Psychische und körperliche Auswirkungen verschobener elektiver Operationen
Autorinnen:
Dr. Iva Simunovic
Dr. Hanna Zurl
Ass. Prof. Priv.-Doz. Dr. Marianne Leitsmann
Univ.-Klinik für Urologie
LKH-Univ. Klinikum Graz
Medizinische Universität Graz (MUG)
E-Mail: iva.simunovic@medunigraz.at
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Pflege- und Personalmangel führten in Österreichs Urologie zu deutlichen Einschränkungen in der elektiven operativen Versorgung. Eine Studie der Medizinischen Universität Graz zeigt, dass lange Wartezeiten und OP-Verschiebungen Patient:innen psychisch und körperlich erheblich belasten.
Keypoints
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OP-Verschiebungen führen zu erhöhter psychischer und körperlicher Belastung bei den Patient:innen.
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Eingriffe für benigne Erkrankungen sind deutlich häufiger von OP-Verschiebungen betroffen.
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Pflegemangel bleibt der Hauptengpass – Kapazitätsaufbau ist dringend nötig.
Der anhaltende Personalmangel, insbesondere im Pflegebereich, stellt ein großes Problem in der urologischen Versorgung dar. Aktuelle strukturelle Engpässe führen zu geschlossenen Stationen, reduzierter OP-Kapazität und deutlich verlängerten Wartezeiten.1 Besonders betroffen ist die Steiermark, wo lediglich zwei urologische Abteilungen die tertiäre Versorgung für rund 1,2 Millionen Einwohner sicherstellen.
Unter diesen Bedingungen müssen verfügbare Ressourcen verantwortungsvoll eingesetzt werden. Onkologische Eingriffe werden dabei zu Recht priorisiert, da Verzögerungen nachweislich den Krankheitsverlauf beeinflussen können.2–5 Über die Folgen verschobener oder ausgefallener Operationen bei benignen urologischen Erkrankungen ist hingegen bislang wenig bekannt.6,7 In den kommenden Jahren dürfte sich jedoch zeigen, dass auch hier verzögerte Eingriffe nicht ohne Folgen sind, welche sich in Form von Komplikationen, eingeschränkter Lebensqualität und steigendem Versorgungsbedarf zeigen dürften.
Methoden
Seit September 2023 werden an der Klinik für Urologie der Medizinischen Universität Graz alle Patient:innen ab 18 Jahren, die für einen elektiven Eingriff aufgenommen werden, im Rahmen einer prospektiven Beobachtungsstudie befragt. Ziel ist es, Wartezeiten, Operationsverschiebungen und die damit verbundene psychische und körperliche Belastung zu erfassen und auszuwerten.
Zur Datenerhebung wurde ein eigens entwickelter Fragebogen in Papierform eingesetzt, der standardisierte Instrumente umfasst: das NCCN Distress Thermometer (Skala 0–10; psychische Belastung), die Severity Symptom Scale (SSS; Skala 1–5; körperliche Beschwerden) und die PROMIS-10 Global Health Evaluation (allgemeiner Gesundheitszustand). Ergänzend wurden Fragen zu Komplikationen, Auswirkungen auf die berufliche Tätigkeit und zum Bewusstsein für die aktuelle Versorgungssituation gestellt. Die Wartezeit wurde als Zeitraum zwischen Diagnosestellung und Operation definiert. Zusätzlich wurde dokumentiert, ob und wie oft eine geplante Operation verschoben wurde. Primäre Endpunkte umfassten die psychische Belastung (NCCN ≥4), die körperlichen Symptome (SSS ≥3) sowie den PROMIS-10-Global-Mental-Health-T-Score und den PROMIS-10-Global-Physical-Health-T-Score.
Ergebnisse
Insgesamt konnten bis September 2025 488 Patient:innen in die Analyse eingeschlossen werden. Das Durchschnittsalter lag bei 64,0 Jahren (SD ± 13,9) und 84,6% waren Männer. 183 (37,5%) hatten eine onkologische, 305 (62,5%) eine nicht onkologische Diagnose. Zum Zeitpunkt des Eingriffs waren 25,2% der Patient:innen berufstätig.
Wartezeiten und Verschiebungen
Die durchschnittliche Wartezeit für einen Eingriff betrug 23,9 Wochen (SD ± 19,6) – bei onkologischen Diagnosen 12,8 Wochen (SD ± 11,7), bei nicht onkologischen 30,6 Wochen (SD ± 20,5) (Abb. 1). Bei fast der Hälfte der Patient:innen (48,8%) wurde die Operation mindestens einmal verschoben. Verschiebungen traten signifikant häufiger bei nicht onkologischen Diagnosen auf (64,5% vs. 28,4%; p<0,001).
