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Hormone und Morbus Alzheimer
Bericht:
Dr. Felicitas Witte
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Eine Hormontherapie in den Wechseljahren bremst bei Frauen mit erhöhtem Demenzrisiko den kognitiven Verfall. Noch ist es aber zu früh, das als therapeutische Strategie einzusetzen.
Eine postmenopausale Hormontherapie sorgte jahrelang für negative Schlagzeilen wegen ihrer Nebenwirkungen. Das lag zu einem grossen Teil daran, dass die ersten Studien schlecht gemacht waren oder falsch interpretiert wurden. Inzwischen ist klar, dass der Nutzen einer Hormontherapie die Risiken überwiegt, wenn die Therapie früh gestartet wird. Trotzdem hält sich der Mythos, dass die Hormone schaden, immer noch hartnäckig. Nun gibt es endlich einmal positive Berichte: Eine Hormontherapie kann offenbar die Hirnfunktion bessern und so vor einer Demenz schützen. Vor einem therapeutischen Einsatz sind aber noch einige Fragen zu klären.
Frauen sind häufiger betroffen
Mehr als zwei von drei Menschen mit Morbus Alzheimer sind Frauen. Dass sie häufiger erkranken, lässt sich aber nicht allein durch eine längere Lebenserwartung erklären. Für die höhere Prävalenz scheint der Rückgang der Östrogene verantwortlich zu sein. Östrogenrezeptoren sind überall im Hirn vorhanden, und die Hormone regulieren diverse physiologische Prozesse. Das sind unter anderem die neuronale synaptische Plastizität, der Stoffwechsel der Neurone und die Integrität der Blut-Hirn-Schranke. So liegt es nahe, mit einer peri- und postmenopausalen Hormontherapie den kognitiven Verfall abzuschwächen. Erste Beobachtungsstudien zeigten eine deutliche Reduktion des Demenzrisikos, doch weitere Studien lieferten widersprüchliche Resultate oder ergaben sogar ein erhöhtes Demenzrisiko unter Hormonen. Es gibt Hinweise, dass die Effekte der Hormone auf die kognitive Funktion einerseits vom Alter der Frau zu Beginn der Hormontherapie und zum anderen vom Apolipoprotein-E-Genotyp abhängen. Apolipoprotein E, kurz ApoE, gehört zur Familie der Apolipoproteine und bildet gemeinsam mit Lipiden die Lipoproteine. Vom zugehörigen ApoE-Gen gibt es drei Varianten: ApoE2, ApoE3 und ApoE4. ApoE3 kommt am häufigsten vor. ApoE4 ist mit einem erhöhten Risiko für Alzheimer assoziiert, es ist der wichtigste genetische Risikofaktor für die Erkrankung. 20 bis 25 von 100 Menschen haben die Allelkombination 3/4. Diese Personen haben ein dreifach so hohes Risio, in ihrem Leben eine Demenz zu bekommen, als Menschen mit der Kombination 3/3, die bei 60 von 100 Menschen vorliegt. 2 von 100 Personen haben die Kombination 4/4 und ein zehnfach so hohes Risiko für Alzheimer. Das Risiko ist geringer für die Kombinationen 2/3 und 2/2. Von 100 Menschen mit Alzheimerdemenz haben 45 ein ApoE4-Allel und 10 zwei ApoE4-Allele. Bei Frauen ist die Penetranz des ApoE4-Genotyps höher als bei Männern, was zu einer erhöhten Prävalenz von Alzheimer bei Frauen beitragen könnte.
Forscher von den Universitäten in Norwich und Edinburgh haben nun gezeigt, dass eine Hormontherapie in der Tat die Hirnfunktion verbessern kann, aber das traf nur für Frauen mit ApoE4-Genvarianten zu.1 Nur Frauen mit erhöhtem genetischem Risiko haben also offenbar von den Hormonen bezüglich ihrer Hirnleistung profitiert. «Ich finde das plausibel», sagt Prof. Robert Perneczky, Leiter des Alzheimer Therapie- und Forschungszentrums an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. «Für Frauen mit Alzheimer-Risikogen ist ein früherer geistiger Verfall wahrscheinlicher. Positive Effekte durch eine Hormontherapie machen sich hier vermutlich eher bemerkbar als bei Frauen mit günstigerer genetischer Ausstattung, die vermutlich nie an Demenz erkranken werden.»
