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Den rechten Weg aus der therapeutischen Zwickmühle finden
Jatros
Autor:
Univ.-Doz. Dr. Elisabeth Aberer
Univ.-Klinik für Dermatologie<br> Medizinische Universität Graz<br> E-Mail: elisabeth.aberer@medunigraz.at
30
Min. Lesezeit
16.05.2019
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<p class="article-intro">Patienten erhoffen sich naturgemäß eine rasche Heilung ohne Komplikationen. Therapien, die eine rasche Beschwerdefreiheit herbeiführen, sind jedoch nicht selten von schweren Nebenwirkungen begleitet. Die Wünsche und Erwartungen der Patienten mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten in Einklang zu bringen obliegt uns Ärzten. „Gott sei Dank heilt die Natur vieles“ und belohnt die therapeutischen Bemühungen des Arztes.</p>
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<p class="article-content"><p>Meine ersten Erfolgserlebnisse in der Medizin erlebte ich auf der Chirurgie. Der entzündete Blinddarm, der dramatische Beschwerden auslösen konnte, wurde durch die Operation beseitigt und der Patient verließ geheilt das Krankenhaus. Auch unsere Dermatochirurgen können vielerlei dieser Erfolgserlebnisse verzeichnen. Das Basaliom kann im Gesunden entfernt werden und der Patient ist geheilt!<br /> Ein ständiges Zweifeln und Überprüfen konnte ich hingegen bei den Internisten feststellen. Es gab Befunde, die Kontrollbefunderhebungen zur Folge hatten, und oft war man sich nicht sicher, wo eigentlich die Ursache der Krankheit lag – sie blieben also im Ungewissen. Trotzdem gesundete der Patient meistens. Die Haut mit ihren Veränderungen liegt sichtbar vor uns, und man kann sich kaum vorstellen, in der Diagnosestellung Schwierigkeiten zu haben. Nicht selten ergibt sich trotz Histologie und Laboruntersuchungen keine klare Diagnose. Dank der modernen Medizin haben sich die Diagnostik und die Therapiemöglichkeiten wesentlich verbessert, sodass heute viele dermatologische Krankheiten geheilt werden können. Bei den nicht heilbaren und somit chronischen Dermatosen müssen die Patienten aber oft über eine große Zeitspanne mit der Krankheit leben lernen.</p> <h2>Therapeutische Dilemmata ergeben sich in mehrfacher Hinsicht</h2> <p>Eine aggressive Therapie kann rasch zu völliger Beschwerdefreiheit führen, allerdings sind oft Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen. Dem Patienten ist aber wichtig, dass er rasch seine Symptome loswird. Patient: „Der Arzt hat mir a Spritzn geben und i war wieder gsund.“ Ist dies nicht ein Idealfall, wenn ich bei einem Psoriasisschub eine Ampulle Volon A 40 appliziere und die Psoriasis verschwindet? – Eine große Versuchung für beide Seiten.<br /> Heute heißt es: „Das kann man nicht mehr machen!“ Warum nicht? Man weiß, dass das Rezidiv unmittelbar folgt und intramuskulär applizierte Steroide langfristig ein erhebliches Nebenwirkungspotenzial haben, das heute aufgrund der alternativen Behandlungsmöglichkeiten nicht mehr zu vertreten ist.<br /> Ein Patient, Diagnose Skleromyxödem: „Wissen Sie, Frau Doktor, ich bin Bankdirektor – ich habe alles Geld der Welt. Wenn ich mit dem Finger schnippe, machen meine Mitarbeiter alles für mich. Kann man nicht etwas machen, dass meine Krankheit verschwindet?“ Ärztin: „Ihre Krankheit lässt sich leider nicht so behandeln, dass sie wieder weggeht, sie müssen sich damit abfinden, dass es zu keiner Heilung kommt.“ Welcher Arzt hat den Mut, so etwas zu sagen? Es wird Verschiedenes probiert, und wenn der Patient merkt, dass es nicht hilft, geht er zum nächsten Arzt und wieder zum nächsten – er hat ja das Geld, auch für das „Doktorshopping“.<br /> Patientin mit frontaler fibrosierender Alopezie: „Meine Haare gehen aus, ich habe Angst, dass ich ganz kahl an der Stirn werde.“ Eine lokale und systemische Steroidtherapie in Kombination mit Chloroquin hat zu keiner Besserung geführt (Abb. 1). Arzt: „Wir können Ihnen eine Kombinationstherapie empfehlen, bestehend aus Acitretin (12,5–25 mg täglich) und intraläsionalen Injektionen von Triamcinolon (10 mg/ml alle 4 bis 6 Wochen); zusätzlich kann Finasterid (anfänglich 2,5 mg täglich, wenn gut vertragen später 5 mg täglich) gegeben werden.“ Ist dies nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen? Nimmt man die potenziellen Nebenwirkungen dieser Medikamente dafür in Kauf?<br /> Eine 17-jährige Patientin mit Hyperhidrosis axillaris: „Frau Doktor, stimmt es, dass Aluminium in Deos Brustkrebs oder Demenz auslöst? Ich habe schon Dutzende aluminiumfreie Deos probiert, die nützen alle nichts!“<br /> Aluminium wird als Adjuvans seit über 100 Jahren Impfstoffen zugesetzt, ist in Verpackungsmaterialien für Lebensmittel, in Kosmetika und Zahnpasten enthalten. In einem Review konnte außer bei Dialysepatienten kein Zusammenhang zwischen Aluminiumexposition und Demenz, Brustkrebs oder Morbus Alzheimer festgestellt werden.<sup>1</sup> Den Nutzen, das Risiko und den Schaden abzuwägen – darum dreht sich immer alles, denn die Dosis macht das Gift!