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Hereditäres Mamma-, Ovarial- und Endometriumkarzinom
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Rebekka Welter
Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe,<br> frauenarztzentrum aargau ag<br> E-Mail: baden@fazag.ch
30
Min. Lesezeit
14.06.2018
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<p class="article-intro">Der Jolie-Effekt: Nach der prophylaktischen Mastektomie der berühmten Schauspielerin häuften sich die Fragen der Patientinnen und ihrer Angehörigen. «Bis zu zehn Mal mehr Anfragen als vor der prominenten OP» schrieb der «Spiegel» online. Hereditäre Karzinome im Allgemeinen gewinnen aufgrund der Möglichkeit zu genetischen Testungen und therapeutischen Optionen immer mehr an Bedeutung in der Gynäkologie.</p>
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<p class="article-content"><p>Das hereditäre Mammakarzinom macht nur etwa 7–10 % aller Mammakarzinome aus. Etwa die Hälfte aller hereditären Mammakarzinome wird durch eine Mutation im BRCA1- oder BRCA2-Gen verursacht. Die BReast-CAncer-Gene sind auf den Chromosomen 17 (BRCA1) und 13 (BRCA2) lokalisiert und als sogenannte Tumorsuppressorgene an der DNA-Reparatur beteiligt. Bei einer Mutation in einem der beiden Gene liegt ein erhöhtes Risiko vor allem für Mamma- und Ovarialkarzinom vor; diese Mutation wird daher auch als HBOC-Syndrom («hereditary breast and ovarian cancer syndrome») bezeichnet. Das Lebenszeitrisiko für ein Mammakarzinom liegt bei einer Mutationsträgerin nach neusten Literaturangaben bei 72 % für die BRCA1-Mutation und 69 % für die BRCA2-Mutation (Allgemeinbevölkerung 8 % ). Das Lebenszeitrisiko für ein Ovarialkarzinom ist vor allem bei der BRCA1-Mutation mit 44 % , aber auch für Trägerinnen der BRCA2-Mutation mit 17 % ebenfalls gegenüber der Allgemeinbevölkerung (<1 % ) deutlich erhöht.<sup>1</sup> Die Mutation wird autosomal dominant vererbt, sodass ca. 50 % der Nachkommen ebenfalls die pathologische Mutation tragen. Die Prävalenz einer BRCA-Mutation liegt bei 1/500–1/1000. Lediglich in der Aschkenasi- jüdischen Bevölkerung ist die Prävalenz mit 1/50 deutlich erhöht.</p> <h2>Kriterien für die genetische Testung</h2> <p>Seit März 2017 existieren in der Schweiz Kriterien der SAKK (der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung) für die genetische Testung. Aufmerksam werden sollten wir bei Familien, in denen drei oder mehr Frauen an einem Mammakarzinom erkrankt sind, oder bei Familien, in denen zwei Frauen erkrankt sind, von denen mindestens eine bei der Erstdiagnose jünger als 50 Jahre war. Frauen aus Familien, in denen Mammakarzinome neben Ovarialkarzinomen (bei der gleichen Frau oder bei verschiedenen Frauen) auftreten, sollten ebenfalls beraten werden. Darüber hinaus gelten Familien mit vor dem 40. Lebensjahr an Mammakarzinom erkrankten Frauen, Männern mit Mammakarzinom, Frauen mit beidseitigem Mammakarzinom und mehreren Ovarialkarzinomen in der Familie als Hochrisikofamilien.<sup>2</sup></p> <h2>Prophylaktische Operationen</h2> <p>«My medical choice» nannte Angelina Jolie ihre Entscheidung für eine prophylaktische beidseitige Mastektomie. Durch diesen Eingriff wird für eine gesunde Mutationsträgerin das Mammakarzinomrisiko um mehr als 95 % gesenkt und in der Folge eine Senkung der brustkrebsspezifischen Letalität um 90 % erreicht.<sup>3, 4</sup> Etwa 50 % der Patientinnen mit BRCA-Mutation entscheiden sich für diesen Eingriff. Die andere Hälfte entschliesst sich zu einer intensivierten Vorsorge, d.h. halbjährliche Bildgebung der Brust mittels Mammografie, MRI und Sonografie.<br /> Die prophylaktische Adnexektomie schien zunächst in den Studien auch einen positiven Effekt auf das Mammakarzinom zu haben.<sup>4, 5</sup> Zur prophylaktischen Adnexektomie raten wir allen Patientinnen mit positivem Gentest ab dem 35. (BRCA1) bzw. 40. Lebensjahr (BRCA2) und nach abgeschlossener Familienplanung. Ein Effekt auf das Mammakarzinomrisiko konnte allerdings nur für die BRCA2-Mutation nachgewiesen werden. Kotsopoulus et al. konnten dabei für die prämenopausalen Patientinnen eine Reduktion des Risikos, ein Mammakarzinom zu entwickeln, von 80 % allein durch die Adnexektomie nachweisen.