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Veränderungen des Beckenbodens durch Schwangerschaft und Geburt

Einfluss von Schwangerschaft und Geburt auf die Kontinenz

<p class="article-intro">Schwangerschaft und Geburt können einen schädlichen Einfluss auf den Beckenboden haben. In diesem Zusammenhang wurde auch der primäre Kaiserschnitt auf Wunsch diskutiert, um die mütterliche Langzeitmorbidität des Beckenbodens zu berücksichtigen. Dies hat auch große Bedeutung in der Aufklärung und Beratung dieser Patientinnen erlangt.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Schwangerschaft und Geburt erh&ouml;hen das Risiko eines Beckenbodenschadens.</li> <li>Die Sectio sch&uuml;tzt davor, im Gegensatz zur vaginal-operativen Entbindung.</li> <li>Die Forcepsentbindung ist im Vergleich zur Vakuumextraktion deutlich traumatischer f&uuml;r den BB.</li> <li>Parit&auml;t, Schwangerschaft, kindliches Geburtsgewicht, Geburtsmodus etc. sind h&auml;ufige geburtshilfliche Risikofaktoren.</li> <li>BBT w&auml;hrend der Schwangerschaft ist hilfreich, um das Kurzzeitrisiko einer Inkontinenz zu reduzieren.</li> <li>Hauptaugenmerk sollte auf die Vermeidung von Risikofaktoren f&uuml;r das Auftreten eines Beckenbodentraumas w&auml;hrend einer vaginalen Geburt gelegt werden.</li> </ul> </div> <h2>Welche Ver&auml;nderungen induziert die vaginale Geburt am Beckenboden?</h2> <p>W&auml;hrend der vaginalen Geburt kann es infolge des Drucks und der &Uuml;berdehnung durch den kindlichen Kopf zu einer &Uuml;berdehnung des Beckenbodens (BB) kommen, mit nachfolgenden Sch&auml;digungen am neuromuskul&auml;ren System, am Bindegewebe und an den mit Blase und Darm verkn&uuml;pften Sphinktersystemen. Neurogene Partial- oder auch Komplettsch&auml;digungen des Nervus pudendus wurden ebenso nachgewiesen wie Sch&auml;digungen der Muskelzellen selbst (Abb. 1). Risikofaktoren f&uuml;r Sch&auml;digungen des Nervus pudendus sind vor allem die operative vaginale Entbindung, eine verl&auml;ngerte Austreibungsphase sowie ein hohes kindliches Geburtsgewicht.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Gyn_1705_Weblinks_jatros_gyn_1705_s11_abb1.jpg" alt="" width="723" height="917" /></p> <h2>Geburtshilfliche Risikofaktoren f&uuml;r postpartale Beckenbodenfunktionsst&ouml;rungen</h2> <p>Die Pr&auml;valenz von Beckenbodenfunktionsst&ouml;rungen ist am h&ouml;chsten in der Schwangerschaft (SS). Etwa 30&ndash;50 % der schwangeren Frauen berichten &uuml;ber eine Belastungsinkontinenz, wobei zahlreiche Risikofaktoren in der Literatur genannt werden. Die h&auml;ufigsten unabh&auml;ngigen geburtshilflichen Risikofaktoren umfassen:</p> <ul> <li>Schwangerschaft per se</li> <li>Parit&auml;t</li> <li>vaginal-operativer Entbindungsmodus</li> <li>h&ouml;hergradige Geburtsverletzungen (DR III, DR IV)</li> <li>Episiotomie</li> <li>Dauer der Austreibungsphase</li> <li>Geburtsgewicht</li> </ul> <h2>Einfluss von Parit&auml;t und Alter auf die weibliche Inkontinenz</h2> <p>Im Rahmen der EPICONT-Studie wurde der Zusammenhang zwischen Parit&auml;t und Harninkontinenz unter Ber&uuml;cksichtigung des Alters mittels Frageb&ouml;gen evaluiert. In dieser Querschnittsstudie mit 27 900 norwegischen Frauen