„Es gibt viele wichtige Änderungen!“
Unser Gesprächspartner:
Assoz. Prof. Dr. Gabor Kovacs
Klinische Abteilung für Pulmonologie
Medizinische Universität Graz
E-Mail: gabor.kovacs@medunigraz.at
Das Interview führte
Dr. Katrin Spiesberger
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Vor Kurzem fandender Kongress der European Respiratory Society (ERS) sowie der Kongress der European Society of Cardiology (ESC) in Barcelona statt. In beiden Fachrichtungen beheimatet, wurde auf diesen Kongressen nun die neue ESC/ERS-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der pulmonalen Hypertonie vorgestellt. Zweitautor Assoz.Prof. Dr. Gabor Kovacs, Graz, berichtet hier von den wichtigsten Neuerungen.
Seit der Veröffentlichung der letzten Leitlinie zur pulmonalen Hypertonie (PH) 2015 erwarteten sowohl Pneumologen als auch Kardiologen mit Spannung die Aktualisierungen bzgl. Klassifikation, Diagnose- und Therapiealgorithmus. Diese wurden Anfang September bzw. Ende August auf dem Kongress der ERS wie auch dem der ESC präsentiert. Maßgeblich involviert bei der Erstellung dieser Handlungsempfehlungen war auch ein Österreicher: Assoz. Prof. Dr. Gabor Kovacs von der Universitätsklinik für Pulmonologie in Graz. Er hat mit uns kurz nach dem ERS-Kongress über die Highlights der neuen Leitlinie und natürlich über den Kongress selbst gesprochen.
Prof. Kovacs, wie war es denn beim ERS-Kongress?
G. Kovacs: Es war wirklich sehr schön. Das Motto war „Welcome back“, und das war sehr zutreffend. Die letzten zwei Jahrewurde der ERS-Kongress als virtuelle Veranstaltung abgehalten. Einerseits konnte man dadurch sehr viele Sessions mitverfolgen, andererseits hat der soziale Aspekt gefehlt. Die Freude über ein persönliches Wiedersehen hat man überall gespürt. Der Austausch und die Diskussionen sind vor Ort doch viel lebhafter und auch viel besser. Dieses Jahr war es gerade im Bereich der pulmonalen Hypertonie sehr spannend, weil die neuen Leitlinien beim ESC-Kongress und dann eine Woche später beim ERS-Kongress präsentiert und viel diskutiert wurden.
Was sind denn Ihrer Meinung nach die wichtigsten Änderungen in der neuen Leitlinie zur pulmonalen Hypertonie?
G. Kovacs: Ich denke, es gibt viele wichtige Änderungen: Die Leitlinie ist ein kleines Buch geworden, und in jedemBereich gibt es wichtige neue Informationen. Was ich vielleicht hervorheben würde, ist, dass wir eine neue Definition für die pulmonale Hypertonie haben. Sie wird nun anhand eines mittleren pulmonalarteriellen Drucks (mPAP) größer als 20mmHg definiert. Aber auch für die präkapilläre pulmonale Hypertonie haben wir eine neue Definition, nicht nur im Vergleich zu 2015, sondern auch im Vergleich zu den Ergebnissen des letzten World-Symposiums, weil hier nicht nur die Grenze des pulmonalen Drucks, sondern auch die des pulmonalen Gefäßwiderstands (PVR) auf 2 Wood-Einheiten (WU) gesenkt wurde. Das ist eine wesentliche Änderung, mit der man die obere Grenze des normalen Drucks und Widerstandes anerkannt hat – dies erfolgte auch in Anlehnung an die Studien der letzten Jahre, die zeigten, dass ab diesen Grenzwerten die Mortalität ansteigt. Zusätzlich hat man damit die Tür für die Erkennung der frühen Formen der Lungengefäßkrankheiten geöffnet, da man sich mit diesen Definitionen vermehrt auf die leichte pulmonale Hypertonie, auf die leichten Gefäßerkrankungen, konzentrieren und in diesem Bereich Studien durchführen kann. Ich denke, das ist eine ganz wesentliche Neuerung.