Grössere Hirnvolumina durch Hormone?
Die englischen Forscher analysierten Daten von 1074 Frauen aus der europäischen Alzheimer-Präventionsstudie EPAD. Diese Studie läuft seit 2015 und hat zum Ziel, den longitudinalen Verlauf zu erfassen bis zum Ausbruch der Demenz. Dies soll einmal helfen, präventive Strategien zu entwickeln. Der jetzige Datensatz erfasste, ob und wie lange die Frauen Hormone eingenommen hatten und wie sie in Hirnfunktionstest abgeschnitten hatten. Das waren unter anderem der Mini-Mental-Statustest und die neuropsychologische Testbatterie RBANS. Mit diesen Tests wird unter anderem Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Sprache und Lernfähigkeit geprüft. Die Forscher berechneten zudem in Magnetresonanztomografien die Volumina der Hirnregionen, die für die Verarbeitung von Hirnprozessen und Gedächtnisinhalten eine Rolle spielen. Das sind vor allem Hippocampus, Parahippocampus, entorhinaler Kortex und Amygdala. Frauen mit ApoE4, die Hormone eingenommen hatten, schnitten besser in den Hirnleistungstests ab und ihre gemessenen Hirnvolumina waren bis zu zehn Prozent größer als bei Frauen ohne Hormone und ohne ApoE4. Die Punkte im RBANS-Score waren beispielsweise bei Frauen mit ApoE4 und Hormonen konsistent höher als bei denen ohne ApoE4 und/oder ohne Hormone. Frauen mit Hormonen hatten größere entorhinale Kortizes rechts und links und größere linke Amygdalae, aber nur diejenigen mit ApoE4. Frauen mit Hormonen, aber ohne diese Variante hatten kleinere Amygdalae als diejenigen ohne Hormone.
Je früher Frauen mit Apolipoprotein-E4-Gen die Hormontherapie begonnen hatten, desto größer waren ihre Hirnvolumina, was ein Zeichen für eine bessere Hirnleistung ist. «Die schützenden Effekte der Hormone auf das Gehirn wirken sich offenbar nur in einem kritischen Zeitfenster aus», sagt Prof. Petra Stute, Präsidentin der Schweizerischen Menopausen-Gesellschaft und Leiterin des Menopausenzentrums im Inselspital Bern, «nämlich dann, wenn die Frau die Hormontherapie frühzeitig nach der Menopause startet.» Die Hypothese dieses «window of opportunity» wird schon seit einiger Zeit diskutiert. Demnach soll das Hirn «unempfindlich» gegenüber Hormonen von außen werden, wenn der Körper lange Zeit keine eigenen Hormone mehr produziert hat. Werden die Hormone dagegen zeitnah nach der letzten Regel genommen, können die Hormone noch positive Effekte auf das Hirn ausüben.
Effekte nur wenn ApoE4-Trägerin
Für Frauen mit Apolipoprotein E4, so das Fazit der englischen Forscher, könnten Hormone eine effektive gezielte Strategie sein, um ihr erhöhtes Alzheimerrisiko zu senken. Das sei jedoch noch Zukunftsmusik, sagt Demenzforscher Perneczky. «Wir sind ja noch nicht mal so weit, dass wir Apolipoprotein E4 routinemäßig bestimmen.» Schon 1998 zeigte eine Arbeitsgruppe aus den USA die Schwächen des Tests auf ApoE43: Er ist viel zu ungenau. Er hat nur eine Sensitivität und Spezifität von 65 beziehungsweise 68%. Das heißt, es gibt viele Menschen, die an Alzheimer erkrankt sind, aber keine ApoE4-Träger sind. Anders herum haben die Genvariante auch Menschen, die nie Alzheimer bekommen. Deshalb wird der Test als Risikomarker in der deutschsprachigen AWMF-Leitlinie nicht empfohlen.
