Perioperative Therapie mit Enfortumab Vedotin + Pembrolizumab bei Cisplatin-ungeeigneten Patienten mit MIBC
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Dr. (h.c. mult.) Shahrokh F. Shariat
Abteilung für Urologie, Comprehensive Cancer Center Vienna
Medizinische Universität Wien
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Die Phase-III-Studie KEYNOTE-905/EV-303 schließt eine entscheidende und seit Langem offene Versorgungslücke bei muskelinvasivem Blasenkarzinom: Für Cisplatin-ungeeignete Patient:innen zeigt die Kombination aus Enfortumab Vedotin + Pembrolizumab erstmals signifikante Vorteile im ereignisfreien- und Gesamtüberleben sowie eine pCR-Rate von über 50% – bei guter Verträglichkeit und uneingeschränkter Operabilität.
Keypoints
-
KEYNOTE-905/EV-303 markiert einen Paradigmenwechsel in der Behandlung des muskelinvasiven Blasenkarzinoms.
-
Enfortumab Vedotin + Pembrolizumab etabliert sich als neuer Standard für Cisplatin-ungeeignete oder Cisplatin-ablehnende MIBC-Patient:innen.
-
Es konnte ein signifikanter Überlebensvorteil im perioperativen Setting gezeigt werden, eine außergewöhnlich hohe Komplettremissionsrate und gute chirurgische Verträglichkeit.
-
Das Nebenwirkungsprofil entspricht den Erfahrungen mit beiden Substanzen.
Studienüberblick
Die Phase-III-Studie KEYNOTE-905/EV-303 adressiert eine der größten Versorgungslücken in der Uroonkologie: Rund die Hälfte aller Patient:innen mit muskelinvasivem Blasenkarzinom (MIBC) ist nicht für Cisplatin geeignet, meist aufgrund von eingeschränkter Nierenfunktion, Komorbiditäten und neurologischen oder kardialen Einschränkungen. Für diese Patientengruppe blieb bislang nur die radikale Zystektomie (RC) mit pelviner Lymphonodektomie (PLND) – mit unzureichenden onkologischen Ergebnissen und ohne etablierte systemische Option im perioperativen Setting. In KEYNOTE-905 wurde die Kombination aus Enfortumab Vedotin (EV) plus Pembrolizumab perioperativ mit alleiniger Operation verglichen. Eingeschlossen waren Patient:innen mit ≥50% urothelialem Tumoranteil und klinischem Stadium T2–T4aN0M0 oder T1–T4aN1M0, die entweder Cisplatin-ungeeignet waren oder Cisplatin ablehnten.
Das Therapieschema umfasste:
-
Neoadjuvant: 3 Zyklen Enfortumab Vedotin + Pembrolizumab
-
Operation: RC + PLND
-
Adjuvant: 14 Zyklen Pembrolizumab + 6 Zyklen Enfortumab Vedotin
Primärer Endpunkt war das ereignisfreie Überleben (EFS) laut verblindeter unabhängiger zentraler Beurteilung; sekundäre Endpunkte waren Gesamtüberleben (OS) und pathologische Komplettremission (pCR). Die Studie startete 2019 mit einer Pembrolizumab-Monotherapie versus Operation; nach positiven Signalen in der metastasierten Situation wurde 2020 ein Arm mit EV + Pembrolizumab ergänzt. Nach 2022 blieb die 1:1-Randomisierung EV+Pembro versus Operation bestehen.
Patientenkollektiv
Die Baseline-Charakteristika waren zwischen den Gruppen gut ausgeglichen. Die Kohorte war älter und fragiler als in früheren MIBC-Studien. Das mediane Alter war 74 Jahre (EV+Pembro) bzw. 72,5 Jahre (Kontrolle). 12–15% hatten einen Status ECOG 2. Rund 80% waren Cisplatin-ungeeignet, meist aufgrund eingeschränkter Nierenfunktion. Mehr als zwei Drittel waren in T3/T4aN0 und 90–92,5% hatten eine rein urotheliale Histologie.
Klinisch bedeutsame und potenziell praxisverändernde Resultate
Ereignisfreies Überleben, primärer Endpunkt: Das mediane EFS wurde unter EV+Pembro nicht erreicht vs. 15,7 Monate in der Kontrollgruppe. Hazard-Ratio (HR): 0,40 (CI: 95%: 0,28–0,57; p<0,0001; Abb.1). Die Kaplan-Meier-Kurven trennten sich früh und blieben dauerhaft auseinander – ein deutliches Signal in einer Population mit bislang schlechter Prognose.