Abb. 1: Gabor Kovacs, Mona Lichtblau und Olivier Sitbon vor Ort am ERS-Kongress in Barcelona bei der Diskussionsrunde zur Session „Online skills lab: Right heart catheterisation“
Wichtig ist hier allerdings zu erwähnen, dass für die Therapie die bisherigen Grenzwerte nicht geändert wurde. Das heißt, behandeln soll man eine pulmonalarterielle Hypertonie weiterhin ab einer mPAP-Grenze von 25mmHg und einer PVR-Grenze von 3WU.
Tatsächlich gibt es noch einen neuen Teil bei den Definitionen: Die Belastungs-PH wurde als Definition wieder eingeführt. Dieser Teil der Definition wurde 2009 aus den ESC-Guidelines entfernt, weil wir erkannt haben, dass die damalige Definition nicht genau genug war. Wir hatten keine ausreichenden Daten in Bezug auf die prognostische Relevanz der Belastungshämodynamik und auch nicht für die obere Grenze der normalen Werte. Da wir in den letzten 10 Jahren aber wirklich sehr viele Daten aus diesem Bereich gesammelt haben, wurde diese Definition nun wieder eingeführt. Das heißt, eine Belastungs-PH liegt vor, wenn von Ruhe zu Belastung der sogenannte mPAP-Cardiac Output Slope über 3 liegt. Mit einfacheren Worten: Wenn der pulmonale Druck bei Belastung sehr steil ansteigt, dann sprechen wir von Belastungs-PH.
Wurden die Klassifikationen innerhalb der PH geändert?
G. Kovacs: In der Klassifikation sind kleinere Änderungen vorhanden, die Grundlagenstruktur ist aber gleich geblieben. Wir haben nach wie vor die fünf Gruppen der pulmonalen Hypertonie. Wenn ich eines herausheben soll, dann, dass wir in der Gruppe pulmonalarterielle Hypteronie (PAH) eine eigene Subgruppe für Patienten definiert haben, die beim akuten Vasoreaktivitätstest positiv sind, als Responder reagieren und evtl. mit hoch dosierten Kalziumantagonisten längerfristig behandelt werden können. Das ist eine wichtige Subgruppe innerhalb der idiopathischen pumonalarteriellen Hypertonie, die zwar nicht sehr viele Menschen betrifft, für die es aber extrem wichtig ist, diagnostiziert zu werden, weil sie dann mit der richtigen Therapie eine sehr gute Prognose haben.
Was gibt es Neues zur Diagnostik?
G. Kovacs: Wir haben einen angepassten diagnostischen Algorithmus ohne dramatisch große Neuigkeiten. Die Diagnose muss weiterhin mit dem Rechtsherzkatheter gestellt werden. Da geht noch kein Weg daran vorbei. Die wichtigste nicht invasive Untersuchung ist weiterhin die Herzultraschalluntersuchung. Im Algorithmus spiegelt sich dadurch das wichtigste Symptom der Erkrankung wider: Atemnot bei Belastung. Deswegen wird hier quasi ein Algorithmus vorgegeben, der beim Verdacht auf pulmonale Hypertonie bzw. bei Atemnot bei Belastung verwendet werden kann.
Bei den frühen allgemeinen Basisuntersuchungen spieltder Allgemeinmediziner eine sehr wichtige Rolle: Er ist derjenige, der als Erster mit dem Patienten zusammentrifft, die Basisuntersuchung durchführt und ihn in die richtige Richtung weiterschicken muss – zum Kardiologen und/oder Pulmonologen. Dort werden dann pulmonologische und kardiologische Ursachen der Belastungsdyspnoe geklärt und natürlich gezielte Untersuchungen in Richtung pulmonale Hypertonie durchgeführt. Erst dann soll der Patient ins Zentrum kommen, wo die Rechtsherzkatheteruntersuchung und alle weiteren Untersuchungen hinsichtlich der pulmonalen Hypertonie durchgeführt werden. Mit dieser Struktur haben wir eine Empfehlung vorgegeben, wie diese Abklärung am besten laufen kann.