<sup>6</sup> Eine Hormonersatztherapie ist dann bis zum Erreichen der natürlichen Menopause, also ca. bis zum 50. Lebensjahr, notwendig.</p> <h2>Das tripelnegative Mammakarzinom</h2> <p>57–80 % der tripelnegativen Mammakarzinome sind BRCA-mutiert. Umgekehrt finden wir bei 10,6 % der Karzinome, die hormonrezeptornegativ sind und HER2 nicht überexprimieren, eine BRCA-Mutation. In Studien konnte der Benefit einer zusätzlichen Gabe von Carboplatin in der neoadjuvanten Situation im Hinblick auf pathologische Komplettremissionen gezeigt werden, sodass die SAKK auch die Testung aller Patientinnen mit tripelnegativen Mammakarzinomen vor dem 60. Lebensjahr empfiehlt.<sup>7</sup></p> <h2>Das hereditäre Ovarialkarzinom</h2> <p>Bei ca. 24 % aller Ovarialkarzinome lässt sich eine Keimbahnmutation nachweisen. Davon liegt in 75 % eine BRCAMutation und in ca. 10–15 % ein Lynch- Syndrom vor. Die Prognose der Patientinnen mit BRCA-mutierten Ovarialkarzinomen ist besser als die der Patientinnen mit nicht BRCA-mutierten Ovarialkarzinomen. Seit 2014 sind PARP-Inhibitoren zur Therapie der Platinsensiblen Rezidive eines Ovarialkarzinoms sowohl bei Vorliegen einer Keimbahn- als auch einer somatischen Mutation zugelassen. Aufgrund der doch relativ hohen Prävalenz ist die Testung aller nicht muzinösen Ovarialkarzinome empfohlen. Der PARP-Inhibitor Olaparib (Lynparza) verlängert das PFS bei Patientinnen mit BRCA-Mutation von 4,3 auf 11,2 Monate.<sup>8</sup> 2017 erhielt auch der PARP-Inhibitor Niraparib (Zejula), für den ein PFS von 21 gegenüber 5,5 Monaten nachgewiesen werden konnte, die Zulassung.<sup>9</sup> Die FDA (United States Food and Drug Administration) empfiehlt seit Kurzem auch die Anwendung von PARPInhibitoren beim metastasierten Mammakarzinom.<sup>10</sup></p> <h2>Gen-Panels</h2> <p>Multigentests, sogenannte Gen-Panels, können hilfreich sein, wenn die BRCA-Testung negativ ist, die Familienanamnese aber trotzdem eine hereditäre Komponente vermuten lässt. Dabei lassen sich mehrere Gene in der gleichen Zeit zu ähnlichen Kosten testen. Als nachteilig ist allerdings anzusehen, dass hierbei auch Mutationen in unbekannten Genen erkannt werden, deren Konsequenz noch unklar ist und auch Gene getestet werden, die nur ein moderates Risiko für ein Mammakarzinom bergen. In Zukunft könnte sich der Multigentest jedoch möglicherweise als einziger Test für junge Patientinnen oder Patientinnen mit verschiedenen Karzinomen in einer Familie oder solche, die nicht einem speziellen Karzinomsyndrom zugeordnet werden können, herauskristallisieren.</p> <h2>Was ist neu im Jahr 2018?</h2> <p>In der kürzlich publizierten POSH-Studie konnten fast 3000 Patientinnen, die vor dem 40. Lebensjahr an einem Mammakarzinom erkrankten, nachbeobachtet werden: Junge Mammakarzinompatientinnen haben die gleichen Überlebenschancen wie Patientinnen ohne BRCAMutation.<sup>11</sup> Dies könnte Konsequenzen für unsere Beratung im Hinblick auf prophylaktische Operationen haben, in dem Sinne, dass die Entscheidung für oder gegen eine prophylaktische Operation der Gegenseite auch einige Zeit in Anspruch nehmen darf.<sup>12</sup></p> <h2>Das hereditäre Endometriumkarzinom</h2> <p>Ca. 5 % aller Endometriumkarzinome sind erblich bedingt. Das hereditäre Endometriumkarzinom ist mit einer Prävalenz von 1:660–1:2000 eines der häufigsten hereditären Karzinomsyndrome und der zweithäufigste Tumor des Lynch-Syndroms. Hinweisend ist die familiäre Häufung von Kolorektal-, Ovarial- (endometrioider Typ) und Endometriumkarzinomen. Eine klinische Diagnose lässt sich anhand der Amsterdam-Kriterien<sup>13</sup> oder der Bethesda- Kriterien<sup>14</sup> stellen. Genetisch finden sich bei 85 % mutierte Missmatch- Repair-Gene (MSH2, MLH1, MSH6) und bei ca. 10 % unbekannte Gene. Das Erkrankungsrisiko liegt für eine Mutationsträgerin bei jeweils ca. 50 % für ein Kolonoder Endometriumkarzinom und bei ca. 10 % für das Ovarialkarzinom. Ein selteneres hereditäres Karzinomsyndrom ist das Cowden-Syndrom, welches durch eine Mutation im PTEN-Gen verursacht wird und dem ein Lebenszeitrisiko von 10 % für die Entstehung eines Endometriumkarzinoms zugeschrieben wird. Eine Primärprävention wird beim hereditären Endometriumkarzinom durch die prophylaktische Hysterektomie mit beidseitiger Adnexektomie ab dem 40. Lebensjahr oder 5 Jahre vor dem jüngsten Erkrankungsalter in der Familie erreicht. Eine Sekundärprävention ist ab dem 25. Lebensjahr oder 5 Jahre vor dem jüngsten Erkrankungsalter in der Familie mittels körperlicher Untersuchung, Abdominalsonografie, Koloskopie, Ösophago-Gastro-Duodenoskopie und gynäkologischer Untersuchungen (ab dem 35. Lebensjahr mit Endometriumbiopsien) empfohlen.