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Infekte bei Schwangeren gezielt behandeln
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30.11.2017
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<p class="article-intro">Vaginale Infektionen in der Schwangerschaft sind nicht nur unangenehm, sondern auch gefährlich: Sie erhöhen das Risiko für Frühgeburten und Spätaborte und können Langzeitschäden beim Kind verursachen. Wie man die Infektionen korrekt behandelt und damit Komplikationen vermeidet, erklärte Prof. Dr. med. Daniel Surbek kürzlich in einem prägnanten Überblick auf dem Kongress der Schweizer Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG).</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Vaginale Infektionen sind mit Komplikationen in der Schwangerschaft wie Frühgeburten, Spätaborten und Chorioamnionitis verbunden.</li> <li>Screening und korrekte Therapie der vaginalen Infektionen reduzieren das Risiko für Frühgeburten und Spätaborte.</li> <li>Behandelt werden muss mit Breitspektrum-Antibiotika oder lokalen Antiinfektiva, jedoch nicht mit Metronidazol.</li> <li>Die Plazenta ist in einer normalen Schwangerschaft nicht steril und beherbergt kommensale Keime.</li> <li>Die These, dass der Geburtsmodus das Mikrobiom des Kindes und sein Immunsystem beeinflussen soll, ist widerlegt.</li> <li>Das mütterliche Mikrobiom formt das kindliche Immunsystem langfristig, und zwar durch mikrobielle Stoffwechselprodukte, die durch die Plazenta zum Fetus gelangen.</li> </ul> </div> <p>Die häufigste vaginale Infektion in der Schwangerschaft ist mit 30–40 % die bakterielle Vaginose, gefolgt von der vulvovaginalen Candidosis mit 20–30 % . Etwa 5–10 % der Infektionen werden durch Trichomonaden verursacht, der Rest durch aerobe Erreger oder es sind gemischte Infektionen. Gekennzeichnet sind diese Infektionen durch eine Abnahme der Laktobazillen und eine Zunahme «abnormer» Keime wie Gardnerella, Mykoplasmen, Prevotella oder Atopobium. «Beunruhigen sollte uns so eine Infektion bei einer Schwangeren deshalb, weil sie das Risiko für Schwangerschaftskomplikationen erhöht», erklärte Surbek. Denn es gibt einen klaren Zusammenhang mit Frühgeburten oder Spätaborten, Chorioamnionitis, postpartaler Endomyometritis und Wundinfektionen nach Sectio.<sup>1</sup> Das relative Risiko für eine Frühgeburt ist um das Zwei- bis Vierfache erhöht, wenn die Schwangere eine bakterielle Vaginose hat.<sup>2</sup><br /> Ursache für das erhöhte Risiko sind proinflammatorische Zytokine wie Interleukin 1-beta, Interleukin 6 oder Tumor- Nekrose-Faktor alpha, die die Bakterien produzieren. «Es kommt zu einer Entzündungsreaktion in der Gebärmutter, die den Frühgeburtsmechanismus einläutet», sagte Surbek. Es gibt aber noch ein zweites Problem: «Die Inflammation wirkt sich auch auf das Kind aus und es kann zu langfristigen Schäden an dessen Herz, Hirn oder Lunge kommen.»</p> <h2>Infekte bei Schwangeren müssen beunruhigen</h2> <p>Bei der aeroben Vaginitis besteht ein Übergewicht an aeroben Bakterien wie E. coli, Enterokokken, Klebsiellen oder Staphylokokken- Spezies. Jegliche Form einer abnormen Vaginalflora erhöht das Risiko für eine Frühgeburt, wie Forscher aus Belgien belegten.<sup>3</sup> Das Fehlen von Laktobazillen, wie es bei der bakteriellen Vaginose auftritt, war mit einem 2,4-fach erhöhten Risiko für eine Frühgeburt assoziiert und mit einem knapp 5-fach erhöhten Risiko für Fehlgeburten; bei einer aeroben Vaginitis war das Risiko sogar noch höher. «Es gibt verschiedene Infekte bei Schwangeren, die uns beunruhigen müssen – nicht nur die bekannte bakterielle Vaginose», so Surbek.