
Präkanzerosen von Vulva, Vagina und Perineum
Autorin:
Dr. med. Silke Johann
Klinikleiterin Frau-Kind, Chefärztin Gynäkologie und Geburtshilfe, Spitalzentrum Oberwallis, Visp
E-Mail: silke.johann@hopitalvs.ch
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Therapieoptionen bei Präkanzerosen der Vulva sind je nach Ätiologie der vulvären Läsion chirurgisch oder medikamentös. Ziel der Therapie ist die Vermeidung des invasiven Karzinoms.
Keypoints
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Nicht alle vulvären und perianalen Läsionen sind Präkanzerosen.
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Präkanzerosen der Vulva werden unterschieden in HPV-abhängige und nicht HPV-abhängige Varianten.
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Wichtig sind das Erkennen von Läsionen und die Identifizierung als Präkanzerose.
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Bei allen Präkanzerosen und allen Therapieoptionen besteht ein hohes Rezidivrisiko.
Die Zahl der entdeckten vulvären und perianalen intraepithelialen Neoplasien (VIN/PaIN) und auch Präkanzerosen nimmt stetig zu. Daten aus den USA und den Niederlanden zeigen zwischen den 1970er- und den 2010er-Jahren Steigerungen der erkannten und behandelten Läsionen bis zur Verfünffachung. Klare Daten zur Lage in der Schweiz fehlen derzeit noch – die Krebsregisterpflicht, die auch die Präkanzerosen umfasst, wird hierzu in den kommenden Jahren wertvolle Informationen liefern.
Wichtigster Punkt ist und bleibt das «Hinschauen» im Rahmen der gynäkologischen Untersuchungen. Oftmals haben die Patientinnen keine Symptome oder sind unspezifisch oligosymptomatisch, gerade beim nicht HPV-abhängigen Entstehungsweg. Somit ist der Gynäkologe, der die Routinekontrolle durchführt oder die Patientin in einer anderen Situation untersucht und betreut, oftmals der Einzige, der die Läsion frühzeitig erkennen kann und sollte. Das Vulvakarzinom mit 132 Fällen/Jahr in der Schweiz ist die zu vermeidende Folge der Präkanzerosen.
Die Klassifikation der vulvären Läsionen hat sich in den letzten Jahren mehrfach geändert und erfolgt unter verschiedenen Gesichtspunkten. Alleine für die VIN gibt es drei parallele, teils überschneidend verwendete Klassifikationen der ISSVD (International Society for the Vulvovaginal Disease) und der WHO aus verschiedenen Jahren (Tab. 1).
Für die vaginalen intraepithelialen Neoplasien (VaIN) existieren analog zwei WHO-Klassifikationen und eine des LAST(Lower Anogenital Squamous Terminology)-Projekts (Tab. 2).1
Tab. 2: Nomenklatur der HPV-assoziierten Präkanzerosen der Vagina (vaginale intraepitheliale Neoplasien, VaIN)1
Konzentriert man sich auf die Präkanzerosen der Vulva, kann man der Ätiologie entsprechend zwei Gruppen unterscheiden: den humane-Papilloma-Viren(HPV)-abhängigen und den HPV-unabhängigen Entstehungsmechanismus.
Klassische HPV-abhängige VIN
Bei den HPV-assoziierten Veränderungen handelt es sich um die «klassische» VIN. Diese ist häufig multifokal oder multizentrisch. Sie verhält sich analog zu intraepithelialen Läsionen an den übrigen Lokalisationen, respektive ist häufig sogar assoziiert mit analen, zervikalen, vaginalen oder perianalen intraepithelialen Neoplasien (AIN, CIN, VaIN, PaIN). Betroffen sind meist junge prämenopausale Patientinnen mit einem Altersgipfel zwischen 40 und 45 Jahren und Mitte 50. Dies ist nicht zu verwechseln mit den harmlosen Kondylomen, die eher bei noch jüngeren Patientinnen zu finden sind. Die HPV-assoziierte Variante wird auch als «usual type» VIN bezeichnet (uVIN).
Risikofaktoren für die Entstehung sind – wie beim nicht verhornenden invasiven Vulvakarzinom – persistierende Infektionen mit HPV, Rauchen, Immundefekte oder Immunsuppression. Die Primärprävention besteht in der Durchführung der HPV-Impfung im jungen Alter. Die Sekundärprävention ist die rechtzeitige Erkennung der Läsionen.
