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Kontrazeption bei Risikopatientinnen
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21.09.2017
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<p class="article-intro">Frauen mit Vorerkrankungen ein sicheres Antikonzeptivum zu verordnen, kann zu einer Herausforderung werden, gilt es doch, alle Risikofaktoren zu berücksichtigen. Prof. Dr. med. Petra Stute, Leitende Ärztin an der Frauenklinik des Inselspitals in Bern, erläuterte beim Update Refresher Gynäkologie, welche Kriterien beachtet werden müssen, und zeigte an Fallbeispielen, wie sie im Einzelfall vorgeht.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Fettstoffwechselstörungen, Migräne, Hypertonie, das Alter, Adipositas, Rauchen, Thromboseneigung und Antikoagulation sowie eine Medikamenteneinnahme sind Risikofaktoren, die bei der Auswahl eines Kontrazeptivums beachtet werden müssen.</li> <li>Die Einordnung einzelner Antikonzeptiva für Frauen mit Risikofaktoren ist schwierig, wenn die Methoden nur an einer ausgewählten gesunden Population untersucht wurden.</li> <li>Hilfe bei der Wahl der passenden Verhütungsmethode liefert die WHO-Klassifikation für Antikonzeptiva von 2015.</li> </ul> </div> <p>Eigen- und Familienanamnese liefern bei der Auswahl eines Antikonzeptivums bereits sehr wertvolle Hinweise auf Risikofaktoren. Zu berücksichtigen sind Fettstoffwechselstörungen, Migräne, Hypertonie, das Alter der Frau, Adipositas, Nikotin, Thromboseneigung und Antikoagulation sowie eine Medikamenteneinnahme. «Bei einer 40-jährigen Raucherin ist die Pille bereits kontraindiziert», warnte Prof. Petra Stute. Sie zieht für ihre Überlegungen zwar auch Fachbücher<sup>1, 2</sup> und die Expertenbriefe der SGGG heran.<sup>3</sup> Es sind aber vor allem internationale Leitlinien, mit deren Hilfe sich für (fast) jede «Lebenslage» entscheiden lasse, welche kontrazeptive Massnahme möglich sei.<sup>3</sup> «Voraussichtlich im Oktober 2017 wird eine neue S3-Leitlinie der AWMF erscheinen, in die 24 internationale Leitlinien einfliessen werden», kündigte die Expertin an. Schwierigkeiten bereitet der Expertenkommission die Einordnung einzelner Antikonzeptiva für Frauen mit Risikofaktoren, wenn Methoden nur an einer ausgewählten gesunden Population untersucht wurden.<br /> Hilfreich sei es vor allem, sich an die WHO-Klassifikation von 2015 für Antikonzeptiva zu halten, die für jede Situation vier Gruppen kennt. WHO 1: keine Einschränkung, WHO 2: Vorteil überwiegt, WHO 3: Nachteil überwiegt meist, WHO 4: absolut kontraindiziert.<sup>4, 5</sup> «Immer dann, wenn eine Frau mehr als einen Risikofaktor hat, heisst es aufpassen», sagte die Expertin. Gibt es mehrere Risikofaktoren, so summiert sich das Risiko (WHO 2 plus WHO 2 ergibt WHO 3). Gesunde Frauen vor dem 35. Lebensjahr können nach diesem Schema in der Regel fast alle hormonellen Antikonzeptiva erhalten. Die kritische Altersgrenze der WHO wurde bei 35 Jahren gesetzt, weil ab hier eine Zunahme der Nikotin- assoziierten Mortalität zu beobachten ist. Eine Raucherin unter 35 mit einem erhöhten BMI fällt demnach bereits in Gruppe 3 und sollte besser mit Gestagen-Mono, IUD oder nicht hormonell verhüten.</p> <h2>Fallbeispiele</h2> <p>Eine 29-jährige Patientin mit einer Adipositas Grad I (BMI 33) wünscht ein Antikonzeptivum. Die Familienanamnese der Nichtraucherin ist unauffällig, daher könne bei nur einem Risikofaktor ein Kombinationspräparat eingesetzt werden, erklärte Prof. Stute. Wäre die Frau hingegen 40 Jahre und Raucherin, so wäre das eine Kontraindikation.