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Jodversorgung von Schwangeren in der Schweiz

<p class="article-intro">Bis vor 100 Jahren waren Kröpfe und Kretins in den Bergregionen noch so häufig, dass sie zum Alltagsbild gehörten. Ende des 19. Jahrhunderts waren 8−11 % der Rekruten der Schweizer Armee wegen eines grossen Kropfs dienstuntauglich.<sup>1</sup> Nachdem Dr. Bayard um 1920 in Zermatt mit einer kleinen Supplementierungsstudie mit Jod im Kochsalz zeigen konnte, dass die Kröpfe zurückgingen, startete im Jahre 1922 der Chefchirurg des Spitals Herisau, Dr. Eggenberger, eine Unterschriftensammlung mit dem Ziel der universellen Supplementierung von Jod im Kochsalz. Mit 3480 Unterschriften entschied die Kantonalregierung damals innerhalb einer Woche, das Supplementationsprogramm mit einer Studie zu testen. Innerhalb eines Jahres sank die Kropfprävalenz bei Schulkindern um 66 % .</p> <hr /> <p class="article-content"><p>W&auml;hrend der Kropf als &auml;usseres Merkmal erst im Verlauf des Lebens auftritt, f&uuml;hrt der Jodmangel w&auml;hrend der Schwangerschaft beim Kind zu einer Wachstumsretardierung und zu einer Beeintr&auml;chtigung der Gehirnentwicklung.<sup>2</sup> Betroffen sind die Myelinisierung der Neuronen beim Feten sowie die neuronale Migration. Ein Jodmangel f&uuml;hrt zudem zu einem erniedrigten Plazentagewicht wie auch zu einem kleineren Kopfumfang. Studien haben gezeigt, dass Jodmangel mit kognitiven St&ouml;rungen assoziiert sein kann.<sup>3, 4</sup><br /> Der Jodmetabolismus wird &uuml;ber den Hypothalamus mit der Ausscheidung von &laquo;thyroxine-releasing hormone&raquo; (TRH) und &uuml;ber die Adenohypophyse mit dem &laquo;thyroid- stimulating hormone&raquo; (TSH) reguliert. Die Schilddr&uuml;se produziert Triiodthyronin (T3) und Thyroxin (T4) und setzt beides frei, wobei Thyroxin den weitaus gr&ouml;sseren Anteil davon ausmacht (ca. 90&ndash;95 % ). T3 und T4 bestehen aus der Aminos&auml;ure Thyronin, deren aromatischer Ring an drei oder vier Positionen jodiert ist.<br /> Im Blut sind die Schilddr&uuml;senhormone an Transportproteine gebunden, haupts&auml;chlich an &laquo;thyroxine-binding globulin&raquo; (TBG) und bei Bedarf werden die Hormone an der gew&uuml;nschten Stelle freigesetzt. T3 und T4 haben eine regulatorische Wirkung auf die Aussch&uuml;ttung von TRH und TSH.<br /> W&auml;hrend der Schwangerschaft stimulieren verschiedene Hormone die Produktion von T3 und T4 durch drei verschiedene Mechanismen:<sup>5</sup> Erstens erh&ouml;ht &Ouml;strogen das TBP, sodass die Menge der freien Hormone im Blut sinkt. Dies hat zur Folge, dass das TSH ansteigt und so eine Stimulation der Schilddr&uuml;se erfolgt. Zweitens hat das humane Choriongonadotropin (hCG) selbst eine stimulierende Wirkung auf die Schilddr&uuml;se und drittens metabolisiert die Plazenta zus&auml;tzlich Hormone, sodass peripher eine absinkende Konzentration resultiert. Durch die Stimulation entsteht auch ein erh&ouml;hter Jodbedarf, der durch Jodspeicher und erh&ouml;hte Einnahme gedeckt werden kann. Zus&auml;tzlich steigt der Jodbedarf, weil wegen der erh&ouml;hten Clearance in der Niere mehr Jod ausgeschieden wird und der Fetus auch Jod dem m&uuml;tterlichen Blut entzieht.</p> <h2>Jodversorgung &uuml;ber Lebensmittel</h2> <p>In der Schweiz wird Schwangeren und Stillenden empfohlen, 250&mu;g Jod pro Tag einzunehmen.