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Therapeutische Herausforderung: Nagelveränderungen
Jatros
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Gabriele Ginter-Hanselmayer
Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie<br> Medizinische Universität Graz<br> E-Mail: gabriele.ginter@klinikum-graz.at
Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie
Medizinische Universität Graz
E-Mail: h.hanselmayer@aon.at
30
Min. Lesezeit
15.09.2016
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<p class="article-intro">Das Nagelorgan gehört wie der Haarfollikel zum Formenkreis der Hautadnexe und stellt analog zur Trichologie für den Arzt eine diagnostische als auch therapeutische Herausforderung dar. Der Nagelapparat kann im Rahmen von Dermatosen wie Psoriasis oder Lichen ruber in unterschiedlichem Ausmaß betroffen sein, durch Infektionen – in erster Linie bei Pilzinfektionen – verändert sein. Zunehmend führen den Patienten aber kosmetische Nagelveränderungen zum Dermatologen. </p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Diese Veränderungen beruhen oft auf Normvarianten des Nagelerscheinungsbildes, stellen also per se keine definitive Erkrankung dar, können jedoch individuell von hohem Leidensdruck für die hiervon Betroffenen sein. Dieses Szenario ist als Reflexion unseres von Sophismus und dem Hang zur Perfektion bzw. zur ewigen Jugendlichkeit geprägten Zeitalters zu verstehen.<br /> <br /> Nagelveränderungen mit Leidensdruck, d.h. mit subjektiver Beeinträchtigung des Individuums, können genetisch oder individuell determinierte Veränderungen der Nagelform allein sein, jedoch auch das Problem mit brüchigen Nägeln, die kosmetisch störende Onycholyse, das rekurrierende Auftreten von sog. Niednägeln und die bereits im Jugendalter mögliche Manifestation von Pincernails. Im Formenkreis von subjektiv mit großem Leidensdruck behafteten Nagelveränderungen muss auch die Möglichkeit artefizieller Nagelveränderungen bedacht werden.</p> <h2>Nagelbrüchigkeit</h2> <p>Die Klage über brüchige, spröde und weiche Nägel gehört zu alltäglichen Anamnesen. Nagelbrüchigkeit kann im Rahmen von vielen Nagelkrankheiten, aber auch als alleiniges Symptom auftreten. Bereits klinisch zeigen sich am freien Nagelrand Spaltbildungen (Onychorrhexis) oder eine als lamellär oder transversal anmutende Aufsplitterung der Nagelplatte, welche bei Persistenz dieser Veränderungen die ganze Nagelplatte betreffen können. Die Pathologie als auch Ursache von brüchigen Nägeln ist nach wie vor nicht geklärt und wird in Lehrbüchern als Reduktion der Wasserbindungsfähigkeit infolge eines mangelhaften Lipidgehaltes oder in der Keratinstruktur des Nagelorgans beschrieben. Erfahrungsgemäß kann die Keratinstruktur des Nagelorgans durch repetitiven Kontakt mit Chemikalien oder physikalisch verändert werden – das pathologische Substrat liegt im Aufbrechen von Peptidketten infolge Spaltung von S-S-Bindungen durch Alkali, Oxidanzien und Thioglykolaten. Pathogenetisch kann die verstärkte Nagelbrüchigkeit genetisch, d.h. im Rahmen diverser Erbkrankheiten, determiniert sein, aber auch im Rahmen bestimmter Dermatosen wie Lichen ruber planus, bei Ekzemen, aber auch bei neurologischen Krankheiten, Vitaminmangelerscheinungen oder als Nebenwirkung bestimmter Therapien, wie z.B. der Retinoidtherapie, oder bei einer arteriellen Minderperfusion auftreten. Die ursächliche Vielfältigkeit dieser möglichen Noxen bedarf zur Wahl therapeutischer Optionen einer fachlich orientierten Abklärung.</p> <h2>Onycholyse</h2> <p>Unter dem Begriff „Onycholyse“ wird die distale (freier Nagelrand) und/oder die seitliche Abhebung der Nagelplatte vom Nagelbett verstanden. Infolgedessen kommt es zur Spaltbildung zwischen Nagelplatte und Nagelbett, das Ausmaß der Spaltbildung manifestiert sich durch ein grauweiß verfärbtes Areal am Ort des Geschehens (Abb. 1). Die subunguale Spaltbildung kann eine Nische für Keime wie Bakterien (v.a. <em>Pseudomonas aeruginosa</em>) und Sprosspilze (<em>Candida albicans</em>) darstellen, wobei dieser Keimbesiedlung die Fähigkeit zur Induktion von Entzündungen mit in weiterer Folge Unterhaltung der Onycholyse im Sinne eines Perpetuum mobile zugeschrieben wird.