<p class="article-intro">Zum mittlerweile 22. Mal fand der alljährliche Kongress für praktische Gynäkologie und Geburtshilfe in Näfels statt. Die Tagung stand diesmal unter dem Motto «Fortschritte in der Frauenheilkunde». Wir waren vor Ort und haben die Highlights zusammengefasst.</p>
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<p class="article-content"><h2>Antikonzeption in der Adoleszenz</h2> <p>Adoleszentinnen befinden sich in einer sensiblen Lebensphase. Die frühe Phase der Adoleszenz ist von einem egozentrischen Umgang mit der Sexualität geprägt. In der mittleren Adoleszenz beginnen erste romantische und monogame Beziehungen. In der späten Phase kommt es schliesslich zur emotionalen Reife und zu Verantwortungsbewusstsein, erklärt Dr. med. Nina Manz, Oberärztin m.e.V. an der Frauenklinik, Stadtspital Triemli.<br /> Das Verhütungsmittel Nr. 1 der Jugendlichen ist das Kondom. 80 % der 14–25-jährigen Mädchen und 82 % der Jungen benutzten ein Kondom beim «ersten Mal». Allerdings hat ein Fünftel der Jugendlichen keinen Schutz durch das Kondom (Archimi A et al., 2016). Neben dem Kondom stehen natürlich noch die hormonelle Kontrazeption, IUDs («intrauterine device », Kupfer- vs. Levonorgestrel-haltige) und auch die Notfallkontrazeption zur Diskussion. Für alle IUDs gilt: Einlage erst nach dem ersten Geschlechtsverkehr und davor die Cavumlänge mit transvaginalem Ultraschall und Hysterometer bestimmen. Die Sterilisation ist in der Adoleszenz kontraindiziert.<br /> Laut dem Schweizer Bundesamt für Statistik ist die Rate an unerwünschten Schwangerschaften bei Jugendlichen (15–19 Jahre) im internationalen Vergleich mit 3,3/1000 niedrig.<br /> Ein besonderer Aspekt der Kontrazeptionsberatung in der Adoleszenz ist unter anderem die Knochendichte. Denn bis zum 18. Lebensjahr kommt es noch zum Wachstum und Dichtezuwachs des Knochens («peak bone mass»). Bei Einnahme von kombinierten Ovulationshemmern (KOH) wird die eigene Östrogenproduktion gehemmt, daher sollte bei unter 18-Jährigen möglichst 30 μg EE (z. B. Mikrogynon<sup>®</sup> 30) verabreicht werden.<br /> Ein weiterer Aspekt ist das Krebsrisiko bei hormonhaltiger Antikonzeption:</p> <ul> <li>Mammakarzinom: Risiko leicht erhöht bei hormonhaltigen AK (nicht CU-IUD) (Nachtigall L et al., 2018)</li> <li>Ovarialkarzinom: Risikoreduktion im 2-stelligen Bereich bei KOH (La Vecchia C et al., 2017)</li> <li>Endometriumkarzinom: Risikoreduktion bei KOH und Gestagenen/IUD</li> <li>Zervixkarzinom: leichte Risikoerhöhung bei KOH (HPV-assoziiert)</li> </ul> <p>Adoleszentinnen mit chronischen Erkrankungen wie z. B. Epilepsie benötigen im besonderen Mass eingehende Beratung und Aufklärung. Denn hormonelle Antikonzeptiva senken den Antiepileptikaspiegel, Antiepileptika wiederum senken den Spiegel der hormonellen Antikonzeptiva. Manz empfiehlt zur hormonellen Kontrazeption (falls enzyminduzierende Arzneimittel [AE] notwendig sind) KOH mit einem Gestagen mit mehr als doppelter Ovulationshemmdosis und mind. 30 μg EE (z. B. Elyfem<sup>®</sup> 30) im Langzyklus und mit zusätzlicher Barrieremethode. Ansonsten gilt: neuere AE, welche nicht enzyminduzierend sind.</p> <h2>Einfluss von Ernährung, Sport und Psyche auf das Mammakarzinom</h2> <p>Jährlich werden in der Schweiz über 38 500 neue Krebsfälle entdeckt, jeder Dritte erkrankt im Laufe seines Lebens daran. 16 000 Menschen sterben jährlich an den Folgen einer Krebserkrankung. In der Schweiz ist Krebs somit die zweithäufigste Todesursache und rund 300 000 Schweizer leben mit einer Krebsdiagnose (BMS 2019). Wie Dr. med. Christoph M. Honegger, Chefarzt an der Frauenklinik am Zuger Kantonsspital AG, berichtet, wären allerdings 40 % aller Krebserkrankungen vermeidbar. Denn neben den vielen Umwelteinflüssen hat auch der individuelle Lebensstil einen bedeutenden Anteil am Erkrankungsrisiko. Die Vermeidung von Alkohol, Nikotin und Adipositas senkt direkt das allgemeine Krebsrisiko. 