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Medikamentöse Prophylaxe und Ernährungsfaktoren beim kolorektalen Karzinom
Jatros
Autor:
Michaela Lang, PhD
E-Mail: michaela.lang@meduniwien.ac.at<br> Klin. Abt. für Gastroenterologie und Hepatologie<br> Universitätsklinik für Innere Medizin III<br> Medizinische Universität Wien
Autor:
Dr. Adrian Frick
E-Mail: adrian.frick@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
21.09.2017
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<p class="article-intro">Die zugrunde liegenden molekularen Mechanismen, die zur Entstehung eines Kolorektalkarzinoms führen, sind divers. Ebenso die Umwelteinflüsse, die die Entstehung begünstigen. In diesem Artikel soll die Wirkungsweise von Acetylsalicylsäure (ASS), dem bestuntersuchten Medikament zur Darmkrebsvorsorge, durchleuchtet werden. Ebenso soll geklärt werden, welche Ernährungsweise die Entstehung von Darmkrebs begünstigt oder unterdrückt.</p>
<hr />
<p class="article-content"><div id="Keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Acetylsalicylsäure (ASS) kann zur Chemoprävention eines kolorektalen Karzinoms bei Patienten zwischen 50 und 69 Jahren, die ein hohes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, aber ein geringes Risiko für gastrointestinale Blutungen aufweisen, niedrig dosiert eingesetzt werden.</li> <li>ASS greift auf vielfältige Weise in die Entstehung eines Kolorektalkarzinoms ein, wobei die Hemmung der Prostaglandinsynthasen der wichtigste Wirkmechanismus ist.</li> <li>Ballaststoffe, speziell aus Zerealien und Vollkornprodukten, sind ein einfaches Mittel zur Darmkrebsprävention.</li> <li>Der Konsum von rotem Fleisch und prozessierten Fleischprodukten sollte reduziert werden, entweder durch Ersatz mit weißem Fleisch (Geflügel, Fisch) oder durch häufigere vegetarische Mahlzeiten.</li> </ul> </div> <p>Kein anderes Medikament wurde so umfangreich auf seine chemopräventive Wirkung hin untersucht wie ASS. Zahlreiche Kohorten- und Fall-Kontroll- Studien sowie epidemiologische Studien weisen auf die Effektivität von ASS zur Prävention von Darmkrebs hin.<sup>1, 2</sup> Vor allem auch randomisierte klinische Studien, die primär die Rolle von ASS zur Vorbeugung kardiovaskulärer Erkrankungen untersuchten, zeigten, dass das Langzeitrisiko, ein Kolorektalkarzinom zu entwickeln, sinkt. Dabei nahmen die Studienteilnehmer eher niedrig dosierte Gaben zwischen 75 und 300mg über mindestens 5 Jahre täglich.<sup>3</sup> Aufgrund dieser zahlreichen Daten hat die United States Preventive Services Task Force ihre Empfehlung für die Einnahme von ASS zur Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen erweitert. Personen zwischen 50 und 69 mit hohem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, aber geringem Risiko für gastrointestinale Blutungen können ASS zur Prävention eines Kolorektalkarzinoms verwenden. Dies ist somit die erste Einnahmeempfehlung eines Medikaments zur Darmkrebsvorsorge in einer Patientenkohorte ohne erhöhtes Darmkrebsrisiko. Nichtsdestotrotz müssen die Vorteile gegen das Risiko einer gastrointestinalen Blutung sowie eines hämorrhagischen Schlaganfalls abgewogen werden.<br /> In einer rezenten Metaanalyse randomisierter klinischer Studien wurde die Effektivität verschiedener potenzieller chemopräventiver Substanzen hinsichtlich eines erneuten Auftretens einer fortgeschrittenen Neoplasie, bei vormals diagnostizierter Neoplasie, untersucht und die Risikoprofile wurden verglichen.