
«Die Verfügbarkeit neuer Biologika bringt mehr Flexibilität in die Behandlung der IBD»
Unser Gesprächspartner:
PD Dr. med. Pascal Juillerat, MSc
Leitender Arzt Gastroenterologie
Leiter IBD Klinik
Bauchzentrum Inselspital
Universitätsspital Bern
E-Mail: pascal.juillerat@insel.ch
Das Interview führte
Regina Scharf, MPH
Redaktorin
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Die neuen STRIDE-II-Therapieempfehlungen, die Rolle der Biologika und die zunehmende Fokussierung auf die Subtypen der «inflammatory bowel diseases» (IBD): Darüber und über vieles mehr haben wir mit PD Dr. med. Pascal Juillerat, Leiter der IBD-Klinik am Universitätsspital Bern, gesprochen.
Wie haben sich die Therapieziele der IBD in den letzten Jahren verändert?
P. Juillerat: Gemäss den neu erschienen STRIDE-II-Empfehlungen der IOIBD («International Organization for the Study of Inflammatory Bowel Diseases») über die Ziele der medikamentösen Therapie fokussieren wir auf das «patient-reported outcome» (PRO), das heisst die Angabe von Symptomen und die Einschätzung der Lebensqualität durch die Patienten.1
Das kurzfristige Therapieziel ist ein klinisches Ansprechen, d.h. eine Abnahme der Symptome, wie beispielsweise Bauchschmerzen und Durchfall. Dadurch sollte sich im Verlauf auch die Lebensqualität verbessern. Daneben möchten wir als langfristiges Ziel eine endoskopische oder Schleimhautheilung erreichen. Die STRIDE-II-Empfehlungen nennen die endoskopische oder Schleimhautheilung als wichtigstes langfristiges Therapieziel.
Verläuft denn die endoskopische oder Schleimhautheilung nicht parallel zum klinischen Ansprechen?
Das ist nicht immer so und bei Colitis ulcerosa eher der Fall als bei M. Crohn. Das ist auch der Grund, warum die klinischen Scores bei Colitis ulcerosa verlässlicher sind. Für eine anhaltende Stabilität und positive Krankheitsprognose ist es wichtig, dass die Kriterien für die endoskopische oder Schleimhautheilung erfüllt sind. Eine persistierende Entzündung kann langfristig zu Komplikationen wie Stenosen, Fistelbildungen oder Perforationen bei M. Crohn und beispielsweise zu einem erhöhten Kolonkarzinomrisiko bei Patienten mit Colitis ulcerosa führen. Wir erleben aber auch Patienten, bei denen die Darmschleimhaut abgeheilt ist, die Bauchschmerzen aber dennoch anhalten. Das hat mit der viszeralen Hypersensitivität zu tun, die wir von anderen Erkrankungen wie dem «irritable bowel syndrome» kennen.
Warum ist die Schleimhautheilung als primäres Therapieziel der IBD umstritten?
Die endoskopische und Schleimhautheilung kann ein primäres Therapieziel sein. Das ist aber von der individuellen Situation abhängig. Bei manchen Patienten mit einem ausgedehnten Darmbefall und schlechtem Therapieansprechen ist man zufrieden, wenn die Entzündung auf einige kleine Erosionen reduziert werden kann. Ob man in der Praxis bei einem solchen Fall die Medikamente umstellen sollte, um ein höheres Therapieziel zu erreichen, ist umstritten.
Die IBD umfassen ein Spektrum von Subtypen: Was bedeutet das für die Therapie?
Sowohl anhand des Phänotyps der Entzündung als auch des Genotyps des Patienten zeigt sich, dass es verschiedene Subtypen der Erkrankung gibt. Wir sprechen nicht mehr nur von den Subtypen M. Crohn und Colitis ulcerosa. Das Spektrum ist viel breiter geworden und die Einteilung der Erkrankung unserer Patienten in Subtypen wird für das therapeutische Vorgehen in Zukunft immer wichtiger. Bereits heute werden in randomisierten kontrollierten Studien zunehmend die Subtypen berücksichtigt. Das Ziel ist, herauszufinden, welche Patienten am besten auf welche Therapie ansprechen. Auch in der Praxis zeigt sich, dass die Patienten abhängig vom Darmbefall unterschiedlich auf die Behandlungen ansprechen.