Abb. 1: Primärer Endpunkt: ereignisfreies Überleben (EFS) der Intention-to-Treat-Population (modifiziert nach Vulsteke C et al., ESMO 2025, LBA2)
Gesamtüberleben, sekundärer Endpunkt: Das mediane OS wurde unter EV+Pembro nicht erreicht vs. 41,7 Monate in der Kontrollgruppe (HR: 0,50; 95% CI: 0,33–0,74; p=0,0002) – die erste Phase-III-Studie, die einen Überlebensvorteil in dieser Patientengruppe zeigt.
Pathologische Komplettremission (pCR): 57,1% mit EV+Pembro vs. 8,6% in Kontrolle (Differenz 48,3%; p<0,000001). In der Per-Protokoll-Analyse lag die pCR-Rate bei über 60% – ein bislang unerreichter Wert in randomisierten MIBC-Studien.
Konsistenz über Subgruppen hinweg: Der Vorteil für EFS und OS war unabhängig von Alter (auch ≥75 Jahre), ECOG-Status, PD-L1-Expression, Stadium und Cisplatin-Eignung.
Post-Studien-Therapie: Rund 16,7% der Kontrollpatient:innen erhielten adjuvantes Nivolumab gemäß lokalen Leitlinien. Der Überlebensvorteil bleibt jedoch trotz dieser „Salvage“-Therapie eindeutig.
Operabilität und perioperatives Management
Die Intensivierung der Therapie beeinträchtigte die Operation nicht: Eine radikale Zystektomie war in 88–90% beider Arme möglich, die Raten perioperativer Komplikationen und operationsbedingter Todesfälle (Komplikation Grad 5) waren niedrig und sogar numerisch geringer im EV+Pembro-Arm. Es zeigte sich kein Anstieg chirurgischer Morbidität oder Verzögerungen. Damit ist belegt, dass EV+Pembro auch bei älteren, multimorbiden Patient:innen sicher vor einer kurativen Operation einsetzbar ist.
Sicherheit und Verträglichkeit
Das Nebenwirkungsprofil entsprach den bekannten Erfahrungen mit beiden Substanzen: Häufige therapieassoziierte Nebenwirkungen sind Hautreaktionen/Pruritus, Alopezie, Diarrhö, Fatigue, Anämie. Spezifisch für EV sind periphere Neuropathie und okuläre Veränderungen. Immunvermittelt treten bei Pembrolizumab Hypothyreose, Hautreaktionen und Pneumonitis auf.
Schwere Nebenwirkungen (Grad ≥3) waren häufiger unter EV+Pembro, aber gut beherrschbar, und führten nur selten zu chirurgischen Verzögerungen. Die mediane neoadjuvante Therapiedauer betrug 1,6 Monate (3 Zyklen), die adjuvante Phase median 8 Monate (6 EV- und 12 Pembro-Zyklen). Ein Teil der Patient:innen erhielt keine adjuvante Therapie – ein realistisches Abbild der klinischen Praxis.
Einordnung im therapeutischen Kontext
Nach der Zulassung von EV+Pembro in der metastasierten Situation (EV-302) war die Übertragung in das kurative Setting der logische nächste Schritt. Während Studien wie NIAGARA (Chemotherapie + Durvalumab) oder EV-304/KEYNOTE-B15 (EV+Pembro vs. Cisplatin-basiert) die Cisplatin-geeignete Population adressieren, zeigt KEYNOTE-905 erstmals für die Cisplatin-ungeeigneten oder -ablehnenden Patient:innen einen klaren Überlebensvorteil – und das in einer realitätsnahen, älteren Kohorte (median 74 Jahre, viele ECOG 2). Die extrem hohe pCR-Rate von >50% eröffnet die Perspektive zukünftiger Blasenerhalt-Strategien für ausgewählte Responder – allerdings nur im Rahmen streng kontrollierter Studien mit definierten Salvage-Zystektomie-Protokollen.
Stärken, Limitationen, offene Fragen
Stärken
KEYNOTE-905/EV-303 ist die erste Phase-III-Studie mit signifikantem Überlebensvorteil (EFS & OS) und rekordhoher pCR-Rate bei Cisplatin-ungeeigneten MIBC-Patient:innen. Untersucht wurde eine repräsentative Population mit hoher Relevanz für die tägliche Praxis. Es wurde nachgewiesen, dass perioperative Intensivierung chirurgisch sicher umsetzbar ist.
Limitationen
Limitationen sind ein uneinheitlicher Einsatz von adjuvantem Nivolumab in der Kontrollgruppe (rund 17%); der eingeschränkte Zugang zu EV+Pembro bei Rezidiv könnte den OS-Vorteil beeinflussen. Eine offene Frage ist der Beitrag von neoadjuvanter vs. den Beitrag von adjuvanter Phase.