<sup>4</sup> Obwohl nichtsteroidale Antirheumatika die beste chemopräventive Wirkung zeigten, haben sie ein schlechtes Risikoprofil. Niedrig dosierte ASS hingegen wies in dieser Studie das beste Nutzen-Risiko-Profil auf. Da die Toxizität von ASS dosisabhängig ist, empfiehlt sich eine geringe Dosis zur Darmkrebsvorsorge.<br /><br /> Um die Wirkungsweise von ASS besser zu verstehen, folgt eine Zusammenfassung der Signalwege, in die ASS involviert ist.</p> <h2>ASS – multiple Wirkmechanismen beim Kampf gegen Darmkrebs</h2> <p>ASS werden verschiedene, mitunter verbundene Mechanismen mit chemopräventiver Wirkung zugeschrieben (Abb. 1).<br /> Der Hauptmechanismus von ASS ist wahrscheinlich die Inhibierung der Prostaglandinsynthese in Epithelzellen des Darmtrakts. Hierbei inhibiert ASS die Prostaglandinsynthase 2, besser bekannt als Cyclooxygenase 2 (COX-2), und somit die Umwandlung von Arachidonsäure zu Prostaglandin E2 (PGE<sub>2</sub>), einem Entzündungsmediator und potenten Mitogen, welches die DNA-Synthese stimuliert.<br /><br /> Ein weiterer Wirkmechanismus, welcher der ASS auch bei niedrig dosierten Mengen zugeschrieben wird, ist die Inhibierung der Prostaglandinsynthase 1, oder Cyclooxygenase 1 (COX-1), in Plättchen. COX-1 verwandelt Arachidonsäure in Thromboxan A2, den wichtigsten Metaboliten für die Rekrutierung und Aktivierung von Thrombozyten. Es wird vermutet, dass sowohl Thrombozyten als auch Immunzellen, die an den Ort der Schleimhautverletzung oder der (chronischen) Entzündung rekrutiert werden, über parakrine Wege COX-2 im Darmepithel aktivieren können. Kommt es nun zu einer verringerten Aktivierung und Rekrutierung von Plättchen durch die Inhibierung von COX-1 und einer verringerten Produktion von Thromboxan A2, findet die parakrine Aktivierung von COX-2 in geringerem Maße statt. Eine zusätzliche Unterdrückung der Immunantwort durch ASS verstärkt diesen Effekt.<br /> Ein weiterer Mechanismus, der die chemopräventive Wirkung von ASS erklärt, ist die Inhibierung des WNT/ß-Catenin- Signalwegs. ASS inhibiert PP2A, eine Phosphatase, die ß-Catenin dephosphoryliert. Findet diese Dephosphorylierung nicht statt, wird ß-Catenin ubiquitinyliert und im Proteasom abgebaut. Somit reduziert ASS den ß-Catenin-Pool und verhindert somit die Translokation von ß-Catenin in den Kern, wo es als Transkriptionsfaktor im Komplex mit TCF/LEF die Transkription von Genen wie MYC, einem Onkogen, oder Matrixmetalloproteinasen anschaltet.<br /> Durch Bindung an seinen Plasmamembranrezeptor EP2, einen G-Protein gekoppelten Rezeptor auf Darmepithelzellen, kann PGE<sub>2</sub> selbst ebenso ß-Catenin aktivieren. Die Aktivierung dieses Rezeptors führt zur Freisetzung von ß-Catenin aus dem Axin-GSK-3ß-Komplex und zu dessen nukleärer Translokation.<sup>5</sup> ASS unterdrückt diesen Vorgang durch Limitierung der PGE<sub>2</sub>-Synthese. <br /><br />Zusammenfassend kann man sagen, dass ASS durch eine Unterdrückung der Prostaglandinproduktion und durch Hemmung des WNT/ß-Catenin-Signalwegs das Risiko, ein kolorektales Karzinom zu entwickeln, reduziert.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Infekt_1703_Weblinks_s30-abb1.jpg" alt="" width="1417" height="1897" /></p> <h2>Beeinflussen Nahrungsmittel die Darmkrebsentstehung?