Welchen Stellenwert haben die Biologika heute in der IBD-Behandlung?
Die monoklonalen Antikörper haben einen sehr hohen Stellenwert in der IBD-Therapie. Mit den Antikörpern gegen den Tumornekrose-Faktor alpha (Anti-TNF-α) haben wir mehr als 20 Jahre Erfahrung, wir kennen die Medikamente also sehr gut. In der Zwischenzeit sind neue Antikörper mit unterschiedlichen Wirkungsmechanismen dazugekommen und die Entwicklung geht weiter. Das gibt uns sehr viel Flexibilität im Sinne von Wirksamkeit und Sicherheit bei der Behandlung.
Was spricht für den frühen Einsatz einer Biologikatherapie?
In der Praxis beginnen wir in der Regel zunächst eine Behandlung mit einem konventionellen Immunsuppressivum. Die Umstellung auf ein Biologikum erfolgt meistens dann, wenn die Patienten ungenügend auf diese Therapie ansprechen oder mit Unverträglichkeiten reagieren. Eine Kombinationstherapie setzen wir vor allem bei therapierefraktären Patienten oder bei solchen mit spezifischen Läsionen (z.B. Fisteln) ein. Die besten Daten existieren bislang für die Kombinationstherapie mit Anti-TNF-α und Azathioprin.
Die Remissionsraten, die mit «small molecules» und Biologikatherapien erzielt werden, liegen bei 20 bis 30%. Welche Möglichkeiten sehen Sie, um das Ansprechen zu verbessern?
Die Remissionsraten in den randomisierten kontrollierten Studien werden in der Regel sehr früh gemessen, d.h. bei M.Crohn nach 12 Wochen und bei Colitis ulcerosa nach 8 Wochen.
Bei manchen Patienten dauert es länger oder die Medikamentendosis muss optimiert werden, um eine Remission zu erzielen. In der Praxis liegen die Remissionsraten deshalb oft höher als in den Studien. Remissionsraten über 40% werden aber trotzdem nicht erzielt. Ob sich dieser Anteil durch eine Kombinationstherapie, insbesondere eine Kombinationstherapie von zwei Biologika oder mit «small molecules», ohne Risiken verbessern lässt, können wir noch nicht mit Sicherheit sagen.
Welche Rolle spielt das «patient profiling» an den universitären Zentren für die Wahl der medikamentösen Therapie?
In der Literatur gibt es immer mehr Informationen zu Biomarkern bei IBD, die man im Blut oder Stuhl bestimmen kann. Ein Beispiel für einen Biomarker, den wir heute schon als Prognosefaktor bei M.-Crohn-Patienten nach einer ileozökalen Resektion bestimmen, sind Anti-Saccharomyces-cerevisiae-Antikörper (ASCA). Andere Biomarker wie beispielsweise die Bestimmung von humanen Leukozyten-Antikörpern (HLA) zur Einschätzung einer Immunogenität auf eine Anti-TNF-α-Therapie setzen wir noch nicht systematisch im Alltag ein. Die Gründe dafür sind, dass es einerseits schwierig ist, weil es sich dabei um eine genetische Analyse handelt, und andererseits, dass die systematische Anwendung mit hohen Kosten verbunden wäre. Bevor wir neue Biomarker in die Praxis implementieren können, müssen wir herausfinden, welche am aussagekräftigsten für uns sind. Erst dann erweist sich der Einsatz auch als kosteneffektiv. In der Zukunft kommt wahrscheinlich auch die Mikrobiomanalyse.
Wie werden die Patienten mit IBD während und nach einer medikamentösen Therapie überwacht?