10 g Alkohol pro Tag steigern das relative Brustkrebsrisiko um 10 % , und Rauchen, wenn damit bereits vor der Geburt des ersten Kindes begonnen wurde, erhöht das Risiko um 18 % nach 20 Jahren (1 Pkg./Tag). Sport resp. körperliche Aktivität wirkt primär und tertiär präventiv beim Mammakarzinom. Es kommt zu einer Reduzierung des Östrogen-, Glukose-, Insulin- und IGF-1-Spiegels. Studien zeigen bei sportlichen Frauen 25 % weniger Mammakarzinome gegenüber körperlich inaktiven Frauen, so Honegger. Bei der Prognose für Frauen nach einer Brustkrebserkrankung lässt sich sagen, dass eine Steigerung der körperlichen Aktivität mit einer 45 % geringeren Mortalität einhergeht (Lahart T et al., 2015; Holmes MD et al., 2005).</p> <h2>Evidenz der Phytotherapie bei gynäkologischen Beschwerden</h2> <p>Phytotherapeutika finden bei den verschiedensten Frauenleiden ihre Anwendung. Zu den Indikationen für Phytotherapie bei der Frau zählen unter anderem Infektionen, Menstruationsbeschwerden, menopausale Beschwerden und eine hyperaktive Blase. Speziell bei urogenitalen Infekten haben sich Birke, Granatapfel, echte Schlüsselblume, Brennnesseln und Lavendel bewährt, erläutert Prof. Dr. pharm. Ursula von Mandach, Klinik für Geburtshilfe am USZ. Diese können sowohl lokal, als Tee oder verdünnter Extrakt, als auch oral als Fertigarzneimittel oder Tee eingenommen werden und zeichnen sich durch ihre gute Verträglichkeit – auch in der Schwangerschaft und Stillzeit – aus.<br /> Bei Menstruationsbeschwerden können Traubensilberkerze (Wurzelstock) und Mönchspfeffer empfohlen werden. Ersteres hat sich durch seinen Wirkmechanismus über Dopamin, Serotonin und Opioidrezeptoren zur Linderung menopausaler Beschwerden bewährt und kann als Fertigarzneimittel eingenommen werden. Mönchspfeffer oder auch Keuschlamm (Früchte) ist ebenfalls als Fertigarzneimittel erhältlich und hemmt die Prolaktinfreisetzung.</p> <h2>Sinnvolle Standards in der Schwangerenvorsorge</h2> <p>Die Schwangerenvorsorge umfasst einige Screenings. Darunter unter anderem auch jene auf Röteln, Hepatitis B, Chlamydien, Toxoplasmose und Lues. Wie Dr. med. Carolin Blume, Chefärztin für Geburtshilfe am Kantonsspital Graubünden, präsentiert, wurden nun einige Empfehlungen neu überarbeitet.<br /> Röteln: Angesichts des hohen Schutzes, den die Rötelnimpfung bietet, wird neu empfohlen, keine Serologie mehr durchzuführen. Die Bestimmung der IgG-Antikörper im Fall einer Schwangerschaft wird nur noch bei Schwangeren empfohlen, die nicht mindestens zweimal geimpft wurden oder deren Impfstatus nicht bekannt ist (STIKO, AWMF, BAG).<br /> Hepatitis B: Der Test auf HBsAg soll neu im 1. Trimester durchgeführt und bei negativem Resultat bei Schwangeren mit Risikoverhalten im 3. Trimester wiederholt werden. Bei HBsAg-positivem Befund soll eine quantitative Bestimmung der HBV-DNA gemacht werden. Bei HBV-DNA >200 000 IE/ml wird neu eine antivirale Therapie während der Schwangerschaft mit idealerweise einer Gabe ab der 24.–28. SSW und bis nach der Geburt empfohlen (BAG 2019).<br /> Chlamydien: Eine Erkrankung wird assoziiert mit Aborten, Frühgeburtlichkeit, vorzeitigem Blasensprung und Chorioamnionitis. Bei ca. 60–70 % der Neugeborenen von infizierten Frauen wurde eine perinatale Infektion während der Geburt beschrieben und ca. 50 % Prävalenz einer bakteriellen Vaginose. Daher kann ein routinemässiges Screening auf Chlamydia trachomatis in der Schwangerschaft als Teil der ersten Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchung empfohlen werden (AWMF).