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Evolution der gynäkologischonkologischen Chirurgie
Leading Opinions
Autor:
Prof. Dr. med. Daniel Fink
Klinik für Gynäkologie, Universitätsspital Zürich
Autor:
PD Dr. med. Patrick Imesch
Klinik für Gynäkologie, Universitätsspital Zürich<br> E-Mail: patrick.imesch@usz.ch
30
Min. Lesezeit
22.03.2018
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<p class="article-intro">Das gesamte Fach der Frauenheilkunde – und somit auch die gynäkologisch-onkologische Chirurgie – ist einem ständigen Fluss unterworfen. Sehr eindrücklich zeigt sich die Evolution der Chirurgie am Beispiel des Mammakarzinoms. Man denke da beispielsweise an Halsteds radikal verstümmelnde Operationsmethode beim Mammakarzinom, welche damals ohne Beweis einer Wirksamkeit durchgeführt worden ist.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die Idee der En-bloc-Resektion mit Entfernung der Mamma und des Musculus pectoralis major und minor sowie der regionalen Lymphknoten basierte auf der Vorstellung, dass eine Tumorerkrankung zentrifugal fortschreitet, sodass eine möglichst radikale Operation die Heilungschancen erhöhen würde. Obwohl es sich bei dieser Therapie um eine «majestätisch, mängelbehaftete Operationsmethode» handelte, blieb die Halsted-Doktrin während einer Zeitspanne von rund 100 Jahren gültig, konnte später aber klinischwissenschaftlich eindeutig widerlegt werden. Die Chirurgie des Mammakarzinoms entwickelte sich in der Folge weiter in Richtung weniger invasiver Verfahren. Brusterhaltung und das Sentinelkonzept gelten heutzutage als Standard in der operativen Therapie des Mammakarzinoms. In den letzten Jahren wurde die operative Radikalität nochmals deutlich reduziert. Die Rate der brusterhaltenden Operationen ist klar angestiegen, die geforderten Resektionssicherheitsabstände wurden zudem weiter verringert. Auch sieht man heute einen schrittweisen Rückzug von der systematischen axillären Lymphonodektomie – auch weil der prognostische Wert des Lymphknotenstatus durch andere Parameter der Tumorbiologie ersetzt worden ist.<br /> Eine ähnliche Entwicklung macht auch die Chirurgie der gynäkologischen Karzinome durch, wenn auch derzeit noch weniger eindrücklich, als dies beim Mammakarzinom der Fall ist. Bis vor Kurzem hat man in Operationssälen regelmässig den Spruch «Grosse Chirurgen erkennt man an ihren grossen Schnitten» gehört. Diese Aussage wurde im 19. Jahrhundert vom Chirurgen Johann Friedrich Dieffenbach (1792−1847) getan und hatte zu jenem Zeitpunkt sicherlich ihre Berechtigung. Damals steckten die diagnostischen Mittel noch dermassen in den Kinderschuhen, dass man nur nach genügender Eröffnung des Abdomens auch eine adäquate Diagnostik durchführen konnte. Diese Situation hat sich mit verbesserten bildgebenden Verfahren und laborchemischen Zusatzuntersuchungen natürlich drastisch verändert, sodass heute auf diese grossen «diagnostischen» Schnitte verzichtet werden kann.</p> <h2>Siegeszug der Laparoskopie</h2> <p>Die Gynäkologie hat in ihrer Geschichte regelmässig grosse Pioniere für neue operative Techniken/Verfahren hervorgebracht. Man denke hier beispielsweise an Prof. Dr. med. K. Semm, welcher die erste laparoskopische Appendektomie durchführte und deswegen von verschiedenen Seiten heftig angefeindet wurde. Heute sind endoskopische Verfahren aus der Gynäkologie allerdings nicht mehr wegzudenken und viele laparoskopische Eingriffe sind heute Routine- bzw. Standardeingriffe. Die weitere Entwicklung der Endoskopie ist zurzeit von der Verknüpfung mit weiteren modernen Möglichkeiten geprägt, beispielsweise mit der Robotik.