
©
Getty Images
Die Radiotherapie beim Merkelzellkarzinom
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Alexandros Papachristofilou
Leitender Arzt Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie Universitätsspital Basel<br> E-Mail: alexandros.papachristofilou@usb.ch<br> Quelle: Orphan-Malignancies-Seminar „Merkelzellkarzinome“, 10. September 2015, Zürich
30
Min. Lesezeit
14.07.2016
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Das therapeutische Management von Merkelzellkarzinomen stellt für Kliniker verschiedener Disziplinen eine Herausforderung dar. Nach der Exzision des Primärtumors stellt sich die Frage nach der adjuvanten Therapie, die zur Verbesserung der Prognose führen soll. Hierbei muss ein potenzieller Nutzen gegen mögliche Nebenwirkungen einer Behandlung abgewogen werden. </p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Die Radiotherapie ist ein fester Bestandteil der lokoregionären Therapie von Merkelzellkarzinomen.</li> <li>Eine adjuvante Strahlentherapie der Primärtumorloge sollte bei allen resezierten Merkelzellkarzinomen erfolgen.</li> <li>Die Indikation zur adjuvanten Strahlentherapie der regionären Lymphbahnen sollte individuell gestellt werden.</li> </ul> </div> <p>Das Merkelzellkarzinom (MCC) ist ein seltener maligner Hauttumor mit neuroendokriner Differenzierung und potenziell aggressivem Krankheitsverlauf. Histologisch, aber auch klinisch zeigt der Tumor Ähnlichkeiten mit dem kleinzelligen Bronchialkarzinom. Die Inzidenz liegt bei ca. 0,4/100 000 und zeigt eine ansteigende Tendenz in den letzten Jahren. Die meisten Tumoren treten bei älteren Patienten auf, bevorzugt im Kopf-Hals- sowie Extremitätenbereich. Immunsuppression sowie UV-Exposition gelten als gesicherte Risikofaktoren für die Entwicklung eines MCC. <br />Etwa zwei Drittel der Patienten mit einem MCC werden mit lokalisierten Tumoren im Stadium I und II diagnostiziert. Bei den übrigen Patienten liegen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits Lymphknoten- (Stadium III) und seltener Organmetastasen (Stadium IV) vor.</p> <h2>Adjuvante Radiotherapie der Primärtumorregion</h2> <p>Die adjuvante Radiotherapie der Primärtumorregion nach vollständiger Exzision eines MCC senkt die Lokalrezidivrate und kann damit auch die Heilungschancen sowie das Gesamtüberleben verbessern. Diese Aussage stützt sich nicht auf prospektive randomisierte Studien, sondern auf retrospektive Auswertungen grosser Patientenkollektive.<sup>1</sup> Der Benefit scheint von der Grösse des Tumors unabhängig zu sein, was wiederum die These unterstreicht, dass auch Patienten mit kleinen Tumoren ( <1cm) von einer adjuvanten Radiotherapie profitieren.<sup>2</sup> Seitens der Dermatologie/Chirurgie werden heutzutage bei der Entfernung eines MCC chirurgische Sicherheitssäume von mindestens 2cm gefordert, was allerdings bei Tumoren im Kopf-Hals-Bereich oft nur mit kosmetisch eingeschränktem Resultat vereinbar wäre. Umso mehr ist vor allem in diesen Regionen bei knappen Sicherheitssäumen eine adjuvante Radiotherapie der Primärtumorregion sinnvoll. <br />Die empfohlene Strahlendosis beträgt 50Gy in konventioneller Fraktionierung mit 2Gy pro Tag 5-mal pro Woche. Eine Erhöhung der Gesamtdosis auf 60Gy wird bei unvollständigen Tumorresektionen (R1/R2) empfohlen. <br />Die Technik der Strahlentherapie wird von der Lage und Grösse des Tumors sowie der Notwendigkeit einer Miterfassung der regionären Lymphbahnen bestimmt. Bei einer adjuvanten Radiotherapie lediglich der Primärtumorregion können eine konventionelle Röntgentherapie oder eine Strahlentherapie mit Elektronen eingesetzt werden. Im Zielvolumen wird die Primärtumorloge mit einem Sicherheitssaum von 3cm zirkulär eingeschlossen. Für die zuverlässige Erfassung der direkt unmittelbaren Lymphgefässe um und unter der Primärtumorloge sollte die Energie bei der konventionellen Röntgentherapie bzw. Strahlentherapie mit Elektronen nicht zu knapp gewählt werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Onko_1603_Weblinks_Seite22.jpg" alt="" width="790" height="366" /></p> <h2>Adjuvante Radiotherapie der regionären Lymphabflusswege</h2> <p>Der Stellenwert der adjuvanten Radiotherapie der regionären Lymphabflusswege ist weniger gut belegt und bleibt ein kontroverses Thema bei der Behandlung des MCC. Die Tendenz zur regionären Aussaat ist bei diesem Tumor unbestritten. Die Herausforderung besteht jedoch darin, die Patienten zu identifizieren, die von einer solchen Behandlung im Sinne einer Vermeidung eines isolierten regionären Tumorrezidivs wirklich profitieren. <br />Diese Fragestellung wurde durch eine randomisierte Studie adressiert, die in den frühen 90er-Jahren in Frankreich initiiert wurde. Patienten ohne klinische Anzeichen für einen Lymphknotenbefall wurden einer adjuvanten Radiotherapie der Primärtumorloge mit oder ohne Erfassung des regionären Lymphabflusses zugeführt. Die Studie musste vorzeitig aufgrund mangelnder Patientenrekrutierung beendet werden; in der Auswertung zeigte sich jedoch ein Vorteil zugunsten der regionär bestrahlten Patienten mit knapp 17 % weniger Rezidiven.