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Geburtseinleitung: Neues bei den Indikationsstellungen

Die Geburtseinleitung ist eine präventive Massnahme, um das perinatale Outcome zu verbessern. Gleichzeitig ist es eine Intervention, die nicht völlig risikofrei ist. Medikamentöse Geburtseinleitungen können hyperfrequente Uteruskontraktionen (Tachysystolie), CTG-Veränderungen oder selten gar eine Uterusruptur verursachen. Zudem wünschen sich viele Schwangere eine natürliche Geburt und die Akzeptanz der Geburtseinleitung ist gering. Eine medizinische Indikation sollte stets zugrunde liegen, sodass der Nutzen die potenziellen Risiken überwiegt.

Keypoints

  • Die Einleitung bereits mit 41.0/7 SSW verbessert IUFT-Inzidenz und neonatales Outcome gegenüber der späteren Einleitung.

  • Bei komplikationslosen Schwangerschaften bei Erstgebärenden kann die Einleitung mit der 39.0/7SSW zur Senkung der Sectiorate beitragen.

  • Die Indikation zur Geburtseinleitung wegen später IUWR ist sehr individuell. Sie sollte zusammen mit einem Spezialisten gestellt werden.

  • Bei Gallensäuren unter 100µmol/l kann bis zur 38.SSW gewartet werden.

Terminüberschreitung und fortgeschrittenes Gestationsalter

Bereits Ende der 90er-Jahre zeigten epidemiologische Untersuchungen, dass die Übertragung der Schwangerschaft (jenseits der 42.SSW) und Terminüberschreitung (jenseits der 40.SSW) eine Reihe von Risiken mit sich bringen, vor allem für den Feten: Mekoniumaspiration, Hypoxie, Makrosomie, Geburtsverletzungen.1 Die neonatale und postnatale Mortalität sind erhöht. Dieser Effekt ist schon bei fortgeschrittenem Gestationsalter ab der 37.SSW nachweisbar. Die grosse Sorge von Geburtshelfern und werdenden Müttern ist das Risiko für intrauterinen Fruchttod (IUFT) in Terminnähe. Die WHO bezeichnete die Geburtseinleitung als eine effektive Massnahme zur Senkung perinataler Morbidität und Mortalität und empfiehlt die Einleitung mit der 41.0/7SSW.2 Weltweit sprachen nationale Guidelines geburtshilflicher Fachgesellschaften entsprechende Empfehlungen aus.

Haben diese epidemiologischen Analysen Ende der 90er-Jahre heute noch ihre Gültigkeit? Die in Schweden durchgeführte SWEPIS-Studie3 verglich das perinatale Outcome zwischen Geburtseinleitung in der 41.0/7 und 42.0/7SSW. Über 2760 Schwangere ohne Risiken wurden in zwei Arme randomisiert. Leider zeigte sich, dass bei der späteren Geburtseinleitung die IUFT-Rate und neonatale Todesrate signifikant höher waren. Die Studie wurde deswegen vorzeitig gestoppt. Es wäre unethisch gewesen, weiter zu randomisieren. Für einen Nachweis der Senkung der neonatalen Gesamtmorbidität hätten 5000 statt 1370 Frauen in jeden Arm randomisiert werden müssen, sodass die Rekrutierungszahl zum Zeitpunkt des Studienabbruches dafür nicht ausreichte. In einigen Einzelparametern des perinatalen Outcomes jedoch schnitten die Kinder, deren Geburt in der 41.0/7SSW eingeleitet worden war, besser ab: Es gab weniger Aufnahmen auf die neonatologische Intensivabteilung, weniger Phototherapie, weniger makrosome Neugeborene und weniger zu kleine Neugeborene («small for gestational age», SGA). Den Autoren gelang es, die epidemiologischen Daten der 90er-Jahre in prospektiv randomisierter Weise zu bestätigen. Sie empfehlen die Einleitung der Geburt in der 41.0/7SSW.

Die gleichzeitig in den Niederlanden durchgeführte INDEX-Studie4 verglich ebenso das perinatale Outcome zwischen Geburtseinleitung in der 41.0/7 und 42.0/7SSW. Die Autoren konnten hier mit der Rekrutierung von nur 900 Frauen pro Studienarm keinen Unterschied in der IUFT-Rate aufzeigen, jedoch besseres perinatales Outcome nach Einleitung in der 41.0/7SSW.