Entwickelt sich auf dem Boden einer HPV-Infektion eine uVIN, so ist die Exzision im Allgemeinen die Therapie der Wahl. Zwingend ist aber die Histologiesicherung vor Therapiebeginn mit Ausschluss eines Karzinoms. Ziel der Therapie ist die Entfernung aller Läsionen, auch um die Viruslast zu reduzieren. Unklar ist die Datenlage im Bezug auf den nötigen Sicherheitsabstand (keine klaren Vorgaben, 10mm bis keiner notwendig) und die Technik. Reicht eine Laserevaporisation? Muss es eine Exzision sein, geht eine Laserexzision? Hierzu ist bisher keine klare Evidenz gegeben.
Einen möglichen Therapiealgorithmus zeigt Abbildung 1, wo je nach Hauttyp und Lokularität der Läsionen eine Exzision oder Vaporisation vorgeschlagen wird.
Hilfreich sind auch die Empfehlungen aus der S2k-Leitlinie betreffend anogenitale Läsionen, welche auf den vulvären Bereich gut übertragen werden können.2
Medikamentöse Therapien sind meist Off-Label-Use, wie z.B. Imiquimod 5%. Es ist effektiv in der Reduzierung der betroffenen Fläche um bis zu 25% in 12 Wochen, zudem zeigt sich in Studien eine signifikante histologische Regression, bei bis zu 17% sogar eine Komplettremission. Die reine HPV-Eliminierung gelingt bei 58%. Nachteilig ist, dass eine hohe Compliance der Patienten nötig ist. Zudem gibt es für das Medikament auch im regulären Einsatz bei Kondylomen keine Zulassung für immunsupprimierte Patientinnen und Schwangere.3,4
Nach der Behandlung scheint eine Impfung zur Rezidivprophylaxe sinnvoll. Sie reduziert das Neuerkrankungsrisiko nach Behandlung an der Vulva um 44%. Bekannt sind auch vergleichbare Daten für CIN mit Reduktion der Rezidive durch Impfung nach Therapie um 40% bei CIN jeder Stufe und 53% bei CIN II–III.5,6 Ansätze zum therapeutischen Impfen mit Onkoproteinen e6/e7 bestehen, sie sind aber noch nicht für den klinischen Alltag zugelassen.7
Differenzierte VIN (dVIN)
Der HPV-unabhängige Entstehungmechanismus des Vulvakarzinoms ist p53-abhängig. Die Läsionen sind meist unifokal und unizentrisch. Die häufigste Präkanzerose ist der Lichen sclerosus. Diese Vorstufe wird oft auch als «differentiated VIN» (dVIN) bezeichnet. Meist wird die Diagnose Lichen sclerosus erst im Zusammenhang mit einem verhornenden Plattenepithelkarzinom der Vulva gestellt.
Eine Primärprävention ist bisher nicht möglich. Da der Lichen sclerosus eine chronische autoimmunbedingte, nicht heilbare Grunderkrankung ist, muss das Therapieziel die Vermeidung von Karzinomen und dauerhaften kosmetischen wie funktionellen Langzeitfolgen (Stenosen) sein. Die Wahl der genauen Therapie ist abhängig von der Lebenssituation der Patientin und der Ausdehnung. Das Hauptproblem ist die generell hohe Rezidivrate. Es sind eine lebenslange Betreuung und ein langes Follow-up nötig.
Lichen sclerosus (LS)
Diese chronische inflammatorische, nicht ansteckende Erkrankung zählt zum Formenkreis der Autoimmunerkrankungen. Die Ätiologie ist weitgehend unbekannt und wahrscheinlich multifaktoriell bedingt. Frauen erkranken 5- bis 7-mal häufiger als Männer. Die Prävalenz liegt bei ca. 8%. Hauptsymptom ist der Pruritus. Häufig werden die Patientinnen jahrelang mit Verdacht auf Soor behandelt.
Die Erkrankung verläuft in Stadien. Nur eine rechtzeitige Erkennung und Einleitung von Massnahmen verhindern die durch Erosionen und pergamentartigen Umbau der Haut sekundär entstehenden Synechien und Stenosen, welche teils operativ behandelt werden müssen.
Die alten Bezeichnungen wie Kraurosis vulvae, Balanitis xerodermica obliterans, Lichen sclerosus et atrophicus und «white spot disease» sollten nicht mehr verwendet werden.
Es besteht eine hohe Assoziation zu anderen Antikörper- oder T-Zell-vermittelten Erkrankungen, wie Hashimoto-Thyreoiditis, Autoimmungastritis, Anti-Parietalzell- AK (perniziöse Anämie), systemischem Lupus erythematodes, aber auch Psoriasis, Morbus Crohn, Alopecia areata und atopischer Dermatitis.
