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Eine große Familie mit unglaublichem Zugehörigkeitsgefühl
Jatros
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12.09.2019
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<p class="article-intro">Seit Jänner 2019 bekleidet Prim. Univ.-Prof. Dr. Klemens Rappersberger, Vorstand der Abteilung für Dermatologie und Venerologie an der Rudolfstiftung in Wien, nun das Amt des Präsidenten der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (ÖGDV). Wir nutzten die Gelegenheit für eine kleine Zwischenbilanz.</p>
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<p class="article-content"><p><em><strong>Herr Prof. Rappersberger, Sie sind nun seit Jänner Präsident der ÖGDV, können also bereits auf ein Viertel Ihrer Amtsperiode zurückblicken. Was sind Ihre ersten Eindrücke und konnten Sie schon das eine oder andere Ihrer Anliegen umsetzen?</strong></em><br /><em><strong> K. Rappersberger:</strong> </em>Ich glaube, ich habe den Zeitaufwand etwas unterschätzt. Es ist ein unglaublich vielfältiges Spektrum an Fragen, das an mich herangetragen wird. Natürlich stehen im Zentrum jene Aufgaben, welche die Mitglieder unserer Gesellschaft unmittelbar betreffen. Dazu ist es oft nötig, mit anderen Fachgesellschaften, mit den Ärztekammern und dem Gesundheitsministerium zu sprechen, das ist für mich fast völlig neu. Zuletzt gab es in Wien eine von der Wiener Ärztekammer ausgelöste Initiative darüber, welche Patienten aus den Spitalsambulanzen in den niedergelassenen Bereich ausgegliedert werden könnten. Darüber wurde heftig, doch zum Glück auch sehr konstruktiv diskutiert. Gemeinsam haben wir nun Projekte geplant und mehr oder weniger ausformuliert, die eine bessere Honorierung der chirurgischen Eingriffe vorsehen, damit mehr Patienten im niedergelassenen Bereich operiert und die Krankenhaus-Ambulanzen etwas entlastet werden. Viele Eingriffe würden die Kollegen gerne durchführen, wenn sie nur entsprechend honoriert würden.<br /> Ein zweites Problem, das ich zurzeit mit den Versicherungen bespreche, ist die Honorierung der ärztlichen Tätigkeiten der Dermatologen mit dem Zusatzfach Angiologie. Ich muss gestehen, dass ich bis vor eineinhalb Monaten nicht wusste, dass qualitative Leistungen, wie z. B. der farbcodierte Ultraschall bei Verdacht auf tiefe Beinvenenthrombosen, nicht honoriert werden – zumindest nicht von der Gebietskrankenkasse. Das ist absurd, wenn man bedenkt, dass internistische Angiologen, mit gleicher Ausbildung und gleichen Geräten, diese Leistungen verrechnen dürfen. Das Gleiche gilt für präoperative Venenuntersuchungen, welche praktisch nur im Spital durchgeführt werden und eine Menge personeller Ressourcen binden. Diese könnten ebenfalls im niedergelassenen Bereich erledigt werden.</p> <p><em><strong>Welche Bedeutung hat das Fachgebiet der Dermatologie und Venerologie für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung?</strong></em><br /><em><strong> K. Rappersberger</strong></em>: Ich glaube, dass der Dermatologie in Österreich eine ganz herausragende medizinische Bedeutung zukommt. Nicht umsonst ist sie als eigenes Fach seinerzeit in unserem Land entstanden. Wir decken unglaublich viele Krankheitsbilder ab. Da wären zum einen alle klassischen Dermatosen, Akne vulgaris, Erysipel, Neurodermitis, Psoriasis etc., die vielen gut- und bösartigen Hauttumoren, die große Zahl verschiedener „orphan diseases“ und die vielen (auto)immunologischen und (auto)inflammatorischen Krankheiten und internistische Krankheiten, die mit kutanen Manifestationen oder mit Schleimhautveränderungen einhergehen, da diese oft die ersten oder auffälligsten Symptome darstellen. Sehr oft werden sie im niedergelassenen Bereich diagnostiziert und in den Spitalsambulanzen weiter behandelt.<br /> Besonders wichtig ist die dermatologische Onkologie. Der „weiße Hautkrebs“ ist der mit Abstand häufigste Hauttumor, und dieser muss behandelt werden, je früher, desto besser. Das machen zu 99 % unsere niedergelassenen Dermatologen.<br /> In diesem Zusammenhang muss man auch sagen, dass wir heute etwas erleben, woran noch vor ein paar Jahren nicht zu denken war: In meinen 18 Jahren an der Klinik hatte ich zwei Fälle eines metastasierenden Plattenepithelkarzinoms der Haut gesehen, eines davon bei einem ehemaligen Röntgenassistenten, der keine Bleihandschuhe anziehen wollte. Heute sehen wir vier bis fünf Fälle pro Jahr an meiner Abteilung. Zum Glück steht für diese Patienten ein sehr wirkvoller Checkpoint- Inhibitor zur Verfügung, denn die früher eingesetzten Therapien, Bestrahlung und zytostatische Chemotherapie, waren ziemlich wirkungslos.