<sup>6</sup> Die Versorgung der Schweizer Bev&ouml;lkerung mit Jod erfolgt durch die Kochsalzjodierung. Das in der Schweiz hergestellte Kochsalz enth&auml;lt aktuell 25mg Jod pro 1kg Kochsalz (es wird auch ein nicht jodiertes Kochsalz angeboten, allerdings nur in kleinen Mengen). Ein Viertel des Jodbedarfs wird &uuml;ber das beim Kochen zugef&uuml;gte Kochsalz gedeckt und 75 % werden &uuml;ber bereits verarbeitete Lebensmittel eingenommen. So enth&auml;lt z.B. Brot bereits jodiertes Kochsalz.<br /> Ob die Schweizer Bev&ouml;lkerung ausreichend mit Jod versorgt ist, wird alle f&uuml;nf Jahre in einer national repr&auml;sentativen Studie erhoben. Es werden Blut- und Urinproben sowie Fragebogen bei Schulkindern und schwangeren Frauen gesammelt, da diese als vulnerabelste Bev&ouml;lkerungsgruppen gelten. Die Jodausscheidung im Urin unterliegt t&auml;glichen Schwankungen und l&auml;sst sich darum nur als Populationsmass verwenden und nicht als diagnostisches Mittel f&uuml;r einen Jodmangel. Jodmessungen im Blut gelten als zu unzuverl&auml;ssig f&uuml;r die Diagnostik. Eine mittlere Jodkonzentration im Urin (mUIC) von 150&mu;g/l gilt als ausreichend f&uuml;r eine schwangere Population.</p> <h2>Leichte Unterversorgung bei Frauen im reproduktionsf&auml;higen Alter</h2> <p>Die neuste nationale Studie von Andersson et al. zeigt einen UIC von 140&mu;g/l (IQR 65&minus;313&mu;g/l), demnach einen leichten Jodmangel bei dieser Bev&ouml;lkerungsgruppe.<sup>7</sup> Es wurden keine Unterschiede je nach Schwangerschaftstrimenon gefunden. Insgesamt haben 83 % der Schwangeren angegeben, dass sie jodiertes Kochsalz zu Hause verwenden. Im Vergleich zu den letzten Jahren ist ein leichter R&uuml;ckgang der UIC zu verzeichnen. Bei der letzten Erhebung 2009 lag der Wert noch bei 163&mu;g/l und im Jahr 2004 sogar bei 249&mu;g/l.<sup>8, 9</sup> Aufgrund des Absinkens des Wertes zwischen 2004 und 2009 wurde die Jodkonzentration im Kochsalz im Jahr 2014 von 20mg Jod/kg Kochsalz auf 25mg Jod/kg Kochsalz angehoben. Ein erneuter R&uuml;ckgang in der UIC ist demnach ein &uuml;berraschendes Resultat.<br /> Bei dieser nationalen Studie wurden auch Schilddr&uuml;senhormone gemessen und hier zeigte sich bei den Frauen eine euthyreote Stoffwechsellage. Dies bedeutet, dass mit einer Messung der Schilddr&uuml;senhormone eine beginnende Unterversorgung mit Jod nicht aufgedeckt wurde.<br /> Es wurden in dieser nationalen Studie auch 345 Frauen im reproduktionsf&auml;higen Alter untersucht, die nicht schwanger waren. Bei dieser Gruppe zeigte sich ebenfalls ein zu tiefer UIC-Wert mit 88&mu;g/l (Norm: 100&mu;g/l). Aus diesen beiden Studienresultaten l&auml;sst sich ableiten, dass in der Schweiz viele Frauen im reproduktionsf&auml;higen Alter, und somit auch Schwangere, leicht unterversorgt sind mit Jod.</p> <h2>Keine kognitiven Unterschiede bei Kindern festgestellt</h2> <p>Welche Konsequenzen hat das f&uuml;r das Kind? Die Gruppe um Prof. Michael Zimmermann an der ETH Z&uuml;rich hat in zwei grossen Interventionsstudien untersucht, welchen Einfluss die Jodsupplementation auf verschiedene kognitive Outcomes beim Kind hat, wenn die Mutter eine leichte Jodunterversorgung hat. In einer randomisierten Doppelblindstudie erhielten 832 schwangere Frauen entweder 200&mu;g Jod oder Placebo. Bei den Kindern der 330 Frauen, die die Studie komplett absolviert hatten, konnten nach 5&ndash;6 Jahren keine kognitiven Unterschiede festgestellt werden.<sup>10</sup> Somit stellt sich die Frage, ob der Wert von 150&mu;g/l UIC als richtige Grundlage f&uuml;r die Festlegung eines Jodmangels bei Schwangeren herangezogen werden kann.