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Das Mikrobiom der Blase
Jatros
Autor:
Dr. Eva Lemmenmeier
Abteilung Infektiologie/Spitalshygiene<br> Kantonsspital St. Gallen<br> E-Mail: Eva.Lemmenmeier@kssg.ch
30
Min. Lesezeit
22.03.2018
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<p class="article-intro">Mittels neuerer PCR-basierter Methoden kann ein bisher nicht kultivierbares Blasenmikrobiom detektiert werden. Dabei handelt es sich um verschiedene Bakterienspezies, wie auch deren Genome und Metaboliten, die die Blase besiedeln. Welche Rolle die besiedelnden Bakterien haben, ist noch nicht genau bekannt. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass Veränderungen im Mikrobiom mit Symptomen, wie z.B. einer Dranginkontinenz, assoziiert sein könnten. Die Vielfalt wie auch die Verteilung der besiedelnden Bakterien scheinen dabei eine Rolle zu spielen.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Urin ist nicht steril.</li> <li>Es gibt ein Blasenmikrobiom.</li> <li>Nicht jedes gefundene Bakterium im Urin muss behandelt werden.</li> <li>Antibiotika zerstören die Diversität des Mikrobioms, was wiederum zu Symptomen führen kann.</li> <li>Die Diversität und die Verteilung des Mikrobioms scheinen eine protektive Wirkung auf die Harnblase zu haben.</li> </ul> </div> <p>Lange konnte die den menschlichen Körper besiedelnde „bakterielle Flora“ lediglich mit konventionellen kulturellen Methoden erfasst werden. Durch die „16S ribosomale RNA“-Polymerase-Kettenreaktion (16S-rRNA-PCR), eine Methode, die verschiedene Bakterienspezies detektieren kann, konnten erstmals schlecht oder nicht kultivierbare Bakterien an verschiedenen Stellen im Körper nachgewiesen werden. Das Human Microbiome Project (HMP) hat sich zum Ziel gesetzt, die den Menschen besiedelnden Bakterien zu erfassen, zu analysieren und die Auswirkungen auf die Gesundheit zu untersuchen.<sup>1, 2</sup> Im Rahmen dieses und folgender Projekte wurde vor allem das gastrointestinale Mikrobiom erforscht. Dieses ist alters- und geschlechtsabhängig und die Vielfalt wie auch die Verteilung der verschiedenen Bakterienspezies (Diversität) scheinen mit Krankheiten wie entzündlichen Darmerkrankungen, Diabetes wie auch mit „graft-versus-host disease“ (GvHD) nach allogener Stammzelltransplantation assoziiert zu sein.<sup>3–6</sup><br /> Die Gesamtheit der bakteriellen Spezies, die mittels 16S-rRNA-PCR detektiert werden kann, wird Mikrobiota genannt. Das Mikrobiom umfasst nicht allein die Bakterienspezies, sondern das gesamte Genom der besiedelnden Bakterien (Metagenom) wie auch deren Folgeprodukte und Metaboliten.<sup>7</sup></p> <h2>Ist das Mikrobiom der Blase individuell?</h2> <p>Im HMP wurde zwar das Mikrobiom der Blase nicht untersucht, aber in den letzten Jahren haben sich dennoch mehrere Forschungsgruppen damit beschäftigt, was zu sehr interessanten Erkenntnissen geführt hat. Das Mikrobiom der Blase scheint individuell zu sein, abhängig von Alter und Geschlecht.<sup>8</sup> Unabhängig von beiden Faktoren wird ein Kernmikrobiom beschrieben.<sup>9</sup> Bei gesunden Frauen scheinen Lactobacillus species (sp.), Prevotella sp., Gardnerella sp. und Sneathia sp. zu überwiegen, während bei Männern Corynebacterium sp., Streptococcus sp., Lactobacillus sp., Veillonella sp. und Ureaplasma sp. vorherrschend sind.<sup>8, 10</sup><br /> Die im Katheterurin gefundene Flora scheint im Wesentlichen nicht durch die urethrale Flora beeinflusst zu sein, denn die detektierten Bakterien im Urin, der durch transurethrale Katheterisierung oder durch suprapubische Punktion gewonnen worden ist, sind miteinander vergleichbar.