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Gestationsdiabetes

«Einmal süss, immer süss»

Weltweit hat jede siebte Schwangere einen Gestationsdiabetes (GDM); es ist die häufigste Schwangerschaftskomplikation. Ein GDM birgt diverse Risiken für Mutter und Kind, unter anderem Geburtskomplikationen, ein erhöhtes Risiko für spätere Adipositas, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neurologische Entwicklungsstörungen beim Kind und manifesten Diabetes bei der Mutter. Dem GDM solle mehr Aufmerksamkeit gezollt und Risikopatientinnen schneller identifiziert werden, fordert die Deutsche Diabetes Gesellschaft, um Spätfolgen bei Mutter und Kind zu vermeiden. Was am Screening verbessert werden müsste und worauf man bei der Blutzuckereinstellung achten muss, erklärt Dr. med. Sofia Amylidi-Mohr aus Bern.

Im Herbst forderte eine internationale Forschergruppe, viel früher in der Schwangerschaft auf Diabetes zu screenen.1 Im Schweizer Expertenbrief wird das frühe Screening nur Frauen mit Risikofaktoren und allen gesunden Schwangeren zwischen der 24. und 28. Woche empfohlen. Warum gibt es hierzulande kein früheres Screening für alle Schwangeren?

S. Amylidi-Mohr: Die derzeit verwendeten diagnostischen Tests für das Screening wurden für das dritte Trimenon validiert und können nicht einfach auf ein früheres Schwangerschaftsstadium übertragen werden. Wir sind dabei, ein prädiktives Modell zu entwickeln, um vorherzusagen, welche Frauen von einem frühen Screening profitieren. In unserer Studie2 konnte eine Kombination von maternalem Body-Mass-Index, Alter, persönlicher Anamnese und Familienanamnese bezüglich Diabetes, Höhe von glykosyliertem Hämoglobin und Gelegenheitsglukose vorhersagen, ob eine Schwangere einen GDM bekommt. Dieses Modell könnte bereits im ersten Trimenon Frauen identifizieren, die ein erhöhtes Risiko für eine metabolische Störung haben. Durch gezielte Interventionen wie Glukosemessung, Lifestyle-Interventionen oder medikamentöse Therapie könnte das Auftreten von Komplikationen reduziert werden. Ein solcher Ansatz könnte auch die fetale Glukoseexposition sowie die damit verbundenen langfristigen Folgen für das Kind minimieren.

Sollte bei jeder Frau mit Kinderwunsch präkonzeptionell der Blutzucker gemessen werden?

S. Amylidi-Mohr: Nein. Zwar spielen präkonzeptionelle Blutzuckerwerte eine wichtige Rolle für die weitere Schwangerschaftsentwicklung, ihre klinische Relevanz betrifft jedoch vor allem Frauen mit einem manifesten DiabetesTyp1 oder schwerwiegenden Formen eines DiabetesTyp2. In diesen Fällen ist eine präkonzeptionelle Optimierung der Stoffwechsellage essenziell, um das Risiko für Fehlbildungen und Schwangerschaftskomplikationen zu reduzieren. Es würde ausreichen, ein gezieltes Screening bei Frauen mit Risikofaktoren durchzuführen.

Welche Blutzuckerwerte streben Sie bei einer Schwangeren mit GDM an?

S. Amylidi-Mohr: Für kapillär gemessene Werte gilt: nüchtern <5,1mmol/l, präprandial <5,3mmol/l und eine Stunde postprandial <8mmol/l. Für die kontinuierliche subkutane Glukosemessung (CGM) zählt die Zeit im Zielbereich. Während für Diabetes mellitusTyp 1 bereits etablierte Zielbereiche existieren (aktuell 3,5–7,8mmol/l), fehlen uns robuste Daten für Gestationsdiabetes. Bis wir diese haben, richten wir uns nach den Daten für Typ-1-Diabetes.3

Wie erreicht die Schwangere die Zielwerte?

S. Amylidi-Mohr: Vielen gelingt das durch eine gezielte Ernährungsanpassung. Ein unzureichendes metabolisches Management zeigt sich entweder durch persistierend erhöhte Blutzuckerwerte oder durch sonografische Auffälligkeiten, etwa ein übermässiges fetales Wachstum oder eine Zunahme der Fruchtwassermenge. Dann ist eine Insulintherapie erforderlich.

Bis zu jede zweite Frau mit Gestationsdiabetes nimmt gemäss Deutscher Diabetes Gesellschaft die Nachsorgetermine nicht wahr. Wie kann man das ändern?

