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Social Freezing

Kinderwunsch auf Eis gelegt

Eizellen einzufrieren, damit eine Frau später schwanger wird, klappt nicht so gut, wie Patientinnen oft meinen. Eine klare Kommunikation kann Enttäuschungen vermeiden. Über die Möglichkeiten und Grenzen des «Social Freezing».

Der Begriff «Social Freezing» tauchte auf, kurz nachdem Facebook und Google im Jahr 2014 verkündeten, sie würden das Einfrieren von Eizellen bezahlen. Rasch entbrannte eine heftige Diskussion. Die einen hielten Social Freezing für die «perfekte Emanzipation». Endlich könnten Frauen ohne Rücksicht auf Kinder Karriere machen und erst dann, wenn sie eine leitende Position erreicht haben, eine Familie gründen. Kritiker hielten dagegen, das Angebot der Firmen sei unmoralisch, frauenverachtend, der Druck zur Selbstoptimierung habe jetzt wohl auch die Eierstöcke erreicht. Er habe Social Freezing schon 2012 angeboten, sagt Prof. Dr. med. Frank Nawroth, Gynäkologe in der Kinderwunschpraxis amedes in Hamburg. «2014 ist die Nachfrage sprunghaft gestiegen.»

Die Motive der Frauen sind unterschiedlich. Eine 37-jährige Patientin – Studienrätin an einem Gymnasium – wünscht sich sehnlich ein Kind, aber weit und breit ist kein Mann in Sicht. Mit einem Baby wird es womöglich nichts mehr, muss sie sich eingestehen. «Ich litt sehr», sagt die heute 39-Jährige. Anders die 33-jährige Führungskraft im öffentlichen Dienst. Sie und ihr Partner möchten noch keine Kinder, sie muss noch ihren Studienkredit abbezahlen. Aber warum sich nicht eine Sicherheit schaffen, falls sich der Kinderwunsch doch noch einstellt? «Es fühlt sich bestimmt besser an, die Familienplanung mit einem finanziellen Polster anzugehen», sagt sie. Beide Frauen lassen sich Eizellen entnehmen und einfrieren. Später, wenn Traumpartner oder Kinderwunsch da sind, können sie diese auftauen lassen und schwanger werden. Ihren Namen möchten die Frauen in der Zeitung nicht lesen – zu gross ist die Sorge, Freunde, Familie oder Kollegen könnten ihr Handeln für unmoralisch halten.

Die Methode des Social Freezing ist nicht neu. Ärzte schlagen sie schon seit einigen Jahren manchen jungen Frauen mit Krebs vor («Medical Freezing»). Ist vorhersehbar, dass die geplante Chemo- oder Strahlentherapie die Ovarien schädigt, kann die Frau später trotzdem Kinder bekommen. Das Social Freezing funktioniert ähnlich. «Welches Protokoll infrage kommt, ist aber beim Social Freezing genauso individuell wie beim Medical Freezing», sagt Prof. Dr. med. Michael von Wolff, Chefarzt des Kinderwunschzentrums am Inselspital Bern und Gründer von FertiPROTEKT, einem Netzwerk aus Fertilitätskliniken in der Schweiz, Deutschland und Österreich.

Wie solche Protokolle aussehen, lässt sich in der Leitlinie der European Society for Human Reproduction and Embryology (ESHRE) nachlesen.1 Die Patientin spritzt sich täglich für etwa 10 Tage Hormone, damit in ihren Ovarien mehrere Eizellen reifen. Zunächst wird hierbei mit GnRH-Antagonisten oder GnRH-Agonisten die LH-Ausschüttung in der Hypophyse unterdrückt, danach reifen die Eizellen mit FSH. «In dieser Zeit bestelle ich die Patientin zwei- bis dreimal zum Ultraschall, um das Reifen der Eizellen zu kontrollieren und allenfalls die FSH-Dosis zu erhöhen oder zu verringern», erklärt von Wolff. Damit die Oozyten final reifen, spritzt der Arzt ein Eisprung-auslösendes Medikament – etwa hCG oder einen GnRH-Agonisten – und entnimmt kurz vor der Ovulation im Rahmen einer Kurznarkose die Eizellen mit einer dünnen Nadel durch die Vagina. Der Eingriff berge kaum Risiken, sagt Prof. Nawroth: «Etwa eine Stunde danach geht die Frau wieder nach Hause.» Sind nach der ersten Hormonstimulation nicht genügend Eizellen herangereift, kann die Patientin die Prozedur wiederholen. Möchte die Frau später ein Kind haben, werden ihre Eizellen aufgetaut und mittels ICSI (intrazytoplasmatische Spermieninjektion) befruchtet: Das Spermium wird direkt in die Eizelle gespritzt. Den entstehenden Embryo bringt der Arzt mit einem Katheter durch die Scheide in die Gebärmutter und dann kann die Frau hoffen, schwanger zu werden.