</h2> <p>Das kolorektale Karzinom ist eine Erkrankung, die eng mit Umweltfaktoren, vor allem aber mit dem sogenannten westlichen Lebensstil, verknüpft ist. Neben den bekannten genetischen bzw. familiären Risikofaktoren, welche Darmkrebs begünstigen, hat insbesondere die westliche Ernährungsweise einen bedeutenden Einfluss auf die Darmkrebsentstehung. Es ist davon auszugehen, dass bis zu 50 % der diagnostizierten Kolorektalkarzinome aufgrund von Ernährungsfaktoren entstehen und nur ein geringer Anteil von unter 10 % dem genetischen bzw. familiären Hintergrund zuzuordnen ist.<sup>6</sup> Die Untersuchung von relevanten Nahrungsbestandteilen in Hinsicht auf Kausalität gestaltet sich schwierig. Trotz der Komplexität dieser Analyse hat die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), eine Einrichtung der WHO, kürzlich rotes und prozessiertes Fleisch zu Gruppe-2A- bzw. Gruppe-1-Karzinogenen erklärt.<sup>7</sup> Dies bedeutet, dass es einen eindeutig nachweisbaren Zusammenhang zwischen dem Verzehr von prozessiertem Fleisch (z.B. Gegrilltes, Geräuchertes, Gepökeltes) und Darmkrebsentstehung beim Menschen gibt. Rotes Fleisch, also Muskelfleisch von Rind, Schwein, Lamm o.Ä., gilt als wahrscheinlich krebserregend beim Menschen. Basis dieser Entscheidung war die Analyse von mehr als 800 epidemiologischen Studien. Eine Metaanalyse von zehn Kohortenstudien zeigte beispielsweise einen statistisch signifikanten Dosis-Wirkungs-Zusammenhang mit einem um 17 % erhöhten Darmkrebsrisiko (95 % CI: 1,05–1,31) pro 100g rotem Fleisch pro Tag bzw. um 18 % (95 % CI: 1,10–1,28) pro 50g prozessiertes Fleisch pro Tag.<sup>8</sup> Die Häufigkeit sowie Regelmäßigkeit des Fleischkonsums hat dabei ebenfalls Einfluss auf das Kolonkarzinomrisiko und ist für prozessiertes Fleisch in verschiedenen untersuchten Populationen gleich verteilt. Interessanterweise zeigt dieser Zusammenhang ein Plateau bei ca. 150g/Tag. Der Zusammenhang zwischen (prozessiertem) Fleisch und Kanzerogenese ergibt sich auch bei Vorstufen des Kolonkarzinoms. Eine Metaanalyse zeigte hier eine konsistente signifikante Assoziation zwischen Fleischkonsum (prozessiertes und rotes Fleisch) und der Entstehung eines Adenoms des Kolorektums.<sup>9</sup><br /><br /> Mechanistisch scheinen vor allem NNitrosoverbindungen, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, heterozyklische Amine sowie Häm-Eisen für die Krebsentstehung verantwortlich, da diese nachweislich zu DNA-Addukten und anderen genotoxischen Effekten führen.<sup>10</sup></p> <h2>Können Nahrungsbestandteile Krebs verhindern?</h2> <p>Die American Cancer Society empfiehlt in ihren Richtlinien den Konsum von ausreichend Früchten, Gemüse und Ballaststoffen. Diese Empfehlungen basieren auf einer Vielzahl von epidemiologischen und experimentellen Studien. Bereits in den 1970er-Jahren wurde postuliert, dass ballaststoffreiche Ernährung möglicherweise das Risiko, an Kolorektalkrebs zu erkranken, vermindert. Die Studienlage diesbezüglich ist umfangreich, jedoch mit unterschiedlichen Ergebnissen. Fall-Kontroll- Studien zeigten einen protektiven Effekt von Ballaststoffen auf das Darmkrebsrisiko. Im Gegensatz dazu sind Kohortenstudien nicht eindeutig in ihren Ergebnissen. Es ist zudem unklar, ob ein bestimmter Ballaststoff bzw. eine bestimmte Ballaststoffquelle mit einem verringerten Risiko assoziiert ist. Am bedeutungsvollsten ist sicherlich die EPIC-Studie. Diese untersuchte prospektiv in mehreren europäischen Ländern die Assoziation zwischen Ballaststoffaufnahme und der Inzidenz von Darmkrebs. Die Ergebnisse zeigten eine inverse Assoziation zwischen Ballaststoffaufnahme und der Inzidenz von kolorektalen Karzinomen („adjusted relative risk“ 0,75 [95 % CI: 0,59–0,95]).