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ÖGGH 2017

Medikamentöse Prophylaxe und Ernährungsfaktoren beim kolorektalen Karzinom

<p class="article-intro">Die zugrunde liegenden molekularen Mechanismen, die zur Entstehung eines Kolorektalkarzinoms führen, sind divers. Ebenso die Umwelteinflüsse, die die Entstehung begünstigen. In diesem Artikel soll die Wirkungsweise von Acetylsalicylsäure (ASS), dem bestuntersuchten Medikament zur Darmkrebsvorsorge, durchleuchtet werden. Ebenso soll geklärt werden, welche Ernährungsweise die Entstehung von Darmkrebs begünstigt oder unterdrückt.</p> <hr /> <p class="article-content"><div id="Keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Acetylsalicyls&auml;ure (ASS) kann zur Chemopr&auml;vention eines kolorektalen Karzinoms bei Patienten zwischen 50 und 69 Jahren, die ein hohes Risiko f&uuml;r kardiovaskul&auml;re Erkrankungen, aber ein geringes Risiko f&uuml;r gastrointestinale Blutungen aufweisen, niedrig dosiert eingesetzt werden.</li> <li>ASS greift auf vielf&auml;ltige Weise in die Entstehung eines Kolorektalkarzinoms ein, wobei die Hemmung der Prostaglandinsynthasen der wichtigste Wirkmechanismus ist.</li> <li>Ballaststoffe, speziell aus Zerealien und Vollkornprodukten, sind ein einfaches Mittel zur Darmkrebspr&auml;vention.</li> <li>Der Konsum von rotem Fleisch und prozessierten Fleischprodukten sollte reduziert werden, entweder durch Ersatz mit wei&szlig;em Fleisch (Gefl&uuml;gel, Fisch) oder durch h&auml;ufigere vegetarische Mahlzeiten.</li> </ul> </div> <p>Kein anderes Medikament wurde so umfangreich auf seine chemopr&auml;ventive Wirkung hin untersucht wie ASS. Zahlreiche Kohorten- und Fall-Kontroll- Studien sowie epidemiologische Studien weisen auf die Effektivit&auml;t von ASS zur Pr&auml;vention von Darmkrebs hin.<sup>1, 2</sup> Vor allem auch randomisierte klinische Studien, die prim&auml;r die Rolle von ASS zur Vorbeugung kardiovaskul&auml;rer Erkrankungen untersuchten, zeigten, dass das Langzeitrisiko, ein Kolorektalkarzinom zu entwickeln, sinkt. Dabei nahmen die Studienteilnehmer eher niedrig dosierte Gaben zwischen 75 und 300mg &uuml;ber mindestens 5 Jahre t&auml;glich.<sup>3</sup> Aufgrund dieser zahlreichen Daten hat die United States Preventive Services Task Force ihre Empfehlung f&uuml;r die Einnahme von ASS zur Prim&auml;rpr&auml;vention kardiovaskul&auml;rer Erkrankungen erweitert. Personen zwischen 50 und 69 mit hohem Risiko f&uuml;r kardiovaskul&auml;re Erkrankungen, aber geringem Risiko f&uuml;r gastrointestinale Blutungen k&ouml;nnen ASS zur Pr&auml;vention eines Kolorektalkarzinoms verwenden. Dies ist somit die erste Einnahmeempfehlung eines Medikaments zur Darmkrebsvorsorge in einer Patientenkohorte ohne erh&ouml;htes Darmkrebsrisiko. Nichtsdestotrotz m&uuml;ssen die Vorteile gegen das Risiko einer gastrointestinalen Blutung sowie eines h&auml;morrhagischen Schlaganfalls abgewogen werden.<br /> In einer rezenten Metaanalyse randomisierter klinischer Studien wurde die Effektivit&auml;t verschiedener potenzieller chemopr&auml;ventiver Substanzen hinsichtlich eines erneuten Auftretens einer fortgeschrittenen Neoplasie, bei vormals diagnostizierter Neoplasie, untersucht und die Risikoprofile wurden verglichen.<sup>4</sup> Obwohl nichtsteroidale Antirheumatika die beste chemopr&auml;ventive Wirkung zeigten, haben sie ein schlechtes Risikoprofil. Niedrig dosierte ASS hingegen wies in dieser Studie das beste Nutzen-Risiko-Profil auf. Da die Toxizit&auml;t von ASS dosisabh&auml;ngig ist, empfiehlt sich eine geringe Dosis zur Darmkrebsvorsorge.