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Die aktuellen Herausforderungen kritisch betrachtet
Jatros
Autor:
Dr. Adalbert Strasser
Facharzt für Chirurgie<br> E-Mail: adalbert.strasser@aon.at
30
Min. Lesezeit
14.03.2019
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<p class="article-intro">Chronische Wundheilungsstörungen und das damit verbundene Wundmanagement stellen bedingt durch die multifaktorielle Pathogenese eine brisante und aktuelle Herausforderung dar. Dieser Artikel beleuchtet die Kernsituation des Wundmanagements und behandelt die Problematik, die zurzeit diskutiert wird.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die Herausforderungen betreffen nicht nur Allgemeinmediziner, die meist als erste Ansprechlaufstelle von den Betroffenen aufgesucht werden, sondern auch Fachärzte unterschiedlicher klinischer Orientierung. Oft sind fachüberschreitendes Denken und Handeln gefordert. Ein interdisziplinäres Verhalten steht somit außer Diskussion.<br /> Ebenso verhält es sich im Pflegebereich: Die Kompetenzebene von diplomierten Pflegekräften und Wundmanagern ist nicht exakt definiert und es kommt oft zu Überschreitungen der Zuständigkeitsbereiche. In der Regel handeln Pflegepersonen und Wundmanager auf Anordnung der Ärzte, sie sind jedoch in ihrer Tätigkeit eigenverantwortlich. Um Missverständnissen vorzubeugen, hat der Gesetzgeber Richtlinien vorgegeben. Es existiert einerseits die Möglichkeit, dass Ärzte Tätigkeiten delegieren können, andererseits die Remonstrationspflicht für den Pflegebereich. Vielerorts funktioniert diese fächerübergreifende interdisziplinäre Zusammenarbeit, vielerorts funktioniert sie aber auch nicht. Bedenkt man die Vielzahl der Ursachen, die für eine chronische Wundheilungsstörung infrage kommen, beispielsweise das diabetische Fußsyndrom, wird man unweigerlich mit einer weitgestreuten Pathogenese konfrontiert.<br /> Neben der Stoffwechselerkrankung Diabetes mellitus liegt der Fokus der Wundheilungsstörung auf Veränderungen des Gefäßsystems (Arterien, Venen, Lymphbahnen) und der Nerven (diabetische Polyneuropathie), erweitert durch die zutiefst humanen Risikofaktoren (Bewegungsarmut, Übergewicht, Rauchen etc.).<br /> Diese multifaktorielle Pathogenese schreit förmlich nach einer interdisziplinären Reaktion. Erschwerend kommt die „Chronizität“ der Erkrankung hinzu. Der chronisch kranke Patient fordert die Gewährleistung der Kontinuität, bezogen auf die behandelnden Personen und die Zeit. Hier stoßen wir an Grenzen, nicht nur im Management der chronischen Wunde, sondern auch an die Grenzen des Gesundheitssystems. Unlösbar scheint die Frage, wie das Management des chronisch kranken Patienten im Allgemeinen zu bewerkstelligen sei.</p> <h2>Interdisziplinarität großgeschrieben</h2> <p>Das Management der chronischen Wunde fordert interdisziplinäres Verhalten ein, mehr denn je. Und das ist die Herausforderung, mehr als nur eine aktuelle.<br /> Schon 1989 wurde auf Geheiß der WHO im Rahmen der St.-Vincent-Deklaration ein interdisziplinärer Maßnahmenkatalog erstellt und von allen anwesenden Gesundheitsexperten auch unterschrieben. Ziel war und ist es, die Anzahl der Amputationen beim diabetischen Fuß um 50 % zu senken. Wurde das Ziel erreicht? Nein, im Gegenteil, die Anzahl der Amputationen ist im Steigen begriffen. Unter den europäischen OECD-Mitgliedsländern weist Österreich die höchste Amputationsrate nach diabetischem Fußsyndrom auf.<br /> Auf dem Weg zur Amputation, der Ultima Ratio, spielt das Wundmanagement eine entscheidende Rolle.<br /> „Modernes Wundmanagement“ impliziert auf den ersten Blick: „Mit welcher Wundauflage wird eine chronische Wunde verbunden?