
Evidenz der nicht antibiotischen Therapien
Autorin:
Dr.med. Irena Zivanovic
Blasen- und Beckenbodenzentrum
Frauenklinik Frauenfeld
Kantonsspital Frauenfeld
E-Mail: blasenzentrum.ksf@stgag.ch
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Rezidivierende Harnwegsinfekte betreffen 2,4% aller Frauen jeden Alters. In diesem Artikel werden multimodale Therapien vorgestellt, um Harnwegsinfekte erfolgreich und ohne Langzeitantibiose zu behandeln. Zur individuellen Behandlung gehören ein Beratungsgespräch, eine ausreichende Trinkmenge, Intimpflege, lokale Östrogenisierung und Phytotherapie. Das Ziel ist, die natürlichen Abwehrmechanismen wiederherzustellen.
Keypoints
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Rezidivierende Harnwegsinfekte betreffen Jung und Alt und können die Lebensqualität stark beeinflussen.
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Ziele der Therapie sind die Reduktion der Harnwegsinfekte, die Verbesserung der Lebensqualität und die Reduktion wiederholter oder langfristiger Antibiotikatherapien.
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Zuerst wird der Infekt gezielt und resistenzgerecht antibiotisch behandelt. Dann folgen Massnahmen zur Vorbeugung von rezidivierenden Harnwegsinfekten im Sinne einer multimodalen Therapie.
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Mit Prophylaxemassnahmen soll die Körperabwehr wiederhergestellt werden. Dies beinhaltet eine entsprechende Beratung, ausreichende Trinkmenge, Intimpflege, Phytotherapie und lokale Östrogenisierung. Als Erweiterung können je nach Indikation GAG-Schicht-Aufbau, Lactobazillen, Vakzinierung und D-Mannose erwogen werden.
Rezidivierende Harnwegsinfekte – ein häufiges Problem
Harnwegsinfekte sind die häufigsten bakteriellen Infektionen des Menschen. In der täglichen Praxis stellen sie ein grosses Problem dar.1 Frauen haben aufgrund der anatomischen Gegebenheiten ein acht- bis dreissigfach höheres Risiko für Harnwegsinfekte als Männer.2 Bei der sonst gesunden Frau handelt es sich meist um unkomplizierte Entzündungen der Harnblase, die zwar folgenlos ausheilen, aber sowohl sozioökonomisch als auch psychologisch sehr belastend sind.
Harnwegsinfekte betreffen Jung und Alt und führen, je länger und häufiger sie auftreten, zu massiver Verunsicherung und Beeinträchtigung der Lebensqualität im Beruf und bei Freizeitaktivitäten, bei der Sexualität und der Partnerbeziehung. Junge Frauen haben meist typische Entzündungszeichen wie Blasenschmerzen und Pollakisurie. Ältere Frauen dagegen bemerken diese Infektsymptome oft nicht. Sie klagen eher über Dranginkontinenz («OAB wet») und unangenehmen Uringeruch, was zu sozialer Isolation und depressiver Verstimmung führen kann.
Jede zweite Frau leidet unter sporadischen Zystitiden. Fast 20% der Frauen, die einmal eine Harnwegsinfektion hatten, werden noch eine weitere Harnwegsinfektion haben. 30% dieser Frauen werden eine dritte Harnwegsinfektion haben und wiederum 80% dieser Frauen werden rezidivierende Harnwegsinfekte haben. Sporadische Zystitiden führen zu wiederkehrenden Infekten nach jeder Kälteexposition, nach Intimverkehr oder nach körperlicher oder psychischer Belastung. Von rezidivierenden Harnwegsinfekten spricht man, wenn zwei Infekte pro sechs Monate oder drei Infekte pro Jahr auftreten.3
Therapie mit Antibiotika
Der Infekt sollte mittels Urinkultur nachgewiesen werden. Eine Behandlung erfolgt üblicherweise mittels Antibiotika. In der Regel handelt es sich um multisensible Erreger. Beim häufigen Einsatz von Antibiotika ist Vorsicht geboten, da dadurch für resistente Keime selektioniert wird und sich die Zusammensetzung des Mikrobioms des Körpers verändert.4,5 Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang auch die weltweite Zunahme der Antibiotikaresistenzen.6 Zur Therapie und Prophylaxe rezidivierender Harnwegsinfekte steht weniger der eigentliche Erreger im Zentrum, sondern vielmehr der Zustand der Frau und die Stärkung ihrer Abwehrmechanismen.
