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Endometriose in der Adoleszenz
Jatros
Autor:
Dr. Rüdiger Schug
Gemeinschaftspraxis Dr. Erich Schmid, Dr. Roland Engel, Dr. Rüdiger Schug Hauzenberg<br> E-Mail: schmid-engel@gyn-team-bayerwald.de
30
Min. Lesezeit
07.03.2019
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<p class="article-intro">Bei mehr als der Hälfte der an chronischen Unterbauchschmerzen oder Dysmenorrhö leidenden Adoleszentinnen lässt sich eine Endometriose nachweisen. Dabei können Beschwerden wie Unterbauchschmerzen schon lange vor der Menarche vorhanden sein. Die Ziele einer frühen Diagnosesicherung müssen die Entlastung der jungen Patientin und die Limitierung der Spätfolgen einer Endometriose sein.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Eine Endometriose bei jungen Mädchen ist noch vor dem Einsetzen der Menarche, aufgrund der schon Jahre vorausgehenden Östrogenisierung, möglich.</li> <li>Die richtige Diagnose verbessert die Lebensqualität und verringert Komorbiditäten (Depression).</li> <li>Mittel der ersten Wahl sind NSAIDs, kombinierte, orale Kontrazeptiva sind die zweite Wahl (je nach Alter und Lebenssituation differenzierter Einsatz).</li> <li>Operative Diagnostik und Therapie bei erfolgloser medikamentöser Intervention oder bei tief infiltrierender Endometriose</li> </ul> </div> <h2>Die junge (Endometriose-)Patientin</h2> <p>Neben Dyspareunie, abnormen oder unregelmäßigen Uterusblutungen sowie „cyclic pelvic pain“ und Infertilität ist die Dysmenorrhö mit 64 % das führende Leitsymptom bei Patientinnen mit symptomatischer Endometriose. Betrachtet man jedoch die sehr junge Adoleszentin, so können gerade diese so typischen und prädiktiven Symptome fehlen oder nur atypisch vorhanden sein.<br /> Häufig zeigen sich bei jungen Patientinnen auch nicht zyklische Unterbauchschmerzen, Blasenkrämpfe, Darmkrämpfe bis hin zur Dyschezie während der Menstruation sowie Depression und Angstzustände. Weiters kann auch ein Nichtansprechen auf nichtsteroidale Antiphlogistika oder kombinierte, hormonelle Kontrazeptiva vorliegen. Fehlzeiten in der Schule sind oft die Folge, aber auch die Beeinträchtigung des Alltagslebens, wie sie auch bei Frauen mit Endometriose im adulten Alter vorkommt.<br /> Junge Patientinnen, vor allem Mädchen ohne Menstruation, haben somit nicht selten einen langen Leidensweg bis zur Diagnosestellung und der Installation einer geeigneten Therapieform. Im Schnitt vergehen 23 Monate bis zur Diagnosesicherung. In dieser Zeit finden im Durchschnitt drei Facharztkonsultationen statt. Neben der Gynäkologie konsultierte Fachgebiete sind die Orthopädie, die Gastroenterologie, die Schmerztherapie, die Psychiatrie und die Urologie.</p> <h2>Die Östrogenisierung beginnt schon vor der Menarche</h2> <p>Das Fehlen einer Menarche oder gar die mehr oder weniger regelmäßig vorkommende Menstruationsblutung ist bestimmt ein Grund, warum junge Mädchen nicht primär eine Vorstellung in der Gynäkologie erfahren. Eine Endometriose kann aber bereits vor dem Einsetzen der Menarche bestehen und symptomatisch sein. Die Östrogenisierung beginnt gut zweieinhalb Jahre vor der Menarche und es herrscht ähnlich wie in der perimenopausalen Phase eine Östrogendominanz, die der Endometriose den nötigen Vorschub bietet. In der Studie von Erica C. Dun et al. konnte gezeigt werden, dass die Endometriose bei Jugendlichen häufig fehldiagnostiziert wurde und Fehldiagnosen oft zu Ängsten und Verunsicherung führten.<sup>1</sup> Eine gynäkologische Abklärung beschleunigt den Prozess bis zur richtigen Diagnose und hilft, die Lebensqualität zu verbessern. Das Alter der Patientinnen in dieser Studie lag zwischen 10 und 21 Jahren. Stuparich et al. zeigten in einer anderen Untersuchung, dass in 50 % der Fälle die korrekte Diagnose nur mit Zuhilfenahme der gynäkologischen Anamnese gelang.<sup>2</sup> Weiterhin wurde beschrieben, dass nur 15 % der von Schmerzen geplagten Mädchen einen Arzt aufsuchten.