Die ARRIVE-Studie5 sorgte allerdings für grössten Impact auf die Diskussion über die optimale Zeit zur Einleitung der Geburt. Über 6100 risikofreie Erstgebärende in den USA wurden randomisiert zwischen Geburtseinleitung mit 39.0/7SSW versus abwartende Betreuung und Einleitung spätestens mit 42.0/7SSW. Neonatales und maternales Outcome wurden dabei untersucht. Im Einleitungsarm war eine signifikante Senkung von Sectiorate (18,6% vs. 22,2%) und Präeklampsierate (9,1% vs. 14,1%) messbar. In der Selbstauskunft der Frauen wurden auch deutlich weniger Schmerzen (Likert-Skala) und mehr Selbstkontrolle (Agentry-Skala) angegeben. Das neonatale Outcome war bei den in der 39.0/7SSW eingeleiteten Schwangerschaften etwas besser, jedoch nicht statistisch signifikant. Die Senkung der Sectiorate konnte auch noch in drei weiteren Metaanalysen bestätigt werden.6–8

Eine andere Betrachtungsweise ist die «number needed to treat» (NNT). Wird die Geburt bei risikofreien Erstgebärenden in der 39.0/7SSW eingeleitet, so sind 21 Geburtseinleitungen notwendig, um einer hypertensiven Schwangerschaftserkrankung zuvorzukommen. 32 Geburtseinleitungen wären nötig, um eine Sectio zu vermeiden. Es müssten jedoch 1675 Geburten bei risikofreien Erstgebärenden in der 39.0/7SSW eingeleitet werden, um einen IUFT zu vermeiden. Somit ist die Geburtseinleitung in dieser Gruppe keine geeignete Massnahme zur Prävention von IUFT.

Geburtseinleitungen beanspruchen auch medizinische Ressourcen. Die Schwangeren müssen adäquat überwacht werden und «In-hospital»-Räumlichkeiten müssen verfügbar sein. Weitere Auswertungen der SWEPIS- wie auch der ARRIVE-Studie zeigten, dass der Aufenthalt in der Gebärabteilung durchschnittlich 20 statt 14 Stunden betrug. Der Gesamtspitalaufenthalt in der Geburtsklinik war jedoch nicht verlängert. Eine Kosten-Nutzen-Analyse wurde jedoch nicht durchgeführt.

Späte intrauterine Wachstumsretardierung

Die Geburtseinleitung bei später intrauteriner Wachstumsretardierung (IUWR) gilt als Massnahme zur Prävention von IUFT, da die Wahrscheinlichkeit für IUFT in den späten Schwangerschaftswochen ansteigt.9,10 Um unnötige Geburtseinleitungen zu vermeiden, ist für eine gute Indikationsstellung jedoch die Unterscheidung zwischen IUWR und SGA wichtig. Bei Letzterem ist der Fetus physiologisch klein. Bei IUWR schöpft der Fetus sein Wachstumspotenzial wegen vorliegender uteroplazentarer Dysfunktion nicht aus. Die späte fetale Wachstumsstörung kommt wesentlich häufiger vor und in einem späteren Gestationsalter. Gemäss neueren Definitionen von Fachgesellschaften ist sie durch ein Auftreten nach der 32.SSW charakterisiert.11,12 Sie ist weniger stark assoziiert mit Präeklampsie, seltener sind pathologische Befunde in der Plazentahistologie nachweisbar. Pathophysiologisch liegt der späten Wachstumsstörung eher eine Diffusionsstörung in den Plazentazotten als eine Minderperfusion wegen Gefässobliteration zugrunde. Bereits geringgradige Obliterationen des Zottenbaumes können zu Hypoxie und IUFT führen, insbesondere da Feten in späten Gestationswochen höheren Energiebedarf haben. Der normale Umbilikalarteriendoppler reflektiert die plazentare Dysfunktion nicht sicher und ist nur in ca. 10% der Fälle auffällig. Die Doppleruntersuchung der Arteria cerebri media oder das erhöhte Verhältnis von Umbilikalarterien- und Arteria-cerebri-media-Widerstand (plazentozerebrale Ratio, PCR) gelten nach neuem Verständnis als wesentliche Diagnosekriterien. Gemäss Crimmins geht die Erniedrigung der Pulsatilität in der Arteria cerebri media dem IUFT im Median 5 Tage voraus.13

