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Erstes gezielt wirkendes Medikament kurz vor der Zulassung
Jatros
Autor:
Dr. Felicitas Witte
Ärztin und Journalistin
30
Min. Lesezeit
07.09.2017
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<p class="article-intro">Auf das erste gezielt wirkende Medikament gegen atopische Dermatitis (AD) haben Ärzte und Patienten lange gewartet. Jetzt haben Forscher endlich den Schlüsselmechanismus verstanden und hoffen, den neu entdeckten Antikörper Dupilumab auch gezielt gegen andere chronische Krankheiten einsetzen zu können.</p>
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<p class="article-content"><p>Normalerweise ist Skepsis angebracht, wenn Kollegen sagen: „Das wird die Therapie der atopischen Dermatitis maßgeblich verändern.“ Oft genug stellt sich nämlich in der klinischen Anwendung heraus, dass das hoch gepriesene, angeblich so tolle Medikament doch nicht besser ist als die herkömmlichen. Diesmal ist alles anders, ist der Wiener Allergologe PD Dr. Stefan Wöhrl überzeugt: „Es ist richtig, bei neuen Präparaten skeptisch zu sein. Aber diesmal könnte es wirklich der Durchbruch sein, auf den wir zwanzig Jahre gewartet haben.“ Der neue Wirkstoff heißt Dupilumab und ist ein Biologikum, das gezielt in gestörte Stoffwechselwege eingreift. Im März 2017 wurde Dupilumab in den Vereinigten Staaten zugelassen, noch in diesem Jahr soll das auch in Europa geschehen.<br /> In den drei Zulassungsstudien SOLO 1 und 2 sowie CHRONOS<sup>1, 2</sup> wurde insgesamt 2119 Patienten entweder der neue Antikörper Dupilumab oder Placebo injiziert. Bei rund 40 % der Patienten unter Dupilumab verschwanden die Hautläsionen vollständig oder fast vollständig, in der Placebogruppe nur bei rund 10 % . In der mit einem Jahr am längsten dauernden CHRONOS-Studie gingen bei 64 % der Patienten unter Dupilumab und 22 % derjenigen unter Placebo die Läsionen um 75 % oder mehr zurück, gemessen anhand des EASI-Scores. Auch Juckreiz, Lebensqualität, Depressionen und Ängste besserte der Antikörper deutlich effektiver als Placebo. „Als wir von diesen Ergebnissen Kenntnis bekommen haben, hat das die gesamte Stimmung verändert“, so Prof. Dr. Tilo Biedermann, Direktor der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie der Technischen Universität München. „Es eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten, auch endlich andere Krankheiten behandeln zu können.“ <br /> Milde Formen der atopischen Dermatitis haben die Patienten meist mit Salben, die den Juckreiz stillen und die Entzündung hemmen, ganz gut im Griff. In schweren Fällen verschreibt man Immunsuppressiva, aber diese dürfen wegen der Nebenwirkungen nicht dauerhaft eingenommen werden. „Die Lebensqualität ist dadurch massiv eingeschränkt“, sagt Prof. Dr. Peter Schmid-Grendelmeier, leitender Allergologe am Universitätsspital Zürich. „Diese Patienten können wir eigentlich nur begleiten und beraten. Das ist auch für uns Ärzte frustrierend.“ Manche Patienten müssten sich eine Woche lang in der Klinik messerdick mit Salben eincremen, bis der Ausschlag zurückgehe, erzählt Wöhrl. „Aber zu Hause kommt er rasch wieder – die Betroffenen leiden fürchterlich.“</p> <p> <img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Derma_1703_Weblinks_s16.jpg" alt="" width="723" height="1074" /></p> <h2>Ansatz an den Interleukinen</h2> <p>Andere Krankheiten werden schon seit Jahren erfolgreich mit gezielten Medikamenten behandelt, zum Beispiel diverse Krebsarten. „Bei malignen Tumoren ist es viel einfacher, gezielte Therapeutika zu entwickeln“, erklärt Biedermann. In vielen Tumoren ist nur ein Molekül in oder auf der Zelle durch Mutation verändert und sendet gestörte Signale aus, und dieses Molekül kann man gezielt blockieren – wie mit Trastuzumab beim HER2-positiven Mammakarzinom. „Bei atopischer Dermatitis sind aber Dutzende von Stoffen und Signalwegen verändert“, sagt Biedermann. „Wir wussten jahrelang nicht, ob es überhaupt eine Schlüsselstelle gibt, an der man ansetzen könnte.