<br /> Toxoplasmose: Da Medikamente weder eine Übertragung auf das Kind noch Symptome beim infizierten Kind zu verhindern vermögen, ist eine Diagnostik oder Therapie der Infektion während der Schwangerschaft nicht hilfreich (BAG 2019, Uptodate 2019).<br /> Lues: Während der Schwangerschaft und bei der Geburt kann die Infektion jederzeit von der Mutter auf das Kind übertragen werden (kongenitale Syphilis), das Risiko beträgt 60–80 % , vor allem im 2. Trimenon. Weltweit nimmt die Zahl der Syphilis-Fälle vor allem auch in den High-Income-Countries wieder zu (BAG 2018).</p> <h2>Abklärungen bei Kinderwunsch</h2> <p>Laut WHO liegt ein unerfüllter Kinderwunsch nach über 12 Monaten ungeschütztem, regelmässigem Geschlechtsverkehr ohne Eintritt einer Schwangerschaft vor. Die Gründe dafür können vielseitig sein, deren Abklärung besteht aus Anamnese, Hormondiagnostik, Ultraschalluntersuchungen, Zykluskontrolle, einer operativen Abklärung oder auch einem Spermiogramm. Neben dem üblichen Anamnesegespräch sollte laut Dr. med. Peter Fehr von der OVA IVF Clinic Zurich auch gezielt nach der Sexualanamnese, Sozialanamnese (z. B. Arbeit), Kinderwunsch des Partners, diversen Suchtmitteln und dem Lifestyle (z.B. Körpergewicht) gefragt werden. Auch der Partner sollte bei der Beratung und Therapieerstellung miteinbezogen werden.<br /> Kinderwunsch und Alter: Oft werden das Einsetzen und die Relevanz der kritischen Altersgrenze unterschätzt. Eine Grundabklärung bei Kinderwunsch ist nie (oder sehr selten) zu früh. «Social freezing» ist heute auch in der Schweiz Realität.</p> <h2>Follikelstimulation und Insemination: Vorgehen in der Praxis</h2> <p>In der Schweiz sind ca. 180 000 Paare ungewollt kinderlos, dies entspricht etwa jedem 7. Paar, so Dr. med. Naomi Ventura, Leitende Ärztin am Kinderwunschzentrum Fontana. Drei von fünf jungen Männern haben eine reduzierte Fruchtbarkeit (Khan K et al., 2005). Mögliche Ursachen dafür können kongenitale oder erworbene urogenitale Abnormalitäten, Infektionen des Urogenitaltraktes, erhöhte Temperaturen im Skrotalbereich (Sitzheizung, Rennvelofahren) und endokrinologische, genetische oder immunologische Störungen sein. Auch Handy- bzw. WLAN-Strahlen stehen im Verdacht, negative Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit des Mannes haben zu können. Eine häufige Gegenmassnahme ist die intrauterine Insemination (IUI). Für eine erfolgreiche IUI sind eine sprungreife Eizelle, genügend bewegliche «gute» Spermien, Lutealphasenunterstützung und gutes Timing (36 Stunden nach der Gabe von hCG) nötig.</p> <h2>Reisen und Sport in der Schwangerschaft</h2> <p>Reisen in der Schwangerschaft stellt in den meisten Fällen kein Problem dar, erfordert aber eine gute Planung. Das 2. Trimenon scheint aber die beste Reisezeit zu sein, da im 1. Trimenon viele Schwangere an Übelkeit und Erbrechen leiden und im 3. Trimenon langes Sitzen oder Stehen oft sehr anstrengend ist und auch die Schwangerschaftsbeschwerden zunehmen.<br /> Abhängig von der Reiseart, empfiehlt Dr. med. Tina Fischer, Leitende Ärztin für Geburtshilfe am Kantonsspital St. Gallen, ihren Patientinnen vor Reiseantritt unbedingt abzuklären, ob sie als Schwangere überhaupt noch mitgenommen werden. So ist es z. B. bei Kreuzfahrten oft ein Problem, dass Schwangere nur bis zur 24. SSW mitgenommen werden. Im Flugzeug ist der Innendruck in der Kabine erhöht, vergleichbar mit einer Höhenexposition auf 1500 bis 2500 m, und der Sauerstoffpartialdruck ist um etwa 20 % reduziert, was zu einem Anstieg von Herzfrequenz, Atemminutenvolumen und Blutdruck führt. Bei einer gesunden Schwangeren und einer ungestörten Plazentafunktion ist es aber für die Schwangere nicht schädlich und der Fetus bleibt ausreichend oxygeniert. Bei langer Flugdauer