</p> <h2>Empfehlungen f&uuml;r die Praxis</h2> <p>F&uuml;r die Praxis empfiehlt es sich, die Schwangere zur Verwendung von jodiertem Kochsalz zu ermuntern. Wenn kein jodiertes Kochsalz verwendet wird, kann ein Multivitamin mit Jod angeboten werden.<sup>6</sup> Eine alleinige Supplementation mit einer Jodtablette von 150&mu;g, wie es in Deutschland empfohlen wird, kann derzeit in der Schweiz nicht angeboten werden, weil das entsprechende Pr&auml;parat fehlt. Bei der Abkl&auml;rung in der Schwangerschaft lohnen sich eine genaue Anamnese und Status der Schilddr&uuml;se. Ein generelles Screening f&uuml;r TSH bei allen Schwangeren wird derzeit diskutiert.11 Als normwertig wird ein TSH-Level im ersten Trimenon von 0,1&ndash;2,5mU/l und ab dem zweiten Trimenon bis 3,0mU/l angesehen.<sup>12</sup> Bei einer Hypothyreose sollte R&uuml;cksprache mit einem Endokrinologen oder einer Endokrinologin genommen werden, da zus&auml;tzliche Untersuchungen wie fT4 und TPO(Thyreoperoxidase)- Antik&ouml;rper durchgef&uuml;hrt werden sollten. F&uuml;r die Substitution mit Levothyroxin (T4) stehen verschiedene Medikamente zur Verf&uuml;gung.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Hunziker H: Vom Kropf in der Schweiz. Corresp Blatt Schweiz Aerzte 1918; 48: 220-35 <strong>2</strong> Glinoer D: The importance of iodine nutrition during pregnancy. Public Health Nutr 2007; 10(12A): 1542-6 <strong>3</strong> Haddow JE et al.: Maternal thyroid deficiency during pregnancy and subsequent neuropsychological development of the child. N Engl J Med 1999; 341(8): 549-55 <strong>4</strong> Vermiglio F et al.: Attention deficit and hyperactivity disorders in the offspring of mothers exposed to mild-moderate iodine deficiency: a possible novel iodine deficiency disorder in developed countries. J Clin Endocrinol Metab 2004; 89(12): 6054-60 <strong>5</strong> Glinoer D: The regulation of thyroid function in pregnancy: pathways of endocrine adaptation from physiology to pathology. Endocr Rev 1997; 18(3): 404-33 <strong>6</strong> Eidgen&ouml;ssische Ern&auml;hrungskommission: Iodine supply in Switzerland: current status and recommendations. 2013, Bundesamt f&uuml;r Gesundheit: Z&uuml;rich <strong>7</strong> Andersson M et al.: Mild iodine deficiency in Swiss pregnant women: a cross sectional national study. Pr&auml;sentiert am SGGG-Kongress, Lausanne, 2017 <strong>8</strong> Andersson M et al. The Swiss iodized salt program provides adequate iodine for school children and pregnant women, but weaning infants not receiving iodine-containing complementary foods as well as their mothers are iodine deficient. J Clin Endocrinol Metab 2010; 95(12): 5217-24 <strong>9</strong> Zimmermann MB et al.: Increasing the iodine concentration in the Swiss iodized salt program markedly improved iodine status in pregnant women and children: a 5-y prospective national study. Am J Clin Nutr 2005; 82(2): 388-92 <strong>10</strong> Gowachirapant S et al.: Effect of iodine supplementation in pregnant women on child neurodevelopment: a randomised, double-blind, placebocontrolled trial. Lancet Diabetes Endocrinol 2017; 5(11): 853-863 <strong>11</strong> Alexander EK et al. 2017 Guidelines of the American Thyroid Association for the diagnosis and management of thyroid disease during pregnancy and the postpartum. Thyroid 2017; 27(3): 315-389 <strong>12</strong> De Groot L et al. Management of thyroid dysfunction during pregnancy and postpartum: an Endocrine Society clinical practice guideline. J Clin Endocrinol Metab 2012; 97(8): 2543-65</p> </div> </p>
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