</p> <p><em><strong>Wie zufrieden sind Sie mit dem Bewusstsein um die Hautkrebsprävention der Österreicher?</strong></em><br /><em><strong> K. Rappersberger:</strong></em> Obwohl unsere Kampagne „Sonne ohne Reue“ nun schon fast drei Jahrzehnte läuft, haben wir in Österreich jährlich 7000 Melanomfälle. Davon werden 80 % im Stadium 1, also unter 1mm Tumordicke diagnostiziert, und dies geschieht zu 90 % durch unsere Kollegen im niedergelassenen Bereich! Diese leisten also wirklich eine ganz ausgezeichnete diagnostische Arbeit. Meines Erachtens sind 7000 Melanome pro Jahr aber doch etwas zu viel für unser kleines Land! Ich würde mir wünschen, dass die Sensibilität der Menschen, das Melanom, also den „schwarzen Hautkrebs“ betreffend, noch ein bisschen größer werden würde. Ich wundere mich täglich über die Aufgeregtheit der Patienten über den „weißen Hautkrebs“, diese Diskrepanz im Verständnis über diese beiden Tumorentitäten kann ich nur schwer nachvollziehen. Sicher scheint mir, dass die Änderung der histologischen Diagnose „aktinische Keratose“ zu „Carcinoma in situ“ zu dieser dramatischen Änderung der Wahrnehmung der Patienten beigetragen hat: Das Wort „Karzinom“ in einer histologischen Diagnose, so banal dies in diesem Zusammenhang ist, erfordert bei vielen Patienten einen wesentlich größeren ärztlichen Aufwand, und wenn das nur ausführliche, aber zeitaufwendige Erklärungen sind. Dennoch kann die Wichtigkeit der Vorsorgeuntersuchung gar nicht genug hervorgehoben werden. Einmal im Jahr zur Hautkrebsvorsorge-Untersuchung zu gehen, ist gerade für die rechtzeitige Erkennung von Melanomen ganz wichtig, denn nur so können viele Tumoren im Stadium 1 diagnostiziert und mit großer Wahrscheinlichkeit ohne weitere Folgen dermatochirurgisch geheilt werden.</p> <p><em><strong>Österreichs Dermatologen sind international sehr anerkannt. Worin liegen unsere Stärken, wo können wir vielleicht noch etwas von unseren Nachbarn lernen?</strong></em><br /><em><strong> K. Rappersberger:</strong></em> Ich komme gerade von der Emeritierungsfeier von Prof. Luger aus Münster. Es war unglaublich schön, dort vor einer großen Gruppe österreichischer und deutscher Dermatologen sprechen zu dürfen, vor allem aber zu hören und zu sehen, wie groß unsere fachlichen Qualitäten in Österreich und Deutschland sind. In vielen anderen Ländern wie etwa den USA ist unser Fachgebiet vieler dieser Qualitäten verlustig geworden. Natürlich erzielen gerade amerikanische Forscher unglaubliche wissenschaftliche Spitzenleistungen und entwickeln ganz tolle neue Therapien, allerdings haben wir Dermatologen uns, v. a. im deutschsprachigen Raum, ein viel breiteres klinisches Spektrum erhalten. Ich denke, dass wir, mit unserem großen klinischen Spektrum in Österreich, von den anderen Fachrichtungen sehr gut akzeptiert werden. Ich glaube schon, dass in Häusern mit einer gut anerkannten Abteilung für Dermatologie fachfremde Ärzte die „Hautveränderungen“ bei ihren Patienten ganz anders wahrnehmen als in jenen Häusern, wo es keine Dermatologie gibt. Zwei klassische Beispiele wären: Patienten mit „akutem Abdomen“ im Rahmen einer Schönlein-Henoch-Vaskulitis, wo Dermatologen, rechtzeitig beigezogen, den Patienten vor so manchem chirurgischen Ungemach bewahren können; oder falsch interpretierte „Abszesse“, die von fachfremden Ärzten indiziert werden, weil sie nicht an ein Pyoderma gangraenosum denken.</p> <p><em><strong>Wie beurteilen Sie die Ausbildung der künftigen Fachärzte für Dermatologie und Venerologie? Werden sie den hohen Standard halten können?