<br /> Dass man mit einer Antibiotikatherapie das Risiko für eine Früh- oder Fehlgeburt bei bakterieller Vaginose senken kann, haben Studien gezeigt. «Die Studien sind aber sehr heterogen, und es werden zudem unterschiedliche Antibiotika verwendet», sagte Surbek. So zeigte eine Behandlung mit Metronidazol und Erythromycin bei Hochrisikoschwangeren Erfolg, während eine alleinige Metronidazol-Behandlung bei Frauen mit geringem Risiko in einer randomisierten klinischen Studie keinen Effekt hatte.<sup>4, 5</sup> Eine frühe Behandlung mit Clindamycin reduzierte hingegen wiederum das Risiko.<sup>6</sup> «Diese Unterschiede sind frappant», sagte der Gynäkologe, «und vor allem ist wichtig, dass eine alleinige Behandlung mit Metronidazol das Risiko für eine Frühgeburt erhöhte.» Das liege daran, dass eine Vaginitis oft nicht nur durch Anaerobier verursacht werde, sondern durch eine Mischflora mit Aerobiern. «Diese Keime erwischt man mit Metronidazol nicht. Deshalb ist eine Breitspektrum-Antibiose so wichtig.» Hierfür eignet sich Clindamycin oder ein lokales Antiinfektivum. Wenn man die aerobe Vaginitis mitberücksichtigt und breiter therapiert, kann man gemäss einer Cochrane-Metaanalyse das Risiko für eine Frühgeburt um bis zu 47 % senken, wobei eine frühe Diagnose und Therapie notwendig sind.<sup>7</sup> «Bei der ersten Visite sollte man nicht nur auf eine bakterielle Vaginose screenen, sondern auch auf eine aerobe Vaginitis und dann dementsprechend therapieren », so der Praxistipp von Surbek.</p> <h2>Mikrobiom der Mutter formt Immunsystem des Kindes</h2> <p>Im zweiten Teil seines Vortrages gab der Gynäkologe einen Überblick über das Mikrobiom in der Plazenta und welche Rolle es für das Immunsystem des Neugeborenen spielt. Viel geforscht hat hierzu die Gynäkologin Prof. Kjersti Aagaard vom Baylor College of Medicine in Houston. Sie wies nach, dass die Plazenta nicht steril ist, wie lange Zeit vermutet wurde, sondern eine Vielfalt an Bakterien enthält. Anhand von 320 Placentae stellte Aagaards Team fest, dass das Mikrobiom in der Plazenta dem oralen Mikrobiom ähnelt und nicht dem der Vagina, was man eigentlich vermuten könnte.<sup>8</sup> «Nach dieser Studie wussten wir, dass die Plazenta ein metabolisch reiches Mikrobiom enthält, das zu einem grossen Teil aus nicht pathogenen Keimen besteht», sagte Surbek. Die Bedeutung des Mikrobioms ist noch nicht ganz klar. «Manche Forscher vermuteten, dass die Besiedelung der Keime bei der vaginalen Geburt eine wichtige Rolle für die spätere Immunabwehr des Kindes spielt», erzählte Surbek. «Einige Studien postulierten sogar, dass man das Gesicht des Kindes bei der Geburt mit Bakterien aus der Vagina der Frau einreiben soll, um sein Immunsystem zu stärken.» Diese These ist aber nun durch eine aktuelle Studie von Kjersti Aagaard und ihrem Team widerlegt.<sup>9</sup> Die Forscher verglichen das Mikrobiom des Neugeborenen bei Frauen nach Sectio und nach vaginaler Geburt. Zwar unterschied sich das Mikrobiom sofort nach der Geburt je nach Geburtsweg, doch sechs Wochen später hatte sich die Keimflora je nach Körperregion organisiert und war bei allen Kindern gleich – egal ob sie auf natürlichem Wege auf die Welt gekommen waren oder per Sectio.<br /> Wie das Mikrobiom der Mutter während der Schwangerschaft das Immunsystem des Fetus und des Kindes beeinflusst, haben Forscher aus dem Inselspital Bern kürzlich publiziert.