<p class="article-intro">Der 1974 in Österreich eingeführte Mutter-Kind-Pass hat sich als wirksames Präventivtool erwiesen und zu einer signifikanten Reduktion der Säuglingsmortalität beigetragen.<sup>1</sup></p>
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<p class="article-content"><p>2011 wurde die Mutter-Kind-Pass- Kommission allerdings „abgeschafft“ und eine Evaluierung der Vorsorgemaßnahmen durch das Ludwig Boltzmann Institut (LBI) in Auftrag gegeben. Der 2013 vorgelegte Bericht<sup>2</sup> wird seit 2014 von einer durch das Gesundheitsministerium bestellten Facharbeitsgruppe<sup>3</sup> auf „Bedrohungen“ in der Schwangerschaft und frühen Kindheit überprüft. In 38 Sitzungen wurden ca. 100 Einzelfaktoren auf die Sinnhaftigkeit ihrer Inklusion im zukünftigen österreichischen Mutter-Kind-Pass bewertet. Europäische, aber auch außereuropäische Daten und Empfehlungen wurden dafür mit in Betracht gezogen.</p> <h2>Das Problem der (fehlenden) Evidenz</h2> <p>Ein Hauptproblem bei der Einordnung von Einzelmaßnahmen als „sinnvoll“ oder „nicht zielführend“ liegt in der fehlenden Evidenz des Gesamtsystems, aber auch der Einzelmaßnahmen. Für kein einziges der in Europa verwendeten Vorsorgetools wurde eine prospektive vergleichende Evaluation des Gesamtsystems vorgenommen, dies wäre auch nur durch eine longitudinale Beobachtung zweier vergleichbarer Regionen mit und ohne Vorsorgetool möglich gewesen. Aber auch viele Einzelmaßnahmen wurden keiner ausreichenden prospektiven Evaluation unterworfen. Ausnahmen stellen z.B. das Screening auf Schwangerschaftsdiabetes und (Prä-)Eklampsie dar, diese Erhebungen finden sich daher in den meisten europäischen Vorsorgeprogrammen. Als vorteilhaft wird großteils auch das Screening auf Anämie angesehen, Zeitpunkt und Cut-off-Werte variieren allerdings in einzelnen Programmen. Andere Untersuchungen wie Streptokokken-BScreening oder Toxoplasmose-Screening kommen nur teilweise bzw. vereinzelt zum Einsatz.</p> <h2>Was macht „Europa“?</h2> <p>Bei einer Suche in PubMed findet sich keine SCI-gelistete wissenschaftliche Publikation mit einer vergleichenden Darstellung der in Europa angewandten „Prenatal care“-Maßnahmen. Man muss für einen derartigen Vergleich daher nach wie vor auf die unpublizierten Erhebungen von Pröll und Ebner aus dem Jahr 2009<sup>4</sup> bzw. einen daraus abgeleiteten Bericht des LBI<sup>5</sup> zurückgreifen. Diese Erhebungen zeigen, dass z.B. die „internistische Untersuchung“ nur in Österreich durchgeführt wird. Was die empfohlenen geburtshilflichen/gynäkologischen Untersuchungen betrifft, ist deren Zahl in den einzelnen Ländern höchst unterschiedlich: Sie bewegt sich zwischen 2 (Finnland) und 12 Vorstellungen (Deutschland und Dänemark). Große Unterschiede gibt es auch bezüglich der untersuchenden Berufsgruppen (Frauenärzte vs. Hebammen bzw. „Mix“) sowie hinsichtlich der Anzahl und der Zeitpunkte der Ultraschallkontrollen. Recht einheitlich ist hingegen die Verlaufsbeobachtung von Gewicht, Blutdruck und Harnbefunden.</p> <h2>Mögliche (und unwahrscheinliche) Zukunftsperspektiven</h2> <p>Aufgrund der vielfach fehlenden Evidenzen bleibt das Design des „bestmöglichen“ Mutter-Kind-Passes bzw. der „optimal prenatal care“ schwierig und z.T. subjektiv. Prospektive kontrollierte Evaluationen sind auch für die Zukunft kaum zu erwarten, ethische Aspekte und Datenschutzbestimmungen könnten dies zukünftig sogar noch schwieriger durchführbar machen als bisher. Das gilt insbesondere auch für ein „data linkage“ zwischen Untersuchungen/Befunden in der Schwangerschaft und dem Outcome der Kinder. Wünschenswert, aber aufgrund der sehr heterogenen nationalen Vorsorgeprogramme auch eher unwahrscheinlich ist ein „europäischer“ Mutter- Kind-Pass. Anzunehmen ist hingegen, dass sich in den nächsten Jahren in vielen Ländern eine elektronische Variante des Vorsorgetools durchsetzen wird und ein „e- MKP“ zumindest auf diese Weise Realität wird. In Österreich wird Derartiges wahrscheinlich wohl im Rahmen der ELGA etabliert werden. Sinnvoll ist dies aber auch nur, wenn es sich um ein „echtes“ digitales Dokument handelt und um keine (weitere) Sammlung von PDF-Dateien.</p></p>
<p class="article-footer">
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<p><strong>1</strong> Broschüre „40 Jahre Mutter-Kind-Pass“, Verlagshaus der Ärzte, Wien, 2014 <strong>2</strong> http://www.hta.lbg.ac.at/page/ weiterentwicklung-des-mutter-kind-passes/de <strong>3</strong> https:// www.bmgf.gv.at/home/Gesundheit/Gesundheitsfoerderung_ Praevention/Eltern_und_Kind/Weiterentwicklung_ Mutter_Kind_Pass <strong>4</strong> Pröll J, Ebner J: Präventionsprogramme in der Schwangerschaft und der frühen Kindheit in Europa. Unveröffentlichte Daten. Wien, 2009 5 Mutter- Kind-Pass. Ein internationaler Vergleich zu den Untersuchungen an schwangeren Frauen. Ludwig Boltzmann Institut, Decision Support Document Nr. 33, ISSN online 1998-0469, Wien, 2009</p>
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