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Der natürliche Weg ist der sicherste
Jatros
Autor:
Prim. Dr. Ewald Boschitsch
Ambulatorium KLIMAX, Ambulatorium für Klimakterium und Osteoporose, Wien<br> E-Mail: e.boschitsch@klimax.at
30
Min. Lesezeit
05.07.2018
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<p class="article-intro">Den objektiv messbaren gesundheitlichen Vorteilen, von denen Frauen mit menopausaler Hormontherapie (MHT) gegenüber Frauen ohne MHT profitieren, werden seit vielen Jahren emotional gesteuerte und wissenschaftlich nicht belegbare Vorurteile entgegengehalten.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Diese in erster Linie das Mammakarzinomrisiko betreffenden Vorurteile wurden paradoxerweise durch eine 2002 publizierte Studie der Women’s Health Initiative (WHI), die gar keine Studie zur MHT (= HRT) war und in der das Risiko für Mammakarzinome gar nicht signifikant erhöht war, in die Welt gesetzt. Seither werden sie beharrlich von ignoranten und destruktiven Kräften genährt, und sie werden immer noch einer verunsicherten Öffentlichkeit als „Fakten“ gegen die Sicherheit einer MHT und für die vermeintliche Sicherheit „hormonfreier Produkte“ verkauft. Die Wirksamkeit der einen und der anderen steht erst in zweiter Linie und ebenso verzerrt und ideologisiert wie die Sicherheit zur Diskussion.</p> <h2>WHI-Studie</h2> <p>Die WHI-Studie hatte das primäre Ziel, die Effekte zweier Anfang der 1990er-Jahre in den USA verwendeten Hormonpräparate auf die Inzidenz kardiovaskulärer Erkrankungen bei hauptsächlich älteren asymptomatischen Frauen, NICHT aber deren Effekte auf peri- und kürzlich postmenopausale symptomatische Frauen zu evaluieren: 0,625mg konjugierte equine Östrogene (CEE)/Tag als Monotherapie bei hysterektomierten Frauen und 0,625mg CEE kontinuierlich kombiniert mit 2,5mg Medroxyprogesteronacetat (MPA)/Tag bei nicht hysterektomierten Frauen. Nichtsdestotrotz wurden unerlaubterweise die Ergebnisse der älteren, für HRT-Anwenderinnen atypischen Population auf jüngere, typische Anwenderinnen übertragen.<br />Die Hazard-Ratios von 1,26 für Brustkrebs und 1,29 für koronare Herzkrankheit (KHK) im CEE-+-MPA-Arm waren übrigens, entgegen immer wieder kolportierten Behauptungen, NICHT signifikant. Es traten bei 10 000 Frauenjahren zusätzlich 7 Herzinfarkte und 8 Mammakarzinome, d.h. etwa 1 zusätzliches Karzinom pro 1200 Frauen, auf. <br />Die einzigen signifikanten Ergebnisse der bereinigten Daten waren eine Reduktion aller Frakturen und ein Anstieg venöser Thromboembolien.</p> <h2>Indikationen</h2> <p>Eine zunehmend besser informierte Ärzteschaft erkennt aber die über die Behandlung klimakterischer Symptome hinausgehenden Indikationen der MHT, wie die Prävention von Fragilitätsfrakturen und die Reduktion des kardiovaskulären Risikos, als wesentliche Beiträge zum Management chronischer Erkrankungen an.<br />Die gute Wirksamkeit der MHT bei der Behandlung vasomotorischer, psychischer und urogenitaler Beschwerden des Klimakteriums ist ein Indikator für den Schutz vor der postmenopausalen Osteoporose und deren Folgen. Ihre diesbezügliche Wirkung wurde in unzähligen Studien bewiesen und kann mit einer den knochenspezifischen Resorptionshemmern ebenbürtigen Signifikanz der Frakturreduktion aufwarten. Deshalb sollte die MHT, dem Kausalitätsprinzip folgend, eine pharmakologische Maßnahme der ersten Wahl zur Frakturprävention darstellen.