Zum multimodalen Therapiekonzept der rezidivierenden Harnwegsinfekte gehören auch das Erkennen und Ausschliessen von Risikofaktoren wie z.B. erhöhtem Restharn oder Stuhlinkontinenz.
Ursachen von Harnwegsinfektionen
Es gibt für Harnwegsinfekte drei Häufigkeitsgipfel im Leben einer Frau. Bei Säuglingen und Kleinkindern handelt es sich meist um noch unentdeckte oder noch nicht behandelte Fehlbildungen und um Schmierinfektionen. Bei der zweiten Gruppe, den sexuell aktiven prämenopausalen Frauen kommt es häufig zu postkoitalen Zystitiden.7 Die dritte Gruppe sind die postmenopausalen Frauen. In der Postmenopause führt der starke Abfall der Östrogene zur Atrophie der Vaginalhaut. Die Folgen sind ein Rückgang der Lactobazillen, ein Anstieg des pH-Wertes und die Besiedelung der Scheide mit Darm- und Hautbakterien sowie Anaerobiern. Diese steigen dann leicht in die Blase auf. Es besteht in der Postmenopause eine Korrelation zwischen zunehmendem Alter, Östrogenabfall, urogenitaler Atrophie, Blasenentzündungen, Urininkontinenz, Zystozele, Restharnanstieg und Stuhlinkontinenz. Mit zunehmendem Alter kommen weitere Risikofaktoren in Form von altersdegenerativen Prozessen hinzu, wie Immunschwäche, Multimorbidität, Diabetes, rheumatologische Krankheiten mit immunsuppressiven Therapien, Adipositas, Motilitätsstörungen, Intimpflegeprobleme bei psychoorganischem Syndrom oder Demenz und ungenügende Trinkmenge bei vermindertem Durstgefühl.
Die Infekte entstehen durch Keimaszension vom Enddarm als Erregerreservoir oder von der Haut im Intimbereich über die Urethra (Abb. 1). Die kurze Urethra der Frau und der kurze Weg begünstigen diese Aszension.8
Zusammenhang von Miktion und Harnwegsinfekten
Was das Miktionsverhalten betreffend rezidivierende Harnwegsinfekte angeht, ist der Nutzen der Miktion vor oder nach Intimverkehr sowie von generell häufigem Miktionieren nicht geklärt. Auch der Zusammenhang zwischen rezidivierenden Harnwegsinfekten und Harninkontinenz ist unklar. Nachgewiesen ist jedoch, dass Patientinnen mit Miktionsstörungen eine hohe Rate an Harnwegsinfektionen aufweisen. Insbesondere mit erhöhtem Restharn steigt die Rate der rezidivierenden Harnwegsinfektionen in der Postmenopause.9
Multimodale Therapie – Verhaltensmassnahmen
Aufgrund klinischer Erfahrungen sind Empfehlungen zur allgemeinen Immunstimulation durch eine pflanzenbetonte Kost, regelmässige sportliche Aktivität und psychosoziale Massnahmen wie Pflege von Sozialkontakten und Erreichen einer positiven Einstellung auch ohne Vorliegen konkreter Studienergebnisse sinnvoll.9
Ein spezifisches Schulungsprogramm für die Betroffenen zu Ursachen und Verhaltensmassnahmen kann gegenüber der alleinigen Ausgabe von Informationsmaterial die Rate an rezidivierenden Harnwegsinfekten senken.11,12
Vitamin D
Vitamin-D-Mangel ist ein pandemisches Problem. Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Mangel und Harnwegsinfektionen.12 In einer retrospektiven Vergleichsstudie mit Kontrollpersonen desselben Alters hat man den Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Spiegel und Harnwegsinfektionen untersucht. Ein Serum-25(OH)-Vitamin-D-Spiegel von <15ng/ml war mit rezidivierenden Harnwegsinfekten bei prämenopausalen Frauen assoziiert.13 Hier wurden über einen Zeitraum von drei Jahren 93 prämenopausale Frauen mit rezidivierenden Harnwegsinfekten untersucht und mit 93 gleichaltrigen Frauen ohne rezidivierende Harnwegsinfekte verglichen.