<br /> Eines der letzten grossen Fragezeichen der letzten Dekade im Zusammenhang mit der laparoskopischen Chirurgie war, ob auch gynäkologische Karzinomoperationen minimal invasiv durchgeführt werden könnten. Solche Operationen wurden zwar schon länger von Pionieren des Faches durchgeführt, über einen längeren Zeitraum hinweg waren die Daten hinsichtlich des Langzeitverlaufs und der onkologischen Sicherheit aber spärlich. In solchen Situationen besteht die Gefahr, wie damals zu Zeiten Halsteds, dass neue Techniken als Standard angesehen werden, obwohl das Datenmaterial fehlt. In der letzten Dekade hat sich diesbezüglich nun aber einiges getan und man darf heute mit einem 1A-Evidenzlevel sagen, dass die Laparoskopie der Laparotomie überlegen ist.</p> <h2>Was macht die Evidenz?</h2> <p>Die LAP2-Studie<sup>1</sup> schloss Patientinnen mit uterinen Karzinomen der Stadien I bis IIA in die Untersuchung ein. Die Patientinnen wurden entweder in eine Laparoskopie- (n=1696) oder eine Laparotomiegruppe (n=920) randomisiert. Es zeigte sich, dass die Laparoskopie insgesamt als sicher und durchführbar zu werten ist, dass sie mit einer kürzeren Hospitalisationszeit, einer geringeren Anzahl an moderaten bis schweren postoperativen Problemen assoziiert war und den Patientinnen zu einem insgesamt bedeutend besseren Körperbild verhelfen konnte.<br /> Die Kritiker der Technik traten frühzeitig auf den Plan und stellten berechtigterweise kritische Fragen, so beispielsweise, ob wegen der schlechteren taktilen Möglichkeiten eine erhöhte Rezidivrate aufgrund verpasster Lymphknotenmetastasen die Folge sein könnte. Auch die Frage nach der Bedeutung des hohen intraabdominalen Drucks wurde aufgeworfen, die Rolle des Uterusmanipulators wurde kritisch hinterfragt und insbesondere wurde die Frage nach dem Gesamtüberleben und somit nach der onkologischen Sicherheit gestellt.<br /> 2012 wurde eine Folgearbeit der LAP2- Studie publiziert, welche das Endometriumkarzinom als ideal für das laparoskopische Vorgehen, unabhängig von Zelltyp, Grad, Nodalstatus und Stadium, bewertete.<sup>2</sup> Es zeigten sich nur kleine Differenzen in der Rezidivrate. Unter Berücksichtigung der anderen bereits bekannten Vorteile der Laparoskopie insgesamt wurde die minimal invasive Methode deshalb als der ideale Zugangsweg definiert.<br /> Weitere Studien konnten diese Daten bestätigen. Die Arbeitsgruppe um Wright et al. zeigte in ihrer Arbeit zur operativen Therapie des Endometriumkarzinoms im Stadium I bis III ebenfalls eine niedrigere Komplikationsrate, eine geringere perioperative Mortalität und ein unverändertes Langzeitüberleben beim laparoskopischen Zugang, verglichen mit einer Laparotomie.<sup>3</sup> Selbst in Fällen eines «High risk»-Endometriumkarzinoms waren in multizentrischen retrospektiven Studien keine Unterschiede im «disease-free survival » (DFS) und «overall survival» (OS) auszumachen. Auch bei Typ-II-Karzinomen erwies sich die Laparoskopie hinsichtlich der onkologischen Sicherheit als mindestens gleichwertig. Gleiches gilt für alte Patientinnen (>80 Jahre), bei denen die Laparoskopie ebenfalls ein günstigeres perioperatives Management mit sich bringt.<sup>4, 5</sup><br /> In anderen Arbeiten konnte zudem gezeigt werden, dass die Verwendung eines Uterusmanipulators keinen negativen Effekt hatte, weder auf die Häufigkeit positiver Spülzytologie, die LVSI-Rate noch auf die Rezidivrate, sodass auch dieses Argument entschärft werden konnte.<sup>6</sup> Trokarmetastasen, ein weiteres Argument der Laparoskopiegegner, sind insgesamt als selten anzusehen. Die Gesamtinzidenz beim Zervixkarzinom wird mit 0,1−0,43 % angegeben, die beim Endometriumkarzinom mit 0,06−0,33 % . Sie ist etwas höher beim Ovarialkarzinom (0,89 % ), beträgt in fortgeschrittenen Stadien allerdings bis zu 17 % . Die Prognose ändert sich für die Frauen aber nicht. Wenn Trokarmetastasen auftreten, dann häufig zusammen mit anderen Metastasen, weshalb sie eher als Surrogatmarker für fortgeschrittene Erkrankungsstadien angesehen werden können. Die Möglichkeit von Trokarmetastasen sollte somit keine Kontraindikation für die Anwendung der Laparoskopie darstellen.