</p> <h2>Sicherheit</h2> <p>Neben der Diskussion zu MHT und Brustkrebs werden vor allem die Risiken von venösen Thromboembolien, Schlaganfällen und Herzinfarkten thematisiert. Zu Recht, denn diese potenziellen Risiken gilt es durch Beachtung wesentlicher Empfehlungen zur korrekten Anwendung und durch sorgfältiges Monitoring zu minimieren. <br />Die Evolution hat Östradiol (E2) und Progesteron (P4) als natürliche Sexualhormone ausgewählt. Deshalb drängt sich die Frage auf, ob wir den Empfehlungen der Natur folgen sollen und mit der Anwendung dieser natürlichen Substanzen jene Risiken vermeiden können, die mit der Anwendung synthetischer Substanzen assoziiert werden.</p> <h2>Progestogene und Brustkrebs</h2> <p>In praktisch allen Studien zur Inzidenz des Mammakarzinoms während einer MHT konnten die synthetischen Progestogene als die ursächlichen Faktoren für ein erhöhtes Risiko identifiziert werden. Mit dem natürlichen Progesteron (P4), das in mikronisierter Form zur oralen Substitution zur Verfügung steht, ist das Risiko hingegen auch bei Langzeitanwendung nicht erhöht.<br />In der deutschsprachigen Nomenklatur wird der Begriff „Gestagen“ sowohl für das P4 als auch für die synthetischen Wirkstoffe verwendet und ist neben der semantischen Unschärfe auch ein Grund für potenziell fatale Folgen durch die Verwechslungen von Substanzen mit höchst unterschiedlichen Wirkungen in diversen Geweben und Organsystemen, z.B. der Proliferation und Apoptose im Brustdrüsengewebe. Deshalb ist es besser, in Übereinstimmung mit der international gebräuchlichen englischsprachigen Nomenklatur die Begriffe „Progesteron“ für das natürliche, auch endogen pro­duzierte, Hormon, „Gestagene“ für die synthetischen Substanzen (engl. „progestins“) und Progestogene (engl. „progestogens“) als Sammelbegriff für beide zu gebrauchen.</p> <h2>Anwendungsweg: venöse Thromboembolie und Schlaganfall</h2> <p>Die orale Substitution mit Östrogenen ist wegen der „ersten Leberpassage“ nach der intestinalen Resorption mit einer erhöhten Proteinsynthese, folglich einer erhöhten Konzentration an Gerinnungsfaktoren und schließlich einem erhöhten Thromboserisiko verbunden. Mit der transdermalen Substitution, z.B. mit einem Estradiol (E2) enthaltenden Gel, wird die erste Leberpassage vermieden und das Thromboserisiko ist nicht erhöht. Die Progestogen-Komponente hat auf das Risiko einen relativ geringen Einfluss.<br />Venöse Thromboembolien (VTE), v.a. Pulmonalembolien, und ihr Pendant im arteriellen Kreislaufschenkel, die ischämischen Schlaganfälle, sind wegen ihrer hohen Mortalität und der häufig durch schwerwiegende Beeinträchtigungen gekennzeichneten hohen Morbidität von großer Bedeutung. <br />Die Odds-Ratios (ORs) für VTE während oraler MHT bewegen sich in den relevanten Studien zwischen 1,4 und 4,5, abhängig von der Bereinigung der Daten von zusätzlichen Risikofaktoren wie positiver Familienanamnese, fortgeschrittenem Alter, Übergewicht, Rauchen und vielen anderen. Während transdermaler MHT bleiben die OR zwischen 0,8 und 1,1. <br />Ähnlich verhält es sich mit der Inzidenz von Schlaganfällen, wobei weitere Risikofaktoren wie Hypertonie, Diabetes und Dyslipidämie berücksichtigt werden müssen. Die Dosisabhängigkeit spielt bei der oralen Anwendung eine größere Rolle als bei der transdermalen. So konnten in einer in das nationale französische Gesundheitsversicherungssystem eingebetteten Fallkontrollstudie, auf Basis der Daten von 97 % der Gesamtbevölkerung, für die orale Anwendung ORs von 1,4 bei niedriger (≤1mg E2/d) bis 2,4 bei hoher Dosierung (≥2mg E2/d) berechnet werden, während sie bei transdermaler Anwendung zwischen 0,7 (<50μg E2/d) und 0,9 (>50μg E2/d) lagen.<br />Deshalb ist prinzipiell der transdermale Anwendungsweg gegenüber dem oralen zu bevorzugen. Bei Patientinnen mit zusätzlichen Risikofaktoren für VTE und/oder Schlaganfall ist die orale Anwendung zu vermeiden.