Die Therapie ist oft langwierig und häufig frustran. Eine lebenslange Hautpflege ist unumgänglich. Hier sind diverse Produkte auf dem Schweizer Markt erhältlich. Wichtig sind die fettende Komponente, sei es bei Waschlotionen oder Salben, und die Vermeidung von Entfettung der Haut.
Hoch dosierte topische Kortikoide (Klasse IV) gehören in die Behandlung des akuten Schubes – mit ausschleichender Phase. Nach der Stabilisierung ist ein sparsamer und kurzfristiger Einsatz oft sinnvoll und sollte je nach Bedarf der Patientin auch nicht verboten werden. Gelegentlich benötigen Patientinnen mehrfach wöchentliche Applikationen bis zum täglichen Gebrauch, um Schübe zu verhindern. Ziel dieser Therapie muss immer die Verhinderung von wiederkehrenden Schüben sein.
Calcineurinantagonisten (Zytokininhibitoren) wie Pimecrolimus oder Tacrolimus bleiben Reservemedikationen, nicht zuletzt auch wegen des Nebenwirkungsprofils.
Allgemeine Verhaltensregeln sollten mit der Patientin besprochen werden. Hierzu gehören der Verzicht auf zu häufiges Waschen, das Vermeiden von Duftstoffen und gegebenenfalls eine Atrophiebehandlung.
Testosteron ist derzeit nicht in der Anwendung standardisiert. Die Datenlage zu DHEAS ist noch ungenügend. Schüsslersalze, Bachblüten oder andere pflanzliche Präparate sind kein Ersatz für eine spezifische Therapie. Im Gegenteil: Es besteht ein allergenes Potenzial: Gerade bei der Grundreizung der Haut sollte dies vermieden werden.
Als Reserven bleiben systemisch Calcipotriol (eher 3./4. Linie, bei Persistenz, extragenitaler Manifestation), Kalium-4-Aminobenzoat (Protaba®, v.a. bei extragenitalem LS, antifibrotisch), systemische Kortikosteroide, Azathioprin, Methotrexat sowie Retinoide (Lichen planus) und Lichttherapie. Diese Therapieoptionen gehören aber sicherlich in die Hände von Therapeuten mit Erfahrung, meist in einer interdisziplinären gynäkologisch-dermatologischen Sprechstunde eines Zentrumspitals.
Bei fehlendem Ansprechen auf die Therapie sollte stets die Diagnose überprüft werden: Handelt es sich vielleicht doch nicht um einen Lichen sclerosus, sondern um einen Lichen planus oder sogar schon um eine dVIN? Die Therapie des Lichen planus ist schwieriger als bei Lichen sclerosus, oft besteht eine Unverträglichkeit von Zytokininhibitoren. Für das dVIN ist die Exzision die Therapie der Wahl. Dies kann z.B. mit dem CO2-Laser elegant und narbenarm gelöst werden. Problematisch bleibt die Frage nach dem Sicherheitsabstand – hier gibt es keine validen Daten. Sicher scheint, er sollte ca. 5mm oder mehr sein. Darunter besteht zwar kein erhöhtes Karzinomrisiko, aber ein erhöhtes Rezidivrisiko.
Literatur:
1 Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Vaginalkarzinoms und seiner Vorstufen. S2k-Leitlinie der AWMF, Reg. Nr. 032/042; www.awmf.org/leitlinien 2 HPV-assoziierte Läsionen der äußeren Genitalregion und des Anus – Genitalwarzen und Krebsvorstufen der Vulva, des Penis und der peri- und intraanalen Haut. S2k-Leitlinie der AWMF, Reg. Nr. 082-008; www.awmf.org/leitlinien 3 van Seters M et al.: Treatment of vulvar intraepithelial neoplasia with topical Imiquimod. N Engl J Med 2008; 358: 1465-73 4 Pepas L et al.: Medical interventions for high-grade vulval intraepithelial neoplasia.Cochrane Database Syst Rev 2015; 2015(8): CD007924 5 Arbyn M et al.: EUROGIN 2011 roadmap on prevention and treatment of HPV related disease. Int J Cancer 2012; 131(9): 1969-82 6 Joura EA et al.: Efficacy of a quadrivalent prophylactic human papillomavirus (types 6, 11, 16, and 18) L1 virus-like-particle vaccine against high-grade vulval and vaginal lesions: a combined analysis of three randomised clinical trials. Lancet 2007; 369: 1693-702 7 Kenter GG et al.: Vaccination against HPV-16 oncoproteins for vulvar intraepithelial neoplasia. N Engl J Med 2009; 361: 1838-47