rät Fischer zum Tragen von Kompressionsstrümpfen während des Fluges und an den Tagen danach. Bei Frauen mit erhöhtem Risiko für thromboembolische Ereignisse sollte eine Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin durchgeführt werden. Des Weiteren ist es ratsam, vor Reiseantritt eine Auslandsversicherung abzuschliessen und sich über den Zugang zum Gesundheitssystem und der medizinischen Versorgung während der Reise zu informieren und im Vorfeld spezielle Risiken im Reisegebiet abzuklären. Gerne wird auch der Mutter-Kind-Pass auf Reisen vergessen, dieser sollte immer dabei sein.<br /> Die medizinischen Leitlinien (ACOG 2015, SOGC 2019, RCOG 2016) empfehlen regelmässigen Sport in der Schwangerschaft. Sport hat einen positiven Einfluss, daher sollten Schwangere ermuntert werden, sich regelmässig zu bewegen und Sport zu treiben:</p> <ul> <li>Gewichtszunahme günstig beeinflusst</li> <li>weniger Rückenprobleme</li> <li>besseres Selbstgefühl mit weniger Stimmungsschwankungen und weniger postnataler Depression</li> </ul> <p>Bei vorher bereits sportlich aktiven Frauen wird ein Training von 5–7-mal 30 Minuten pro Woche mit mässiger Intensität empfohlen. Schwangere, die vorher keinen Sport betrieben haben, sollten zunächst mit Trainingseinheiten von 3-mal 10 bis 20 Minuten pro Woche mit leichter Intensität beginnen und dann langsam auf 4-mal 30 Minuten pro Woche steigern. Leistungssportlerinnen sollten individuell betreut werden, so Dr. Fischer. Generell gilt: Solange während der Trainingseinheit noch ein Gespräch geführt werden kann, besteht keine Gefahr der Überanstrengung. Schwangere Frauen haben ein erhöhtes Risiko für Gelenksverletzungen und ein abdominelles Trauma kann zu einer Plazentalösung führen, daher sollte auf Kontakt- und Kampfsportarten oder Sportarten mit erhöhtem Verletzungsrisiko verzichtet werden.</p> <h2>Psychiatrische Erkrankungen in der Schwangerschaft und im Wochenbett</h2> <p>Psychische Störungen zählen zu den häufigsten Erkrankungen in der Peripartalzeit. Für Frauen mit einer bestehenden oder vorausgegangen psychischen Erkrankung stellen Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett eine besondere Herausforderung und Belastung und damit auch ein besonderes Risiko dar. Auch bei zuvor gesunden Frauen treten Erstsymptome einer psychischen Erkrankung häufig in dieser sensiblen Phase auf. Etwa 10–12 % der Schwangeren erleiden eine Schwangerschaftsdepression. Die Prävalenz von postnatalen Depressionen liegt bei 10–15 % . Davon beginnen 50 % bereits in der Schwangerschaft. Ein Jahr nach der Geburt sind noch immer ca. 30 % der Betroffenen depressiv. Bei unterschiedlichen Störungsbildern zeigen sich erhöhte Frühgeburtenraten, geringes Geburtsgewicht, ein erhöhtes Risiko für Fehl- und Totge burten sowie plötzlicher Kindstod. Als korrelierender Faktor müssen ungünstige Umweltfaktoren (z. B. Substanzgebrauch, schlechte Ernährung und häusliche Gewalt) berücksichtigt werden, so Dr. phil. Kathrin Degen, Psychotherapeutin an der Psychiatrie St. Gallen Nord. Peripartale psychische Störungen erhöhen das Risiko für emotionale, kindliche Probleme. Eine depressive Symptomatik, welche nach der postpartalen Zeit anhält, wirkt sich ungünstig auf die kindliche kognitive Entwicklung aus. Zudem besteht ein erhöhtes Risiko für Bindungsstörungen bei schweren postpartalen depressiven Episoden. Ante- und postpartale Angsterkrankungen scheinen insbesondere das Risiko für ADHS und Störungen des Sozialverhaltens zu erhöhen (Kühner C., 2016; Rohde A., Dorn A., 2007).</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 22. Kongress für praktische Gynäkologie und Geburtshilfe
2019, 7.–8. November 2019, Näfels
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