</p> <h2>Risikofaktoren für eine Endometriose in der Adoleszenz</h2> <p>Neben einer positiven Familienanamnese bezüglich Endometriose, die im Untersuchungsgespräch unbedingt mit abgefragt werden muss, gelten eine frühe Menarche (vor dem 12. Lebensjahr), eine verlängerte Menstruation sowie Adipositas als Risikofaktoren für die Entstehung einer Endometriose in der Adoleszenz. Hier sollte neben der Sensibilisierung anderer Fachrichtungen wie der Kinderheilkunde in Bezug auf die Endometriose bei jungen Mädchen auch die Lifestyle-Modifikation im Sinne einer frühen Prophylaxe gesehen werden, um so z.B. eine Hyperöstrogenämie durch Übergewicht zu verhindern. In diesem Licht sehe ich besonders die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der gynäkologischen Endokrinologie als extrem hilfreich. Sie kann schon früh helfen, eine primäre Insulinresistenz zu erkennen und geeignete Maßnahmen (Ernährungsberatung, Sport, medikamentöse Therapie) einzuleiten, um die Entwicklung hin zu einer sekundären und schließlich einer gestörten Glukosetoleranz zu verzögern oder im besten Fall zu vermeiden. Nicht selten ist sonst der Weg zurück zum Normgewicht frustran und das metabolische Syndrom in all seiner Schwere unvermeidbar. Dieser Circulus vitiosus wird uns in der Zukunft auch in der Diskussion im Zusammenhang mit der fetalen, intrauterinen Programmierung und östrogenabhängigen Erkrankungen der Frau, wie Myomen und eben auch der Endometriose, gehäuft begegnen. Gerade bei der Adoleszentin noch ohne Menstruation tritt die Entstehungstheorie der retrograden Menstruation in den Hintergrund und die Zölom-Metaplasie-Theorie sowie der Verdacht der Entstehung aus embryonalen Resten des Müller-Ganges treten ins Zentrum der Diskussion. Obstruktive Müller- Gang-Anomalien sind ebenfalls detektierte Risikofaktoren. Des Weiteren komplettieren ein Geburtsgewicht von unter 3500g, eine überdurchschnittliche Körpergröße und die frühe Einnahme von oralen Kontrazeptiva ohne Verhütungswunsch sowie gegen die „primäre Dysmenorrhö“ die Liste der bekannten Risikofaktoren.</p> <h2>Diagnostik und Therapie der Endometriose in der Adoleszenz</h2> <p>Das Erkennen der individuellen Situation der jungen Patientin, auch im Kontext ihres persönlichen Umfeldes (Familie, Schule, Ausbildung etc.), sollte am Beginn einer vertrauensvollen Patientin-Arzt- Beziehung stehen. Eine mit Gewalt übergestülpte apparative Medizin oder gar operative Maßnahmen bei jungen Patientinnen mit einem schon länger bestehenden Leidensweg bahnt eher den Weg für eine schon frühe Chronifizierung und Stigmatisierung. Ziel sollte zu Beginn immer die Entlastung sein, Kompetenzen sollen gestärkt und Hilfsmittel an die Hand gegeben werden, wenn nötig im interdisziplinären Setting. Es wird wenig Sinn machen, einem Teenager die Wichtigkeit einer diagnostischen oder therapeutischen Maßnahme anhand des Fertilitätserhalts zu verdeutlichen, auch wenn die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt die Therapie in Anbetracht der momentanen und kommenden Lebensphasen abstimmen muss und im Sinne der Patientin in die Zukunft denken sollte.<br /> In der Anamnese sollte aktiv nach Dysmenorrhö und Unterbauchschmerzen gefragt werden. Die Intensität einer vorhandenen Dysmenorrhö kann mittels visueller Analogskala verifiziert werden. Ebenfalls sollte nach Schmerzen bei der Defäkation und – falls schon praktiziert – beim Geschlechtsverkehr gefragt werden. Auch die Frage, inwieweit die Schmerzen den Alltag und die Lebensqualität beeinträchtigen, sollte in die Anamnese mit eingehen (Krankschreibungen, Verlust an Freizeitaktivitäten etc.). Gefragt werden sollte, ob schon Medikamente eingenommen wurden. Wenn dies der Fall ist, sollte nach der Art der Medikation gefragt werden und ob diese auch geholfen haben. Hier kann die Empfehlung zur Pflege eines Patiententagebuches sehr hilfreich sein. Auch die Frage nach der Familienanamnese, ob es Verwandte gibt, die an Endometriose oder an Unterbauchschmerzen/Dysmenorrhö leiden, und ob Probleme mit dem Schwangerwerden in der Familie ein Thema sind muss erhoben werden.<br /> Ab der Menarche kann auch eine Virgo intacta gefragt werden, ob sie mit einer bimanuellen Untersuchung einverstanden ist (rektale Palpation als Alternative möglich). Auch ein Ultraschall kann entweder von abdominal bei gefüllter Blase oder von rektal durchgeführt werden. Die Anwendung des MRT besteht ebenfalls als Option. Diese Techniken dienen eher weniger dem Nachweis von Endometriomen oder einer tief infiltrierenden Endometriose als dem Ausschluss anderer Ursachen für die Beschwerden (Ovarialzysten, „pelvic inflammatory disease“, interstitielle Cystitis). Grund hierfür ist, dass die Endometriose sich bei Adoleszentinnen häufig in frühen Stadien mit atypischen Läsionen zeigt (s.u.). Diese entziehen sich häufig einer Palpation oder einem bildgebenden Verfahren. In einer Studie von Janssen et al. zur Prävalenz von Endometriose bei Adoleszentinnen, die mittels Laparoskopie diagnostiziert worden war, wurden 880 Mädchen und junge Frauen im Alter von 10 bis 21 Jahren untersucht.