Tab. 1: Abkürzungsverzeichnis

Bei später IUWR kann das fetale Wachstum im Normalbereich liegen, was zusätzlich die Diagnosestellung und Unterscheidung von SGA erschwert.14 Hier wurde die abfallende Wachstumsgeschwindigkeit um 2 Quartilen in die neuen Diagnosekriterien aufgenommen. Eine Kombination von verschiedenen Kriterien, zum Beispiel erhöhte PCR und Wachstumsabflachung um 2 Quartilen, führt zur Diagnosestellung. Als «Standalone»-Kriterium wird das sehr geringe fetale Wachstum unter der 3. Perzentile angesehen, d.h. dann auch mit gänzlich normalen Dopplerparametern.

Die Indikationsstellung zur Geburtseinleitung ist somit komplex und individuell geworden. Wachstumsgeschwindigkeit, absolutes Wachstum oder eine Kombination aus Dopplerparametern werden herangezogen. Zusätzlich werden weitere Überwachungsmethoden wie die Kurzzeitvariabilität im computerisierten CTG oder das biophysikalische Profil (BPP) empfohlen, um den optimalen Zeitpunkt zur Geburtseinleitung zu ermitteln.15 Dazu braucht es zunehmend spezialisierte Kenntnisse. In der Regel kann auch bei später IUWR die Spontangeburt angestrebt werden.

Schwangerschaftscholestase

Die Assoziation der Schwangerschaftscholestase mit geburtshilflichen Komplikationen wie Frühgeburt, mekoniumhaltigem Fruchtwasser, Asphyxie und IUFT ist bekannt.16 Eine aktuelle Metaanalyse konnte zeigen, dass die Höhe der Gallensäuren den besten prädiktiven Wert hatte. Die Höhe der Leberenzyme ALAT und ASAT war nicht prädiktiv. Bei sehr hohen Werten (100µmol/l) stieg das IUFT-Risiko schon in der 35. bis 36. SSW an, bei tieferen Werten (40µmol/l) erst in der 38.SSW. Die Gallensäuren müssen jedoch wiederholt bestimmt werden. Wenn Gallensäuren unter 100µmol/l lagen, war das IUFT-Risiko vor der 38. SSW nicht erhöht.17,18 Die Daten aus dieser individuellen Patientendaten-Metaanalyse bieten Hilfestellung bei gezielter Indikationsstellung zur Einleitung der Geburt.

1 Hilder L et al.: Br J Obstet Gynecol 1998; 105: 169-73 2 WHO recommendations: induction of labour at or beyond term. Geneva: World Health Organization; 2018 3 Wennerholm UB et al.: BMJ 2019; 367: l6131 4 Keulen J et al.: BMJ 2019; 364: l344 5 Grobman WA et al.: NEJM 2018; 379: 513-23 6 Saccone G et al.: Acta Obstet Gynecol Scand 2019; 98(8): 958-66 7 Sotiriadis A et al.: UOG 2019; 53(1): 7-22 8 Grobman WA et al.: Am J Obstet Gynecol 2019; 221(4): 304-10 9 Pilliod RA et al.: Am J Obstet Gynecol 2012; 207(4): 318 10 Trudell AS et al.: Am J Obstet Gynecol 2013; 208(5): 376.e1-7 11 Gordijn SJ et al.: UOG 2016; 48(3): 33-9 12 AWMF Leitlinie Intrauterine Wachstumsrestriktion; 2017 13 Crimmins S et al.: Am J Obstet Gynaecol 2014; 211(6): 669.e1-10 14 Figueras F et al.: Am J Obstet Gynecol 2018; 218(2S): S790-802 15 Lees CC et al.: UOG 2020; 56: 298-312 16 Glantz A et al.: Hepatology 2004; 40(2): 467-74 17 Ovadia C et al.: Lancet 2019; 393(10174): 899-909 18 Cauldwell M et al.: BJOG 2020; 127(7): 876-84

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