
Nervenkompressionssyndrome an Sprunggelenk und Fuß
Autoren:
OA Dr. Konstantin Genelin
PD Dr. Alexander Keiler, PhD
Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie
Medizinische Universität
Innsbruck
Korrespondierender Autor:
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Nervenkompressionssyndrome im Bereich des Sprunggelenks sowie des Fußes stellen eine komplexe Herausforderung dar. Nicht selten sind sie schwer zu diagnostizieren und können bei Betroffenen zu Schmerzen und/oder Funktionsstörungen führen. Eine umfassende Bildgebung sowie eine frühzeitige Diagnostik stellen wichtige Parameter dar, um eine zielführende Behandlung gewährleisten zu können.
Keypoints
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Das Tarsaltunnelsyndrom ist ein Kompressionssyndrom des Nervus tibialis und seiner Äste.
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Der Tarsaltunnel wird durch knöcherne und fibröse Strukturen begrenzt.
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Neben bildgebenden Verfahren werden auch klinische Tests zur Diagnosefindung herangezogen.
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Die Therapie des Tarsaltunnelsyndroms reicht von konservativen bis hin zu operativen Maßnahmen.
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Neben dem Tarsaltunnelsyndrom gibt es spezifische Nervenkompressionssyndrome wie die Baxter-Neuropathie oder den Jogger’s Foot.
Tarsaltunnelsyndrom
Das (posteriore) Tarsaltunnelsyndrom (TTS) ist ein Kompressionssyndrom des Nervus tibialis oder seiner Abgänge, des Nervus plantaris lateralis (NPL) und des Nervus plantaris medialis (NPM), im osteofibrösen Tarsaltunnel. Patienten leiden unter diffusen Schmerzen und Parästhesien im medialen und plantaren Fußbereich in Ruhe und auch nach Belastung. Das Tarsaltunnelsyndrom ist selten und die Datenlage zur Inzidenz ist limitiert, aber man geht von einer zu wenig diagnostizierten Pathologie aus, die den Behandler sowohl bezüglich der Diagnosestellung als auch des Therapiealgorithmus vor Herausforderungen stellt.
Anatomie des Tarsaltunnels
Der Tarsaltunnel wird knöchern begrenzt von der distalen Tibia, dem Innenknöchel, dem posterioren Talus, der medialen Kalkaneuswand sowie dem Sustentaculum tali und medial fibrös begrenzt durch das Retinaculum flexorum, welches sich zwischen Innenknöchel und Kalkaneus aufspannt. Innerhalb dieser Strukturen verlaufen die Sehnen des M. tibialis posterior, des M. flexor digitorum longus und des M. flexor hallucis longus in ihren Sehnenscheiden sowie die Arteria und Vena tibialis posterior und der Nervus tibialis, der bereits im Tarsaltunnel seine Äste abgibt. Diese anatomischen Verhältnisse bedingen sowohl extrinsische als auch intrinsische Ursachen zur Druckerhöhung im Tarsaltunnel und können zur Kompression des Nervus tibialis führen.
Ursachen des Tarsaltunnelsyndroms
Extrinsisch1
Verletzungen und Verletzungsfolgen, knöchern (Fragmente, Osteophyten) oder ligamentär (Vernarbungen), Instabilität des Sprunggelenks, Fußfehlstellungen.
Intrinsisch
Tendovaginitis der Flexorensehnen, Ganglien, Neurome, Varicositas der V. tibialis, idiopathisch (ca. 20%).
Patienten beschreiben meist Schmerzen, Hyperästhesie und Dysästhesien, diffus von der Innenknöchelregion über die Fußsohle bis in die Zehen reichend, verstärkt bei Belastung und nachts. Im Spätstadium sind Schwäche der intrinsischen Fußmuskulatur und Krallenzehenbildung möglich.2 Symptome treten häufig graduell auf, werden stärker über Monate und Jahre. Bei traumatischer Ursache können Symptome aber auch rasch auftreten.
In der klinischen Untersuchung kann der „Dorsiflexion-Eversions-Test“ angewandt werden, bei dem der Fuß in maximaler Dorsiflexion des OSG und der MTP-Gelenke und auch maximaler Eversionsstellung für etwa 5–10 Sekunden gehalten wird. Bei positivem Ergebnis tritt eine Verstärkung der Symptome ein.3 Auch das Hoffmann-Tinel-Zeichen ist häufig positiv.