<sup>3</sup> Die Gesamtprävalenz für das Vorhandensein einer gesicherten Endometriose betrug 62 % . Bei Patientinnen mit therapierefraktären Unterbauchschmerzen über 6 Monate betrug die Prävalenz gar 75 % und bei Dysmenorrhö 70 % . Nach der American Society for Reproductive Medicine Revised Classification of Endometriosis (rASRM) wurde bei 50 % der Grad 1 gefunden, bei 27 % Grad 2, bei 18 % Grad 3 und bei 14 % Grad 4. Es fanden sich häufig rote, klare oder weiße peritoneale Herde, die vesikelartig imponierten. Die typischen polymorphen, pigmentierten Herde wie bei adulten Patientinnen waren nur selten anzutreffen. Ebenfalls selten waren ovarielle Endometriome und das Vorliegen einer tief infiltrierenden Endometriose. Die gleiche Tendenz fand sich in der schon oben genannten Studie von Erica C. Dun et al., wenn auch bei deutlich geringerer Fallzahl (n=25). Hier war Grad 1 analog zur rASRM in 68 % zu finden, Grad 2 in 20 % , Grad 3 in 12 % und Grad 4 überhaupt nicht. Hier erfolgten postoperativ die Versorgung mit kombinierten oralen Kontrazeptiva bei 64 % und die Verwendung von nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAIDs) bei 12 % .<sup>1</sup> Das Outcome nach einem Jahr war bei 64 % eine völlige Beschwerdefreiheit und bei 12 % eine Verbesserung der Schmerzsituation. 12 % hatten keinen Benefit und nur 8 % hatten eine kurzzeitige Verbesserung mit folgendem Rezidiv. Gesamt gesehen lag die Erfolgsrate nach der Intervention bei 80 % .<br /> Allgemein gilt die Verwendung von NSAIDs als Mittel der ersten Wahl, gefolgt von kombinierten oralen Kontrazeptiva, wobei hier das Alter und die momentane Lebenssituation in die Therapieentscheidung mit einfließen müssen. Bei einer jungen, sexuell aktiven Frau mit dem Wunsch nach einer sicheren Kontrazeption fällt die Entscheidung eher auf ein geeignetes hormonelles Präparat als bei einem Mädchen, das noch keine Menarche bzw. noch keinen regelmäßigen Menstruationzyklus hat. Der zu frühe Einsatz von Hormonen kann sich auf das Uteruswachstum negativ auswirken. Generell muss das Nebenwirkungsprofil einer medikamentösen Therapie bei jungen Patientinnen differenziert bewertet werden. Eine operative Diagnostik und Therapie sollte sich bei Medikamenten-refraktärer Form anschließen, primär eingesetzt bei infiltrierender Endometriose. Analog zur deutschen S2k- Leitlinie sollte vor allem bei ovariellen Endometriomen die medikamentöse Therapie Mittel der ersten Wahl sein.<sup>4</sup> In diesem Rahmen ist natürlich zu diskutieren, ob eine frühzeitige Diagnose für den weiteren Verlauf und den Fertilitätserhalt von Bedeutung ist (Psyche). Eine frühe Laparoskopie bedeutet ein geringeres Trauma als eine Operation bei ausgeprägten Befunden. Auch ist hier häufig das „Singleport“- OP-Verfahren ausreichend; in der Hand des geübten Operateurs ist die einzige Narbe im Bereich des Nabels später nicht mehr sichtbar. Für die Senkung der Rezidivrate nach früher Laparoskopie existiert derzeit noch keine Evidenz. Jedoch scheint eine frühe Resektion von ovariellen Endometriomen die Follikelreserve zu schonen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Gyn_1901_Weblinks_jatros_gyn_1901_s12_abb1.jpg" alt="" width="600" height="357" /></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Zwei Drittel der Adoleszentinnen mit chronischen Unterbauchschmerzen/ Dysmenorrhö haben eine gesicherte Endometriose. Zwei Drittel davon haben die ersten Symptome vor dem 20. Lebensjahr, die durchschnittliche Zeit vom Beginn der Symptome bis zur Diagnose beträgt 6 bis 10 Jahre. Eine Dysmenorrhö ist die häufigste gynäkologische Erkrankung junger Mädchen, jedoch konsultieren nur 15 % deswegen einen Arzt. Im Einzelfall kann eine frühe Laparoskopie diskutiert werden.</p> </div></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Dun EC et al.: Endometriosis in adolescents. JSLS 2015; 19(2): e2015.00019 <strong>2</strong> Stuparich MA et al.: Endometriosis in the adolescent patient. Semin Reprod Med 2017; 35(1): 102-9 <strong>3</strong> Janssen EB et al.: Prevalence of endometriosis diagnosed by laparoscopy in adolescents with dysmenorrhoea or chronic pelvic pain: a systematic review. Hum Reprod Update 2013; 19(5): 570-82 <strong>4</strong> S2k-Leitlinie Endometriose</p>
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