Genügend trinken und Intimpflege
Eine zu geringe Trinkmenge begünstigt die Entstehung von Harnwegsinfekten.14 Die Trinkmenge muss gesteigert werden, mit dem Ziel, über 24 Stunden mindestens eine Urinmenge von 2 Liter zu erreichen.15
Insbesondere im Alter besteht oft ein vermindertes Durstgefühl. Eine geringe Blasenspülung begünstigt die Bakterienaszension, führt zu einer vermehrten Blasenreizung durch den konzentrierten Urin und zu einer verringerten Blasenkapazität mit einer Reizblasensymptomatik.8 Dadurch wird die Trinkmenge oft noch weiter eingeschränkt. Bei falscher oder ungenügender Intimpflege können Hautbarriere und Scheidenflora massiv gestört sein, insbesondere, wenn gleichzeitig eine Inkontinenz vorliegt. Eine gesunde Haut- und Schleimhautbarriere bildet die Grundlage für eine intakte urogenitale Infektabwehr (Abb. 2).
Eine übertriebene Intimhygiene schädigt das lokale protektive Milieu.16 Empirisch zeigte sich Folgendes- für die Intimpflege von Vorteil: das Waschen mit nicht zu warmem Wasser, die Anwendung von pH-neutralen rückfettenden Waschlotionen, das Waschen und Trocknen der Haut von «vorne nach hinten», sorgfältiges Trocknen der Haut und regelmässige Anwendung von fettenden Crèmen. Es liegt keine Evidenz über den Nutzen von rückfettenden Massnahmen vor. Jedoch führt die Anwendung von rückfettenden Crèmen zu einem Schutzfilm auf der Haut, was zur Stabilisierung der Hautbarriere beiträgt. Durch eine stabile Hautbarriere werden die Bildung von Mikrorissen und das Eindringen von Erregern in die Haut verringert.
Lokale Östrogenisierung
Ein Kernpunkt der Prophylaxe ist die Anwendung von lokalen Östrogenen (Tab. 1).Die intravaginale Verabreichung von Estriol verhindert rezidivierende Harnwegsinfekte bei postmenopausalen Frauen wahrscheinlich durch Veränderung der Vaginalflora.17 Die lokale Östrogenisierung reduziert die Anzahl der Enterobakterien, senkt den vaginalen pH-Wert und es kommt zum Anstieg der Lactobazillenzahl. Zusätzlich werden die Vaginal- und Blasenwand aufgebaut. Oral zugeführte Hormone haben keinen protektiven Effekt hinsichtlich des Auftretens von rezidivierenden Harnwegsinfekten.18
Lactobazillen/Probiotika
Lactobazillen sind grampositive und meist stäbchenförmige Bakterien, die im Darm, auf der Haut und bei Frauen in der Vagina vorkommen. Sie sind wichtig für die normale Darmfunktion, üben positive Effekte auf die Schleimhaut aus und schützen vor Infektionskrankheiten. Sie sind ein natürlicher Bestandteil des Mikrobioms und haben antimikrobielle, antivirale, immunmodulierende und immunstimulierende, entzündungshemmende, verdauungsfördernde und antidiarrhoische Eigenschaften. In der Vagina halten sie ein sauberes Milieu aufrecht, das vor Infektionskrankheiten schützt. Insgesamt ist jedoch die Datenlage ungenügend und unklar. Die aktuelle Evidenz kann eine Reduktion von rezidivierenden Harnwegsinfekten bei Frauen mit rezidivierenden Harnwegsinfekten, die prophylaktisch Probiotika anwenden, nicht ausschliessen. 19–22 Probiotika können vaginal oder oral verabreicht werden.