Apparative Diagnostik
Röntgen
Belastete Aufnahmen des Fußes zur Beurteilung knöcherner Strukturen und zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen.
MRT
Beurteilung von nervenbedrängenden Pathologien inklusive knöcherner Strukturen im und um den Tarsaltunnel.4
Ultraschall
Beurteilung des Nervus tibialis wie auch seiner Äste möglich wie auch die Identifizierung bedrängender Strukturen.5,6
EMG/NLG
Elektromyografische Untersuchungen zeigen häufig falsch negative Ergebnisse, besonders bei noch milden Verläufen, und sollten daher nur zur Erhärtung der Verdachtsdiagnose dienen.7
Diagnostische Infiltration
Gezielte Infiltration mit Lokalanästhetikum in den Tarsaltunnel führt zu vorübergehender Symptombesserung und hilft so bei der Diagnosestellung. Zusätzlich kann auch die Infiltration mit Kortikosteroiden therapeutisch eingesetzt werden.8
Therapie
Die konservative Therapie beinhaltet die Versorgung mit Schuheinlagen, die das Fußgewölbe abstützen, eine medikamentöse Therapie mit NSARs oder GABA-Analoga, Physiotherapie mit Dehnungsübungen der Flexorenmuskulatur wie auch der intrinsischen Fußmuskulatur und propriozeptives Training zur Sprunggelenksstabilisierung. Abschwellende Maßnahmen und Ruhigstellung bis zu 6 Wochen finden vor allem beim traumatischen und akuten TTS Anwendung.
Die Infiltration von Kortikosteroiden in den Tarsaltunnel, auch sonografiegezielt, kann sowohl die Beschwerden bessern als auch helfen, den Erfolg einer operativen Dekompression abzuschätzen.
Die Indikation zur operativen Therapie stellt sich bei Beschwerdepersistenz nach konservativer Therapie, und wenn raumfordernde Läsionen im Tarsaltunnel als Ursache identifiziert werden können. Der Goldstandard der operativen Therapie sind die offene Durchtrennung des Retinaculum flexorum und Dekompression des Nervus tibialis wie auch seiner Äste (Abb. 1) und die Resektion etwaiger Raumforderungen. Die Ergebnisse variieren aufgrund der limitierten Datenlage erheblich, mit guten Resultaten beschrieben bei 60–90% der Patienten.7,9 Auch die tenoskopische Tarsaltunneldekompression wird durchgeführt, mit ähnlichen Ergebnissen.10
Abb. 1: a) Schnittführung bei offener Dekompression des Tarsaltunnels. b) Darstellung des Retinaculum flexorum. c) Darstellung der Arteria und Vena tibialis posterior und des Muskelbauches des M. abductor hallucis nach Durchtrennung des Retinakulums. d) Darstellung und Dekompression des Nervus tibialis und seines kalkanearen Astes wie auch des Nervus plantaris lateralis (NPL) und des Nervus plantaris medialis (NPM)
Distales Tarsaltunnelsyndrom
Auch distal des eigentlichen Tarsaltunnels können Äste des Nervus tibialis bedrängt werden, was zu Kompressionssyndromen wie der „Baxter-Neuropathie“ oder dem „Jogger’s foot“ führen kann. Diese werden auch als distales Tarsaltunnelsyndrom bezeichnet.
„Baxter-Neuralgie“
Kompressionssyndrom des Nervus calcaneus inferior („Baxter-Nerv“), des ersten Abganges des Nervus plantaris lateralis (NPL), welcher von medial nach lateral durch die Planta pedis zieht und zwischen den Faszien des M. abductor hallucis und des M. quadratus plantae komprimiert werden kann. Betrifft häufig Athleten im Laufsport, Tanzsportler und Turner. Hierbei kommt es zu einem medialen, plantaren Schmerz bei Belastung sowie brennendem Schmerz mit Ausstrahlung an den lateralen Fußrand im Verlauf des NPL.
Druckschmerz am medialen Rand der Fußsohle mit positivem Hoffmann-Tinel-Zeichen entlang des lateralen Fußrandes. Differenzialdiagnostisch zur Plantarfasziitis zu bedenken.