</p> <h2>Sind alle gynäkologischen Karzinome hereditär?</h2> <p>Eine familiäre Häufung findet sich tatsächlich auch bei den HPV-induzierten Zervixkarzinomen. Bis heute ist allerdings unklar, ob hierfür gemeinsame Umwelteinflüsse und Lebensstile oder tatsächlich genetische Veränderungen verantwortlich sind. Die Persistenz von HPVInfektionen gilt nach wie vor als Hauptrisikofaktor für die Entstehung dieses Tumors. Nikotinabusus und genetische Einflüsse scheinen die Persistenz der Infektion zu begünstigen.</p> <h2>Sorgfältige Beratung entscheidend</h2> <p>Die genetische Testung auf das Vorliegen einer genetischen Mutation können wir nach vorliegender Kostengutsprache der Krankenkasse veranlassen. Allerdings hat der Test nicht nur Vorteile. Psychische Belastung, Unsicherheiten bezüglich der Familienplanung, Auseinandersetzung mit prophylaktischen Operationen und möglicherweise der erschwerte Abschluss einer Lebensversicherung sind nur einige der Themen, die neben allen Vorteilen der genetischen Testung mit der Patientin besprochen werden müssen.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Kuchenbaecker KB et al.: Risk of breast, ovarian, and contralateral breast cancer for BRCA1 and BRCA2 mutation carriers. JAMA 2017; 317(23); 2402-2416 <strong>2</strong> The SAKK CPTC Network: Swiss guideline for counseling and testing for genetic predisposition to breast and ovarian cancer (Version May 2017). <strong>3</strong> Rebbeck TR et al.: Bilateral prophylactic mastectomy reduces breast cancer risk in BRCA1 and BRCA2 mutation carriers: The PROSE Study Group. J Clin Oncol 2004; 22(6): 1055-1062 <strong>4</strong> Domchek SM et al.: Association of risk-reducing surgery in BRCA1 or BRCA2 mutation carriers with cancer risk and mortality. JAMA 2010; 304(9): 967-975 <strong>5</strong> Kauff ND et al.: Risk-reducing salpingo- oophorectomy for the prevention of BRCA1- and 2-associated breast and gynecologic cancer: A multicenter, prospective study. J Clin Oncol 2008; 26: 1331-1337 <strong>6</strong> Kotsopoulus J et al.: Bilateral oophorectomy and breast cancer risk in BRCA1 and BRCA2 mutation carriers. J Natl Cancer Inst 2016; 109(1); 1-7 <strong>7</strong> Byrski T et al.: Pathologic complete response rates in young women with BRCA1-positive breast cancer after neoadjuvant chemotherapy. J Clin Oncol 2010; 20; 28(3): 375-379 <strong>8</strong> Ledermann J et al.: Olaparib maintenance therapy in patients with platinum sensitive relapsed serous ovarian cancer: a preplanned retrospective analysis of outcomes by BRCA status in a randomized phase 2 trial. Lancet Oncol 2014; 15(8): 852- 861 <strong>9</strong> Mirza MR et al.: Niraparib maintenance therapy in Platinum-sensitive, recurrent ovarian cancer. N Engl J Med 2016; 375: 2154-2164 <strong>10</strong> United States Food and Drug Administration (FDA): FDA approves first treatment for breast cancer with a certain inherited genetic mutation. 2018. Online: https://wwwfdagov/NewsEvents/ Newsroom/PressAnnouncements/ucm592347htm; Stand: 16.01.2018 <strong>11</strong> Copson ER et al.: Germline BRCA mutation and outcome in young-onset breast cancer (POSH): a prospective cohort study. Lancet Oncol 2018; 19(2): 169-180 <strong>12</strong> Fasching PA: Breast cancer in young women: do BRCA1 or BRCA2 mutations matter? Lancet Oncol 2018; 19(2): 150-151 <strong>13</strong> Vasen HF et al.: New clinical criteria for hereditary nonpolyposis colorectal cancer (HNPCC) proposed by the International Collaborative Group on HNPCC. Gastroentrology 1999; 116(6): 1453-1456 <strong>14</strong> Umar A et al.: Revised Bethesda Guidelines for hereditary nonpolyposis colorectal cancer (Lynch syndrome) and microsatellite instability. J Natl Cancer Inst 2004; 96(4): 261-268</p>
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