
«Let’s talk about sex» in der jugendgynäkologischen Sprechstunde
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Chronische Dyspareunie kann im Jugendalter ihren Anfang nehmen. Meist ist ein situativ oder chronisch erhöhter Beckenbodentonus ursächlich beteiligt. In der Prävention sind richtige Aufklärung und Vorbereitung zentral. Schmerzfreie, lustvolle Sexualität ist nicht natürlich, sondern setzt Lernprozesse voraus. Jugendliche wünschen sich, von ihrem Arzt/ihrer Ärztin darauf angesprochen zu werden. Auf Beratungsseiten wie www.lilli.ch finden Jugendliche und Fachpersonen weiterführende Information.
Kann ich mich auf das erste Mal irgendwie vorbereiten?» Was antworten Sie einer Jugendlichen, die Ihnen zum ersten Geschlechtsverkehr diese Frage stellt? Weshalb ist die Frage wichtig? Gibt es Ihrer Meinung nach dazu Empfehlungen? Es ist eine häufige Frage auf der Online-Beratungsplattform www.lilli.ch, die täglich rund 15000 Hits erhält und pro Jahr etwa 1800 anonyme Beratungen leistet rund um Sexualität, Erwachsenwerden und sexuelle Gewalt. Wenn Sie sich fragen, was Ihre jungen Patientinnen zum Thema Sexualität beschäftigt und wie Sie sie darin beraten können, lohnt sich ein Blick darauf. So können Sie z.B. unter dem Suchbegriff «Erstes Mal» ausführliche Tipps nachlesen.
Weitere Fragen auf dieser Plattform betreffen Unklarheiten bei der Verhütung, insbesondere zur Pille, zur Angst vor Schwangerschaft und zur Notfallverhütung, auf die wir hier nicht weiter eingehen. Jedoch bleibt bemerkenswert, wie viel Fehlwissen darüber immer noch vorliegt. In der Beratung brauchen Sie sich jedenfalls nicht davor zu scheuen, ungefragt auch ganz banale und vermeintlich selbstverständliche Information zur Konzeption und Kontrazeption weiterzugeben.
Wie steht es mit dem Interesse am Thema Sexualität?
Dazu muss berücksichtigt werden, wo die Jugendliche in ihrer psychosexuellen Entwicklung steht. Der Aufklärungsunterricht in den Schulen, sofern er stattfindet, trifft nicht jedes Mädchen auf dem Entwicklungsstand an, auf dem das Thema für sie relevant ist, weshalb viel Information auch wieder verloren geht. In der Praxis können wir uns der individuellen Situation anpassen. Als Zeichen aufkeimenden Interesses beginnen Mädchen durchschnittlich mit 13,7 +/– 2,6 Jahren mit der Selbstbefriedigung. Dieser Zeitpunkt korreliert interessanterweise überhaupt nicht mit der Menarche, während er bei den Jungen ziemlich genau den Eintritt in die Pubertät markiert. Daran lässt sich erkennen, dass Libido und sexuelle Erregung bei Mädchen deutlich weniger hormonabhängig sind als bei Jungen. So erfolgt das Auslösen von Erregung und Orgasmus bei Jungen praktisch von selbst und kommt einem Automatismus gleich, während es bei Mädchen viel Übung erfordert. Dementsprechend sind Fragen dazu bei Mädchen häufig. Erfahrung mit Geschlechtsverkehr haben 6% der 14-jährigen deutschen Mädchen, 45% der 16-jährigen und 82% der 18-jährigen. Bei den 12-jährigen Schweizerinnen verfügen schon etwa 5% über Koituserfahrung. Die grosse Streuung des Alters bei der ersten Selbstbefriedigung und der Kohabitarche zeigt, dass wir Alter und biologische Entwicklung unserer Patientinnen nicht als Hinweise auf sexuelles Interesse deuten können. Wir können jedoch einfach danach fragen. Mit einer Gesprächseinladung wie «Hast du Fragen zum Thema Sex?» signalisieren wir unabhängig vom Konsultationsgrund, dass in unserer Praxis hierüber gesprochen werden darf. Meiner Ansicht nach gehört diese Frage schon zur Betreuung 12-Jähriger. Das Mädchen kann mit einem einfachen «Nein» das Thema beenden. Oder es entwickelt sich daraus eine Beratungssituation, oder man gibt einen Hinweis auf die Onlineplattform www.lilli.ch. Nur schon der Tipp, dass Spass am Sex mit etwas Übung lernbar ist, gibt die Erlaubnis zur Selbstexploration und öffnet neue Möglichkeiten.
