© Karsten – stock.adobe.com

Verbesserung der Lebensqualität

Hypnose bei chronischen Unterbauchschmerzen

Chronische Unterbauchschmerzen, eine Untergruppe der chronischen viszeralen Schmerzen, stellen für die betroffenen Personen eine grosse Belastung dar. In vielen Fällen liegt keine klare organpathologische Ursache vor und die Therapie erfolgt symptomlindernd. Die medikamentöse Behandlung ist zwar ein wichtiger Baustein, hat aber auch häufig ihre Limitationen. Die medizinische Hypnose als nichtmedikamentöses psychologisches Therapieverfahren stellt eine wichtige Methode dar, die neben der Symptommodulation auch die Stressverarbeitung, die Schlafqualität und das Selbstmanagement positiv beeinflussen kann.

Hypnose

Fast 250 Jahre sind vergangen, seit Franz Anton Mesmer (1734–1815) seine Theorie über den «animalischen Magnetismus» veröffentlicht hat. Er postulierte dabei den positiven Einfluss von Magnetkuren auf die Heilung von Krankheiten. Eine wissenschaftliche Untersuchungskommission widerlegte jedoch Mesmers Theorie und führte die Wirkung auf den Einfluss und die Kraft der Gedanken zurück.

Definition von Schmerz

Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit einer tatsächlichen oder drohenden Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird.

International Association for the Study of Pain (IASP)

Der schottische Chirurg James Braid (1795–1860) bemerkte, dass bei zu operierenden Personen eine Verringerung der Schmerzintensität bei Operationen eintrat, wenn sie sich in einem veränderten Bewusstseinszustand befanden. Diesen Zustand bezeichnete er als «neurohypnology». Durch gezielten Einsatz der Hypnose konnten Operationen schmerzärmer durchgeführt werden.1

Nach diesen ersten Anfängen wurde die Hypnose hauptsächlich in psychiatrisch- psychologischen Fachkreisen untersucht und angewendet. Durch umfangreiche Grundlagenforschung konnte die medizinische Hypnose entmystifiziert werden und ist mittlerweile ein fester und anerkannter therapeutischer Bestandteil in vielen Bereichen der Medizin.2–4

Schmerzen

Die Wahrnehmung von Schmerzen ist ein komplexes Geschehen. Sie beinhaltet zum einen die Information zur Lokalisation, zum anderen auch die damit verbundenen Gefühle und Emotionen, die wiederum zur Evaluation und zur Bewertung führen. Daraus resultieren vegetative Reaktionen wie z.B. Veränderungen von Herzfrequenz, Blutdruck und Schweisssekretion.

Schlussendlich ist es das Gehirn, das beurteilt, was als Schmerz empfunden wird.

Chronische Schmerzen liegen per definitionem vor, wenn sie über den Zeitraum von drei Monaten und über den zu erwartenden physiologischen Genesungsprozess hinaus persistieren. Sie sind weder eine psychische noch eine funktionelle Störung. In der ICD-11 werden chronische Schmerzen als eigenständige Diagnose geführt. Bei chronischen Schmerzen spielen emotionale und kognitive Dimensionen sowohl in der Entstehung als auch in der Aufrechterhaltung und Modulation eine grosse Rolle.5

Viszerale Schmerzen

Tab. 1: Viszerale Schmerzen können mit anderen Schmerzsyndromen überlappen

Durch den hohen Anteil an den chronischen Schmerzerkrankungen haben viszerale Schmerzen eine grosse globale Bedeutung.6 Einer Umfrage nach zeigte sich eine hohe Prävalenz bei Erwachsenen von 20% für Thoraxschmerzen, von 25% für intermittierende abdominelle Schmerzen und von 16–24% für «pelvic pain» bei Frauen.7 Ausserdem machen viszerale Schmerzen 28% der tumorassoziierten Schmerzen aus.7 Eine physiologische Besonderheit der viszeralen Schmerzen im Gegensatz zu den übrigen somatischen Schmerzen ist, dass neben den Spinalnerven auch die neuralen Komponenten des vegetativen Nervensystems involviert sind. Die neuste Einteilung im ICD-11-Code unterscheidet zwischen chronischen primären viszeralen Schmerzen und chronischen sekundären viszeralen Schmerzen.8,9 Chronische primäre viszerale Schmerzen sind typischerweise multifaktoriell in Entstehung und Aufrechterhaltung, eine Kombination aus biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren. Eine eindeutige Ursache für die Beschwerden ist nicht nachweisbar. Bei den chronischen sekundären viszeralen Schmerzen hingegen liegen eindeutige Ursachen wie persistierende Entzündungen, vaskuläre Faktoren oder mechanische Ursachen vor.