<br /> Untersuchungen zum Vergleich Laparotomie/ Laparoskopie beim Zervixkarzinom brachten identische Langzeitresultate mit insgesamt niedrigerer Komplikationsrate, wenn man die Operationen minimal invasiv plant und durchführt. Dies hat zur Folge, dass heutzutage in den meisten Zentren das laparoskopische Vorgehen auch beim Zervixkarzinom zum Standard wurde. Weitere Fortschritte der Chirurgie der letzten Dekade mit weniger aggressiven Techniken beim Zervixkarzinom konnte des Weiteren auch durch die Trachelektomie mit laparoskopischer Lymphonodektomie erzielt werden. Bei ausgewählten Patientinnen zeigten diese fertilitätserhaltenden Operationen sehr gute onkologische Resultate.</p> <h2>Was bringt die Zukunft?</h2> <p>Das Konzept der Sentinellymphonodektomie ist beim Mammakarzinom und auch beim Vulvakarzinom heutzutage als Standardeingriff zu werten, zunehmend wird diese Methode nun auch beim Zervixkarzinom diskutiert, wenngleich die Guideline-Empfehlungen noch nicht klar definiert sind. Das bisherige Datenmaterial geht aber klar in Richtung pro Sentinellymphknotenentfernung. Hier wird in nächster Zeit sicherlich ebenfalls von weniger Radikalität auszugehen sein, was für die Patientinnen eine grosse Entlastung darstellen wird. Die derzeitig empfohlene radikale Hysterektomie mit extensiver Resektion der Parametrien ist in vielen Fällen wahrscheinlich eine Überbehandlung, vor allem bei Patientinnen mit kleinen und lokal begrenzt Tumoren. Derzeit sind grosse randomisierte Studien im Gange, so zum Beispiel die SHAPE-Studie («radical versus simple hysterectomy and pelvic node dissection in patients with low-risk early stage cervical cancer»), welche Zervixkarzinompatientinnen einschliesst und sie entweder in eine Gruppe mit simpler Hysterektomie oder eine mit radikaler Hysterektomie einteilt. Geplant ist der Einschluss von 700 Patientinnen, die Daten werden 2020 erwartet. Dass sich hier möglicherweise keine Unterschiede im Outcome zeigen werden, ist nicht gänzlich undenkbar. So wurde auch beim Endometriumkarzinom traditionell bei einem Befall des Zervixstromas (Stadium pT2) die radikale Hysterektomie mit Resektion der Parametrien empfohlen. Untersuchungen von Watanabe et al. (GOTIC-Studiengruppe) konnten aber zeigen, dass der Typ der Hysterektomie selbst dann keinen Einfluss auf die Rate an Lokalrezidiven, das progressionsfreie Überleben und das Gesamtüberleben hat, wenn ein eindeutiger Zervixbefall am Hysterektomiepräparat nachgewiesen wurde. Eine radikale Hysterektomie sollte beim Endometriumkarzinom im Stadium II deshalb gemäss derzeitigen Guidelines nicht mehr durchgeführt werden. Auch an diesem Beispiel zeigt sich der Trend einer Minimierung der operativen Radikalität in den letzten Jahren.<br /> Eine grosse Errungenschaft des letzten Jahrzehnts ist sicherlich, wie bereits oben beschrieben, die Einführung des Sentinellymphonodektomie-Konzepts in die gynäkologische Onkologie. Die radikale Lymphonodektomie ist in den letzten Jahren immer mehr in Bedrängnis geraten, zumal ein therapeutischer Nutzen weder beim Endometriumkarzinom noch beim Zervixkarzinom überzeugend bewiesen werden konnte. Seit Kurzem wird nun auch die Lymphonodektomie beim Ovarialkarzinom infrage gestellt. In der sogenannten LION-Studie wollte man die Frage beantwortet haben, ob die systematische Entfernung pelviner und paraaortaler Lymphknoten bei Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom zu einer Verlängerung der Gesamtüberlebenszeit führt. Die nun vorliegenden Daten zeigen keinen statistisch signifikanten Unterschied, weder im progressionsfreien Überleben noch im Gesamtüberleben, sodass der Verzicht auf eine Lymphonodektomie als neuer chirurgischer Standard bei Patientinnen mit Ovarialkarzinom FIGO IIB–IV, makroskopisch vollständiger Tumorresektion und klinisch negativen Lymphknoten gewertet werden kann.