Ab Mitte 30 sinkt die Chance rapide

Der Kinderwunsch sei tief verwurzelt in der weiblichen Biologie, sagt von Wolff. «Je älter die Frau wird, desto grösser wird ihr Konflikt: Karriere und Kind – wie bekomme ich das zusammen?» Innerlich zerrissen seien die Frauen oft, die sich bei ihm nach Social Freezing erkundigen. Viele seien schon Mitte 30 und machten sich falsche Hoffnungen, sagt er, denn ab diesem Alter sinke die Chance auf ein späteres Kind rapide. Die Wahrscheinlichkeit lässt sich nur anhand der Daten von «normalen» künstlichen Befruchtungen schätzen.

Gemäss einer FertiPROTEKT-Auswertung mit 4060 Frauen gewinnt der Arzt pro Hormonstimulationszyklus im Schnitt 12 Eizellen.2 Doch je älter eine Frau ist, desto weniger Zellen können gewonnen werden und auch deren Qualität sinkt – beides reduziert die Chance auf ein Kind.

2013 gewannen die FertiPROTEKT-Ärzte bei unter 30-Jährigen im Schnitt 13 Eizellen und bei 31- bis 35-Jährigen 12. War eine Frau zwischen 36 und 40, waren es nur noch 9 Eizellen, und war sie älter als 40, nur noch 6 (Abb. 1). Mit 12 Eizellen kann der Arzt mehrere Befruchtungsversuche starten. Statistisch gesehen bekommen dann von 100 30- bis 34-jährigen Frauen 30 ein Baby. Von 100 35- bis 39-Jährigen sind es 25 und von 100 40-Jährigen nur 16.2

Die Chancen lassen sich durch mehrere Stimulationen erhöhen. «Ich sage den Patientinnen genau diese Zahlen», sagt Gynäkologe von Wolff. «Ob sie dann dafür das Geld ausgeben möchten, ist ihre Entscheidung.» Die Behandlung kostet pro Hormonstimulation 4000 bis 5000 Franken, hinzu kommen rund 400 Franken pro Jahr für die Lagerung im Kinderwunschzentrum oder in einer Eizellbank. Für die spätere Befruchtung und den Embryotransfer muss man noch einmal 2000 bis 3000 Franken rechnen. Facebook, Google und auch Apple zahlen ihren Mitarbeitern in den USA das Social Freezing, aber nicht in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Eine Nachfrage bei den umsatzstärksten DAX-Konzernen in Deutschland ergibt: Keines der Unternehmen – BASF, Microsoft, Post, Metro, E-ON, Daimler, Deutsche Bank, Telekom, Volkswagen, Siemens oder Allianz – zahlt Social Freezing. Dafür preisen die Firmen ihre vielfältigen Massnahmen an, damit Frauen trotz Kindern Karriere machen können. Das reicht von betriebseigenen Kindertagesstätten mit langen Öffnungszeiten über flexible Arbeitszeiten und -orte, Vermittlung von Tageseltern, Eltern-Kind-Büros bis zu Kinderferienprogrammen. Es ist aber noch viel Luft nach oben: 2019 war nur jedes zehnte Vorstandsmitglied in den 200 grössten deutschen Unternehmen eine Frau.