<br /> Immer gelte es auch ein erhöhtes Thromboserisiko mit ins Kalkül zu ziehen. Als Beispiel nannte Prof. Stute die Überlegungen, die anzustellen sind, wenn bereits ein thromboembolisches Ereignis stattgefunden habe, wie zum Beispiel eine tiefe Beinvenenthrombose nach einem Langstreckenflug. «Selbst wenn keine familiäre Belastung und keine Risikofaktoren wie Übergewicht und Rauchen vorliegen, eine venöse Thromboembolie ist eine Kontraindikation für jede kombinierte Pille.» Eine positive Thrombophiliediagnostik bei familiärer Belastung (erstgradig Verwandte) schliesst Kombinationspräparate aus.<br /> Auch die Frage, bis zu welchem Alter eine Frau überhaupt eine Antikonzeption braucht, wurde von Prof. Stute diskutiert. Eine Verhütung bis 55 Jahre erlaube normalerweise ein gefahrloses Absetzen gemäss Literatur. Möchte eine Frau in der Menopause ohne Antikonzeption leben, so könne sie das Antikonzeptivum gefahrlos absetzen, wenn sie über 50 Jahre alt sei und ihre Amenorrhö bereits ein Jahr andauere.<br /> Ein sehr problematischer und relativ häufiger Risikofaktor aufgrund des erhöhten Apoplexrisikos ist das Auftreten einer Migräne mit Aura (1-Jahres-Prävalenz 5 % ). «Spannungskopfschmerzen sind nicht gefährlich», betonte Prof. Stute. Auren sind bei 99 % der Betroffenen visueller Art (heller Gesichtsfeldausfall auf beiden Augen, helle Skotome [Zickzacklinie]). Seltener finden sich als Aura eine Parästhesie, Sprech- oder motorische Störung. Liegt die letzte Aura fünf Jahre zurück, so wird das Risiko niedriger eingeschätzt und es darf eventuell ein Kombinationspräparat verordnet werden.<br /> Und zu guter Letzt: Patientinnen mit Diabetes vom Typ 1 dürfen die Pille ohne Einschränkungen nehmen, wenn sie gut mit Insulin eingestellt sind und keine weiteren Risikofaktoren haben.<sup>6</sup> Die polygene («common») Hypercholesterinämie und die familiäre kombinierte Hyperlipidämie sind mit einem erhöhten KHK-Risiko verbunden. Die familiäre Hypercholesterinämie (autosomal dominant; Prävalenz 1:500) ist mit einem 4-fach erhöhten vorzeitigen KHKRisiko verbunden. Die WHO-Empfehlung ist für die hormonellen Antikonzeptiva Gruppe 2, für das Kupfer-IUD Gruppe 1.</p> <h2>Neue Antikonzeptiva in der Schweiz</h2> <p>Zugelassen seit März 2017 ist ein neues Gestagen abgebendes Intrauterinsystem (IUS) mit 19,5mg Levonorgestrel (Kyleena<sup>®</sup>), das bis zu fünf Jahre belassen werden kann. Als 4-Perioden-Pille wird das hormonale Verhütungsmittel Seasonique<sup>®</sup> bezeichnet. Die Filmtabletten werden einmal täglich kontinuierlich über 91 Tage eingenommen (13 Wochen, etwa 3 Monate). In der letzten Woche der Anwendung enthält das Präparat nur Ethinylestradiol, sodass nach deren Abschluss und bei Start der nächsten 3-Monats-Packung eine Entzugsblutung auftritt. Die verlängerte Einnahme führt dazu, dass pro Jahr idealerweise nur vier Blutungen auftreten.<sup>7</sup></p> <p> </p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Forum für Medizinische Fortbildung (FomF), Gynäkologie
Update Refresher, 17. Mai 2017, Zürich
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Guillebaud J, MacGregor A: Contraception: your questions answered. 5th edition 2008. Elsevier, Amsterdam <strong>2</strong> Wolff M, Stute P: Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin: das Praxisbuch. 2013, Schattauer- Verlag, Stuttgart <strong>3</strong> Homepage SGGG: www.sggg.ch <strong>4</strong> WHO-2015-Empfehlung: www.who.int/reproductivehealth/ publications/family_planning <strong>5</strong> UK Eligibility Criteria for contraceptive use (UKMEC) 2009: www.fsrh.org/ standards-and-guidance/documents/ukmec-2016 <strong>6</strong> Gourdy P: Diabetes and oral contraception. Best Pract Res Clin Endocrinol Metab 2013; 27: 67-76 <strong>7</strong> Arzneimittel-Kompendium Schweiz: https://compendium.ch</p>
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