</p> <h2>Timing-Hypothese und koronare Herzkrankheit</h2> <p>Neben der Auswahl der Wirkstoffe und dem Anwendungsweg ist der Zeitraum, in dem eine MHT eingeleitet wird, von entscheidender Bedeutung für ihre Sicherheit. Das war schon vor der WHI-Studie aus Versuchen zur Sekundärprävention der koronaren Herzkrankheit, z.B. der Heart and Estrogen/progestin Replacement Study (HERS), bekannt und wurde durch die Ergebnisse der WHI-Studie und zahlreicher anderer klinischer Studien der Post-WHI-Ära bestätigt. Die Berücksichtigung dieser Erkenntnisse hat dazu geführt, dass der günstigste Zeitraum für den Beginn einer MHT in Abhängigkeit vom Menopausealter definiert wurde und in den Leitlinien der internationalen wissenschaftlichen Gesellschaften als „window of opportunity“ begrenzt wurde. Demnach soll eine MHT nicht später als 10 Jahre postmenopausal oder, bei Frauen nach Hysterektomie, nicht nach dem 60. Lebensjahr begonnen werden. <br />Neuere, präzisere Messmethoden zur Quantifizierung atheromatöser Plaques ermöglichen eine noch bessere Einschätzung des optimalen Zeitraumes für die Einleitung einer MHT. Im „Early versus Late Intervention Trial with Estradiol“ (ELITE) konnte anhand der Intima-Media-Dicke an den Karotiden (CIMT) – ein Surrogatparameter für subklinische Athero­sklerose – gezeigt werden, dass die Progression der Plaques bei frühem Beginn einer MHT mit E2 + P4, innerhalb von 6 Jahren postmenopausal, signifikant geringer als mit Placebo war und unter diesen Voraussetzungen eine Reduktion der Myokardinfarktinzidenz möglich ist. Wenn die MHT jedoch erst 10 Jahre postmenopausal oder später initiiert wurde, war die Progression in der MHT- und der Placebogruppe gleich stark ausgeprägt.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Die MHT ist nicht nur die wirksamste Behandlungsoption bei klimakterischen Beschwerden, sondern auch eine Therapie der ersten Wahl zur Frakturprävention bei Risikopatientinnen. Darüber hinaus kann sie einen nützlichen Beitrag zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen leisten. Voraussetzung für ihre Effektivität und Sicherheit ist die Wahrung folgender Kautelen:<br />• Beginn in der Peri- oder frühen Postmenopause („window of opportunity“),<br />• transdermale Anwendung der Östrogene, z.B. Estradiol (E2) in Form eines hydroalkoholischen Gels, vor allem bei Vorliegen von Risikofaktoren für VTE, KHK und Schlaganfall,<br />• und Auswahl eines neutralen, die Östrogenwirkung nicht opponierenden Progestogens, idealerweise des natürlichen Progesterons (P4).<br /><br />Viele Frauen sind dankbar für praktische Tipps zur korrekten Anwendung jenseits der in den Beipackzetteln enthaltenen Informationen:<br />• Bis zum Ende der Peri- bzw. Anfang der Postmenopause, d.h. 1 Jahr nach der letzten spontanen Menstruation (= Menopause), ist es sinnvoll, sequenziell zu behandeln und einen Zyklus zu imitieren, z.B. mit Estrogel® 1,25g (=1 Hub, =0,75mg E2) oder bei Bedarf 2,5g tgl. morgens, durchgehend ohne Pause, sequenziell kombiniert mit Utrogestan 100mg® 1x 2 Kapseln tgl. abends vom 14. bis 25. Zyklustag.<br />• Estrogel® soll am besten großflächig an der Innenseite der Arme aufgetragen werden. Utrogestan® nimmt man am besten oral, da nur bei der oralen Anwendung genügend hohe Konzentrationen jener Metaboliten erreicht werden, die an den γ-Aminobutter­säure(GABA)-Rezeptor binden und für die Therapie der meisten psychischen und zentralnervös entstehenden Symptome, wie Schlafstörungen, Depressionen und Antriebsschwäche, essenziell sind. <br />• Ein Jahr nach der Menopause, d.h. mit Beginn der Postmenopause, kann man kontinuierlich kombiniert behandeln, z.B. mit Estrogel® 1,25g tgl. morgens kombiniert mit Utrogestan 100mg® 1x 1 Kapsel abends – beides durchgehend ohne Pause.</p></p>
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<p>beim Verfasser</p>
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