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„Auch gut eingestellte Patienten auf ihre sexuelle Zufriedenheit ansprechen!“
Jatros
30
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28.03.2019
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<p class="article-intro">Frauen mit rheumatoider Arthritis (RA) sind in ihrer Sexualität signifikant beeinträchtigt – und zwar unabhängig von der klinischen Krankheitsaktivität, von der Krankheitsdauer und von funktionellen Problemen. Dies ist das Ergebnis einer österreichischen Patientenbefragung. Erster Schritt zur Besserung: das Thema überhaupt ansprechen, meint Dr. Judith Sautner, Stockerau.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Eine groß angelegte Befragung (319 RA-Patientinnen und 306 gesunde Kontrollpersonen) an mehreren österreichischen Zentren ergab, dass RA-Patientinnen gegenüber gesunden Kontrollpersonen signifikant schlechtere Scores im CSFQ-14 (Changes in Sexual Functioning Questionnaire) und auch signifikant häufiger pathologische CSFQ-14-Scores aufweisen.<sup>1</sup> Von allen erhobenen Risikofaktoren war die RA am stärksten mit einer sexuellen Dysfunktion assoziiert. Weitere Risikofaktoren waren höheres Alter und geringer Ausbildungsstatus. Der Unterschied zwischen RA-Patientinnen und gesunden Kontrollpersonen war in jeder Altersgruppe signifikant. Die Auswertung zeigte weiters einen Zusammenhang zwischen sexueller Dysfunktion und erhöhten Depressionsscores. Der Grad der Behinderung, die Krankheitsaktivität und die Medikation hatten in dieser Studie keine signifikante Auswirkung auf die sexuelle Dysfunktion.</p> <p><strong>Wie kann eine rheumatische Erkrankung die Sexualität betroffener Frauen beeinträchtigen?</strong><br /> <strong>J. Sautner:</strong> Aus einer Metaanalyse und einer rezenten Studie wissen wir, dass RA signifikant negative Auswirkungen sowohl auf die Sexualität im Gesamten als auch auf jede einzelne Subdomäne – Verlangen, Erregung, Lubrifikation, Orgasmus und Befriedigung – hat.<sup>2</sup> Limitationen der erwähnten Metaanalyse waren kleine Fallzahlen und fehlende Daten zu Krankheitsaktivität, Klinik, Labor und Medikation bzw. Depressionssymptomen. Deswegen haben wir in unserer Studie nicht nur die sexuelle Funktion, sondern auch demografische Daten, Alkohol- und Nikotinabusus, Voroperationen, die gynäkologische Anamnese etc. sowie bei den RA-Patientinnen auch Medikation und Komorbiditäten erhoben und zusätzlich den Beck-DIDepressionsfragebogen ausgewertet.<sup>1</sup> So konnten wir zeigen, dass die Beeinträchtigung der Sexualität nicht mit dem Krankheitsstadium zusammenhängt. Früher war die gängige Meinung, dass Gelenksschäden der Hauptgrund sind. Heute kann man sagen: Die RA beeinflusst die Sexualität auch bei Patienten, die sehr gut eingestellt sind. Gerade in unserer Studie hatten wir einen sehr hohen Prozentsatz an Patientinnen, die in Remission waren, und trotzdem haben wir diese Beeinträchtigungen gesehen. Mit einem sehr spezifischen Fragebogen konnten wir außerdem zeigen, dass alle Dimensionen eines normalen sexuellen Ablaufs betroffen sind. Ein besonders häufiges Problem war mangelnde Lubrifikation: Hier spielt offenbar die Neigung zu Sicca-Symptomen bei RA eine Rolle.</p> <p><strong>Was könnte die Ursache für den Zusammenhang sein, wenn es nicht die Krankheitsaktivität ist?</strong><br /> <strong>J. Sautner:</strong> Was wir in unserer Studie gesehen haben, ist eine Assoziation mit Depression und Fatigue. Im zeitlichen Ablauf der RA-Erkrankung erscheinen Fatigue und Depression als „Vorläufer“ der sexuellen Beeinträchtigungen.</p> <p><strong>Wie ist es bei anderen rheumatischen Erkrankungen? Gibt es da ähnliche Erfahrungen?</strong><br /> <strong>J. Sautner:</strong> Wir wissen, dass z. B. in der Gruppe der Spondylarthritiden sehr wohl die körperlichen Beeinträchtigungen Probleme machen können. Beim systemischen Lupus erythematodes und beim Sjögren-Syndrom scheinen Fatigue und Trockenheit Auswirkungen auf die Sexualität zu haben. Aber es gibt diesbezüglich sicher eine sehr hohe Dunkelziffer, weil wir das Thema einfach zu wenig ansprechen.</p> <p><strong>Ist es den Patientinnen bewusst, dass ihre sexuellen Probleme mit der Rheumaerkrankung in Zusammenhang stehen?</strong><br /> <strong>J. Sautner:</strong> Eben nicht. Das ist auch ein Grund, warum Patientinnen nicht darüber sprechen: Sie glauben, der Rheumatologe sei nicht der richtige Ansprechpartner.</p> <p><strong>Was kann der Rheumatologe zur sexuellen Gesundheit beitragen?</strong><br /> <strong>J. Sautner:</strong> Ein guter Beginn wäre, das Thema Sexualität überhaupt anzusprechen und nicht davon auszugehen, dass alles in Ordnung ist, wenn die Patientin rheumatologisch gut eingestellt ist.</p> <p><strong>Wer sollte es ansprechen?