Inwieweit gibt es Änderungen hinsichtlich der Therapie der PH?
G. Kovacs: Zur Therapie der pulmonalen Hypertonie möchte ich zwei Sachen hervorheben: Was für mich wichtig war, neu ist und vielleicht stärker fokussiert vorkommt, ist, dass bei der richtigen Therapieentscheidung die Risikostratifizierung eine große Rolle spielen soll. Dazu wurden Untersuchungen und Parameter definiert, die bei dieser Risikostratifizierung bei Baseline, also zum Zeitpunkt der Diagnose, einer – in diesem Fall – PAH in Betracht gezogen werden sollen. Zudem gibt es wichtige Parameter, die während des Follow-ups untersucht und in Betracht gezogen werden müssen: die funktionale Klasse nach der WHO zur Erfassung der Atemnot, das NT-proBNP und den 6-Minuten-Geh-Test (6MWD). Mit diesen drei Parametern kann man beim Follow-up das Risiko sehr gut einschätzen. Diese Einschätzung dieses Risikos beeinflusst den therapeutischen Algorithmus, also welche Medikamente dann empfohlen werden. Ziel ist es natürlich, dass alle Patienten mit den geeigneten Maßnahmen bzw. Medikamenten einen niedrigeren Risikostatus erreichen.
Was ich noch auf jeden Fall erwähnen möchte, ist, dass wir es auch für wichtig gehalten haben, dass Patienten mit PAH ohne relevante kardiopulmonale Komorbiditäten anders betrachtet werden als Patienten mit PAH und relevanten kardiopulmonalen Komorbiditäten. Warum ist das so wichtig? In den letzten Jahren haben wir in erster Linie durch Registerdaten und Registerstudien gelernt, dass tatsächlich unterschiedliche PAH-Phänotypen vorhanden sind, die teilweise mit relevanten kardiopulmonalen Komorbiditäten einhergehen. Diese sollen anders behandelt werden als Personen ohne solche Komorbiditäten.
Im Bereich PH bei Linksherzerkrankungen gibt es keine so großen Änderungen, hier legt man grundsätzlich weiterhin fest, dass man sich auf die Therapie der Grundkrankheit konzentrieren soll. Eine gezielte Therapie wie bei PAH ist dabei weiterhin kontraindiziert. Man hat ein bisschen die Tür offengelassen: Falls jemand eine schwere präkapilläre Komponente hat, dann kommt eine individuelle Therapie infrage. Aber das ist eine Entscheidung, die in spezialisierten Zentren getroffen werden soll.
Bei PH mit Lungenkrankheiten gibt es schon wieder Neuigkeiten, weil man hier definiert hat, was man unter einer schweren PH mit Lungenkrankheit versteht. Das ist, wie ich denke, wichtig, weil man gelernt hat – wieder aus Studien der letzen Jahre –, dass Patienten, die einen PVR über 5WU und eine pulmonale Hypertonie sowie eine Lungenkrankheit haben, eine eindeutig schlechtere Prognose aufweisen als Personen, die einen niedrigeren PVR haben. Deswegen sagen wir heute ganz klar: Eine PAH-Therapie bei Patienten mit PH mit Lungenkrankheiten und einer leichten pulmonalen Hypertonie, das heißt unter 5 WU, ist eindeutig kontraindiziert. Im Bereich über 5 WU – ähnlich wie bei den Herzkrankheiten – kann eine PAH-Therapie in Erwägung gezogen werden, aber auch darüber muss in einem erfahrenen Zentrum entschieden werden.
Es gibt allerdings wirklich eine neue Therapieoption, die auch in den Leitlinien vorkommt: In einer erfolgreichen prospektiven randomisierten Studie mit Patienten mit einer PH assoziiert mit einer interstitiellen Lungenkrankheit erreichte inhalativ verabreichtes Treprostinil den primären Endpunkt. Deswegen wurde diese Therapie in dieser Indikation in den USA zugelassen;in Europa haben wir noch keine Zulassung dafür, wir warten noch auf die Langzeitdaten. Da es aber eben eine erfolgreiche Studie dazu gibt, haben wir in den Leitlinien formuliert, dass eine Therapie mit inhalativem Treprostinil bei Patienten mit PH und interstitieller Lungenerkrankung in Erwägung gezogen werden kann.