<br /><br /> Um die Wirkungsweise von ASS besser zu verstehen, folgt eine Zusammenfassung der Signalwege, in die ASS involviert ist.</p> <h2>ASS &ndash; multiple Wirkmechanismen beim Kampf gegen Darmkrebs</h2> <p>ASS werden verschiedene, mitunter verbundene Mechanismen mit chemopr&auml;ventiver Wirkung zugeschrieben (Abb. 1).<br /> Der Hauptmechanismus von ASS ist wahrscheinlich die Inhibierung der Prostaglandinsynthese in Epithelzellen des Darmtrakts. Hierbei inhibiert ASS die Prostaglandinsynthase 2, besser bekannt als Cyclooxygenase 2 (COX-2), und somit die Umwandlung von Arachidons&auml;ure zu Prostaglandin E2 (PGE<sub>2</sub>), einem Entz&uuml;ndungsmediator und potenten Mitogen, welches die DNA-Synthese stimuliert.<br /><br /> Ein weiterer Wirkmechanismus, welcher der ASS auch bei niedrig dosierten Mengen zugeschrieben wird, ist die Inhibierung der Prostaglandinsynthase 1, oder Cyclooxygenase 1 (COX-1), in Pl&auml;ttchen. COX-1 verwandelt Arachidons&auml;ure in Thromboxan A2, den wichtigsten Metaboliten f&uuml;r die Rekrutierung und Aktivierung von Thrombozyten. Es wird vermutet, dass sowohl Thrombozyten als auch Immunzellen, die an den Ort der Schleimhautverletzung oder der (chronischen) Entz&uuml;ndung rekrutiert werden, &uuml;ber parakrine Wege COX-2 im Darmepithel aktivieren k&ouml;nnen. Kommt es nun zu einer verringerten Aktivierung und Rekrutierung von Pl&auml;ttchen durch die Inhibierung von COX-1 und einer verringerten Produktion von Thromboxan A2, findet die parakrine Aktivierung von COX-2 in geringerem Ma&szlig;e statt. Eine zus&auml;tzliche Unterdr&uuml;ckung der Immunantwort durch ASS verst&auml;rkt diesen Effekt.<br /> Ein weiterer Mechanismus, der die chemopr&auml;ventive Wirkung von ASS erkl&auml;rt, ist die Inhibierung des WNT/&szlig;-Catenin- Signalwegs. ASS inhibiert PP2A, eine Phosphatase, die &szlig;-Catenin dephosphoryliert. Findet diese Dephosphorylierung nicht statt, wird &szlig;-Catenin ubiquitinyliert und im Proteasom abgebaut. Somit reduziert ASS den &szlig;-Catenin-Pool und verhindert somit die Translokation von &szlig;-Catenin in den Kern, wo es als Transkriptionsfaktor im Komplex mit TCF/LEF die Transkription von Genen wie MYC, einem Onkogen, oder Matrixmetalloproteinasen anschaltet.<br /> Durch Bindung an seinen Plasmamembranrezeptor EP2, einen G-Protein gekoppelten Rezeptor auf Darmepithelzellen, kann PGE<sub>2</sub> selbst ebenso &szlig;-Catenin aktivieren. Die Aktivierung dieses Rezeptors f&uuml;hrt zur Freisetzung von &szlig;-Catenin aus dem Axin-GSK-3&szlig;-Komplex und zu dessen nukle&auml;rer Translokation.<sup>5</sup> ASS unterdr&uuml;ckt diesen Vorgang durch Limitierung der PGE<sub>2</sub>-Synthese. <br /><br />Zusammenfassend kann man sagen, dass ASS durch eine Unterdr&uuml;ckung der Prostaglandinproduktion und durch Hemmung des WNT/&szlig;-Catenin-Signalwegs das Risiko, ein kolorektales Karzinom zu entwickeln, reduziert.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Infekt_1703_Weblinks_s30-abb1.jpg" alt="" width="1417" height="1897" /></p> <h2>Beeinflussen Nahrungsmittel die Darmkrebsentstehung?