<sup>11</sup> Interessant ist hier, dass kein Unterschied zwischen Männern und Frauen in der Risikoreduktion auftrat. Auch die Bereinigung von Störvariablen wie rotes bzw. prozessiertes Fleisch beeinflusste die Ergebnisse nicht. Zusätzlich scheint auch die Quelle der Ballaststoffe unerheblich. In einer Metaanalyse von Aune et al. wurden 25 prospektive Kohortenstudien analysiert.<sup>12</sup> Dabei schienen vor allem Ballaststoffe aus Zerealien und Vollkornprodukten negativ mit dem Darmkrebsrisiko (0,90 [95 % CI: 0,83–0,96] bzw. 0,79 [0,72–0,86]) assoziiert zu sein. Auffallend ist hier, dass dieser Effekt für Ballaststoffe aus Hülsenfrüchten und Obst nicht zu sehen war, vermutlich aufgrund der im Durchschnitt deutlich geringeren Menge an konsumierten Ballaststoffen aus diesen Quellen. In der Dosis-Wirkungs-Analyse für die Gesamtmenge an konsumierten Ballaststoffen zeigte sich, dass das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, je 10g Ballaststoff/Tag um 10 % bzw. 20 % bei 90g Vollkorn/Tag reduziert wird. Bei diesen Ergebnissen ist jedoch zu bedenken, dass eine Ernährungsweise reich an Ballaststoffen meist auch mit einem gesünderen Lebensstil einhergeht, was wiederum Einfluss auf das Darmkrebsrisiko hat (bessere Gewichtskontrolle, reduzierte Insulinresistenz). Zusätzlich lässt sich nicht ausschließen, dass andere Stoffe wie Folsäure, Antioxidanzien, sekundäre Pflanzenstoffe wie Phytoöstrogene etc., die Bestandteile von Vollkornprodukten sind, ebenfalls einen Einfluss haben.<br /><br /> Eine Vielzahl an Mechanismen scheint in die Risikoreduzierung durch Ballaststoffe involviert, wie die Verdünnung des Stuhls, die Reduktion der Stuhltransitzeit sowie die Stimulierung des Wachstums von diversen anaeroben Bakterien. Dabei finden Fermentationsprozesse statt, welche zum Anstieg der freien Fettsäuren Acetat, Propionat und im Besonderen Butyrat führen. Butyrat ist die Hauptenergiequelle von Kolonepithelzellen. Es scheint besonders Transformationsprozesse in diesen Zellen zu unterbinden und trägt somit zur chemopräventiven Wirkung von Ballaststoffen bei.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Drew DA e t al.: Nat Rev Cancer 2016; 16(3): 173-86 <strong>2</strong> Lang M et al.: Journal für Gastroenterologische und Hepatologische Erkrankungen 2015; 13(1): 14-23 <strong>3</strong> Rothwell PM et al.: Lancet 2010; 376: 1741-50 <strong>4</strong> D ulai P S e t a l.: B MJ 2016; 355: i6188 <strong>5</strong> Castellone MD et al.: Science 2005; 310(5753): 1504-10 <strong>6</strong> Kune GA et al.: Nutr Cancer 1992; 18: 231-5 <strong>7</strong> Bouvard V et al.: Lancet Oncol 2015; 16: 1599-600 <strong>8</strong> Chan DS et al.: PLoS One 2011; 6(6): e20456 <strong>9</strong> Aune D et al.: Cancer Causes Control 2013; 24: 611-27 <strong>10</strong> Lewin MH et al.: Cancer Res 2006; 66: 1859-65 <strong>11</strong> Bingham SA et al.: Lancet 2003; 361: 1496-501 <strong>12</strong> Aune D et al.: BMJ 2011; 343: d6617</p>
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