Im Bereich chronisch thromboembolische pulmonale Hypertonie (CTEPH) konzentriert man sich weiterhin auf die multidisziplinäre Zusammenarbeit und die drei bereits bestehenden Therapiemöglichkeiten. Die Goldstandardtherapie bleibt – falls möglich – die Operation, die Pulmonalis-Endarteriektomie. Falls dies aus anatomischen oder sonstigen Gründen nicht möglich ist, dann stehen die medikamentöse Therapie und eine interventionelle Möglichkeit, die pulmonale Ballonangioplastie (BPA), zur Verfügung.
Wollen Sie uns noch etwas zum PEX-NET-Register erzählen?
G. Kovacs: Wir haben eine internationale Zusammenarbeit – eine Clinical Research Collaboration –, die von der ERS unterstützt wird. Im Rahmen dieser sammeln wir aus 19 verschiedenen Zentren weltweit Patientendaten für das „Pulmonary Hemodynamics during Exercise - Research Network“, kurz, das PEX-NET-Register. Beim ERS-Kongress habe ich die ersten Daten des retrospektiven Teils des Registers präsentiert, und jetzt läuft die Analyse. Was hier neu ist, ist, dass wir ein Register aus vielen Zentren haben, das heißt, die Anzahl der Patienten ist hier größer als in den früheren Studien, und es sind multizentrische Daten. Wenn wir also zu einem Ergebnis kommen, ist das viel stärker belastbar als eines aus kleineren monozentrischen Studien. Zusätzlich gibt es auch einen prospektiven Teil, der natürlich sehr wertvoll sein wird, wenn die Daten verfügbar sind. Ich hoffe, dass wir von dieser Studie bzw. dieser Plattform in den nächsten Jahren mehrere wissenschaftliche Beiträge veröffentlichen können.
Wollen Sie unseren Lesern sonst noch etwas vom ERS-Kongress 2022 mitgeben?
G. Kovacs: Es gibt eine neue Initiative der ERS, nämlich „Lung Facts“. Dazu gibt es als Tool eine neue Website, auf der die wichtigsten Zahlen zu Lungenkrankheiten in den verschiedenen Ländern der Welt angegeben werden. Man kann hier sehr schnell nachlesen, wie häufig etwa COPD oder Asthma bronchiale in den verschiedenen Ländern, darunter Österreich, ist. Die ERS möchte dazu eine internationale Zusammenarbeit ins Leben rufen, die International Respiratory Coalition, kurz IRC. Ziel dieser Zusammenarbeit ist die Senkung der Mortalität durch Lungenkrankheiten um ein Drittel bis 2030 – ein sehr ambitioniertes Zeil natürlich. Jedes Land, das teilnehmen möchte, kann bzw. soll einen Bereich auswählen, in dem es eine Möglichkeit sieht, Lungenkrankheiten noch besser zu behandeln. Das haben wir im Bereich der ÖGP schon davor diskutiert und im Rahmen von nationalen Strategien angedacht – das ist nichts Neues für uns. Wir sehen hier eine Möglichkeit, für uns besonders wichtige Bereiche auszusuchen und bei diesen strategisch mit der ERS, aber auch mit anderen Organisationen zusammenzuarbeiten, um so unsere Ziele zu erreichen. Ich begrüße diese Initiative sehr.
Vielen Dank für das Gespräch!
Videointerview zur neuen PH-Leitlinie mit Univ.-Prof. Dr. Horst Olschewski
Für unseren ERS-Newsroom hat Univ.-Prof. Horst Olschewski, Graz, einen hervorragenden Überblick über die wichtigsten Änderungen in der neuen Leitlinie zur pulmonalen Hypertonie gegeben. Im Videointerview spricht er zudem über seine weiteren Highlights dieses wichtigen Kongresses.
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