</h2> <p>Das kolorektale Karzinom ist eine Erkrankung, die eng mit Umweltfaktoren, vor allem aber mit dem sogenannten westlichen Lebensstil, verkn&uuml;pft ist. Neben den bekannten genetischen bzw. famili&auml;ren Risikofaktoren, welche Darmkrebs beg&uuml;nstigen, hat insbesondere die westliche Ern&auml;hrungsweise einen bedeutenden Einfluss auf die Darmkrebsentstehung. Es ist davon auszugehen, dass bis zu 50 % der diagnostizierten Kolorektalkarzinome aufgrund von Ern&auml;hrungsfaktoren entstehen und nur ein geringer Anteil von unter 10 % dem genetischen bzw. famili&auml;ren Hintergrund zuzuordnen ist.<sup>6</sup> Die Untersuchung von relevanten Nahrungsbestandteilen in Hinsicht auf Kausalit&auml;t gestaltet sich schwierig. Trotz der Komplexit&auml;t dieser Analyse hat die Internationale Agentur f&uuml;r Krebsforschung (IARC), eine Einrichtung der WHO, k&uuml;rzlich rotes und prozessiertes Fleisch zu Gruppe-2A- bzw. Gruppe-1-Karzinogenen erkl&auml;rt.<sup>7</sup> Dies bedeutet, dass es einen eindeutig nachweisbaren Zusammenhang zwischen dem Verzehr von prozessiertem Fleisch (z.B. Gegrilltes, Ger&auml;uchertes, Gep&ouml;keltes) und Darmkrebsentstehung beim Menschen gibt. Rotes Fleisch, also Muskelfleisch von Rind, Schwein, Lamm o.&Auml;., gilt als wahrscheinlich krebserregend beim Menschen. Basis dieser Entscheidung war die Analyse von mehr als 800 epidemiologischen Studien. Eine Metaanalyse von zehn Kohortenstudien zeigte beispielsweise einen statistisch signifikanten Dosis-Wirkungs-Zusammenhang mit einem um 17 % erh&ouml;hten Darmkrebsrisiko (95 % CI: 1,05&ndash;1,31) pro 100g rotem Fleisch pro Tag bzw. um 18 % (95 % CI: 1,10&ndash;1,28) pro 50g prozessiertes Fleisch pro Tag.<sup>8</sup> Die H&auml;ufigkeit sowie Regelm&auml;&szlig;igkeit des Fleischkonsums hat dabei ebenfalls Einfluss auf das Kolonkarzinomrisiko und ist f&uuml;r prozessiertes Fleisch in verschiedenen untersuchten Populationen gleich verteilt. Interessanterweise zeigt dieser Zusammenhang ein Plateau bei ca. 150g/Tag. Der Zusammenhang zwischen (prozessiertem) Fleisch und Kanzerogenese ergibt sich auch bei Vorstufen des Kolonkarzinoms. Eine Metaanalyse zeigte hier eine konsistente signifikante Assoziation zwischen Fleischkonsum (prozessiertes und rotes Fleisch) und der Entstehung eines Adenoms des Kolorektums.<sup>9</sup><br /><br /> Mechanistisch scheinen vor allem NNitrosoverbindungen, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, heterozyklische Amine sowie H&auml;m-Eisen f&uuml;r die Krebsentstehung verantwortlich, da diese nachweislich zu DNA-Addukten und anderen genotoxischen Effekten f&uuml;hren.<sup>10</sup></p> <h2>K&ouml;nnen Nahrungsbestandteile Krebs verhindern?</h2> <p>Die American Cancer Society empfiehlt in ihren Richtlinien den Konsum von ausreichend Fr&uuml;chten, Gem&uuml;se und Ballaststoffen. Diese Empfehlungen basieren auf einer Vielzahl von epidemiologischen und experimentellen Studien. Bereits in den 1970er-Jahren wurde postuliert, dass ballaststoffreiche Ern&auml;hrung m&ouml;glicherweise das Risiko, an Kolorektalkrebs zu erkranken, vermindert. Die Studienlage diesbez&uuml;glich ist umfangreich, jedoch mit unterschiedlichen Ergebnissen. Fall-Kontroll- Studien zeigten einen protektiven Effekt von Ballaststoffen auf das Darmkrebsrisiko. Im Gegensatz dazu sind Kohortenstudien nicht eindeutig in ihren Ergebnissen. Es ist zudem unklar, ob ein bestimmter Ballaststoff bzw. eine bestimmte Ballaststoffquelle mit einem verringerten Risiko assoziiert ist. Am bedeutungsvollsten ist sicherlich die EPIC-Studie. Diese untersuchte prospektiv in mehreren europ&auml;ischen L&auml;ndern die Assoziation zwischen Ballaststoffaufnahme und der Inzidenz von Darmkrebs. Die Ergebnisse zeigten eine inverse Assoziation zwischen Ballaststoffaufnahme und der Inzidenz von kolorektalen Karzinomen (&bdquo;adjusted relative risk&ldquo; 0,75 [95 % CI: 0,59&ndash;0,95]).