Immunstimulanzien
Als Immunprophylaxe wird die orale Immunstimulation mit Uro-Vaxom® (OM-89) empfohlen.3 Das orale Immuntherapeutikum Uro-Vaxom® enthält abgetötete, fraktionierte Bakterienextrakte aus 18 verschiedenen uropathogenen Stämmen des Darmbakteriums Escherichia coli, das für über 75% aller Harnwegsinfekte verantwortlich ist. Uro-Vaxom® ist als Immuntherapeutikum zur Prophylaxe von rezidivierenden Infektionen der unteren Harnwege und als Adjuvans zur Behandlung akuter Harnwegsinfektionen zugelassen. Uro-Vaxom® stimuliert die zelluläre und humorale Immunität, wodurch es zu einer verstärkten lokalen Immunantwort im Bereich der Harnwege kommt. Es stimuliert die T-Lymphozyten, induziert die Produktion von endogenem Interferon und erhöht die sekretorischen IgA-Werte im Urin. Studien zeigten signifikant weniger Harnwegsinfektionsrezidive (75,7%) im Vergleich zu Placebo innert 6 Monaten.23
Des Weiteren zeigten sich eine gute Verträglichkeit und eine Verkürzung der Behandlungszeit und der Verbrauch von Antibiotika konnte nach Immunoprophylaxe signifikant reduziert werden.24,25
Nach der dreimonatigen Einnahme erfolgte eine dreimonatige Pause. Eine Boosterung ist bei Bedarf im 7. bis 9. Monat für jeweils 10 Tage sinnvoll.
Impfung
Eine Impfung kann zusätzlich eingesetzt werden, um das Immunsystem zu stärken. Eines der ältesten Präparate ist StroVac®. Es handelt sich um einen parenteralen Impfstoff mit inaktivierten Escherichia coli sowie Proteus, Morganella, Klebsiellen und Enterokokken. StroVac® ist in der Schweiz nicht zugelassen, darf also von Ärzten in der Schweiz weder verschrieben noch appliziert werden. In Deutschland wird es häufig verwendet. Nach der aktuellen Datenlage ist eine hochwertige Aussage zum Einsatz von StroVac® nicht verfügbar.26,27 Auch neuere Studien zeigen keinen signifikanten Unterschied zwischen StroVac® und Placebo.28
Weitere Impfungen sind in Entwicklung. Bakteriophagen zur Bekämpfung von rezidivierenden Harnwegsinfekten werden in einem vielversprechenden Forschungsprojekt untersucht.29 Bakteriophagen (Phagen) sind Viren, die ausschliesslich Bakterien infizieren. In einem weiteren Schritt sollen mit genetisch angepassten Bakteriophagen und gesundem Mikrobiom krank machende Bakterien bekämpft und wiederkehrende Harnwegsinfektionen verhindert werden.
D-Mannose
Eine weitere Option in der Behandlung von rezidivierenden Harnwegsinfekten stellt die D-Mannose dar. D-Mannose ist ein in der Natur vorkommender Einfachzucker, welcher nicht verstoffwechselt wird, sondern in der Blase angereichert und dann mit dem Urin ausgeschieden wird. Grundsätzlich suchen Escherichia-coli-Bakterien Kontakt zu zuckerhaltigen Andockstellen am Urothel. Bei der Einnahme von D-Mannose binden Escherichia-coli-Bakterien an das Überangebot von Mannose im Urin und somit weniger an die Mannoseketten der Blasenwand. Damit wird die Adhäsion der Bakterien ans Urothel verhindert.30 Die Studienlage zeigt signifikant weniger rezidivierende Harnwegsinfekte in der D-Mannose-Gruppe im Vergleich zu Placebo. Die D-Mannose-Gruppe hatte auch weniger Nebenwirkungen im Vergleich zur Antibiotika-Gruppe.31
Phytotherapeutika
Phytotherapeutika können die Infektabwehr in der Harnblase unterstützen. Dabei wird beispielsweise Preiselbeersaft angewendet. Der Wirkstoff in den Preiselbeerprodukten, hergestellt aus Extrakten der Preiselbeere, der amerikanischen Cranberry oder der europäischen Moosbeere, ist A-Typ-Proanthocyanidin (PAC). Dieses verhindert das Andocken der Bakterien an die Blasenwand. Cranberrys werden in den USA grossflächig angepflanzt. Preiselbeeren haben jedoch einen etwa doppelt so hohen Gehalt an Wirkstoff wie Cranberrys und Moosbeeren. Die Wirkstoffkonzentration in den Produkten ist auch von der Sonneneinstrahlung, der Bodenbeschaffenheit, der Reife der Früchte und der Aufarbeitung der Beeren abhängig. Daher ist der direkte Vergleich zwischen den einzelnen Produkten erschwert.