Innerhalb der chronischen viszeralen Schmerzen gibt es eine grosse Überlappung mit anderen chronischen Schmerzsyndromen (Tab. 1).10 Bei der Anamnese, Diagnose und Behandlung von chronischen Unterbauchschmerzen müssen sämtliche biopsychosoziale Faktoren miteinbezogen werden.

Chronische Unterbauchschmerzen und Hypnose

Mittels Hypnose können Schmerzen moduliert, also in der Intensität, der Ausdehnung, im Charakter und in den damit verbundenen Emotionen verändert werden.11 Dies ist sowohl für akute als auch für chronische Schmerzen nachgewiesen und wird klinisch angewendet. Die Hypnose zielt besonders auf das emotionale Netzwerk der Neuromatrix. Diese Veränderungen in der neuronalen Aktivität sind verantwortlich für die gesteigerte fokussierte Aufmerksamkeit und die verbesserte somatische und emotionale Regulation.12

Die Hypnotherapie ist eine effiziente, sichere Therapie zur Reduktion chronischer Schmerzen.13 Den positiven Einfluss der Hypnotherapie auf viszerale Schmerzen zeigte Whorwell bereits 1989 am Reizdarmsyndrom.14 Bei diesem Krankheitsbild konnte dies für die viszeralen Empfindungen und begleitenden Emotionen mehrfach bestätigt werden.15,16

Auch für weitere chronische Unterbauchschmerzen wie Endometriose, Vulvodynie oder Dysmenorrhö kann die Hypnotherapie zur Schmerzmodulation angewendet werden. Leider gibt es dazu jedoch nur sehr wenige und dazu auch inhomogene Studien. Ausserdem gibt es bei den inhomogenen Schmerzbildern des Unterbauches auch keine standardisierte Vorgehensweise nach einem Hypnoseprotokoll, wie es bei der «gut-directed» Hypnotherapie der Fall ist. Aus diesem Grund sind weitere Studien mit homogenem Beschwerdebild und standardisierter Vorgehensweise erforderlich.17

Die medizinische Hypnose zur Modulation der Symptomatik bei chronischen viszeralen Schmerzen (Schmerz, Stress, Angst etc.) und zur Verbesserung der Selbstwirksamkeit kann zu jedem Zeitpunkt erfolgen. Eine ausführliche interdisziplinäre Ursachenklärung durch die mitbeteiligten Disziplinen (Auswahl in alphabetischer Reihenfolge: Angiologie, Chirurgie, Gastroenterologie, Gynäkologie/Geburtshilfe, Physiotherapie etc.) ist aber unbedingt erforderlich, damit Tumoren, entzündliche Darmerkrankungen, mechanische Hindernisse, Endometriose etc. zielgerichtet und fachspezifisch behandelt werden können.

Wie bei jeder chronischen Schmerzerkrankung ist es von grosser Bedeutung, eine ausführliche Patienten- und Schmerzedukation durchzuführen und gemeinsam realistische Therapieziele zu erarbeiten, die in regelmässigen Abständen evaluiert werden sollten.

Schmerz ist eine persönliche Wahrnehmung

  • Mit Hypnose kann die Wahrnehmung verändert werden

  • Mit Hypnose können Ängste verändert werden

  • Mit Hypnose kann die Schlafqualität verändert werden

  • Mit Hypnose kann die Akkomodationsfähigkeit verändert werden

  • Mit Hypnose kann die Stressintensität verändert werden

  • Mit Hypnose kann die Selbstwirksamkeit verbessert werden

→ und somit der Schmerz moduliert werden.

Die medizinische Hypnose stellt als psychologische Intervention bei chronischen Unterbauchschmerzen im Rahmen einer interprofessionellen und multimodalen Behandlung eine wichtige und nebenwirkungsarme Therapieform dar.18,19

Neben regelmässigen und ereignisunabhängigen Konsultationen in der zuständigen Institution ist der Transfer der erworbenen Fähigkeiten in den Alltag der betroffenen Person in Form der kontinuierlich angewandten Selbsthypnose erforderlich.