Therapie
In erster Linie konservativ mit Schonung, NSAR, Physiotherapie, Fersenweichbettung, Infiltration mit Kortikosteroiden. Dies sollte aufgrund der guten Prognose trotz langen Verlaufes über 12 Monate versucht werden, bevor eine operative Therapie erwogen wird. Bei der operativen Therapie wird über einen medialen Zugang die Faszie des M. abductor hallucis inzidiert, die Plantarfaszie von medial zu ca. 50% inzidiert und der NPL dekomprimiert.11
„Jogger’s foot“
Kompressionssyndrom des Nervus plantaris medialis (NPM) in seinem Verlauf entlang des M. abductor hallucis und im Bereich des Henry’schen Knotens durch Muskelhypertrophie, Tendovaginitis der sich kreuzenden Sehnen oder auch mediale Schuh- und Einlagenprobleme. Dieses Syndrom betrifft häufig aktive Läufer. Symptome sind Druckschmerz und Parästhesien entlang der medialen Fußsohle bis zur 1. und 2. Zehe. Die Diagnose ist meist klinisch. Röntgen, MRT und Sonografie dienen zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen wie Tendovaginitis der M.-flexor- hallucis-longus- (FHL) und M.-flexor-digitorum-longus(FDL)-Sehnen, die gleichzeitig auch Ursachen eines Nervenkompressionssyndroms sein können.
Die Therapie ist primär konservativ mit Schuhmodifikationen, Trainingsmodifikationen und Einlagenversorgung. NSAR, Physiotherapie und Infiltrationen können analog zur Therapie des Tarsaltunnelsyndroms (TTS) angewandt werden.12
Anteriores Tarsaltunnelsyndrom
Als anteriores Tarsaltunnelsyndrom wird das Kompressionssyndrom des Nervus peroneus profundus (NPP) am Fußrücken bezeichnet, auf Höhe des Retinaculum inferior unter der M.-extensor-hallucis-longus-Sehne.13 Ursächlich können Verletzungen und Kontusionen sein, aber auch dorsal einschneidendes Schuhwerk oder Schnallen von Skischuhen und Sportgeräten sowie Ganglien oder dorsale Osteophyten an den Gelenken der Fußwurzel.14
Typische Symptome sind neuropathischer Schmerz empfunden in der Tiefe des Mittelfußes bis in den ersten Interdigitalraum ziehend, verstärkt durch Belastung und längeres Stehen und häufig gebessert in Ruhe. In der Untersuchung kann maximale Plantarflexion Symptome verstärken. Röntgen und MRT können raumfordernde und komprimierende Läsionen darstellen, lokale Injektionen können diagnostisch und therapeutisch angewandt werden.
Die konservative Therapie beinhaltet Adaptation des Schuhwerkes, um direkten Druck zu vermeiden, medikamentöse Therapie mit NSAR oder Gabapentin sowie lokale Infiltrationstherapie.
Operativ kann über eine dorsale Inzision das inferiore Retinaculum teildurchtrennt oder Z-förmig verlängert werden und der NPP neurolysiert und bis in den ersten Intermetatarsalraum verfolgt werden. Osteophyten und mögliche Ganglien werden reseziert.15
Mortonneurom
Das Krankheitsbild der Mortonneuralgie oder das Mortonneurom bezeichnet nicht ein primäres Neurom, sondern die fibröse Verdickung eines interdigitalen Nervs, welche durch Kompression im Intermetatarsalraum unter dem transversen intermetatarsalen Ligament und nachfolgende inflammatorische Prozesse entsteht. Häufiger sind weibliche Patientinnen betroffen, vermutlich in Verbindung mit dem Tragen von engem Schuhwerk. Zumeist im 2. und etwas seltener im 3. Intermetatarsalraum lokalisiert, führt das Mortonneurom zu Vorfußschmerzen und Parästhesien (elektrisierend) vor allem in engen Schuhen und bei vermehrter Belastung.
In der Untersuchung kann der „Mulder-Klick-Test“ angewandt werden. Dabei wird der dorsiflektierte Fuß in der Koronarebene komprimiert, ein spürbares Klicken in Verbindung mit Schmerzen ist typisch und wird als positiver Mulder-Klick-Test bezeichnet.16 Bildgebend können MRT und Sonografie zur Diagnosesicherung beitragen und Differenzialdiagnosen wie die Metatarsalgie müssen ausgeschlossen werden.
