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Aussehen, Funktion und Lebensqualität

Wie würden Sie diese Patientin behandeln?

Ästhetische Eingriffe im Gesicht nach Tumorerkrankungen oder Unfällen erlauben mehr als «nur» eine kosmetisch-optische Aufwertung.Ein praktisches Beispielzeigt, wie damit auch eine verbesserte Funktionalität sowie positive Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen möglich werden.

DerPatientenfall, den ich u.a. auf dem diesjährigen Swiss Derma Day in Luzern vorstellen durfte, dreht sich um eine 68-jährige Frau mit halbseitiger Gesichtslähmung nach Tumorresektion im Jahr 2014 (Mukoepidermoidkarzinom der Glandula submandibularis rechts).

Die am häufigsten eingesetzte Behandlung bei Gesichtslähmung ist die Injektion von Botulinumtoxin A (BoNT-A) in die nichtgelähmte Gesichtshälfte. BoNT-A ist seit 1987 verfügbar, die Hemmung der Freisetzung von Acetylcholin im synaptischen Spalt schwächt die Muskelbewegung und hat in diesen Fällen zu guten Ergebnissen und Verbesserungen der Lebensqualität geführt. Wichtig ist, dass bei halbseitiger Lähmung eine Asymmetrie bei der BoNT-A-Behandlung nicht wie sonst vermieden, sondern im Gegenteil angestrebt wird, um die bereits bestehende muskuläre Asymmetrie bei Fazialisparese soweit wie möglich wieder auszugleichen (siehe Factbox).

Asymmetrie und Unbehagen bei der Patientin

Aus ästhetischer Sicht ist im vorliegenden Fall die Abwesenheit der Bewegung auf der gelähmten rechten Gesichtsseite problematisch, während umgekehrt die nichtgelähmte Seite mit einer verstärkten Muskelaktivität reagiert, was die Asymmetrie insgesamt noch weiter verschlechtert. Die Krähenfüsse sind links ausgeprägter als rechts, die linke Augenbraue ist stärker gewölbt. Beim Lächeln ist die Deviation des Mundes nach links ersichtlich (Abb.1a), zudem erscheint die Unterlippe auf der rechten Seite merkbar dünner, was allerdings nicht direkt auf die Gesichtslähmung zurückzuführen ist: Die Lippe ist nicht tatsächlich dünner, sondern seit der Tumorresektion invertiert (Abb. 1a).

Die Patientin wünschte eine Behandlung nicht nur aus rein ästhetischen Gründen, sondern auch wegen des Unbehagens, das durch den Speichelverlust verursacht wurde. Dies war auf eine Depression der Unterlippe zurückzuführen. Auch diese Muskeln – M. mentalis, M. depressor anguli oris, M. depressor labii inferioris – waren bei der Patientin zur Kompensation der rechtsseitigen Lähmung links hyperaktiv, dadurch wurde der Mundwinkel nach unten gezogen, was zum Verlust von Speichel führte (Abb. 1b).

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Abb. 1: Die Patientin vor der Behandlung mit Schwerpunkt Asymmetrie (a), mit Schwerpunkt Speichelfluss (b) sowie nach der Behandlung (c)

Verbesserung von Gesichtsausdruck und Speichelsymptomatik

Unerlässlich für die optimale Behandlung dieser komplexen Fälle sindoffensichtlich das Wissen um die genaue Anatomie der Muskulatur (Lokalisation, Dicke, Tiefe und Masse), um Einheiten pro Muskel definieren zu können, sowie das Verständnis der kompensatorischen Mechanismen. Ebenfalls bekannt sein sollte die Funktion der Muskeln, auch derjenigen, die wir normalerweise vermeiden, wie den M. risorius: Bei Gesunden kann eine Injektion von BoNT-A ein asymmetrisches Lächeln zur Folge haben. Üblicherweise erfolgt die Behandlung in zwei Sitzungen mit zweiwöchigem Abstand, und gelegentlich ist die Kombinationsbehandlung erforderlich, beispielsweise mit Hyaluronsäure oder «suspension threads».

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Abb. 2: Lokalisierung der durchgeführten Injektionen

Im vorliegenden Fall wurde BoNT links in höheren Dosierungen als rechts oder nur auf der linken Seite eingesetzt, um die oben erwähnte Imbalance zu schaffen beziehungsweise auszugleichen. Injiziert wurde unter anderem in die Glabella, die Mm. orbicularis oculi und oris, risorius und mentalis sowie die Depressoren der Unterlippe und des Mundwinkels. Hyaluronsäure wurde für die Inversion der Unterlippe und die perioralen Falten eingesetzt (Abb. 2).

Das Ergebnis: Der Gesichtsausdruck ist zwar immer noch leicht asymmetrisch, aber das Gesicht ist insgesamt viel ausgeglichener, vor allem betreffend Mund, Krähenfüsse und Stirn (Abb. 1c). Zudem ist die Unterlippe nicht mehr nach innen rotiert, die Speichelsymptomatik ist verschwunden. Es ist also mehr als nur die Ästhetik, die wir mit der Behandlung verbessern können: Auch mit ihrem Sozialleben und der Lebensqualität ist die Patientin nun viel zufriedener.Die Krankenkasse hat in diesem Fall die Kosten übernommen.

Tab. 1: Keypoints zum Patientenfall

Fazialisparese

Eine Gesichtslähmung (Fazialisparese) kann idiopathisch (Bell-Parese) oder sekundär nach Infektionen, Herpes zoster oticus (Ramsay-Hunt-Syndrom), vaskulären Erkrankungen, Verletzungen der Schädelbasis oder nach Tumorresektion auftreten. Zu den möglichen Konsequenzen der Gesichtslähmung zählen Probleme mit Aussprache und Nahrungsmittelaufnahme, zudem wird die Asymmetrie als kosmetisch störend empfunden und kann erhebliche psychologische Folgen haben (niedriges Selbstwertgefühl, soziale Isolierung, Depression).1 Der Fazialisnerv (CN VII) innerviert die Muskeln des Gesichtsausdrucks mit verschiedenen Ästen: temporal (M. frontalis, orbicularis oculi), zygomatisch (orbicularis oculi), bukkal (orbicularis oculi, buccinator, zygomaticus), mandibulär (mentalis, depressor labii inferioris, depressor anguli oris) und zervikal (Platysma). Die Kaumuskulatur – M. masseter, M. temporalis – wird hingegen vom N. trigeminus (CN V) innerviert.1

Vasconcelos-Berg R: «How would you treat this aesthetic patient?», anlässlich des diesjährigen Swiss Derma Day in Luzern, Januar 2024

1 De Sanctis Pecora C et al.: Toxins (Basel) 2021;13:159

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