Die besten Hinweise auf das Krankheitsgeschehen liefert uns die Klinik, gefolgt von Biomarkern im Blut und idealerweise auch der Bestimmung des Calprotectins im Stuhl. Wenn das nicht ausreicht, können uns bildgebende oder endoskopische Untersuchungen zusätzliche Informationen liefern. Das Ziel ist, durch die Optimierung der medikamentösen Therapie das Risiko für einen Krankheitsschub zu reduzieren. Dafür muss man proaktiv vorgehen und die Patienten monitorisieren und nach einer gewissen Zeit das Therapieansprechen evaluieren. Dies ist neu klar definiert in den STRIDE-II-Kriterien. Zudem ist es wichtig, bei Patienten mit einem schweren Krankheitsschub eine gastrointestinale Infektion, beispielsweise mit Campylobacter oder Clostridioides difficile, auszuschliessen. Diese kann zu einer Präaktivierung oder einem Rezidiv des M. Crohn führen.
Welche Erfahrungen haben Sie mit der Verträglichkeit der Biologikatherapien gemacht?
Unsere Erfahrungen mit den Biologika umfassen abhängig von der Substanz zwischen 5 und 15 Jahre. Die Indikation für die Anwendung von Biologika ist sehr strikt und die Studien haben ein gutes Sicherheitsprofil gezeigt. Dieses bestätigt sich auch im klinischen Alltag. Neuere Antikörper mit einem spezifischeren Wirkungsprofil, wie beispielsweise Integrin-Antikörper oder Interleukin-12/23-Antikörper, sind eine wichtige therapeutische Ergänzung. Sie haben ein noch besseres Sicherheitsprofil und werden deshalb in besonderen klinischen Situationen, zum Beispiel zur Behandlung von älteren, fragilen Patienten, eingesetzt. Wegen der besseren Behandlungsmöglichkeiten sind IBD nicht mit einer Zunahme der Mortalität assoziiert. Infolgedessen werden die Patienten immer älter und die IBD werden auch noch im fortgeschrittenen Lebensalter diagnostiziert.
Welche Faktoren beeinflussen die Wahl der Therapie zum Remissionserhalt?
Ganz grundsätzlich kann man sagen, dass es Medikamente gibt, die sich eher für die Induktionstherapie eignen und andere, die zu einem besseren Remissionserhalt führen. Das perfekte Medikament für beide Situationen hat man noch nicht gefunden. Deshalb muss man individuell entscheiden, mit welcher Therapie sich die Behandlungsziele am besten erreichen lassen. Neben krankheitsbezogenen Faktoren, wie der Schwere der Erkrankung oder extraintestinalen Manifestationen, gilt es weitere Faktoren zu berücksichtigen, wie z.B. das Alter des Patienten oder seine Präferenzen in Bezug auf die Therapie.
Bei Kindern mit IBD wurden gute Erfahrungen mit der exklusiven enteralen Ernährungstherapie (EED) gemacht. Kann die IBD bei Erwachsenen durch eine Diät positiv beeinflusst werden?
Wir wissen, dass die Darmflora durch die Ernährung zum Teil moduliert werden kann. Das scheint bei Kindern besser zu funktionieren als bei Erwachsenen – zumindest ist das meine Hypothese, warum die Ernährung bei Kindern zu einem vergleichbaren Effekt führt wie die Behandlung mit Steroiden. Es gibt aber immer mehr Versuche, die Erkrankung auch bei Erwachsenen durch Ernährungsinterventionen zu beeinflussen, beispielsweise durch die Substitution von Nährstoffen bei Patienten mit Gewichtsverlust aufgrund einer schweren IBD oder den Verzicht auf Nahrungsmittel, die mit dem Auftreten einer IBD oder einem negativen Krankheitsverlauf assoziiert sind.
Vielen Dank für das Gespräch!
Literatur:
1 Turner D et al.; International Organization for the Study of IBD: STRIDE-II: an update on the selecting therapeutic targets in inflammatory bowel disease (STRIDE) initiative of the international organization for the study of IBD (IOIBD): determining therapeutic goals for treat-to-target strategies in IBD. Gastroenterology 2021; 160: 1570-83
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