<sup>11</sup><br /> Neurogene Blasenstörungen und daraus folgende Katheterisierungen führen zu einer Verschiebung der normalerweise vorherrschenden Keime. Es können nach längerer Zeit der Katheterisierung deutlich mehr Enterobacteriaceae, die auch als Verursacher von Harnwegsinfekten bekannt sind, gefunden werden.<sup>12</sup> Mehrere Studien haben in einer Population von Frauen mit/ohne Dranginkontinenz das Blasenmikrobiom untersucht und herausgefunden, dass die Mikrobiome der beiden Populationen unterschiedlich sind und in der Gruppe mit Dranginkontinenz die Diversität geringer war als in der Kontrollgruppe. So kann angenommen werden, dass das Blasenmikrobiom möglicherweise eine Rolle in der Drangsymptomatik spielt.<sup>13, 14</sup> Es gibt Hinweise darauf, dass sowohl ein Fehlen von protektiven Bakterien, wie Lactobacillus sp., wie auch ein Vorhandensein von zu vielen pathogenen Bakterien, wie Enterobacteriaceae, mit Symptomen assoziiert ist. Die Diversität und Verteilung der Bakterienspezies spielt somit auch in der Blase eine große Rolle.<br /> Nicht nur bei Patientinnen mit Dranginkontinenz, sondern auch bei jenen mit interstitieller Zystitis konnte eine geringere Mikrobiomdiversität gefunden werden.<sup>16, 17</sup> Interessanterweise findet sich aber bei Patientinnen mit Stressinkontinenz keine Assoziation zum Blasenmikrobiom.<sup>15</sup></p> <h2>Kann das Mikrobiom beeinflusst werden?</h2> <p>Das Mikrobiom und Mikrobiomveränderungen scheinen eine gewisse Rolle in der Symptomatik der Dranginkontinenz wie auch bei der interstitiellen Zystitis zu spielen. Dennoch ist nicht klar, ob die Mikrobiomveränderungen zu diesen Symptomen führen oder ob diese eine Folge der Symptomatik, gegebenenfalls auch der Therapieversuche sind.<br /> Wie wir unser Blasenmikrobiom beeinflussen können, ist ebenfalls nicht ganz klar, wahrscheinlich spielen viele Faktoren eine Rolle. Eines ist allerdings sicher: Antibiotika zerstören das Gleichgewicht und die Vielfalt unserer Mikrobiome. Wichtige protektive Bakterien werden durch Antibiotikatherapien vermindert und andere, evtl. auch pathogene, können Überhand gewinnen.<sup>8</sup> Das bekannteste Beispiel eines solchen Ungleichgewichtes ist die Clostridien- Kolitis. Bei dieser wird inzwischen die Stuhltransplantation, also das Wiederherstellen des Gleichgewichts des Darmmikrobioms, als Therapieoption empfohlen.<sup>18</sup> Um solche Therapievorschläge bei Dysbalance des Blasenmikrobioms zu geben, sind die heutigen Erkenntnisse darüber zu gering, denn viele offene Fragen sind noch nicht geklärt. Dennoch haben einige Studien versucht, das Blasenmikrobiom mittels Probiotika zu beeinflussen, insbesondere um Rezidive von Harnwegsinfektionen zu vermindern. In einer Studie hatten Probiotika (Lactobacillus rhamnosus und reuteri, zweimal am Tag peroral eingenommen) einen weniger guten Effekt auf die Rezidivreduktion als Cotrimoxazol, einmal pro Tag eingenommen.<sup>19</sup> Allerdings fand sich auch in der Probiotikagruppe eine Reduktion der Rezidive und – was epidemiologisch noch wesentlicher scheint – es kam zu keinen Resistenzentwicklungen.<sup>19</sup> In einer anderen Studie wurden Probiotika intravaginal nach einer Antibiotikatherapie eines Harnwegsinfektes appliziert, um weitere Infekte zu verhindern. In der Probiotikagruppe fand sich eine relative Rezidivrisikoreduktion um fast 50 % .<sup>20</sup></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Mittels neuer PCR-basierter Techniken kann ein bisher nicht kultivierbares Blasenmikrobiom detektiert werden. Dieses scheint individuell, altersabhängig und geschlechterspezifisch zu sein. Veränderungen könnten mit Symptomen wie Dranginkontinenz oder auch mit Krankheitsbildern wie interstitieller Zystitis assoziiert sein. Die Relevanz dieser Veränderungen ist allerdings noch unklar. Die Diversität und die Verteilung der gefundenen Bakterien scheinen wichtig und protektiv zu sein. Dieses Gleichgewicht kann durch Antibiotikatherapien beeinflusst werden, was wiederum zu Symptomen führen kann. Therapeutische Implikationen einer Mikrobiom-Dysbalance, z.B. mit Probiotika, stecken allerdings noch in den Kinderschuhen.</p> </div></p>