Abgesehen davon hat die Studie einige Schwächen. Die größte ist, dass die Autoren die Daten retrospektiv analysiert und keine Vergleichsgruppe gewählt haben. «Ideal wäre gewesen, wenn Frauen mit und ohne Genvariante randomisiert entweder Hormone oder Placebo genommen hätten und man dann in den folgenden Jahren Tests durchgeführt und die Hirnvolumina bestimmt hätte», sagt Prof. Stefan Klöppel, Chefarzt Alterspsychiatrie der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern. «So wissen wir nicht, ob es an den Hormonen lag, dass die Frauen besser in den Tests abgeschnitten und größere Hirnvolumina hatten.» Denkbar wäre zum Beispiel, dass die Frauen mit Hormontherapie deshalb geistig fitter waren, weil sie mehr Sport trieben und nicht geraucht haben – beides Faktoren, die das Risiko für kognitiven Verfall senken. Auch dokumentierten die Autoren nicht, was für Hormonpräparate die Frauen nahmen und in welchen Dosen. «Womöglich wirkt sich die Art des Präparats mal stärker, mal schwächer auf die Hirnleistung aus», spekuliert Stute. Abgesehen davon sei das Ziel einer Hormontherapie nach wie vor, Wechseljahresbeschwerden zu lindern und nicht, das Risiko für eine Demenz zu senken.
Demenzrisiko senken durch 12 Maßnahmen
Wer das tun möchte – und das gilt auch für Männer – hält sich am besten an die Maßnahmen, für die es wissenschaftlich einigermaßen gute Belege gibt. Vier von zehn Demenzerkrankungen weltweit sind auf zwölf Faktoren zurückzuführen, die jeder selbst mit beeinflussen und so sein Risiko senken kann, wie eine umfangreiche Analyse in «Lancet» im Jahr 2020 zeigte.4 Je nach Lebensabschnitt werden unterschiedliche Maßnahmen empfohlen: In jüngerem Alter auf gute Bildung achten, zwischen 45 und 65 Jahren Übergewicht und Bluthochdruck vermeiden, Hörprobleme beseitigen, kein Schädel-Hirn-Trauma bekommen und nicht zu viel Alkohol trinken. Auch noch ab 65 zahlt es sich aus, nicht zu rauchen, Sport zu treiben, Bluthochdruck, Diabetes und Depressionen zu vermeiden beziehungsweise adäquat zu behandeln, Luftverschmutzung aus dem Weg zu gehen und Kontakte mit anderen Menschen zu suchen. «Es ist nie zu früh und nie zu spät für Demenzprävention», sagt Klöppel. «Ob und welche Rolle eine perimenopausale Hormontherapie hierbei spielen wird, bleibt abzuwarten.»
Kommentar Prof. Peter Husslein
„Bei einer so komplexen Erkrankung wie Alzheimer muss man den Ergebnissen einer relativ kleinen retrospektiven Unter-suchung mit einem hohen Maß an Skepsis begegnen. Es waren von den 1074 Frauen letztendlich nur 31, die ApoE4-Trägerinnen waren und Hormone genommen hatten. Bei so einer kleinen Anzahl halte ich es für sehr fraglich, valide Schlüsse ziehen zu können. Abgesehen von der retrospektiven Natur der Studie mit all ihren Limitierungen wurde nicht ausreichend für andere Risikofaktoren kontrolliert und man weiß nicht einmal, welche Präparate die Frauen wie lange genommen haben. Eine weitere Schwäche ist, dass nur zwischen ApoE4-Trägerin und Nicht-ApoE4-Trägerin unterschieden wurde und nicht zwischen homozygoten ApoE4-Trägerinnen und heterozygoten aufgeschlüsselt wurde. Vielleicht reagiert eine heterozygote 4/3- oder 4/2-Trägerin anders auf die Hormone als eine homozygote 4/4-Trägerin.
Die zugrunde liegende Hypothese der Studie – also dass eine Hormontherapie die Hirnfunktion verbessern kann – ist seit Langem bekannt. Die vorliegende Studie ist aber nicht in der Lage, diese fundiert zu widerlegen oder zu unterstützen.“
Literatur:
1 Saleh RNM et al.: Hormone replacement therapy is associated with improved cognition and larger brain volumes in at-risk APOE4 women: results from the European Prevention of Alzheimer’s Disease (EPAD) cohort. Alzheimers Res Ther 2023; 15(1): 10 2 AWMF S3-Leitlinie Demenzen https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/038-013 3 Mayeux R et al.: Utility of the apolipoprotein E genotype in the diagnosis of Alzheimer’s disease. Alzheimer’s Disease Centers Consortium on Apolipoprotein E and Alzheimer’s Disease. N Engl J Med 1998; 338: 506-11 4 Livingston G et al.: Dementia prevention, intervention, and care: 2020 report of the Lancet Commission. Lancet 2020; 396: 413-46
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