Eine Versicherung, die beruhigt

Wie viele Frauen in Deutschland Social Freezing nutzen, lässt sich schwer beantworten. Gemäss dem deutschen IVF-Register D.I.R. liessen sich im Jahr 2017 261 Frauen mit dem Ziel behandeln, ihre Eizellen einzufrieren. 2018 waren es 449 Frauen.3 Aus den Zahlen lässt sich aber nicht schliessen, dass Social Freezing beliebter wurde. Es teilten nämlich nur weniger als zwei Drittel der 131 deutschen Kinderwunschzentren ihre Social-Freezing-Daten dem DIR mit. Eine Verpflichtung, das zu tun, gibt es nicht. In der Schweiz ist es seit Januar 2020 Pflicht. In Österreich stellt sich die Frage gar nicht, denn dort ist Social Freezing per Gesetz nicht erlaubt.

Auch Prof. von Wolff beobachtet ein stetig wachsendes Interesse an Social Freezing. Hatte er 2014 und 2015 nur 3 bzw. 4 Frauen mit Social Freezing geholfen, waren es 2016 schon 13, 2019 28 und im Jahr 2020 bis Juli 18 Patientinnen: «Wenn Corona nicht gekommen wäre, wären es dieses Jahr vermutlich noch mehr als 2019.»

Immer wieder ist zu hören, Frauen würden ihre Eizellen in erster Linie deshalb «auf Eis legen», damit sie ungestört Karriere machen könnten. Studien aus verschiedenen Ländern weisen aber darauf hin, dass eher andere Gründe eine Rolle spielen.4–8 Viele Frauen in den Umfragen sagen, Social Freezing sei ein «back-up» gewesen, falls sie auf natürlichem Wege nicht schwanger werden könnten. «Eine solche Versicherung beruhigt», sagt von Wolff. «Die Frau braucht sich später nicht vorzuwerfen, sie habe nicht alles versucht.» Häufig gaben Frauen in Studien zudem an, sie wollten mehr Zeit gewinnen, einen Partner zu finden, und sich von dem Druck der Partnersuche freimachen. Manche Frauen sagten, sie könnten sich alternative Möglichkeiten der Familienbildung nicht vorstellen, also zum Beispiel Adoption. Eine genetische Verbindung sei wichtig, nicht nur zwischen Mutter und Kind, sondern auch zwischen Vater und Kind. Social Freezing ist zwar eine moderne Technik, aber man kann damit wunderbar das traditionelle Familiengefüge aufrechterhalten. Die Ergebnisse aus den Studien muss man jedoch mit Vorsicht betrachten. In einigen hat nur die Hälfte der Frauen auf die Anfrage geantwortet, und oft wurden nur wenige Frauen kontaktiert. In einer häufig zitierten britischen Studie waren es gerade mal 23.6 Es könnte also sein, dass Frauen, die Social Freezing vornehmlich aus Karrieregründen machten, gar nicht in den Daten auftauchen.

Abgesehen davon: «Welche Frau gibt schon offen zu, dass sie Social Freezing wegen der Karriere gemacht hat?», fragt sich Gynäkologe Nawroth. Er hat seit 2012 mehr als 200 Frauen mit Social Freezing behandelt, aber von denen hätten die wenigsten gesagt, sie hätten es aus Karrieregründen gemacht. Anders sieht es aus, wenn Frauen gefragt werden, die noch kein Social Freezing gemacht haben. In einer Studie aus Dänemark und Grossbritannien mit 973 Frauen hielten es fast 8 von 10 der Befragten für «immer akzeptabel», Eizellen vor einer Krebstherapie einzufrieren, und immerhin 2 von 10 aus Karrieregründen.9 Weniger begeistert scheinen Schweizer Frauen zu sein, wie eine Umfrage von Prof. von Wolff zeigte: Von 248 Frauen zwischen 15 und 35 war nur jede fünfte positiv eingestellt gegenüber Social Freezing mit Eizellen.10 Aus Karrieregründen würde es nur jede sechste machen und jede dritte, weil kein Partner in Sicht ist.