</strong><br /> <strong>J. Sautner:</strong> Jeder, der es gut kann. Das kann der Arzt sein, die Rheumaschwester oder ein Ergotherapeut. Es sollte jemand in der rheumatologischen Versorgung definiert werden, der die Patienten systematisch auf sexuelle Probleme anspricht. Das muss natürlich in patientenadäquater Sprache und mit Berücksichtigung des Kulturkreises geschehen. Ein diesbezügliches Kommunikationstraining für medizinisches Personal wäre wünschenswert. Zuvor muss eine Gesprächsbasis geschaffen werden. Wichtig ist auch das Setting: Umgebung und Atmosphäre müssen geeignet sein. Eine offen stehende Ambulanztür fördert nicht gerade die Kommunikationsbereitschaft für ein solches Thema.</p> <p><strong>Wie spricht man Frauen am besten auf dieses heikle Thema an?</strong><br /> <strong>J. Sautner:</strong> Das ist unterschiedlich. Man kann da keine generelle Anleitung geben. Oft ist die Frage nach der Trockenheit ein gutes Einstiegsthema. Oder die Frage nach der Partnerschaft: Wie geht es Ihnen und Ihrem Mann? Das genügt oft schon. Aber manchmal muss man auch direkter fragen.</p> <p><strong>Was sind die weiteren Schritte, wenn die Patientin ein Problem bezüglich der Sexualität hat?</strong><br /> <strong>J. Sautner:</strong> In unserer Befragung konnten wir feststellen, dass ein hoher Prozentsatz der Betroffenen die Probleme schon mit dem Partner besprochen hat. Aber professionelle Hilfe hat nur ein verschwindend geringer Teil gesucht. Wir können dabei Hilfestellung geben und Kontakte zu Sexual- und Psychotherapeuten herstellen. Manche Probleme können wir auch selbst lösen. Wenn zum Beispiel Trockenheit ein Problem ist, kann auch der Rheumatologe mit Medikamenten oder lokalen Mitteln etwas tun. Wenn Gelenksschmerzen den Geschlechtsakt stören, können wir auch einige allgemeine Tipps geben. So ist z. B. eine warme Dusche vor dem Geschlechtsverkehr günstig, um die Muskeln zu lockern. Im Bedarfsfall können Analgetika eingesetzt werden. Beim Geschlechtsakt selbst kann die Wahl der richtigen Position, abgestimmt auf die Grundkrankheit und die betroffenen Gelenke, entscheidend sein. Entzündliche Patienten sollten eine passive Position einnehmen. Für Patienten mit Hüftschmerzen ist Knien die schonendste Haltung.<br /> Generell können Heilgymnastik und Bewegung empfohlen werden. Neben Schmerzreduktion und verbesserter Beweglichkeit hat Physiotherapie einen positiven Effekt auf die Sexualität von RA-Patientinnen gezeigt. Regelmäßige körperliche Aktivität reduziert Fatigue und fördert die Erregbarkeit. Ein Beckenbodentraining, z. B. nach Kegel, bringt zusätzlich eine Orgasmusverbesserung. Auch bei Männern verbessert regelmäßiges Training die sexuelle Performance und reduziert die Rate an erektiler Dysfunktion.</p> <p><strong>Können alle sexuellen Probleme erfolgreich behandelt werden?</strong><br /> <strong>J. Sautner:</strong> Das würde ich nicht sagen, aber wir haben gesehen, dass es für die Frauen schon eine große Erleichterung bedeutet, darüber reden zu können. Die Chance auf professionellen Rat sollte keiner Patientin vorenthalten werden. Wir ermöglichen ihr ja auch den Zugang zu anderen Fachärzten, warum also nicht auch zu Experten für Sexualtherapie?</p> <p><strong>Abschließend möchte ich noch das Thema Verhütung ansprechen. Gibt es Besonderheiten bei RA-Patientinnen, die zu beachten sind?</strong><br /> <strong>J. Sautner:</strong> Bezüglich Verhütung gibt es bei der RA keine Probleme. Auch die Verträglichkeit hormoneller Antikonzeptiva mit der Rheumatherapie ist im Allgemeinen gut. Nur beim systemischen Lupus sollte man, wenn auch ein Antiphospholipidsyndrom vorliegt, mit einem reinen Gestagenpräparat verhüten und kein kombiniertes Präparat verwenden.</p> <p><strong>Welche „Message“ haben Sie für Ihre Kollegen?</strong><br /> <strong>J. Sautner:</strong> Wir wissen aus früheren Untersuchungen, dass viele RA-Patientinnen beträchtliche Angst haben, vom Partner verlassen zu werden, wenn die Sexualität nicht mehr funktioniert. Dies ist eine zusätzliche Belastung neben den vielen anderen Sorgen, die RA-Patientinnen haben, z. B. Angst vor dem Arbeitsplatzverlust etc. Dagegen können wir etwas tun: auch gut eingestellte Patienten auf ihre sexuelle Zufriedenheit ansprechen, das Gespräch suchen, sich Gedanken machen, wie man das Thema ansprechen könnte, sich Formulierungen überlegen – also den ersten Schritt machen!</p> <p><br />Eine Liste der Sexualberatungsstellen in Österreich bietet die Österreichische Gesellschaft für Sexualwissenschaften (ÖGS) auf ihrer Website www.oegs.at.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Puchner R et al.: High burden of sexual dysfunction in female patients with rheumatoid arthritis: results of a crosssectional study. J Rheumatol 2019; 46(1): 19-26 <strong>2</strong> Zhang Q et al.: Rheumatoid arthritis is associated with negatively variable impacts on domains of female sexual function: evidence from a systematic review and meta-analysis. Psychol Health Med 2018; 23(1): 114-25</p>
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