Abb. 1: Entwicklung der Wartezeiten für urologische Eingriffe seit dem Beginn der Beobachtungsstudie
Der häufigste Grund für eine Verschiebung war fehlende OP-Kapazität (44,6%), gefolgt von medizinischen (8,4%) oder organisatorischen Ursachen (4,8%). Am stärksten von den OP-Verschiebungen betroffen waren transurethrale Resektionen der Prostata (TURP). Mindestens einmal verschoben wurden, 72,7% aller durchgeführten TURP-Eingriffe, rekonstruktive Operationen (66,7%), HoLEP (63,8%) sowie Interventionen bei Urolithiasis wie Ureterorenoskopie (50,0%) oder perkutane Nephrolithotomie (62,5%).
Negative Auswirkungen auf Gesundheitszustand und psychische Belastung
Der mittlere Global-Mental-Health-T-Score bei Aufnahme lag insgesamt bei 44,5 (SD ± 5,5). Patient:innen, deren Operation verschoben wurde, wiesen einen signifikant niedrigeren Global-Mental-Health-T-Score zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme auf (43,9 ± 5,6 vs. 45,1 ± 5,3; p=0,03). Der mediane NCCN-Score bei Aufnahme betrug 4 (IQR 2–6), ohne Unterschied zwischen Patient:innen mit oder ohne OP-Verschiebung.
Der mittlere Global-Physical-Health-T-Score bei Aufnahme betrug 43,0 (SD ± 5,3). Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied im Global-Physical-Health-T-Score zwischen Patient:innen, deren Operation verschoben wurde, und jenen, deren Operation planmäßig durchgeführt wurde. Der Anteil der Patient:innen mit moderaten bis starken Symptomen (SSS ≥3) war bei jenen mit OP-Verschiebung signifikant höher (40,6% vs. 30,1%; p=0,03). In der linearen Regressionsanalyse zeigten Patient:innen im dritten und vierten Wartezeit-Quartil signifikant höhere SSS-Werte im Vergleich zu jenen mit den kürzesten Wartezeiten (p=0,02 bzw. p=0,001).
30,1% der Patient:innen mit OP-Verschiebung berichteten über mindestens eine Komplikation – am häufigsten Schmerzen (12,8%), Harnwegsinfektionen (11,7%), Harnverhalt (6,4%) oder Makrohämaturie (2,4%).
Fazit
Was ursprünglich als reine Beobachtungsstudie konzipiert war, hat sich rasch zu einem wichtigen Instrument der Qualitätssicherung unserer Klinik entwickelt. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass lange Wartezeiten und OP-Verschiebungen weit mehr sind als ein organisatorisches Problem: Sie führen zu psychischer Belastung und körperlichen Beschwerden. Damit betrifft das Thema nicht nur die Patient:innenzufriedenheit, sondern auch die medizinische Sicherheit und Outcome-Qualität elektiver Eingriffe.
Trotz zahlreicher Bemühungen, die Kapazitäten zu stabilisieren, etwa durch Outsourcing, Zusatzoperationstage und prozessoptimierte Abläufe, konnte bislang keine nachhaltige Entlastung erzielt werden. Der anhaltende Pflege- und Personalmangel bleibt der entscheidende Engpass, der den Handlungsspielraum vieler Abteilungen massiv einschränkt.
Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit einer übergeordneten Struktur- und Ressourcenplanung, die über kurzfristige Maßnahmen hinausgeht. Erforderlich sind strategische Konzepte, um die elektive operative Versorgung langfristig zu sichern, etwa durch den gezielten Ausbau von OP-Ressourcen, die Einführung symptombasierter Priorisierungssysteme, den Einsatz von Telekonsultationen sowie interregionale Kooperationen zwischen Standorten.8
Nur durch eine Kombination aus struktureller Stärkung und patient:innenzentrierter Betreuung lässt sich verhindern, dass Patient:innen mit urologischen Erkrankungen durch Wartezeiten und Verschiebungen in eine potenziell vermeidbare gesundheitliche und psychische Belastungsspirale geraten.
Literatur:
1 Scheipner L et al.: Elective urological procedures in times of reduced operating room capacity. Dtsch Arztebl Int 2024; 121(9): 300-1 2 Fahmy N et al.: Impact of treatment delay in patients with bladder cancer managed with partial cystectomy in Quebec: a population-based study. Can Urol Assoc J 2009; 3(2): 131-5 3 Gao W et al.: Risk factors and negative consequences of patient’s delay for penile carcinoma. World J Surg Oncol 2016; 14: 124 4 Tachibana I et al.: Delaying cancer cases in urology during COVID-19: review of the literature. J Urol 2020; 204(5): 926-33 5 Fahmy NM et al.: Delay in the surgical treatment of bladder cancer and survival: systematic review of the literature. Eur Urol 2006; 50(6): 1176-82 6 Phe V et al.: Widespread postponement of functional urology cases during the COVID-19 pandemic: rationale, potential pitfalls, and future consequences. Eur Urol 2020; 78(1): 4-5 7 Frendl DM et al.: Early vs delayed transurethral surgery in acute urinary retention: does timing make a difference? J Urol 2023; 210(3): 492-9 8 Boehm K et al.: Telemedicine online visits in urology during the COVID-19 pandemic-potential, risk factors, and patients’ perspective. Eur Urol 2020; 78(1): 16-20
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