Fallbeispiel

Eine 22-jährige Frau wurde von einer gynäkologischen Praxis aufgrund einer chronischen Dysmenorrhö zugewiesen. Die Schmerzen hatten während der Menstruation eine so starke Intensität, dass die junge Frau oft am Arbeitsplatz fehlte. Sowohl die medikamentöse analgetische Therapie mit Paracetamol, NSAID und Metamizol als auch die Einnahme eines oralen Kontrazeptivums führte zu keiner akzeptablen Schmerzlinderung. In der Erstkonsultation wurde eine ausführliche Anamnese erhoben und eine ausführliche Edukation zu chronischen Schmerzen mit auslösenden und unterhaltenden Faktoren wie auch zur Hypnose durchgeführt. Weiterhin wurde der Patientin eine Entspannungstrance vorgestellt, die sie als sehr positiv wahrnahm. In der zweiten Konsultation wurde die Entspannungstrance wiederholt und eine Instruktion zur Selbstanwendung vorgenommen. Von der dritten bis zur zehnten Konsultation erfolgten hypnotische Trancen zur Schmerz- und Stressmodulation und als Einschlafhilfe. Auf Wunsch der Patientin wurden die einleitenden Entspannungstrancen mit dem Smartphone aufgenommen, sodass die vertrauten Rituale auch ausserhalb der Sprechstunde angewendet werden konnten. Von der vierten Konsultation berichtete sie, dass sich die Angst vor den schmerzhaften Menstruationen reduzierte, die Schmerzintensität sich verringerte und die Schlafqualität sich verbesserte. Der Bedarf an Analgetika verringerte sich ebenso wie die Zahl der Absenzen am Arbeitsplatz.

1 Braid J: The power of the mind over the body: an experimental inquiry into the nature and cause of the phenomena attributed by Baron Reichenbach and others to a „new imponderable“. Edinb Med Surg J 1846; 66(169): 286-312 2 Kennedy A: The medical use of hypnotism. Br Med J 1957; 81(5031): 1317-9 3 Kaufmann R: Medical use of hypnosis. Council on mental health. JAMA 1958; 168(2): 186-9 4 Vanhaudenhuyse A et al.: Neurophysiology of hypnosis. Neurophysiol Clin 2014; 44(4): 343-53 5 Bicego A et al.: Neurophysiology of hypnosis in chronic pain: A review of recent literature. Am J Clin Hypn 2022; 64(1): 62-80 6 Halder S, Locke GR: Epidemiology and social impact of visceral pain. In: Giamberardino MA (Hg.): Visceral Pain.Oxford University Press: 1-8 2009 7 Collett B: Visceral pain: the importance of pain management services. Br J Pain 2013; 7(1): 6-7 8 Nicholas M et al.: The IASP classification of chronic pain for ICD-11: chronic primary pain. Pain 2019; 160(1): 28-37 9 Aziz Q et al.: The IASP classification of chronic pain for ICD-11: chronic secondary visceral pain. Pain 2019; 160(1): 69-76 10 Häusler W: [Endometriosis and chronic overlapping pain conditions]. Schmerz 2021; 35(3): 179-82 11 Faymonville ME et al.: Neural mechanisms of antinociceptive effects of hypnosis. Anesthesiology 2000; 92(5): 1257-67 12 Jiang H et al.: Brain activity and functional connectivity associated with hypnosis. Cereb Cortex 2017; 27(8): 4083-93 13 Zech N et al.: Efficacy, acceptability and safety of guided imagery/hypnosis in fibromyalgia - A systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Eur J Pain 2017; 21(2): 217-27 14 Whorwell PJ: Hypnotherapy in irritable bowel syndrome. Lancet 1989; 1(8638): 622 15 Houghton LA et al.: Visceral sensation and emotion: a study using hypnosis. Gut 2002; 51(5): 701-4 16 Gonsalkorale WM: Gut-directed hypnotherapy: the Manchester approach for treatment of irritable bowel syndrome. Int J Clin Exp Hypn 2006; 54(1): 27-50 17 Biurra YC et al.: Hypnotherapy for chronic pelvic pain: A scoping systematic review and meta-analysis. Complement Ther Clin Pract 2023; 52: 101771 18 Miranda A, Sood M: Treatment options for chronic abdominal pain in children and adolescents. Curr Treat Options Gastroenterol 2006; 9(5): 409-15 19 Molus L, Kansal A: Visceral pain. Anaesth Intensice Care Med 2022; 23(9): 535-9

Back to top