zeigte sich eine signifikante Assoziation zwischen der Parit&auml;t und Inkontinenz, vor allem bei der ersten Geburt. Am st&auml;rksten ausgepr&auml;gt war dieser Effekt in der Altersgruppe von 20 bis 34 Jahren mit einem RR 2,2 (95 % CI: 1,8&ndash;2,6) bei Erstgeb&auml;renden und 3,3 (2,4&ndash;4,4) bei &bdquo;grand multipara&ldquo;. Eine schon schw&auml;chere Assoziation zeigte sich in der Altersgruppe der 35- bis 64-J&auml;hrigen (RR zwischen 1,4 und 2,0) und keine Assoziation mit der Parit&auml;t war bei Frauen &uuml;ber 65 Jahre zu finden. Diese Arbeit konnte sehr gut nachweisen, dass die Parit&auml;t vor allem ein signifikanter Risikofaktor f&uuml;r SUI (&bdquo;stress urinary incontinence&ldquo;) und MUI (&bdquo;mixed urinary incontinence&ldquo;) bei Frauen im fertilen Alter ist.</p> <h2>Einfluss von Alter, Parit&auml;t, Geschlecht und Geburtsmodus auf Beckenbodenfunktionsst&ouml;rungen</h2> <p>In einer sehr gro&szlig; angelegten epidemiologischen Umfrage in Australien wurde die Pr&auml;valenz von Beckenbodenfunktionsst&ouml;rungen und deren Zusammenhang mit Alter, Geschlecht, Parit&auml;t und Geburtsmodus untersucht. Bez&uuml;glich des Geburtsmodus zeigte diese Studie sehr gut, dass &ndash; verglichen mit Nullipara &ndash; das Risiko f&uuml;r eine BB-Funktionsst&ouml;rung signifikant mit dem Geburtsmodus assoziiert war (das Risiko daf&uuml;r war erh&ouml;ht bei Sectio, vaginaler Geburt, Forcepsgeburt). Kein signifikanter Unterschied zeigte sich zwischen der Sectio (x 2,5) und der vaginalen Geburt (x 3,4) (OR: 1,4; 95 % CI: 0,8&ndash;2,2), beide f&uuml;hrten zu einer Erh&ouml;hung des Risikos f&uuml;r BB-Funktionsst&ouml;rungen. Ein signifikanter Unterschied bestand lediglich zwischen der Sectio und der vaginal-operativen Entbindung (OR: 1,8; 95 % CI: 1,1&ndash;2,9). Diese Arbeit konnte sehr gut zeigen, dass BB-Funktionsst&ouml;rungen sehr h&auml;ufig sind und sehr stark mit weiblichem Geschlecht, Alter, Schwangerschaft, Parit&auml;t und vaginaloperativem Entbindungsmodus assoziiert sind. Die Sectio f&uuml;hrt zu keiner signifikanten Reduktion der Langzeit-BB-Sch&auml;digungen im Vergleich zur vaginalen Geburt.</p> <h2>Schwangerschaft und Beckenbodenfunktionsst&ouml;rungen</h2> <p>Neben all den bisher erw&auml;hnten Faktoren (Alter, Geschlecht, Parit&auml;t, Geburtsmodus) f&uuml;hrt nat&uuml;rlich auch die Schwangerschaft selbst zu Ver&auml;nderungen des Beckenbodens. Die hormonelle Umstellung in der Schwangerschaft f&uuml;hrt zur Ver&auml;nderung der gesamten Muskel- und Bindegewebsstrukturen, zur Herabsetzung des Muskeltonus, zur Verl&auml;ngerung des M. rectus abdominis, Nachgiebigkeit der Bandverbindungen im Becken und Gewichtszunahme. Des Weiteren kommt es zu einer K&ouml;rperschwerpunktverlagerung nach ventral und zu einer Erweiterung des Hiatus urogenitalis (Abb. 2). Dies &auml;u&szlig;ert sich auch klinisch, sodass die Harninkontinenz wesentlich h&auml;ufiger w&auml;hrend der Schwangerschaft als davor auftritt. Rund 7&ndash;60 % der Frauen berichten &uuml;ber Inkontinenzsymptome w&auml;hrend der Schwangerschaft, wobei die h&ouml;chste Inzidenz im 2. Trimenon liegt. Der Gro&szlig;teil der Symptome ist allerdings innerhalb eines Jahres