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Jodversorgung von Schwangeren in der Schweiz
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Autor:
Dr. med. Katharina Quack Lötscher, MPH
Klinik für Geburtshilfe<br> Universitätsspital Zürich<br> E-Mail: katharina.quackloetscher@usz.ch
30
Min. Lesezeit
22.03.2018
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<p class="article-intro">Bis vor 100 Jahren waren Kröpfe und Kretins in den Bergregionen noch so häufig, dass sie zum Alltagsbild gehörten. Ende des 19. Jahrhunderts waren 8−11 % der Rekruten der Schweizer Armee wegen eines grossen Kropfs dienstuntauglich.<sup>1</sup> Nachdem Dr. Bayard um 1920 in Zermatt mit einer kleinen Supplementierungsstudie mit Jod im Kochsalz zeigen konnte, dass die Kröpfe zurückgingen, startete im Jahre 1922 der Chefchirurg des Spitals Herisau, Dr. Eggenberger, eine Unterschriftensammlung mit dem Ziel der universellen Supplementierung von Jod im Kochsalz. Mit 3480 Unterschriften entschied die Kantonalregierung damals innerhalb einer Woche, das Supplementationsprogramm mit einer Studie zu testen. Innerhalb eines Jahres sank die Kropfprävalenz bei Schulkindern um 66 % .</p>
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<p class="article-content"><p>Während der Kropf als äusseres Merkmal erst im Verlauf des Lebens auftritt, führt der Jodmangel während der Schwangerschaft beim Kind zu einer Wachstumsretardierung und zu einer Beeinträchtigung der Gehirnentwicklung.<sup>2</sup> Betroffen sind die Myelinisierung der Neuronen beim Feten sowie die neuronale Migration. Ein Jodmangel führt zudem zu einem erniedrigten Plazentagewicht wie auch zu einem kleineren Kopfumfang. Studien haben gezeigt, dass Jodmangel mit kognitiven Störungen assoziiert sein kann.<sup>3, 4</sup><br /> Der Jodmetabolismus wird über den Hypothalamus mit der Ausscheidung von «thyroxine-releasing hormone» (TRH) und über die Adenohypophyse mit dem «thyroid- stimulating hormone» (TSH) reguliert. Die Schilddrüse produziert Triiodthyronin (T3) und Thyroxin (T4) und setzt beides frei, wobei Thyroxin den weitaus grösseren Anteil davon ausmacht (ca. 90–95 % ). T3 und T4 bestehen aus der Aminosäure Thyronin, deren aromatischer Ring an drei oder vier Positionen jodiert ist.<br /> Im Blut sind die Schilddrüsenhormone an Transportproteine gebunden, hauptsächlich an «thyroxine-binding globulin» (TBG) und bei Bedarf werden die Hormone an der gewünschten Stelle freigesetzt. T3 und T4 haben eine regulatorische Wirkung auf die Ausschüttung von TRH und TSH.<br /> Während der Schwangerschaft stimulieren verschiedene Hormone die Produktion von T3 und T4 durch drei verschiedene Mechanismen:<sup>5</sup> Erstens erhöht Östrogen das TBP, sodass die Menge der freien Hormone im Blut sinkt. Dies hat zur Folge, dass das TSH ansteigt und so eine Stimulation der Schilddrüse erfolgt. Zweitens hat das humane Choriongonadotropin (hCG) selbst eine stimulierende Wirkung auf die Schilddrüse und drittens metabolisiert die Plazenta zusätzlich Hormone, sodass peripher eine absinkende Konzentration resultiert. Durch die Stimulation entsteht auch ein erhöhter Jodbedarf, der durch Jodspeicher und erhöhte Einnahme gedeckt werden kann. Zusätzlich steigt der Jodbedarf, weil wegen der erhöhten Clearance in der Niere mehr Jod ausgeschieden wird und der Fetus auch Jod dem mütterlichen Blut entzieht.</p> <h2>Jodversorgung über Lebensmittel</h2> <p>In der Schweiz wird Schwangeren und Stillenden empfohlen, 250μg Jod pro Tag einzunehmen.