<br /> Eine Onycholyse kann je nach dem auslösenden Faktor akut, d.h. spontan auftreten oder sich aber in einem längeren Zeitraum chronisch entwickeln. Wie die ursächliche Vielfältigkeit kann eine subjektive Beeinträchtigung einerseits fehlen, sich andererseits aber auch mit Schmerzen bis zu unklar formulierten Empfindungsstörungen sowie kosmetischer Beeinträchtigung manifestieren.<br /> Die Ursachen der Onycholyse sind vielfältig und reichen von idiopathischen Entitäten, propagiert durch falsche Nagelpflege bzw. stete Manipulation am Nagelorgan bis zu Traumen, Infektionsfolgen, Manifestation von Dermatosen oder Nebenwirkung von diversen Medikamenten. Die vom Patienten als sog. idiopathische Entität geschilderte Onycholyse ist erfahrungsgemäß mit hohem Leidensdruck behaftet, eine subjektiv kausale Auslösung wird in aller Regel hartnäckig negiert.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Derma_1603_Weblinks_Seite16.jpg" alt="" width="383" height="428" /></p> <h2>Eingerissene Nagelhäutchen und Niednägel</h2> <p>Da das Parungualgewebe steter Traumatisierung unterschiedlichster Genese ausgesetzt ist, können der Nagelfalz und die Kutikula erhebliche Schäden wie Erosionen, Hämorrhagien, Rhagaden aufweisen – zusätzliche Manipulationen wie Nagelbeißen, -reißen sowie Zupfen können diese unliebsamen und zumeist schmerzhaften Nagelveränderungen unterhalten. Klinisch können sich diese Veränderungen als kleine dreieckige, basal anhaftende Hautstückchen oder Nagelspiculae manifestieren und v.a. die Ulnarseite von Nagelfalz und Kutikula wegen erhöhter Vulnerabilität betreffen. Diese „en petit“ Veränderungen können durch berufliche Tätigkeiten als Reaktion auf häufigen Nässekontakt bzw. Durchquellung, aber auch im Rahmen von Exsikkation v.a. bei atopischer Disposition oder jahreszeitlich – v.a. in den Wintermonaten – bedingt sein.<br /> In der Literatur wird diesen nicht seltenen Veränderungen keine Aufmerksamkeit gezollt, erscheinen aber wegen der durch sie verursachten Befindlichkeitsstörungen erwähnenswert.</p> <h2>Pincernails</h2> <p>Eine sowohl kosmetisch beeinträchtigende, aber auch schmerzhafte Nageldeformität ist die Entwicklung eines sog. „Röhrennagels“ (syn. Zangen- oder Trompetennagel, engl. „pincer nail“), welcher sich bereits im frühen Jugendalter manifestieren kann. Infolge einer bogenförmigen Hyperkurvatur der Nagelplatte graben sich die seitlichen Nagelabschnitte vor allem im distalen Bereich in das darunterliegende Nagelbett ein, zudem tendiert die Nagelplatte bei längerer Bestandsdauer dieser Verformung zur Lateraldeviation. Die Ausbildung einer Pincernail-Formation ist bei asymmetrischer, das heißt einseitiger Manifestation zumeist Folge einer Fußfehlhaltung, d.h. ein orthopädisch-podologisches Problem, symmetrisches Auftreten muss an eine genetische Komponente denken lassen. Von einer Pincernail-Formation sind vor allem der Großzehennagel und am häufigsten das weibliche Geschlecht betroffen – das Tragen von High Heels dürfte kausalpathogenetisch die Ausbildung perpetuieren. Das seltener zu beobachtende Auftreten von Pincernails der Fingernägel kann Ausdruck einer schweren Osteoarthritis sein (Abb. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Derma_1603_Weblinks_Seite17_1.jpg" alt="" width="382" height="427" /></p> <h2>Artefizielle Nagelveränderungen – Hypermaniküre</h2> <p>Nicht selten werden von Patienten pathologische Nagelveränderungen beklagt, welche sich als Rötung und Schwellung v.a. des proximalen Nagelwalls (Paronychie) der Fingernägel manifestieren. Bei genauer Inspektion kann ein Verlust der Kutikula in Assoziation mit einer übergroßen Lunula und im Weiteren die Entwicklung von Grübchen sowie weißen Flecken der Nageloberfläche beobachtet werden. Die Veränderung ist in den Formenkreis von „skin picking“ einzuordnen, d.h. vonseiten des Patienten induziert und kausal von diesem in aller Regel negiert. Die zu diesen Veränderungen führende Hypermaniküre lässt auf eine übergewissenhafte Persönlichkeitsstruktur oder aber psychisch aberrante Veränderung des hiervon Betroffenen schließen und ist eine therapeutisch langzeitige, fakultativ frustrane Herausforderung.