auftreten von neonatalen Anpassungsstörungen bei der Einnahme von Antidepressiva in der Schwangerschaft. Im Vordergrund stehen Irritabilität, Hypertonie, Unruhe, Fütterungsschwierigkeiten und Tremor. Selten kommt es zu Tachypnoe und Krampfanfällen. Die Symptomatik ist meist mild, selbstlimitierend und dauert nicht länger als zwei Wochen.19,20 Früher wurde empfohlen, die Dosis des Antidepressivums 14 Tage vor der Geburt schrittweise zu reduzieren und dieses wenn möglich abzusetzen, um Anpassungsstörungen beim Neugeborenen zu verhindern. In der Literatur21 findet sich jedoch keine Evidenz für Vorteile dieses Vorgehens und man ist in den letzten Jahren zumindest bei niedriger Dosierung des Antidepressivums davon weitgehend abgekommen.

Es ist von hoher Relevanz, bipolare Störungen von unipolaren depressiven Störungen abzugrenzen, da Patientinnen mit einer bipolaren Störung ein sehr hohes Risiko für ein postpartales Rezidiv haben. Patientinnen, die während der Schwangerschaft keine stimmungsstabilisierende Medikation einnehmen, haben ein Risiko für eine postpartale Episode von über 60%, mit einer adäquaten Medikation kann das Risiko deutlich auf 20–30% reduziert werden.22 Bei ca. 20% der Rückfälle handelt es sich um manische Episoden,23 die häufig rasch nach der Geburt beginnen und zu einer Hospitalisation der Mutter und somit zu einer Trennung von Mutter und Kind führen. Bei Frauen mit einer bipolaren Störung ist es wichtig, die vorbestehende Medikation während der Schwangerschaft nach Möglichkeit beizubehalten und diese ggf. anzupassen. Der in der Psychiatrie häufig verwendete Stimmungsstabilisator Valproat ist in der Schwangerschaft aufgrund seiner bekannten Teratogenität kontraindiziert. Lithium gilt aktuell als Medikament der 1. Wahl in der Phasenprophylaxe (Evidenzgrad A24). Lithium wird als schwaches Teratogen eingestuft und die Gabe in der Schwangerschaft ist bei eindeutiger Indikation vertretbar. Gemäss der aktuellen Datenlage besteht ein minimal erhöhtes Risiko für sehr seltene, insbesondere kardiale Fehlbildungen (v.a. Ebstein-Anomalie).25

Angststörungen in der Schwangerschaft

Neben affektiven Störungen und Störungen aus dem psychotischen Formenkreis spielen Angststörungen eine wichtige Rolle in der Schwangerschaft. Gemäss einer Studie aus dem Jahr 2011 erfüllten 9,5% der untersuchten Frauen (n=2793) zu irgendeinem Zeitpunkt in der Schwangerschaft die Kriterien für eine generalisierte Angststörung, wobei die Ängste im ersten Trimenon am stärksten ausgeprägt waren und im Laufe der Schwangerschaft abnahmen.26 Mittlerweile gibt es ausreichend Daten, die die negativen Auswirkungen von mütterlichen Ängsten und mütterlichem Stress auf das Kind bestätigen. Dabei scheinen epigenetische Mechanismen, die zu einer veränderten Methylierung der DNA führen, eine Rolle zu spielen.27 Dies zeigt, wie wichtig es ist, Angststörungen in der Schwangerschaft zu erkennen und entsprechend zu behandeln. Hier spielt die Psychotherapie eine herausragende Rolle, je nach Schweregrad und Verlauf können auch SSRI zum Einsatz kommen.

Nutzen-Risiko-Abwägung

Für jede Psychopharmakotherapie in der Schwangerschaft gilt, dass eine ausgeprägte Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen muss. Es ist wichtig, die Patientin und ihren Partner umfassend zu informieren und über die Risiken aufzuklären, da es sich immer um eine Off-Label-Anwendung handelt. Auch ist eine Ultraschall-Feindiagnostik indiziert und die Entbindung sollte aufgrund der Gefahr von Anpassungsstörungen beim Neugeborenen in einer Klinik mit Neonatologie erfolgen. In Betracht gezogen werden muss neben den Risiken einer eventuellen Pharmakotherapie auch das Risiko der unbehandelten Erkrankung. Im klinischen Alltag erleben wir häufig, dass Mütter mit einer schweren psychischen Erkrankung während der Schwangerschaft nicht dazu in der Lage sind, eine Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen. Nach der Geburt benötigen sie häufig Unterstützung bei der Versorgung ihres Kindes und die Erkrankung der Mutter kann zu einer hohen Belastung für die gesamte Familie führen.

Aus dem klinischen Alltag

Eine 26-jährige Erstgravida wird von ihrer Gynäkologin in der 8. SSW in unsere gynäkopsychiatrische Sprechstunde zugewiesen. Sie berichtet, dass sie an einer bipolaren Störung leide. Sie sei vor vier Jahren wegen einer manischen Episode erstmals stationär behandelt worden und habe danach mehrere, teilweise schwere depressive Episoden durchgemacht. Nun sei sie aber unter Lithium, welches sie seit zwei Jahren einnehme, schon seit knapp einem Jahr stabil. Im Erstgespräch berichtet die Patientin, dass die Schwangerschaft ungeplant eingetreten sei. Sie und ihr Partner würden sich aber über die Schwangerschaft freuen. Die Patientin berichtet, dass sie gerne das Lithium absetzen würde, da sie im Internet gelesen habe, dass dieses schädlich für das ungeborene Kind sei. Wir führen gemeinsam eine ausführliche Nutzen-Risiko-Abwägung durch und das Risiko für eine neuerliche schwere affektive Episode im Laufe der Schwangerschaft bzw. insbesondere kurz nach der Geburt wird ohne entsprechende Medikation als sehr hoch eingeschätzt. Da die Patientin eine neuerliche stationäre Behandlung unbedingt vermeiden will, ist sie mit der weiteren Einnahme von Lithium einverstanden. Auch besprechen wir die unter Lithium während der Schwangerschaft engmaschig erforderlichen Laborkontrollen und die gegebene Indikation für die Durchführung einer Ultraschall-Feindiagnostik. Diesbezüglich werden wir uns engmaschig mit der Gynäkologin der Patientin absprechen und im dritten Trimenon werden wir eine psychiatrische Information an die Geburtshelfer verfassen. Der Lithiumspiegel muss vor allem im zweiten und dritten Trimenon engmaschig überwacht werden und es sind häufig Dosisanpassungen erforderlich. Anders als bei SSRI ist es bei Lithium sinnvoll, dieses kurz vor der Geburt zu pausieren, um eine Lithiumintoxikation der Mutter und Anpassungsstörungen beim Neugeborenen zu verhindern.1 Wichtig ist, dass unmittelbar postpartal wieder mit der Gabe von Lithium unter engmaschiger Kontrolle des Serumspiegels begonnen wird.

Fazit

Psychische Erkrankungen in der Schwangerschaft haben relevante negative Auswirkungen auf Mutter und Kind und es ist wichtig, diese rechtzeitig zu erkennen und entsprechend zu behandeln. Bei Verdacht auf eine psychische Erkrankung in der Schwangerschaft ist eine Zuweisung in eine spezialisierte Sprechstunde für Gynäkopsychiatrie, die es in immer mehr Kantonen gibt, zu empfehlen. Eine Psychopharmakotherapie erfolgt nach einer ausführlichen Nutzen-Risiko-Abwägung, wobei die Risiken der Pharmakotherapie und die Risiken der unbehandelten psychischen Erkrankung gegeneinander abgewogen werden müssen.

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