“<br /> Schon länger war bekannt, dass atopische Dermatitis zu einem Teil vererbt wird. Genetische Veränderungen stören die Immunabwehr in der Haut, und es lassen sich viel mehr TH2-Immunzellen als bei Gesunden nachweisen. Die TH2-Zellen schütten Botenstoffe aus, vor allem Interleukin (IL) 4, 13 und 5, was einen Entzündungsprozess in Gang setzt. Ende der 2000er-Jahre fanden Forscher bei vielen Patienten Mutationen im Filaggrin-Gen. „Heute wissen wir, dass atopische Dermatitis sowohl aufgrund von größerer Durchlässigkeit der Haut als auch aufgrund eines gestörten Immunsystems entsteht“, betont Prof. Dr. Cezmi Akdis, Direktor des Christine-Kühne-Zentrums für Allergieforschung in Davos. „Auch dadurch ist die Forschung nach gezielten Medikamenten verlangsamt worden: weil wir erst einmal die Grundlagen verstehen mussten.“ Die TH2-Zellen reagieren anlagebedingt mit einer gestörten Immunreaktion – also mit den falschen Botenstoffen zur falschen Zeit – auf Substanzen von außen, wie Bakterien, Hausstaubmilben, Pollen oder Schadstoffe im Zigarettenrauch. Sie schütten IL-4 und IL-13 aus, was eine Entzündung in Gang setzt, die letztendlich chronisch wird. Bei Leuten mit Filaggrin-Mutation dringen diese Stoffe leichter in die Haut ein. <br /> Hemmstoffe gegen IL-4 sollten die gestörten Signalwege unterbrechen. „Die Kollegen hatten schon die richtige Richtung eingeschlagen, kamen davon aber wieder ab“, so Biedermann. Es stellte sich nämlich heraus, dass die TH2-Zellen nur am Anfang der AD so aktiv sind, deshalb schien es keinen Sinn zu ergeben, weiter nach IL-4-Blockern zu suchen. Studien zeigten denn auch keinen durchschlagenden Effekt mit Antikörpern gegen IL-4 alleine und auch nicht gegen das involvierte IL-5 oder andere Botenstoffe. Heute weiß man aber, dass die TH2-Zellen maßgeblich dafür verantwortlich sind, dass die Krankheit chronisch verläuft. „Der Ansatz mit IL-4-Blockern war also genau richtig – er reichte nur nicht aus“, sagt Stefan Wöhrl. „Das ist so, als wolle man den Verkehr auf einer sechsspurigen Autobahn stoppen, indem man nur eine Spur sperrt.“ <br /> Dupilumab „sperrt“ zwei „Spuren“, indem es den Rezeptor für IL-4 und IL-13 blockiert, wodurch die Entzündungskaskade unterdrückt wird und der Ausschlag zurückgeht. Abgesehen davon werden auch andere IL-4- und IL-13-vermittelte Wirkungen unterdrückt: So machen die Interleukine die Haut durchlässiger, ohne dass eine Filaggrin-Mutation vorliegen muss, sie bringen die natürliche Keimflora auf der Haut durcheinander und sorgen dafür, dass auch natürliche Hautbakterien mit einer Entzündungsreaktion bekämpft werden. „Wir waren sehr erstaunt, was die Interleukine außer einer Entzündung noch alles bewirken “, so Biedermann.</p> <h2>37 000 Dollar Jahreskosten</h2> <p>Laut Hersteller soll die Behandlung mit Dupilumab 37 000 US Dollar pro Jahr kosten,<sup>3</sup> also deutlich über 30 000 Euro. „Selbst wenn der Antikörper in Europa preiswerter sein sollte – das sind enorme Kosten“, meint Wöhrl. „Wir müssen die schwierige Entscheidung treffen, welcher Patient Dupilumab bekommen darf, denn die Gesundheitssysteme können es sich nicht leisten, alle Patienten damit zu behandeln.“ Die Kosten seien in der Tat sehr hoch, so Schmid-Grendelmeier. Eine schwere atopische Dermatitis koste aber schon heutzutage durch Behandlung, Krankenhausaufenthalte und Arbeitsausfälle viel Geld. Halte der Antikörper, was er verspreche, würden den Kassen am Ende vermutlich nur mäßige Zusatzkosten entstehen. „Diese sind gerechtfertigt. Die Lebensqualität der Patienten bessert sich enorm, und nicht zu vergessen auch die ihrer Angehörigen. Denn denen geht es auch oft schlecht, wenn der Betroffene sich ständig kratzen muss und keine Therapie hilft.