<br /> Systemische Steroidtherapie: Welche Dosis für welche Krankheit? Steroide wirken schnell und verlässlich bei vielen Dermatosen. Die Versuchung ist groß, diese als Allheilmittel zu verwenden. Aber wie hoch dosiert und wie lange sollte man therapieren? Werden die metabolischen Effekte ausreichend berücksichtigt? Wie geht man mit Risikofaktoren oder metabolischen Nebenwirkungen wie Hypertonie, Dyslipidämie, Insulinresistenz, Induktion eines Typ- 2-Diabetes, Osteoporose usw. um?<br /> Bei akuten bullösen oder systemischen Autoimmunerkrankungen spielen Prednisolon- Dosen von 60–250 mg/Tag über kurze Zeit keine negative Rolle, im Gegenteil, sie sind absolut erforderlich und lebensrettend (Abb. 2)! Nach 3 Wochen nimmt die endogene Produktion von Cortisol unter 10 mg/Tag ab und es kann sich eine Nebenniereninsuffizienz entwickeln.<sup>2</sup><br /> Kann eine Steroidlangzeittherapie eingeleitet werden, wenn der Patient ein metabolisches Syndrom hat? Dazu ist eine exakte Nutzen-Risiko-Abwägung erforderlich. Ein strenges Monitoring und prophylaktische Maßnahmen sind zwingend.<sup>3</sup><br /> Warum brauchen wir eine Glukokortikoid- Langzeittherapie? Niedrig dosierte Steroiddauertherapie ist eine Substitutionstherapie, da aufgrund der Entzündung die endogene Cortisolproduktion zu niedrig ist. Es besteht ein Defizit in der Hypophysen-Nebennieren- Achse und es tritt eine Nebenniereninsuffizienz auf.<sup>2</sup> Diese kann auch nach Absetzen der Steroide bestehen bleiben (Adynamie, Myopathie, Schwäche, Durchfälle etc.). Eine Untersuchung der basalen Cortisolspiegel und ein Stimulationstest mit ACTH sollten erfolgen. Bei Stresssituationen oder Operationen ist eine Erhöhung der Steroiddosis oder Substitutionstherapie aber absolut erforderlich.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Derma_1902_Weblinks_jatros_derma_1902_s37_abb1+2.jpg" alt="" width="2150" height="835" /></p> <h2>Häufige Dilemmata</h2> <p>Die Erkrankung verschlechtert sich. Besteht eine Glukokortikoid-Resistenz, die durch die chronische Entzündung hervorgerufen wird? Wurden Immunsuppressiva ergänzt?<br /> Wurde an die zirkadiane Wirkung von Cortisol gedacht? Neue Glukokortikoide mit verzögerter Wirkstofffreigabe während der Nacht sind besser als am Morgen verabreichte.<sup>4</sup> Während des Schlafens wird das Immunsystem aktiviert. Steroide, um 22 Uhr verabreicht, entfalten um 2 Uhr ihre Wirkung, dies fällt auch mit dem Höhepunkt des endogenen Cortisolspiegels zusammen (Nachtprednisolon Lodotra<sup>®</sup>, zugelassen für rheumatoide Arthritis und akute Phasen eines Lupus erythematodes).<sup>2, 5</sup> Wäre dieses „Nachtprednisolon“ auch bei anderen dermatologischen Krankheitsbildern sinnvoll?</p> <h2>Umgang mit therapeutischen Dilemmata</h2> <p>Um diesen zu begegnen, sind einige Vorgaben vonnöten:</p> <ul> <li>Transparenz und Klarheit in der Kommunikation mit den Patienten</li> <li>Herstellen des Vertrauens, dass der Arzt die Verantwortung übernimmt; ein Gespräch auf Augenhöhe, in dem der Patient erkennen kann, dass das mit der Krankheit in Verbindung stehende Leiden gesehen und einbezogen wird</li> <li>Bewusstmachen der Verletzlichkeit des Patienten, dass eine Therapie potenziell auch Schaden anrichten kann; regelmäßiger Austausch und Offenlegung der Probleme</li> <li>Die Wissensexplosion führt zu Unsicherheit. Eingestehen der eigenen Unzulänglichkeit, da das Know-how immer verbessert werden könnte.</li> </ul> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Manche Erkrankungen sind sehr gut erforscht und es gibt neue effektive Medikamente. Die Industrievorgaben sollten aber immer kritisch betrachtet und der eigenen Expertise Vertrauen geschenkt werden, um die Bandbreite an therapeutischen Möglichkeiten auszuschöpfen.<br /> Der Patient ist dankbar für die Bemühungen des Arztes und fühlt sich eingebunden und aufgehoben, wenn durch Transparenz und ausreichend Kommunikation von ärztlicher Seite dazu beigetragen wird. Dadurch kann man Dilemmata am ehesten begegnen und auch weitgehend ausschalten.</p> </div></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Klotz K et al.: The health effects of aluminum exposure. Dtsch Arztebl Int 2017; 114(39): 653-9 <strong>2</strong> Straub RH et al.: Glucocorticoids and chronic inflammation. Rheumatology 2016; 55(Suppl 2: ii6-ii14) <strong>3</strong> Liu D et al.: A practical guide to the monitoring and management of the complications of systemic corticosteroid therapy. Allergy Asthma Clin Immunol 2013; 9: 30 <strong>4</strong> Katz SJ et al.: Are modified-release corticosteroids good therapeutic options for patients with RA? Nat Clin Pract Rheum 2008; 4: 290-1 <strong>5</strong> Buttgereit F et al.: Efficacy of modified-release versus standard prednisone to reduce duration of morning stiffness of the joints in rheumatoid arthritis (CAPRA-1): a double-blind, randomised controlled trial. Lancet 2008; 371(9608): 205-14</p>
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