<sup>10, 11</sup> Bakterien von der Mutter – etwa aus der Vagina und dem Darm – sondern Stoffwechselprodukte ab. Dieses sogenannte Metabolom gelangt über die Plazenta zum Fetus. Hier können die Stoffe das Immunsystem des Kindes beeinflussen. Hinzu kommen postnatale Faktoren, beispielsweise in welcher Umwelt das Kind aufwächst, ob es gestillt wird oder Antibiotika bekommt. Die Berner Forscher verabreichten einer Gruppe von trächtigen Mäusen, die in komplett steriler Umgebung aufgewachsen waren, gezielt Bakterien, während die Kontrollgruppe keine Bakterien bekam. Nach der Geburt der Mäuse entwickelten sich die Immunsysteme anders, wenn ihre Mütter Bakterien bekommen hatten. «Bestimmte Stoffwechselprodukte gelangen offenbar über die Plazenta zum Fetus und formen das Immunsystem, sodass die Immunabwehr gestärkt wird», erklärte Surbek. Bei Nachkommen von trächtigen Mäusen ohne Bakterien konnte sich das Immunsystem dagegen nicht so gut entwickeln. Sie hatten weniger Abwehrkräfte und eine Tendenz zu Autoimmunkrankheiten. «Wir wissen jetzt, wie wichtig das Mikrobiom der Mutter für die Entwicklung des Immunsystems des Kindes ist», so Surbeks Fazit. «Aber die These, dass der Geburtsmodus für das Immunsystem und dessen Funktion beim Kind entscheidend sei, ist klar widerlegt.»</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Vortrag «Vaginale Infektionen, Microbiom und Schwangerschaftskomplikationen», Jahreskongress der SGGG,
28.–30. Juni 2017, Lausanne
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Leitich H, Kiss H: Asymptomatic bacterial vaginosis and intermediate flora as risk factors for adverse pregnancy outcome. Best Pract Obstet Gynecol 2007; 21: 375-90 <strong>2</strong> Guaschino S et al.: Aetiology of preterm labour: bacterial vaginosis. BJOG 2006; 113: 46-51 <strong>3</strong> Donders GG et al.: Predictive value for preterm birth of abnormal vaginal flora, bacterial vaginosis and aerobic vaginitis during the first trimester of pregnancy. BJOG 2009; 116: 1315-24 <strong>4</strong> Hauth JC et al.: Reduced incidence of preterm delivery with metronidazole and erythromycin in women with bacterial vaginosis. N Engl J Med 1995; 333: 1732-6 <strong>5</strong> Carey JC et al.: Metronidazole to prevent preterm delivery in pregnant women with asymptomatic bacterial vaginosis. N Engl J Med 2000; 342: 534-40 <strong>6</strong> Ugwumadu A et al.: Effect of early oral clindamycin on late miscarriage and preterm delivery in asymptomatic women with abnormal vaginal flora and bacterial vaginosis: a randomised controlled trial. Lancet 2003; 361: 983-8 <strong>7</strong> Brocklehurst P et al.: Antibiotics for treating bacterial vaginosis in pregnancy. Cochrane Database Syst Rev 2013; (1): CD000262 <strong>8</strong> Aagaard K et al.: The placenta harbors a unique microbiome. Sci Transl Med 2014; 6: 237ra65 <strong>9</strong> Chu DM et al.: Maturation of the infant microbiome community structure and function across multiple body sites and in relation to mode of delivery. Nat Med 2017; 23: 314-26 <strong>10</strong> Gomez de Agüero M et al.: The maternal microbiota drives early postnatal innate immune development. Science 2016: 351: 1296-302 <strong>11</strong> Macpherson AJ et al.: How nutrition and the maternal microbiota shape the neonatal immune system. Nat Rev Immunol 2017; 17: 508-17</p>
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