“<br /> Pharmafirmen testen indes noch andere Antikörper, etwa gegen IL-31. „Ein interessantes Ziel“, meint Dr. Claudio Rhyner, Molekularbiologe am Schweizerischen Institut für Allergieforschung in Davos. „IL-31 ist vermutlich hauptverantwortlich für den quälenden Juckreiz.“ So linderte der IL-31-Antikörper Nemolizumab in einer Studie mit 216 Patienten den Juckreiz mehr als doppelt so gut wie Placebo.<sup>4</sup> „Der Wirkstoff scheint aber nur gut gegen Juckreiz zu wirken“, gibt Prof. Biedermann zu bedenken. „Die anderen durcheinandergeratenen Immunprozesse unterdrückt Nemolizumab nicht.“ Andere Forscher versuchen, den CRTH2-Rezeptor auf den TH2-Zellen zu blockieren, der die Immunzellen aktiviert, oder das Molekül OX40L, das für die Verhärtungen der Haut bei chronischer atopischer Dermatitis verantwortlich sein soll. Weitere Ansätze sind, in die Entwicklung der Hautzellen einzugreifen oder Cannabinoidrezeptoren in den Hautzellen zu blockieren, die ebenfalls in Juckreiz und Entzündung involviert sind. Biedermanns Arbeitsgruppe testet eine im wahrsten Sinne „biologische“ Therapie: Die Forscher bringen Staphylokokken oder andere Bakterienstämme auf die Haut der Patienten, um die gestörte Keimflora wieder zu normalisieren. „Ob es sich bei all diesen Ansätzen nur um einen Hype handelt oder um wirksame Therapien, werden wir erst in einigen Jahren wissen“, gibt Akdis zu bedenken.</p> <h2>Haut und Psyche</h2> <p>Bei allen pharmakologischen Therapien dürfe man nicht die Psyche vergessen, sagt Prof. Dr. Gregor Hasler, Chefarzt der Universitären Psychiatrischen Diensten, UPD, in Bern. „Psychischer Stress kann die Konzentration entzündlicher Botenstoffe wie IL-4, IL-5 oder IL-13 verändern und die Hautbarriere sowie die Lipidsynthese auf der Haut beeinträchtigen“, erklärt er. „Das wirkt sich ungünstig auf den Verlauf der Dermatitis aus.“ Anders herum erhöhe die Hautkrankheit das Risiko für psychische Probleme wie Stress, Schlafstörungen und Ängste. „Vielen hilft es schon, wenn sie wissen, dass es einen Zusammenhang zwischen Psyche und atopischer Dermatitis gibt und dass man mit psychologischen Techniken gewisse Beschwerden lindern kann.“ Eine spezifische Verhaltenstherapie unterstützt zum Beispiel die Patienten, den Teufelskreis aus Jucken und Kratzen zu durchbrechen.<sup>5</sup> Bei Kindern mit AD seien Psychoedukation und psychotherapeutische Unterstützung der Betroffenen und ihrer Eltern besonders wirksam, sagt Hasler. „Das kann die Hautkrankheit, den Schlaf und die Lebensqualität der Kinder verbessern.“<sup>5, 6</sup></p> <h2>Ausblick</h2> <p>Ärzte hoffen, mit Dupilumab auch andere TH2-vermittelte Krankheiten behandeln zu können, etwa allergisches Asthma, Nahrungsmittelallergien, eosinophile Ösophagitis, Colitis ulcerosa oder seltene Krankheiten wie Sklerodermie. Aber auch mit dem besten Antikörper würden AD-Patienten um eines nicht herumkommen, so Schmid-Grendelmeier: „Die Haut jeden Tag zu reinigen und mit rückfettenden Lotionen, Cremes oder Salben zu versorgen – so lästig das ist.“</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Zitate: <br> Persönliche Gespräche von Dr. Witte im Zuge des EAACI, DGPPN, per Telefon- und E-Mail-Interviews
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Blauvelt A et al.: Lancet 2017; 389: 2287-303 <strong>2</strong> Simpson EL et al.: NEJM 2016; 375: 2335-348 <strong>3</strong> Sanofi, Regeneron Presseinformation vom 3.4.2017: <a href="http://www.sanofi.de/l/de/de/layout.jsp?cnt=88993319-2523-40CF-9A65-2693477B1CE7">http://www.sanofi.de/l/de/de/layout.jsp?cnt=88993319-2523-40CF-9A65-2693477B1CE7</a> <strong>4</strong> Ruzicka T et al.: N Engl J Med 2017; 376: 826-35 <strong>5</strong> Evers AW et al.: Acta Derm Venereol 2009; 89: 57-63 6 Ersser SJ et al.: Cochrane Database Syst Rev 2014; 7(1):CD004054</p>
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