</strong></em><br /><em><strong> K. Rappersberger:</strong></em> Ich glaube, dass die Ausbildung zum Facharzt für Dermatologie und Venerologie und vielleicht bald auch zum Facharzt für Dermatologie, Venerologie und Allergologie wirklich gut ist. Sie ist in Module eingeteilt. Diese Module sind so streng, dass manche Abteilungen gar nicht alle erfüllen können. Darum muss in einer sehr guten Zusammenarbeit der Abteilungen untereinander der Austausch der Auszubildenden organisiert werden. Das ist sicher möglich, da wir Dermatologen sehr eng vernetzt sind und uns gut verstehen. Bei der Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin ist besonders schlimm, dass die Dermatologie nicht mehr Pflichtfach ist, sondern freiwillig gemacht werden kann. Da bekannt ist, dass praktische Ärzte, also die zukünftigen Fachärzte für Allgemeinmedizin, v. a. auf dem Land bis zu 30 % Patienten mit Hautkrankheiten sehen, werden schon jetzt von den Ärztekammern umfangreiche dermatologische Fortbildungsprogramme für diese Ärzte entwickelt. Ich finde, man hätte „das Kind nicht mit dem Bad ausschütten“ müssen, sondern die dermatologische Ausbildung für unsere Kollegen in der Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin auf bessere Beine stellen sollen. Diese Problematik möchte ich in meiner Präsidentschaft den Verantwortlichen klarer darstellen und vielleicht bessere Ausbildungsmöglichkeiten entwickeln. Hier ist die Politik gefordert, wir können nur auf die Situation hinweisen.</p> <p><em><strong>Die Dermatologie und Venerologie ist das Fach mit der größten Gruppe von „orphan diseases“. In den nächsten Jahren werden hoffentlich für einige dieser Krankheiten Therapien zur Verfügung stehen. Werden wir uns diese aber auch leisten können?</strong></em><br /><em><strong> K. Rappersberger:</strong></em> Es gibt zum Glück bereits einige Abteilungen, die eine Zertifizierung erworben haben, z. B. Innsbruck oder Salzburg. Wir selbst haben noch nicht daran gearbeitet. Ich glaube, wir drei Leiter der noch verbliebenen bettenführenden Institutionen in Wien sollten uns zusammensetzen und auch hier ein Zentrum für seltene Erkrankungen schaffen. Das sind wir unseren Patienten und auch der dermatologischen Community schuldig, dass nicht nur im Westen, sondern auch bei uns im Osten ein derartiges Angebot zur Verfügung steht. Was die Kosten betrifft – was können wir Ärzte da tun? Wir haben primär die Aufgabe zu helfen und dabei nicht zu schädigen (primum nihil nocere). Über die Kosten der „Orphan diseases“-Therapien müsste eigentlich gar nicht mehr gesprochen werden, denn für die Entwicklung verschiedener Biologika zur Behandlung entzündlicher Krankheiten und der Checkpoint- und Kinase-Inhibitoren zur Tumorbehandlung sind ja ebenfalls schon unglaubliche Summen aufgewendet worden. Dabei muss bedacht werden, dass viele dieser Therapien in unseren Nachbarländern gar nicht oder nur in Studien angeboten werden. Wir Ärzte können mit den Konzernen nicht verhandeln: Es ist die Aufgabe der Politik, vernünftige Preise auf europäischer Ebene zu garantieren.</p> <p><em><strong>Was begeistert Sie persönlich am meisten an Ihrem Fach?</strong></em><br /><em><strong> K. Rappersberger</strong></em>: Eigentlich wollte ich ja einmal Pädiater werden. Doch in der ersten Vorlesung bei Professor Wolff, im Herbst 1981, „war es um mich als Pädiater geschehen“ – er hat mich damals mit seiner Dermatologie in den Bann gezogen. Diese Dermatologie, die Wolff-Schule, ist unvergleichbar mit anderen Fächern. Sie ist das breiteste medizinische Fach. Wir haben, abgesehen von der klassischen Dermatologie im Hebra’schen Sinne, mit den verschiedenen exanthematischen Erkrankungen und den in der Haut lokalisierten Tumoren, ein vielfältiges Spektrum an infektiösen, onkologischen, immunologischen, degenerativen, vaskulären und genetischen Erkrankungen. Wir sind konservativ und chirurgisch-invasiv, verstehen etwas von Photobiologie und Lasermedizin. Welches andere Fach bietet diese Breite und auch Tiefe? Durch die Entwicklung der oben erwähnten neuen Therapien mit Biologika und „small molecules“ erlebten wir in den letzten zehn bis zwanzig Jahren eine medizinische Revolution unseres Faches; als Nebeneffekt völlig neue Krankheiten infolge der Nebenwirkungen der neuen Medikamente. Diese Zeit ist für uns unbeschreiblich aufregend. Einen „Arzt mit Leib und Seele“ motivieren diese Entwicklungen ungemein und machen auch viel Freude. Was mich in meiner Tätigkeit als Präsident der ÖGDV sehr glücklich macht, ist, wenn ich diese große Zusammengehörigkeit der Dermatologen untereinander und die unglaublich gute Zusammenarbeit zwischen niedergelassenem Bereich und Spitälern sehe. Diesbezüglich ist die Dermatologie viel besser aufgestellt als viele andere Fächer. Wir sind wirklich eine ganz tolle Community, eine große Familie mit sehr viel Empathie und Sympathie unter- und füreinander. Es würde mich freuen, wenn ich dazu einen positiven Beitrag leisten kann.</p> <p><em><strong>Vielen Dank für das Gespräch!</strong></em></p></p>
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