<sup>11</sup> Interessant ist hier, dass kein Unterschied zwischen M&auml;nnern und Frauen in der Risikoreduktion auftrat. Auch die Bereinigung von St&ouml;rvariablen wie rotes bzw. prozessiertes Fleisch beeinflusste die Ergebnisse nicht. Zus&auml;tzlich scheint auch die Quelle der Ballaststoffe unerheblich. In einer Metaanalyse von Aune et al. wurden 25 prospektive Kohortenstudien analysiert.<sup>12</sup> Dabei schienen vor allem Ballaststoffe aus Zerealien und Vollkornprodukten negativ mit dem Darmkrebsrisiko (0,90 [95 % CI: 0,83&ndash;0,96] bzw. 0,79 [0,72&ndash;0,86]) assoziiert zu sein. Auffallend ist hier, dass dieser Effekt f&uuml;r Ballaststoffe aus H&uuml;lsenfr&uuml;chten und Obst nicht zu sehen war, vermutlich aufgrund der im Durchschnitt deutlich geringeren Menge an konsumierten Ballaststoffen aus diesen Quellen. In der Dosis-Wirkungs-Analyse f&uuml;r die Gesamtmenge an konsumierten Ballaststoffen zeigte sich, dass das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, je 10g Ballaststoff/Tag um 10 % bzw. 20 % bei 90g Vollkorn/Tag reduziert wird. Bei diesen Ergebnissen ist jedoch zu bedenken, dass eine Ern&auml;hrungsweise reich an Ballaststoffen meist auch mit einem ges&uuml;nderen Lebensstil einhergeht, was wiederum Einfluss auf das Darmkrebsrisiko hat (bessere Gewichtskontrolle, reduzierte Insulinresistenz). Zus&auml;tzlich l&auml;sst sich nicht ausschlie&szlig;en, dass andere Stoffe wie Fols&auml;ure, Antioxidanzien, sekund&auml;re Pflanzenstoffe wie Phyto&ouml;strogene etc., die Bestandteile von Vollkornprodukten sind, ebenfalls einen Einfluss haben.<br /><br /> Eine Vielzahl an Mechanismen scheint in die Risikoreduzierung durch Ballaststoffe involviert, wie die Verd&uuml;nnung des Stuhls, die Reduktion der Stuhltransitzeit sowie die Stimulierung des Wachstums von diversen anaeroben Bakterien. Dabei finden Fermentationsprozesse statt, welche zum Anstieg der freien Fetts&auml;uren Acetat, Propionat und im Besonderen Butyrat f&uuml;hren. Butyrat ist die Hauptenergiequelle von Kolonepithelzellen. Es scheint besonders Transformationsprozesse in diesen Zellen zu unterbinden und tr&auml;gt somit zur chemopr&auml;ventiven Wirkung von Ballaststoffen bei.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Drew DA e t al.: Nat Rev Cancer 2016; 16(3): 173-86 <strong>2</strong> Lang M et al.: Journal f&uuml;r Gastroenterologische und Hepatologische Erkrankungen 2015; 13(1): 14-23 <strong>3</strong> Rothwell PM et al.: Lancet 2010; 376: 1741-50 <strong>4</strong> D ulai P S e t a l.: B MJ 2016; 355: i6188 <strong>5</strong> Castellone MD et al.: Science 2005; 310(5753): 1504-10 <strong>6</strong> Kune GA et al.: Nutr Cancer 1992; 18: 231-5 <strong>7</strong> Bouvard V et al.: Lancet Oncol 2015; 16: 1599-600 <strong>8</strong> Chan DS et al.: PLoS One 2011; 6(6): e20456 <strong>9</strong> Aune D et al.: Cancer Causes Control 2013; 24: 611-27 <strong>10</strong> Lewin MH et al.: Cancer Res 2006; 66: 1859-65 <strong>11</strong> Bingham SA et al.: Lancet 2003; 361: 1496-501 <strong>12</strong> Aune D et al.: BMJ 2011; 343: d6617</p> </div> </p>
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