Als konservative Therapiemaßnahme kann das Tragen weiter Schuhe empfohlen werden und auch Einlage von Weichbettung und retrokapitaler Abstützung. Infiltrationen können auch sonografischgezielt durchgeführt werden und finden mit Lokalanästhetikum diagnostische und mit Kortikosteroiden auch therapeutische Anwendung mit guten Ergebnissen.17
Auch die Radiofrequenzablation und Kryoneurolyse werden in der Literatur beschrieben, die besten Ergebnisse werden jedoch durch chirurgische Maßnahmen erzielt, wenn Infiltrationen nicht mehr wirksam sind.18 Bei der operativen Exzision wird zumeist über einen dorsalen Zugang das tiefe transverse intermetatarsale Ligament inzidiert und der fibrös verdickte N. digitalis plantaris communis proximal und distal seiner Gabelung abgesetzt (Abb. 2). Hierbei ist jedoch neben den üblichen operativen Risiken das bleibende Taubheitsgefühl der Zehen distal der Exzisionsstelle zu bedenken und sollte im präoperativen Aufklärungsgespräch erwähnt werden.19
Abb. 2: a) Tiefes transverses intermetatarsales Ligament, aufgespannt. b) Mortonneurom (fibrös verdickter N. plantaris communis) proximal abgesetzt mit distal erkennbarer Gabelung der Nervenäste. c) Resektat mit typischer fibröser Verdickung und abgehenden Nervenästen
Zusammenfassung
Nervenkompressionssyndrome auf Höhe des Sprunggelenkes und Fußes sind zumeist seltene Pathologien und werden häufig erst spät erkannt. Für die Diagnose wegweisend sind die klinische Untersuchung und Symptome, welche sich vor allem nach den sensiblen Versorgungsgebieten der betroffenen Nerven richten, Muskelschwäche und Fehlstellungen treten erst im Spätstadium auf. Bildgebende Verfahren können bedrängende Strukturen und Pathologien erkennen. Die Therapie ist zumeist primär konservativ und auch diagnostische/therapeutische Infiltrationen werden angewendet. Operativ werden Nervenäste von einengenden Strukturen befreit und raumfordernde Pathologien entfernt.
Für die Zukunft sind größere, auch randomisierte Studien nötig, um klare diagnostische und therapeutische Algorithmen zu schaffen.
Literatur:
1 Doneddu et al.: Status of the Art Neurol Sci 2017; 38(10): 1735-39 2 Mondelli M et al.: Electroenceph Clin Neurophysiol 1998; 109(5): 418-25 3 Kinoshita M et al.: J Bone Joint Surg 2001; 83(12): 1835-9 4 Frey C, Kerr R: Foot Ankle Int 1993; 159-64 5 Tawfik EA et al.: Arch Phys Med Rehabil 2016; 97(7): 1093-9 6 de Souza Reis Soares et al.: J Ultrasound Med 2022; 41(5): 1247-1272 7 McSweeney SC, M Cichero: The Foot 2015; 25(4): 244-50 8 Atesok K et al.: Orthop Rev 2022; 14(4): 35455 9 J Jerosch et al.: Foot and Ankle Surgery 2006; 21(1): 26-9 10 Gkotsoulias et al.: Foot Ankle Spec 2014; 7(1): 57-60 11 Watson et al.: Foot Ankle Int 2002; 23(6): 530-7 12 Peck E et al.: Clin Sports Med 2010; 29(3): 437-57 13 Gessini L et al.: J Bone Joint Surg Am 1984; 66(5): 786-7 14 Lindenbaum BL et al.: Clin Orthop Relat Res 1979; (140): 109-10 15 Ferkel et al.: 34(4): 791-801 16 Bhatia M, Thomson L: J Clin Orthop Trauma 2020; 11(3): 406-9 17 Klontzas ME et al.: J Ultrason 2021; 21(85): e134-e138 18 Valisena S et al.: Foot and Ankle Surgery 2018; 24(4): 271-81 19 Keiler et al.: Arthroskopie 2025; 38(1): 51-60
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