Zentrale Forschungsfragen
-
Ist die adjuvante Therapie bei pCR oder ctDNA-negativen Patient:innen notwendig?
-
Wie soll die Therapiesequenz beim Rezidiv nach EV+Pembro aussehen (Rechallenge vs. Platin)?
-
Können ctDNA-gesteuerte, adaptive Konzepte künftig Therapie-Deeskalation und Organerhalt ermöglichen?
Klinische Implikationen
EV+Pembro etabliert sich als neuer Standard für Cisplatin-ungeeignete oder Cisplatin-ablehnende MIBC-Patient:innen – mit EFS-HR 0,40, OS-HR 0,50 und einer pCR-Rate von ca. 57%. Die Therapie ist auch bei älteren, multimorbiden Patient:innen machbar und sicher. Multidisziplinäre Abläufe müssen angepasst werden, um Toxizitätsmanagement (insbesondere endokrin und in Bezug auf Haut, Nerven, Augen) und operative Planung optimal zu integrieren. Perspektivisch wird die Kombination EV+Pembro das Behandlungsspektrum von der metastasierten bis zur kurativen Situation prägen.
Fazit
KEYNOTE-905/EV-303 markiert einen Paradigmenwechsel in der Behandlung des muskelinvasiven Blasenkarzinoms. Zum ersten Mal konnte bei Cisplatin-ungeeigneten oder -ablehnenden Patient:innen ein signifikanter Überlebensvorteil im perioperativen Setting gezeigt werden – begleitet von einer außergewöhnlich hohen Komplettremissionsrate und guter chirurgischer Verträglichkeit. Diese Ergebnisse machen Enfortumab Vedotin plus Pembrolizumab zu einem neuen Standard of Care in dieser bislang therapeutisch vernachlässigten Patientengruppe. Die nächste Herausforderung besteht darin, die Therapie zu individualisieren – etwa mithilfe von ctDNA-gesteuerten Strategien, um Intensität und Dauer präzise an das Risiko und das Ansprechen anzupassen.
Literatur:
● Apolo AB et al.: Adjuvant pembrolizumab versus observation in muscle-invasive urothelial carcinoma. N Engl J Med 2025; 392: 45-55 ● Fazili AN et al.: IP24-34 cisplatin ineligible patients with muscle-invasive bladder cancer demonstrate poor long-term survival following immediate radical cystectomy: a multi-institutional analysis. J Urol 2025; 213(5S): e1278 ● Galsky MD et al.: Treatment of patients with metastatic urothelial cancer „unfit“ for cisplatin-based chemotherapy. J Clin Oncol 2011; 29(17): 2432-8 ● Galsky MD et al.: Adjuvant nivolumab in high-risk muscle-invasive urothelial carcinoma: expanded efficacy from CheckMate 274. J Clin Oncol 2025; 43(1): 15-21 ● Pfister C et al.: Randomized phase III trial of dose-dense methotrexate, vinblastine, doxorubicin, and cisplatin, or gemcitabine and cisplatin as perioperative chemotherapy for patients with muscle-invasive bladder cancer. analysis of the GETUG/AFU V05 VESPER trial secondary endpoints: chemotherapy toxicity and pathological responses. Eur Urol 2021; 79(2): 214-21 ● Powles T et al.: Enfortumab vedotin and pembrolizumab in untreated advanced urothelial cancer. N Engl J Med 2024; 390(10): 875-88 ● Powles T et al.: Perioperative durvalumab with neoadjuvant chemotherapy in operable bladder cancer. N Engl J Med 2024; 391(19): 1773-86 ● Vulsteke C et al.: Perioperative (periop) enfortumab vedotin (EV) plus pembrolizumab (pembro) in participants (pts) with muscle-invasive bladder cancer (MIBC) who are cisplatin-ineligible: the phase III KEYNOTE-905 study. ESMO 2025; LBA2
Das könnte Sie auch interessieren:
Der Infektstein als therapeutische Herausforderung
Rund 10% aller Harnsteine sind sogenannte Infektsteine. Die therapeutische Herausforderung besteht im schnellen Steinwachstum, in der Rezidivneigung und einer Obstruktion der Harnwege. ...
Psychische und körperliche Auswirkungen verschobener elektiver Operationen
Pflege- und Personalmangel führten in Österreichs Urologie zu deutlichen Einschränkungen in der elektiven operativen Versorgung. Eine Studie der Medizinischen Universität Graz zeigt, ...
„Ein hochintellektueller Mensch mit nahezu universellem Interesse“
Univ.-Prof. Dr. Lipsky ist am 9. September 2025 nach einem – wie in der Parte vermerkt – erfüllten Leben von uns gegangen und wir haben einen großen Urologen in unserer Mitte verloren!