Auch wichtig: Dyspareunie
Neben dem Gespräch über Sexualität haben wir eine weitere präventive und therapeutische Aufgabe, wie Untersuchungen in Skandinavien und den USA zeigen: Rund ein Drittel (!) der sexuell aktiven Mädchen leidet an chronischer Dyspareunie, also an Schmerzen beim oder nach dem Geschlechtsverkehr, und zwar seit über sechs Monaten. Die chronische Dyspareunie der erwachsenen Frau nimmt ihren Anfang oft in der Jugendzeit. Gehäuft tritt sie auf, wenn der erste Koitus vor dem 16. Lebensjahr stattfand, wenn dieser schmerzhaft war, wenn die ersten Tamponeinlagen schmerzten, und eventuell auch bei längerer Pilleneinnahme. Als direkte Ursachen werden erhöhte Beckenbodenspannung und mangelnde sexuelle Erregung und Lubrikation diskutiert. Dass die Schmerzen dem Partner verschwiegen werden und immer wieder Koitus stattfindet, wurzelt in Wünschen, die «perfekte Freundin» zu sein, in Angst vor Partnerverlust und in der Haltung «Schmerzen gehören zum Sex und zum Frausein». Nur ein Drittel der Betroffenen sucht aktiv Hilfe – Zweifel an der Therapierbarkeit, an der Arztkompetenz und die Scham darüber, das Thema selbst anzusprechen, halten die anderen davon ab. Dabei wünschen sich die Jugendlichen, von den Ärzten darauf angesprochen zu werden.
Schmerzen beim ersten Koitus sind entgegen einem verbreiteten Mythos meist nicht durch das Hymen, sondern durch eine hohe Beckenbodenspannung bedingt. Diese kann konstitutionell vorbestehen (oft bei sehr tonischen Frauen, z.B. Spitzensportlerinnen), sie kann als vaginistischer Abwehrreflex im Rahmen diverser Ängste auftreten oder sie kann als Teil eines erlernten Stimulationsmusters die sexuelle Erregung begleiten. Ein hoher Beckenbodentonus hat nicht nur eine Einengung des Vaginalraums zur Folge, sondern auch die Verminderung der vaginalen Vasokongestion und damit der vaginalen Lubrikation. Dies führt dazu, dass die Penetration unangenehm wird und bisweilen sogar Mikroverletzungen des Vaginalepithels verursacht, die ihrerseits rezidivierende Pilzinfekte und Harnwegsinfekte begünstigen. Solche negativen Erfahrungen lösen wieder Ängste aus und verstärken damit den Angst-Anspannung-Schmerz-Teufelskreis. Aus einer unkonditionierten vaginistischen Reaktion wird so ein konditioniertes chronisches Schmerzsyndrom. Gehäuft finden sich bei Beckenbodendysfunktion weitere Syndrome wie Reizdarm, Rückenbeschwerden, interstitielle Zystitis. Auch ca. 50% der Jugendlichen, die eine provozierte Vestibulodynie entwickeln, haben vorgängig einen habituell oder bei der Penetration erhöhten Beckenbodentonus. Daher sollte der Beckenboden bei jugendgynäkologischen Konsultationen im Auge behalten werden. Zeigt sich bei einer allfälligen Untersuchung ein erhöhter Ruhetonus, der kaum oder gar nicht entspannt werden kann, oder können Druckschmerzen am Levator ausgelöst werden, sollte nach Schmerzen beim Sex aktiv gefragt werden. Besteht eine Dyspareunie trotz normalem Untersuchungsbefund, kann ein sexueller Erregungsmodus mit hoher Anspannung die Ursache sein: «Hast du schon beobachtet, dass dein Körper stillhält und sich fest anspannt bei sexueller Erregung?», «Magst du gern sehr kräftige sexuelle Stimulation?». Es ist vielen Mädchen und Frauen gar nicht bewusst, dass die Heftigkeit der genitalen Berührungen und die Muskelanspannung, die sie benötigen, um einen Orgasmus zu erreichen, für die Haut der Vulva und Vagina eine starke Belastung darstellen können. Derlei Erregungsgewohnheiten können mit Übung erweitert und «genitalfreundlicher» gestaltet werden. Ebenfalls ist das Erlernen der bewussten Ansteuerung und Entspannung des Beckenbodens bei Dyspareunie zentral.