<sup>6</sup> Die Versorgung der Schweizer Bevölkerung mit Jod erfolgt durch die Kochsalzjodierung. Das in der Schweiz hergestellte Kochsalz enthält aktuell 25mg Jod pro 1kg Kochsalz (es wird auch ein nicht jodiertes Kochsalz angeboten, allerdings nur in kleinen Mengen). Ein Viertel des Jodbedarfs wird über das beim Kochen zugefügte Kochsalz gedeckt und 75 % werden über bereits verarbeitete Lebensmittel eingenommen. So enthält z.B. Brot bereits jodiertes Kochsalz.<br /> Ob die Schweizer Bevölkerung ausreichend mit Jod versorgt ist, wird alle fünf Jahre in einer national repräsentativen Studie erhoben. Es werden Blut- und Urinproben sowie Fragebogen bei Schulkindern und schwangeren Frauen gesammelt, da diese als vulnerabelste Bevölkerungsgruppen gelten. Die Jodausscheidung im Urin unterliegt täglichen Schwankungen und lässt sich darum nur als Populationsmass verwenden und nicht als diagnostisches Mittel für einen Jodmangel. Jodmessungen im Blut gelten als zu unzuverlässig für die Diagnostik. Eine mittlere Jodkonzentration im Urin (mUIC) von 150μg/l gilt als ausreichend für eine schwangere Population.</p> <h2>Leichte Unterversorgung bei Frauen im reproduktionsfähigen Alter</h2> <p>Die neuste nationale Studie von Andersson et al. zeigt einen UIC von 140μg/l (IQR 65−313μg/l), demnach einen leichten Jodmangel bei dieser Bevölkerungsgruppe.<sup>7</sup> Es wurden keine Unterschiede je nach Schwangerschaftstrimenon gefunden. Insgesamt haben 83 % der Schwangeren angegeben, dass sie jodiertes Kochsalz zu Hause verwenden. Im Vergleich zu den letzten Jahren ist ein leichter Rückgang der UIC zu verzeichnen. Bei der letzten Erhebung 2009 lag der Wert noch bei 163μg/l und im Jahr 2004 sogar bei 249μg/l.<sup>8, 9</sup> Aufgrund des Absinkens des Wertes zwischen 2004 und 2009 wurde die Jodkonzentration im Kochsalz im Jahr 2014 von 20mg Jod/kg Kochsalz auf 25mg Jod/kg Kochsalz angehoben. Ein erneuter Rückgang in der UIC ist demnach ein überraschendes Resultat.<br /> Bei dieser nationalen Studie wurden auch Schilddrüsenhormone gemessen und hier zeigte sich bei den Frauen eine euthyreote Stoffwechsellage. Dies bedeutet, dass mit einer Messung der Schilddrüsenhormone eine beginnende Unterversorgung mit Jod nicht aufgedeckt wurde.<br /> Es wurden in dieser nationalen Studie auch 345 Frauen im reproduktionsfähigen Alter untersucht, die nicht schwanger waren. Bei dieser Gruppe zeigte sich ebenfalls ein zu tiefer UIC-Wert mit 88μg/l (Norm: 100μg/l). Aus diesen beiden Studienresultaten lässt sich ableiten, dass in der Schweiz viele Frauen im reproduktionsfähigen Alter, und somit auch Schwangere, leicht unterversorgt sind mit Jod.</p> <h2>Keine kognitiven Unterschiede bei Kindern festgestellt</h2> <p>Welche Konsequenzen hat das für das Kind? Die Gruppe um Prof. Michael Zimmermann an der ETH Zürich hat in zwei grossen Interventionsstudien untersucht, welchen Einfluss die Jodsupplementation auf verschiedene kognitive Outcomes beim Kind hat, wenn die Mutter eine leichte Jodunterversorgung hat. In einer randomisierten Doppelblindstudie erhielten 832 schwangere Frauen entweder 200μg Jod oder Placebo. Bei den Kindern der 330 Frauen, die die Studie komplett absolviert hatten, konnten nach 5–6 Jahren keine kognitiven Unterschiede festgestellt werden.<sup>10</sup> Somit stellt sich die Frage, ob der Wert von 150μg/l UIC als richtige Grundlage für die Festlegung eines Jodmangels bei Schwangeren herangezogen werden kann.