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<p><strong>1</strong> Grice EA, Segre JA: The human microbiome: our second genome. Annu Rev Genom Hum Genet 2012; 13(1): 151-170 <strong>2</strong> Turnbaugh PJ et al.: The Human Microbiome Project. Nature 2007; 449(7164): 804-810 <strong>3</strong> Haro C et al.: Intestinal microbiota is influenced by gender and body mass index. PLoS One 2016; 11(5): e0154090 <strong>4</strong> Greenhalgh K et al.: The human gut microbiome in health: establishment and resilience of microbiota over a lifetime. Environ Microbiol 2016; 18(7): 2103-2116 <strong>5</strong> Holler E et al.: Metagenomic analysis of the stool microbiome in patients receiving allogeneic stem cell transplantation: Loss of diversity is associated with use of systemic antibiotics and more pronounced in gastrointestinal graftversus- host disease. Biol Blood Marrow Transplant 2014; 20(5): 640-645 <strong>6</strong> Gorkiewicz G, Moschen A: Gut microbiome: a new player in gastrointestinal disease. Virchows Arch 2017 [Epub ahead of print] <strong>7</strong> Whiteside SA et al.: The microbiome of the urinary tract-a role beyond infection. Nat Rev Urol 2015; 12(2): 81-90 <strong>8</strong> Gottschick C et al.: The urinary microbiota of men and women and its changes in women during bacterial vaginosis and antibiotic treatment. Microbiome 2017; 5(1): 99 <strong>9</strong> Lewis DA et al.: The human urinary microbiome; bacterial DNA in voided urine of asymptomatic adults. Front Cell Infect Microbiol 2013; 3: 1-14 <strong>10</strong> Siddiqui H et al.: Assessing diversity of the female urine microbiota by high throughput sequencing of 16S rDNA amplicons. BMC Microbiol 2011; 11: 244 <strong>11</strong> Wolfe AJ et al.: Evidence of uncultivated bacteria in the adult female bladder. J Clin Microbiol 2012; 50(4): 1376-1383 <strong>12</strong> Fouts D et al.: Integrated next-generation sequencing of 16S rDNA and metaproteomics differentiate the healthy urine microbiome from asymptomatic bacteriuria in neuropathic bladder associated with spinal cord injury. J Transl Med 2012; 10: 174 <strong>13</strong> Pearce MM et al.: The female urinary microbiome: a comparison of women with and without urgency urinary incontinence. MBio 2014; 5(4): e01283-14 <strong>14</strong> Karstens L et al.: Does the urinary microbiome play a role in urgency urinary incontinence and its severity? Front Cell Infect Microbiol 2016; 6(41): 1-13 <strong>15</strong> Thomas-White KJ et al.: Evaluation of the urinary microbiota of women with uncomplicated stress urinary incontinence. Am J Obstet Gynecol 2017; 216(1): 55. e1-55.e16 <strong>16</strong> Abernethy MG et al.: Urinary microbiome and cytokine levels in women with interstitial cystitis. Obstet Gynecol 2017; 129(3): 500-506 <strong>17</strong> Siddiqui H et al.: Alterations of microbiota in urine from women with interstitial cystitis. BMC Microbiol 2012; 12: 205 <strong>18</strong> Longo DL et al.: Clostridium difficile infection. N Engl J Med 2015; 372(16): 1539-1548 <strong>19</strong> Beerepoot M, Geerlings S: Non-antibiotic prophylaxis for urinary tract infections. Pathogens 2016; 5(2): 36-38 <strong>20</strong> Stapleton et al.: Randomized, placebo-controlled phase 2 trial of a Lactobacillus crispatus probiotic given intravaginally for prevention of recurrent urinary tract infection. Clin Infect Dis 2011; 52(10): 1212-1217</p>
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