<sup>3</sup> Das Hauptproblem der Studie, das die Übertragbarkeit der Schlussfolgerungen auf die heutige Praxis nur bedingt erlaubt, war die Behandlung der Patienten ohne chirurgisches Lymphknotenstaging im Zeitalter vor der Einführung der Sentinellymphknotenbiopsie. Trotz dieser Einschränkungen liefert diese Studie ausreichende Evidenz für eine generelle Empfehlung zur elektiven Erfassung der regionären Lymphabflusswege bei Patienten mit resezierten MCC ohne Sentinellymphknotenbiopsie. <br />Die Sentinellymphknotenbiopsie wurde ab Ende der 90er-Jahre als elegantes Mittel zur Risikokategorisierung von Patienten mit MCC und Planung der weiteren regionären Therapie eingesetzt. In prospektiven Studien zeigten Patienten mit negativem Sentinellymphknoten ohne weitere regionäre Therapie keine erhöhte Rate an Lymphknotenrezidiven eines MCC. Somit erwies sich das Verfahren als zuverlässig zur Identifizierung von Patienten, bei denen auf eine regionäre systematische Lymphadenektomie oder elektive Radiotherapie der Lymphbahnen verzichtet werden kann. Die mit diesen Behandlungen verbundene Morbidität (v.a. Lymphödem) kann dadurch vermieden werden, was einen positiven Einfluss auf die Lebensqualität der Patienten mit sich bringt. <br />Wird bei der Sentinellymphknotenbiopsie ein befallener Lymphknoten nachgewiesen, so wird aktuell meist eine Komplettierung der Lymphadenektomie empfohlen. Alternativ kann eine primäre regionäre Radiotherapie eingesetzt werden. Die Indikation zur adjuvanten regionären Radiotherapie nach kompletter Lymphadenektomie bei positivem Sentinellymphknotenstatus ist in der Regel gegeben, bei sehr begrenztem Befall und ausgiebiger Lymphadenektomie kann im Einzelfall davon Abstand genommen werden. <br />Die empfohlene Strahlendosis in der adjuvanten Situation beträgt 50Gy in konventioneller Fraktionierung mit 2Gy pro Tag 5-mal pro Woche. Findet keine Sentinellymphknotenbiopsie statt, so beträgt die Dosis der elektiven Radiotherapie an den klinisch unauffälligen Lymphabflusswegen ebenfalls 50Gy. Eine Erhöhung der Gesamtdosis auf 60Gy wird bei unvollständigen Tumorresektionen (R1/R2) sowie bei nicht resezierten klinisch befallenen Lymphknoten empfohlen. Bei der Bestrahlung von makroskopischen Tumorresten ist die Kombination der Strahlentherapie mit einer Chemotherapie zwar in prospektiven Studien formell nicht als überlegen bewiesen, aber denkbar effektiver und sollte daher im Einzelfall evaluiert werden. <br />Die Technik der eingesetzten Strahlentherapie richtet sich nach der zu bestrahlenden Region. Eine CT-gestützte Bestrahlungsplanung in 3-D-konformaler oder intensitätsmodulierter (IMRT) Technik gilt als Standard. Vor allem im Kopf-Hals-Bereich wird durch den Einsatz moderner Techniken eine Senkung der Nebenwirkungen an gesunden Strukturen (oropharyngeale Schleimhäute, Speicheldrüsen) erzielt.</p> <h2>Palliative Radiotherapie</h2> <p>Aufgrund der hohen Aggressivität des MCC treten nicht resektable Tumorrezidive sowie Fernmetastasen häufig auf. In diesen Situationen wird vorrangig eine palliative systemische Behandlung meist in Anlehnung an etablierte Schemata zur Behandlung von kleinzelligen Bronchialkarzinomen eingesetzt. Bei einigen Patienten kann eine Radionuklidtherapie (z.B. DOTATOC) ebenfalls zu Tumorremissionen führen. Da es sich beim MCC um einen in der Regel strahlensensiblen Tumor handelt, kann eine lokale, perkutane Strahlentherapie zur Symptomlinderung eingesetzt werden. Zu den üblichen Indikationen gehören Knochen- und Hirnmetastasen sowie fortgeschrittene lokoregionäre Rezidivtumoren. Eine solche Behandlung wird in der Regel hypofraktioniert mit wenigen Fraktionen innert 1–2 Wochen durchgeführt.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Leitender Arzt
Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie
Universitätsspital Basel<br>
E-Mail: alexandros.papachristofilou@usb.ch<br>
Quelle: Orphan-Malignancies-Seminar
„Merkelzellkarzinome“,
10. September 2015, Zürich
</p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> <a href="http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3827544" target="_blank">http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3827544</a> <br /><strong>2</strong> <a href="http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17369567" target="_blank">http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17369567</a> <br /><strong>3</strong> <a href="http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21750118" target="_blank">http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21750118</a></p>
</div>
</p>