</p> <h2>Empfehlungen für die Praxis</h2> <p>Für die Praxis empfiehlt es sich, die Schwangere zur Verwendung von jodiertem Kochsalz zu ermuntern. Wenn kein jodiertes Kochsalz verwendet wird, kann ein Multivitamin mit Jod angeboten werden.<sup>6</sup> Eine alleinige Supplementation mit einer Jodtablette von 150μg, wie es in Deutschland empfohlen wird, kann derzeit in der Schweiz nicht angeboten werden, weil das entsprechende Präparat fehlt. Bei der Abklärung in der Schwangerschaft lohnen sich eine genaue Anamnese und Status der Schilddrüse. Ein generelles Screening für TSH bei allen Schwangeren wird derzeit diskutiert.11 Als normwertig wird ein TSH-Level im ersten Trimenon von 0,1–2,5mU/l und ab dem zweiten Trimenon bis 3,0mU/l angesehen.<sup>12</sup> Bei einer Hypothyreose sollte Rücksprache mit einem Endokrinologen oder einer Endokrinologin genommen werden, da zusätzliche Untersuchungen wie fT4 und TPO(Thyreoperoxidase)- Antikörper durchgeführt werden sollten. Für die Substitution mit Levothyroxin (T4) stehen verschiedene Medikamente zur Verfügung.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Hunziker H: Vom Kropf in der Schweiz. Corresp Blatt Schweiz Aerzte 1918; 48: 220-35 <strong>2</strong> Glinoer D: The importance of iodine nutrition during pregnancy. Public Health Nutr 2007; 10(12A): 1542-6 <strong>3</strong> Haddow JE et al.: Maternal thyroid deficiency during pregnancy and subsequent neuropsychological development of the child. N Engl J Med 1999; 341(8): 549-55 <strong>4</strong> Vermiglio F et al.: Attention deficit and hyperactivity disorders in the offspring of mothers exposed to mild-moderate iodine deficiency: a possible novel iodine deficiency disorder in developed countries. J Clin Endocrinol Metab 2004; 89(12): 6054-60 <strong>5</strong> Glinoer D: The regulation of thyroid function in pregnancy: pathways of endocrine adaptation from physiology to pathology. Endocr Rev 1997; 18(3): 404-33 <strong>6</strong> Eidgenössische Ernährungskommission: Iodine supply in Switzerland: current status and recommendations. 2013, Bundesamt für Gesundheit: Zürich <strong>7</strong> Andersson M et al.: Mild iodine deficiency in Swiss pregnant women: a cross sectional national study. Präsentiert am SGGG-Kongress, Lausanne, 2017 <strong>8</strong> Andersson M et al. The Swiss iodized salt program provides adequate iodine for school children and pregnant women, but weaning infants not receiving iodine-containing complementary foods as well as their mothers are iodine deficient. J Clin Endocrinol Metab 2010; 95(12): 5217-24 <strong>9</strong> Zimmermann MB et al.: Increasing the iodine concentration in the Swiss iodized salt program markedly improved iodine status in pregnant women and children: a 5-y prospective national study. Am J Clin Nutr 2005; 82(2): 388-92 <strong>10</strong> Gowachirapant S et al.: Effect of iodine supplementation in pregnant women on child neurodevelopment: a randomised, double-blind, placebocontrolled trial. Lancet Diabetes Endocrinol 2017; 5(11): 853-863 <strong>11</strong> Alexander EK et al. 2017 Guidelines of the American Thyroid Association for the diagnosis and management of thyroid disease during pregnancy and the postpartum. Thyroid 2017; 27(3): 315-389 <strong>12</strong> De Groot L et al. Management of thyroid dysfunction during pregnancy and postpartum: an Endocrine Society clinical practice guideline. J Clin Endocrinol Metab 2012; 97(8): 2543-65</p>
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