reversibel. Frauen, welche schon vor der Schwangerschaft eine Inkontinenzanamnese hatten, haben ein deutlich h&ouml;heres Risiko f&uuml;r eine persistierende postpartale Inkontinenz &ndash; dies sollte vor allem in der Aufkl&auml;rung betroffener Patientinnen ber&uuml;cksichtigt werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Gyn_1705_Weblinks_jatros_gyn_1705_s12_abb2.jpg" alt="" width="721" height="1668" /></p> <h2>Vaginal-operativer Entbindungsmodus</h2> <p>Der vaginal-operative Entbindungsmodus hat bekannterweise einen sch&auml;digenden Einfluss auf den Beckenboden. Eine erh&ouml;hte Verletzungsrate, besonders im Bereich des hinteren Kompartimentes, ist zu verzeichnen, ebenso wie das vermehrte Auftreten von Stuhl- und Harninkontinenz. In einem Cochrane-Review wurde anhand von 10 randomisiert-kontrollierten Studien der Einfluss von Vakuumund Forcepsentbindung auf m&uuml;tterliche und kindliche Morbidit&auml;t untersucht. Es zeigte sich, dass der Forceps zwar effektiver im Vergleich zur Vakuumentbindung (Zeit, Traktionen) war, allerdings unter Forceps signifikant mehr sekund&auml;re Sectio, mehr DR III/IV sowie mehr Harnund Stuhlinkontinenzen auftraten. Eine geringere m&uuml;tterliche Morbidit&auml;t wurde in der Vakuumgruppe beobachtet.</p> <h2>Einfluss der Episiotomie auf den Beckenboden</h2> <p>Eine randomisiert-kontrollierte Studie von Klein et al. zeigt sehr gut den Einfluss der Episiotomie auf die Beckenbodenmuskulatur. In dieser Studie wurde die mediane Episiotomie versus keine Episiotomie verglichen. Hauptzielvariable war die Beckenbodenmorbidit&auml;t 3 Monate nach der Geburt, wobei eine EMG 3 Monate post partum durchgef&uuml;hrt wurde. Patientinnen mit intaktem Damm hatten die st&auml;rkste BB-Muskulatur, diejenigen mit Episiotomie die schw&auml;chste (schw&auml;cher als diejenigen mit spontanen Dammverletzungen). Bez&uuml;glich postpartaler Inkontinenz war kein Unterschied zwischen den drei Gruppen zu verzeichnen. Ein restriktiver Einsatz der Episiotomie &ndash; nur bei speziellen fetomaternalen Indikationen &ndash; ist auch in Hinblick auf die Schonung des Beckenbodens empfehlenswert.</p> <h2>Pr&auml;ventionsstrategien</h2> <p>Um die Morbidit&auml;t des Beckenbodens m&ouml;glichst gering zu halten, ist eine Reduktion modifizierbarer geburtshilflicher Risikofaktoren erstrebenswert. Dies umfasst vor allem die Vermeidung einer Forcepsentbindung, einer vaginal-operativen Entbindung sowie den selektiven Einsatz der Episiotomie. Ein prophylaktisches Beckenbodentraining (BBT) w&auml;hrend der Schwangerschaft vermindert das Kurzzeitrisiko einer Harninkontinenz bis zu 6 Monate p.p. In einem Cochrane- Review, welcher BBT versus kein BBT zur Pr&auml;vention von Inkontinenz untersuchte, zeigte sich, dass mit BBT weniger Inkontinenz in der Sp&auml;tschwangerschaft und bis 6 Monate p.p. auftrat. Allerdings konnte kein Langzeiteffekt des BBT nachgewiesen werden (Abb. 3).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Gyn_1705_Weblinks_jatros_gyn_1705_s12_abb3.jpg" alt="" width="1721" height="767" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei der Verfasserin</p> </div> </p>
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