“ Getan – aber nicht mehr!<br /> Von der Industrie wird eine Vielzahl von Wundverbänden zur Verfügung gestellt. Allesamt hervorragende Produkte, wenn richtig angewandt. Trotzdem werden, bei ca. 40 Mio. Verbandwechseln pro Jahr in Österreich, nur 20 % der Patienten mit modernen Wundprodukten behandelt. Die überwiegende Zahl der Patienten wird nach wie vor mit traditionellen Wundverbänden versorgt. Es stellt sich zudem auch die Frage, ob das „moderne Wundmanagement“ richtig angewandt wird. Eine fachgerechte Versorgung chronischer Wunden im Sinne des „modernen Wundmanagements“ würde nicht nur die Behandlungsdauer verkürzen und die Materialkosten reduzieren, sondern auch Einsparungen von bis zu 200 Mio. Euro nach sich ziehen und vor allem die Patientenzufriedenheit erhöhen. Die Lösung der Problematik ist in der Definition des „modernen Wundmanagements“ zu suchen. Das „moderne Wundmanagement“ muss unserer Ansicht nach neu definiert werden. Management – für alle Lebensbereiche gesehen – bedeutet eine zielorientierte Vorgangsweise nach menschlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten in der Umsetzung geforderter Maßnahmen zu einer Problemlösung.<br /> Umgesetzt auf das Wundmanagement kann es somit nicht bedeuten: „Mit welcher Wundauflage wird eine chronische Wunde verbunden?“ Das ist aktuell zu wenig. Das ist weder „evidence-based“ noch der Weg zum State of the Art.<br /> Alle, die sich zumuten, die aktuelle Herausforderung „modernes Wundmanagement“ anzunehmen, müssen sich dieser Verantwortung bewusst sein und sich ihr stellen. Die Herausforderung anzunehmen bedeutet, sich voll und ganz der Thematik Wundbehandlung zu widmen. So nebenbei Wunden zu verbinden ist eindeutig zu wenig, man muss sich einer umfassenden interdisziplinären Verantwortung stellen.<br /> K. Anders Ericsson hat sich mit dem Erwerb der Fachkompetenz auseinandergesetzt. Sei es in Kunst, Wissenschaft, Sport oder jeglicher Sparte. Detailliert wird beschrieben, wie Fachkompetenz erworben wird. Einerseits ist es erforderlich, sich mit der Materie dauerhaft zu beschäftigen. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das, sich etwa 10 000 Stunden intensiv mit der Materie auseinanderzusetzen. Andererseits sind Interesse und Liebe zum erwählten Beruf Voraussetzung. Das bedeutet, man muss schon sein ganzes Leben der Berufung widmen.<br /> Wie so oft sind auf dem Weg dorthin gesundheits- und sozialpolitische Barrieren und interdisziplinäre Hürden zu überwinden. Kompetenzbereiche (Arzt – Pflege) sind neu zu definieren. Kooperation wird gefordert.</p> <ul> <li>Wer will seine medizinische Laufbahn dem „modernen Wundmanagement“ opfern und unterordnen, mit all seinen Facetten?</li> <li>Wer setzt sich mit der Herausforderung „Hospitalismus“ auseinander?</li> <li>Wem ist es möglich, dem Patienten eine Kontinuität an Personen (Arzt und Pflege) und Zeit zu garantieren?</li> <li>Wer ordnet seine Abteilung oder seine Ordination den Bedürfnissen der „modernen Wundbehandlung“ unter?</li> </ul> <p>Diese und viele andere Punkte sind die wahren Herausforderungen und das erfordert Managementqualitäten und Stärke.<br /> All jenen Kollegen und Pflegekräften, die diese zeigen, ist für ihre aufopfernde Tätigkeit Respekt zu zollen. Der Dank der Betroffenen ist ihnen ohnehin sicher. Eine Bündelung der Kräfte wäre wünschenswert und für die Zukunft ist zu hoffen, dass das „moderne Wundmanagement“ neu definiert seinen Platz im klinischen Alltag finden wird.<br /> Das Motto sollte lauten: „Wie getan und wie gekonnt“ und nicht, wie es derzeit üblich ist, „Wie getan, aber nicht wie gekonnt!“</p></p>
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