S. Amylidi-Mohr: Ähnliche Zahlen sehen wir auch im Inselspital. Ein wesentlicher Faktor ist die besondere Vulnerabilität im Wochenbett. Frauen sind durch die Anforderungen des Alltags mit einem Neugeborenen bereits stark gefordert und können sich einen dreistündigen Termin, wie es der oGTT erfordert, nur schwer vorstellen. Zudem stellt sich die Frage nach dem optimalen Zeitpunkt. Ein oGTT unmittelbar postpartal hat möglicherweise nicht die beste Aussagekraft, insbesondere bei stillenden Frauen. Ein späterer Testzeitpunkt wäre daher aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoller. Allerdings führt dies zu einer finanziellen Herausforderung. Während das Screening bis zu acht Wochen nach der Geburt von der Krankenkasse übernommen wird, müssen die Frauen danach die Kosten selbst tragen. Das ist eine zusätzliche Hürde und könnte die ohnehin geringe Compliance weiter reduzieren. Eine Anpassung der Kostenübernahme oder alternative, weniger aufwendige Screeningmethoden wären begrüssenswert.

Forscher aus Toronto haben gerade gezeigt, dass ein einstündiger OGT nicht nur schneller geht, sondern auch sensitiver ist.4 Wäre das eine Alternative?

S. Amylidi-Mohr: Die Ergebnisse sind nicht direkt auf die Schweiz übertragbar. Hierzulande basiert die GDM-Diagnostik auf dem 75g-oGTT und nicht auf dem Two-step-Screening wie in der Studie. Eine direkte Übernahme der Grenzwerte aus der Studie könnte dazu führen, dass entweder bei zu vielen oder bei zu wenigen Frauen ein GDM diagnostiziert wird.

Reicht eine einzelne BZ-Messung als postpartale Kontrolle?

S. Amylidi-Mohr: Nein, der Wert ist zu unspezifisch. Er kann beispielsweise eine isolierte Reaktion auf eine spezifische Mahlzeit sein, die nicht repräsentativ für das übliche Ernährungsverhalten der Frau ist. Eine valide Diagnosestellung erfordert standardisierte Testverfahren wie den oGTT.

Kann jede niedergelassene Kollegin/ jeder niedergelassene Kollege eine Frau mit Gestationsdiabetes betreuen?

S. Amylidi-Mohr: Ja, aber eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, insbesondere mit einer spezialisierten Diabetesberatung, ist sehr zu empfehlen. Dies ermöglicht eine strukturierte Schulung zur Ernährungsanpassung, Blutzuckerselbstkontrolle und allenfalls Insulintherapie. Die medikamentöse Therapie sollte in einem multidisziplinären Team individuell angepasst werden. Bei Hinweisen auf eine diabetische Fetopathie, insbesondere bei Tendenz zu Polyhydramnion und/oder Makrosomie, sollte niederschwellig ein Ultraschall durch eine Expertin/einen Experten veranlasst werden. Dieser dient zur detaillierten Beurteilung des fetalen Wachstums, der Fruchtwassermenge und möglicher pathologischer Veränderungen, um das geburtshilfliche Management entsprechend anzupassen.

Können betroffene Schwangere in jeder Klinik oder gar ambulant gebären?

S. Amylidi-Mohr: Ein GDM ist keine absolute Indikation für eine Geburt in einer Zentrumsklinik. Eine stationäre Überweisung ist jedoch dann angezeigt, wenn der GDM schlecht eingestellt ist oder sonografische Zeichen einer diabetischen Fetopathie vorliegen. In diesen Fällen können eine engmaschige Überwachung und eine interdisziplinäre Betreuung in einer spezialisierten Klinik erforderlich sein, um das Risiko für geburtshilfliche Komplikationen wie Schulterdystokie, Geburtsverletzungen oder neonatale Hypoglykämie zu minimieren. Wichtig ist, der Frau klarzumachen, dass ihr Risiko für einen späteren Diabetes erhöht ist und dass man sie alle ein bis drei Jahre per HbA1c auf Diabetes screenen sollte: einmal süss, immer süss.

1 Simmons D et al.: Lancet 2024; 404: 193-214 2 Amylidi-Mohr S et al.: Acta Obstet Gynecol Scand 2023; 102: 294-300 3 Feig DS et al.: Lancet 2017; 390: 2347-2359 4 Retnakaran R et al.: Diabetes Care 2025; 48(00): 1-9

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