Beratung zum ersten Mal
Ängste als Auslöser eines Beckenbodenhypertonus können gemindert werden, wenn die eigene Scheide vertraut ist. Lernprozesse fördern das Bewusstsein für den Beckenboden und die Fähigkeit, ihn anzusteuern und zu entspannen, auch bei sexueller Erregung. Die Jugendliche kann mit ihren Fingern den Eingang der Scheide abtasten, eine allfällig enge Hymenalöffnung sanft dehnen, den Innenraum erkunden und an Berührungen gewöhnen. Das vereinfacht auch die Tamponeinlage. Es ist sinnvoll, diese Explorationen häufig zu wiederholen. Dazu kann sie die Beckenbodenmuskulatur bewegen – der Fokus liegt hier genauso auf der Ent- wie auf der Anspannung und für die bewusste Steuerung ist es wichtig, dies langsam durchzuführen. Bewegungen des Beckenbodens und des Beckens sollen auch während der sexuellen Stimulation (z.B. bei der Selbstbefriedigung) eingeübt werden, um Anspannungsgewohnheiten entgegen zu wirken.
Sexualberatung
Neben der Anleitung zu den oben aufgeführten körperlichen Lernschritten spielt die kognitive Umstrukturierung in der Praxis eine wesentliche Rolle. Mit Mythen wie «Das erste Mal tut weh», «Sexualität ist natürlich», «Schmerzen beim Sex sind normal», «Für meine Erregung ist der andere verantwortlich» muss aufgeräumt werden. Die Jugendliche braucht unbedingt die Ermutigung, wenn nicht gar das Gebot, schmerzhaften Sex zu unterlassen, um die Negativspirale zu unterbrechen. Das tägliche achtsame Einstreichen von pflegenden oder therapeutischen Vaginalcremes unter Vermeidung jeglichen Schmerzes hilft ihr, eine positive und bewusste Beziehung zu ihrem Genitale aufzubauen. In der gynäkologischen Untersuchung kann sie mit dem Handspiegel visuell Kontakt mit ihrem vaginalen Innenraum aufnehmen und rückgemeldet bekommen, dass ihr Geschlecht normal, gesund und schön ist. Längerfristig können vaginale Selbstmassagen ferner helfen, über neue Synapsen im somatosensorischen Cortex die Sensibilität und Erregbarkeit der Vagina zu steigern. Die Fähigkeit zur schmerzfreien, lustvollen Sexualität ist nicht natürlich oder angeboren, sondern benötigt kognitive, emotionale und vor allem auch körperliche Lernschritte. Dadurch kann die Jugendliche lernen, was ihr gefällt, und ihre Erregungsgewohnheiten mit der Zeit ausbauen, sodass sie partnerkompatibel werden. Sich «genital kompetent» zu fühlen hilft ihr, sich gegenüber Partnern und Partnerinnen mit ihren Bedürfnissen zu positionieren und sich besser abzugrenzen. Damit kann die junge Frau für ihr genitales Wohlbefinden und ihre sexuelle Erregung selbst die Verantwortung übernehmen.
Autorin:
Dr. med. Karoline Bischof
Zürcher Institut für klinische Sexologie & Sexualtherapie, ZISS, Zürich
E-Mail: karoline.bischof@ziss.ch
Literatur:
bei der Verfasserin
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