Mythos Karriere-Kick

Aber hilft Social Freezing überhaupt bei der Karriere? «Ich halte das für einen Mythos», sagt Astrid Habeder-Preuss, Vorstandsmitglied des Fachverbandes Personalberatung im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater und langjährige Personalberaterin. «Es ist nicht die Frage, ob man Kinder früh oder spät bekommt. Karriere macht man nur mit der richtigen Einstellung.» Es sei zwar praktisch, wenn man später Kinder bekomme, weil man dann genügend Geld für die Tagesmutter verdiene. «Das bringt einem aber gar nichts, wenn man nicht den Willen hat, Kind und Beruf zu vereinbaren», sagt Habeder-Preuss. Partner und Chef müsse man klar sagen, dass man Karriere machen wolle, und gemeinsam nach Lösungen suchen. Zum Beispiel, dass der Mann ein paar Jahre Teilzeit arbeitet oder dass man zwar sein Kind am Nachmittag von der Krippe abholt, dafür aber am Abend noch Telefonkonferenzen im Homeoffice machen kann. Frauen fehle es oft an Entschlossenheit, sagt die Personalberaterin. «Daran wird auch das Einfrieren von Eizellen nichts ändern.»

Es hapere zudem daran, dass Frauen ihre Lebensziele nicht so klar definierten wie Männer, sagt Jutta Boenig, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Karriereberatung. «Das Thema Kinderkriegen wird immer weiter geschoben, statt sich zu überlegen: Will ich Kinder und wenn ja, wie bekomme ich das unter einen Hut mit meinem Karrierewunsch?» Am besten sei, sich mit Mitte 20 eine Mentorin zu suchen und eine Strategie zu überlegen. Viele Frauen seien zudem nicht selbstbewusst genug. «Sagt man mit piepsender Stimme zum Chef, man wolle Kind und Karriere, nimmt der einen garantiert nicht ernst.» Nicht schlecht seien Selbstverteidigungskurse. «Das hebt das Selbstbewusstsein enorm.» Kinderkriegen als Karrierefrau hat oftmals immer noch einen negativen Beigeschmack. Sie seien «Rabenmütter», hören die Betroffenen von der einen Seite, und von Kollegen kommen Zweifel, dass man den Job trotz Kind schaffe. Frauen sollten viel selbstbewusster dafür eintreten, sagt Boenig, dass Kinder zum Leben dazugehören. «Und dass Arbeitgeber und Gesellschaft die Rahmenbedingungen dafür schaffen müssen, dass Frauen trotzdem Karriere machen können.»

Die Studienrätin aus Düsseldorf hat inzwischen ihren Traumpartner gefunden und ist schwanger – auf natürlichem Wege. Der 33-jährigen Führungskraft konnte der Arzt nur wenige Eizellen entnehmen, und so war es nicht die «Versicherung», die sie sich erhofft hatte. «Aber hätte ich es nicht gemacht, hätte mich der Gedanke nicht losgelassen. Ich bin mit meiner Entscheidung zufrieden», sagt sie. Für die junge Frau sei Social Freezing ein Schritt zu mehr Gleichberechtigung. «Es erhöht die Chance, mit 40 bis 45 Jahren ein Kind zu bekommen. Das ist für Männer längst selbstverständlich und gesellschaftlich akzeptiert.»

Bericht: Dr. med. Felicitas Witte

1 www.eshre.eu/Guidelines-and-Legal/Guidelines/Ovarian-Stimulation-in-IVF-ICSI 2 von Wolff M et al.: Reproductive BioMedicine Online 2015; 31: 605-12 3 Jahrbuch 2018 des Deutschen IVF-Registers (D·I·R)®, modifizierter Nachdruck aus J Reproduktionsmed Endokrinol 2019; 16(6) 4 Hodes-Wertz B et al.: Fertil Steril 2013; 100: 1343-9 5 Stoop D et al.: Hum Reprod 2015; 30: 338-44 6 Baldwin K et al.: Reprod Biom Online 2015; 31: 239-45 7 Waldby C et al.: Cult Health Sex 2015; 17: 470-82 8 Baldwin K et al.: J Psychosom Obstet Gynecol 2019; 40: 166-73 9 Lallemant C et al.: Acta Obstet Gynecol Scand 2016; 95: 1402-10 10 Woodtli N et al.: Arch Gynecol Obstet 2018; 298: 191-8

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