</p> <h2>Therapiemöglichkeiten</h2> <p>Die Behandlung von Onychopathien – von kosmetischen als auch pathologischen Nagelveränderungen – gestaltet sich erfahrungsgemäß in vielen Fällen als langwierig und erfordert vonseiten des Betroffenen als auch des Arztes eine hohe Compliance und Geduld. Angesichts der zumeist langzeitigen Therapiemaßnahmen sind Kenntnisse der Anatomie und Topografie des Nagelorgans unerlässlich, um die vorliegenden klinischen Veränderungen einer exakten Diagnose zuzuführen. Viele Veränderungen, v.a. die Entwicklung von Onycholysen, Verfärbungen oder Verdickung der Nagelplatten werden mangels fehlenden Wissens pauschal als „Pilzinfektion“ interpretiert und in weiterer Folge ohne mykologische Diagnostik antimyzetisch therapiert – ein Procedere, das nur frustran verlaufen kann.<br /> Eine Heilung von genetisch bedingten Nagelveränderungen oder solchen im Rahmen von Dermatosen wie dem Lichen planus oder der Psoriasis kann kaum in Aussicht gestellt werden, wobei zur Therapie der Nagelpsoriasis erfreulicherweise Therapieoptionen mit neu entwickelten Biologika geschaffen worden sind. Diese Realität muss dem Patienten vermittelt werden, das ärztliche Angebot kann daher eher in Begleitung als in prognostizierter Heilung gesehen werden.<br /> <br /> Das therapeutische Armamentarium für viele Nagelveränderungen ist nach wie vor limitiert und sollte basal ein sog. „Maßnahmenpaket“ beinhalten, welches sachgerechte Nagelpflege, fakultativ unter Einbeziehung einer medizinischen Nagelpflege, die Wahl von passendem Schuhmaterial sowie von regelmäßigen topischen Pflegemaßnahmen umfasst.<br /> Angesichts des Fehlens von sog. harten Daten bzw. von größeren therapeutischen Studien ist der Effekt von im Handel befindlichen Nagelaufbau- bzw. Nagelpflegepräparaten in Form von Vitaminpräparaten, v.a. in Form von sog. Superdrugs (Nahrungsmitteladditiva), von Eisen, von Spurenelementen wie Zink und Selen nicht gesichert bzw. kritisch zu hinterfragen. Zur Stärkung der Nagelplatte hat sich allein eine Langzeitbehandlung mit Biotin (Vitamin H) als vorteilhaft erwiesen.<br /> Gesichert ist auch der Effekt einer topischen Therapie mit Harnstoffpräparaten (30–50 % Urea), wodurch eine Erweichung von verdickten und verhärteten Nagelplatten erzielt werden kann. Unterstützend können Fußbäder mit Salzzusatz empfohlen werden, damit eine Kürzung verdickter Nägel möglich ist. Topische Therapieversuche mit Milchsäureprodukten, Olivenöl sowie Fettcremen vermögen additiv die Nagelkondition bei brüchigen und trockenen Nägeln zu verbessern.<br /> Langzeitige Nässe- und repetitive Feuchtigkeitsexposition sollten nach Möglichkeit durch konsequente Schutzmaßnahmen mittels geeigneter Handpflegeprodukte sowie durch das Tragen von Handschuhen vermieden werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Derma_1603_Weblinks_Seite17_2.jpg" alt="" width="380" height="424" /></p> <p>Bei Pincernail-Problematik sowie sich ausbildender Nageldeformität unterschiedlicher Genese können Taping-Methoden und Nagelspangen wahre Wunder bewirken, einer podologischen Abklärung sollte anhand der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse vermehrt Aufmerksamkeit gewidmet werden (Abb. 3). In frustranen Situationen muss die wachsende Möglichkeit kosmetischer Korrekturen, wie z.B. die Applikation von Kunstnägeln, in Betracht gezogen werden.<br /> Bei Ausschöpfung effizienter Therapiemaßnahmen können bei kontinuierlichem Vollzug derselben oft erstaunliche und individuell zufriedenstellende Ergebnisse erzielt werden. Bei Fehlen von objektiv effizienten Therapiemaßnahmen muss der Nagelpflege im Sinne eines „ut alias fiat“ sowie der Führung des Patienten, d.h. einem Langzeit-Follow-up, Aufmerksamkeit und Empfehlung gezollt werden.</p></p>
<p class="article-footer">
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<p>bei der Verfasserin<br /><br /></p>
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