<br /> Auch auf dem Gebiet der medikamentösen Therapie sind beim Ovarialkarzinom in den letzten Jahren wichtige und vielversprechende Daten publiziert worden, man denke hier beispielsweise an PARP-Inhibitoren, Immuntherapien oder, ganz neu, auch an hypertherme intraperitoneale Chemoperfusions(HIPEC)-Behandlungen.<sup>7</sup> Gerade im Hinblick auf den Erfolg der Immuntherapien wird man in Zukunft möglicherweise die Rolle der Lymphonodektomie beziehungsweise deren Ausmass genau überdenken müssen. Die Tumormikroumgebung und hier speziell die tumordrainierenden Lymphknoten stellen wichtige Orte für antitumoröse, immunologische Prozesse dar und sind daher essenzielle Targets für immunmodulierende Therapien bei Karzinompatientinnen. Hier sind sicherlich weitere Untersuchungen nötig.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Es lässt sich sagen, dass die Reise im Bereich der gynäkologischen onkologischen Chirurgie in der letzten Dekade ganz eindeutig in Richtung weniger invasiv (minimal invasiv) und weniger radikal ging. Bei Betrachtung der kurzfristigen postoperativen Morbidität ist das laparoskopische Vorgehen dem offen chirurgischen klar überlegen. Die langfristige Morbidität ist identisch. Das onkologische Ergebnis der laparoskopischen und offen chirurgischen Therapien ist vergleichbar, was in mehreren Studien zweifelsfrei belegt werden konnte. Das Ausweiten des Sentinelkonzepts auf das Zervixkarzinom steht vor der Tür und auch beim Endometriumkarzinom wird dieses Konzept derzeit gründlich geprüft. Man wird verstehen müssen, dass Karzinome schon sehr früh eine systemische Erkrankung darstellen und dass ausgedehnte lokale chirurgische Kontrollen des Karzinoms in vielen Fällen nicht wirklich zielführend sind, für viele Patientinnen aber eine erhebliche Einbusse an Lebensqualität mit sich bringen. Auf die nächste Dekade kann man sehr gespannt sein, die Richtung scheint aber vorgegeben zu sein. Das Oxymoron «Weniger ist mehr» scheint auch in der gynäkologischen Onkologie zunehmend von Bedeutung zu sein.</p> </div></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Walker JL et al.: Laparoscopy compared with laparotomy for comprehensive surgical staging of uterine cancer: Gynecologic Oncology Group Study LAP2. J Clin Oncol 2009; 27(32): 5331-6 <strong>2</strong> Walker JL et al.: Recurrence and survival after random assignment to laparoscopy versus laparotomy for comprehensive surgical staging of uterine cancer: Gynecologic Oncology Group LAP2 Study. J Clin Oncol 2012; 30(7): 695-700 <strong>3</strong> Wright JD et al.: Comparative effectiveness of minimally invasive hysterectomy for endometrial cancer. J Clin Oncol 2016; 34(10): 1087-96 <strong>4</strong> Koskas M et al.: Long-term oncological safety of minimally invasive surgery in high-risk endometrial cancer. Eur J Cancer 2016; 65: 185-91 <strong>5</strong> Uccella S et al.: Laparoscopic vs. open treatment of endometrial cancer in the elderly and very elderly: An age-stratified multicenter study on 1606 women. Gynecol Oncol 2016; 141(2): 211-7 <strong>6</strong> Tinelli R et al.: Laparoscopic treatment of early-stage endometrial cancer with and without uterine manipulator: Our experience and review of literature. Surg Oncol 2016; 25(2): 98-103 <strong>7</strong> van Driel et al.: Hyperthermic intraperitoneal chemotherapy in ovarian cancer. N Engl J Med 2018; 378(3): 230-40</p>
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