Die Ergebnisse vieler Studien waren im Hinblick auf die Reduktion der rezidivierenden Harnwegsinfekte widersprüchlich, sodass aktuell keine Empfehlung ausgesprochen werden kann. In einer neuen Cochrane-Metaanalyse (insgesamt 50 Studien) konnte ein gewisser prophylaktischer Effekt gezeigt werden.32
Weitere Phytotherapeutika, die bei Blasenbeschwerden häufig verwendet werden, sind Produkte, welche Bärentraubenblätter, Kapuzinerkressenkraut, Meerrettichwurzel, Birkenblätter und/oder Goldrutenkraut enthalten. Sie wirken in der Regel harntreibend, im Harn antibakteriell sowie entzündungshemmend und erschweren zusätzlich das Anhaften der Bakterien an der Blasenschleimhaut. Ein frühzeitiger Einsatz dieser Phytotherapeutika kann hilfreich sein.33–35 Die Phytotherapeutika sollten nicht länger als zwei Wochen eingenommen werden.
Präventionsstudien mit der harnansäuernden Aminosäure L-Methionin haben widersprüchliche Resultate ergeben. Auf Kontraindikationen wie insbesondere Niereninsuffizienz, Hyperurikämie, metabolische Azidose, Leberinsuffizienz, Harnsäure- oder Zystinsteine und Homozysteinurie ist zu achten.36,37
Aufbau der Glykosaminoglykan-Schicht
Als erweiterte Massnahmen können bei Defekten der endothelialen Schutzschicht oder chronischen Blasenwandentzündungen zum Aufbau der Glykosaminoglykan-Schicht (GAG-Layer) der Harnblasenwand Chondroitinsulfat und/oder Hyaluronsäure, Glucosamin oder Heparin eingesetzt werden. Die GAG-Schicht ist wasserabstossend und verhindert die Penetration aggressiver Urinsubstanzen in tiefere Schichten. Sollte die oberste Schicht lädiert sein, kann diese mit Produkten, welche entweder oral eingenommen werden oder direkt intravesikal verabreicht werden, aufgebaut werden. Intravesikale Instillationen mit Hyaluronsäure und Chondroitinsulfat – allein oder in Kombination – konnten die Rate von Harnwegsinfekten reduzieren und die Dauer bis zur nächsten Harnwegsinfektion verlängern.38,39
Akupunktur
Akupunktur kann zu einer guten Immunstimulation führen. In einer Studie mit 67 Frauen fanden sich 85% der Patientinnen, die Akupunktur erhalten hatten, nach 6 Monaten frei von Harnwegsinfektionen, im Vergleich zu 56% der Patientinnen, die Scheinakupunktur erhalten hatten, und 36% der Kontrollgruppe.40 In einer weiteren Studie mit 98 Teilnehmerinnen halbierte sich die Harnwegsinfektionsrate nach Akupunktur gegenüber nicht behandelten Kontrollen.41 Akupunktur scheint eine Alternative zur Vorbeugung rezidivierender Harnwegsinfekte bei Frauen zu sein.
Fazit
Meistens sind es mehrere Ursachen, welche zu rezidivierenden Harnwegsinfektionen führen. Der beste Behandlungserfolg wird erreicht, wenn alle Krankheitsursachen frühzeitig erkannt und gleichzeitig behandelt werden. Eine multimodale Therapie (Abb. 3) mit einer entsprechenden Beratung, ausreichender Trinkmenge, Intimpflege, lokaler Östrogenisierung und Phytotherapie ermöglichen auch ohne den Einsatz einer Langzeitantibiose eine gute Heilung in ca. 75% der Fälle.42 Hinzu kommen noch weitere prophylaktische Massnahmen, wie Aufbau der Glykosaminoglykan-Schicht der Blase, Einnahme von D-Mannose oder die Immunisierung mit Uro-Vaxom. Entscheidend ist hierbei die Wiederherstellung der natürlichen Abwehrmechanismen.
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