„Ich bin überzeugt, dass wir immer individueller, immer maßgeschneiderter werden müssen“
Unser Gesprächspartner:
Univ.-Prof. Dr. Andreas Rembert Koczulla
Professor für Pneumologische Rehabilitation
Philipps-Universität Marburg, Deutschland
Chefarzt des Fachzentrums für Pneumologie
Schön Klinik Berchtesgadener Land
Schönau am Königssee, Deutschland
E-Mail: RKoczulla@schoen-klinik.de
Das Interview führte Dr. Katrin Spiesberger
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Mit „Lungenrehabilitation und physikalische Medizin bei ILD“ und „Post/Long Covid – wo stehen wir? Aus Sicht der Reha“ hielt Univ.-Prof. Dr. Andreas Rembert Koczulla, Schön Klinik Berchtesgadener Landund Philipps-Universität Marburg, bei der heurigen Jahrestagung der ÖGP gleich zwei Vorträge. Wir durften mit dem renommierten Experten über die Rolle der Rehabilitation bei interstitiellen Lungenkrankheiten (ILD) sowie Long Covid sprechen.
Welche Rolle spielt die Rehabilitation bei ILD-Patienten laut den neuen Leitlinien?
A. R. Koczulla: Die neuen Leitlinien haben die nichtmedikamentöse Therapie, also die Rehabilitation, relativ hoch gerankt. In den britischen Leitlinien, einer „Clinical Practice Guideline“, die vor wenigen Wochen publiziert wurde, wird eine klare Empfehlung dafür ausgesprochen. Es ist wichtig zu betonen, dass die Reha auf vielen Säulen ruht. Insofern würde ich diese Unterteilung in medikamentös/nichtmedikamentös im Bereich der Reha gar nicht machen wollen.
Gibt es spezifische Zugänge bei ILD-Patienten? Mit welchen Outcomes kann man rechnen, worauf muss man besonders achten?
A. R. Koczulla: Meines Erachtens ist enorm wichtig: Wir müssen uns die Patienten genau anschauen in Bezug auf Komorbiditäten, da diese ein Stück weit natürlich auch den Krankheitsverlauf mitbeeinflussen können. Zudem kann man sich nie ganz sicher sein: Ist es die Grunderkrankung, die dann irgendwie symptomatisch wird, oder ist es vielleicht auch die Komorbidität? Und im Rahmen dieses Symposiums ist ja auch die kardiologische Seite noch einmal besonders beleuchtet worden. Ich habe in meinem Vortrag die schlafmedizinische Seite beleuchtet, und ich glaube, dass es Sinn hat, den Patienten individuell anzuschauen, individuelle Komorbiditäten zu diagnostizieren und dann die Grunderkrankung und nach Möglichkeit die Komorbiditäten zu behandeln.
Welche Komorbiditäten sind in Ihrer Praxiserfahrung die am weitesten verbreiteten?
A. R. Koczulla: OSAS ist von den Prozentzahlen meines Erachtens sicherlich unterrepräsentiert in den bislang veröffentlichten Daten zu den Komorbiditäten. Mein Eindruck ist, dass die Prävalenz der OSAS bzw. generell von schlafbezogenen Atmungsstörungen höher ist. Aber wir müssen bei ILD-Patienten natürlich auf die pulmonale Hypertonie und auf kardiale Komorbiditäten achten. Das ist auch im Rahmen der Aufenthalte bei uns Standard.
Welche Patienten profitieren denn am meisten von einer Reha?
A. R. Koczulla: Also letztendlich profitiert jeder davon, aber wir haben die deutlichsten Effekte bei den schwer erkrankten Patienten gesehen, die hier den größten Zuwachs an Gehstrecke zeigen. Aber auch die Patienten, die Begleiterkrankungen wie Angst mitbringen, können profitieren, denn diese Vermeidungsangst, in Bewegung einzusteigen, kann durch ein professionelles Team abgefangen werden.
Abb.: Chefarzt Univ.-Prof. Dr. Koczulla in den Räumlichkeiten der Schön Klinik Berchtesgadener Land, die den optimalen Rahmen für die pneumologische Rehabilitation von Patienten bietet
Welche Maßnahmen werden im Rahmen einer Rehabilitation bei Ihnen ergriffen?
A. R. Koczulla: Wir schauen uns den Patienten am Anfang auch diagnostisch etwas genauer an. Das heißt, die Anamnese wird abgefragt, Medikamente werden dementsprechend besprochen, optimiert, eingestellt und eine Lungenfunktionsuntersuchung wird durchgeführt, um zu klären, wie es um die Diffusion steht und ob es Atemmusterprobleme gibt. Wir untersuchen auch das Herz mittels Langzeit-EKG und Herzecho. Wir wiederholen gegebenenfalls auch die Bildgebung, und es gibt sogar Patienten, die bei uns in ILD-Boards angeschlossen werden, wo wir uns nach Rücksprache mit dem zuweisenden Kollegen überlegen, ob es Sinn macht, über dieses weitere ILD-Board eine zweite Meinung einzuholen. Das geht manchmal so weit, dass auch histologische Proben nachbefundet werden. Das entspricht zwar nicht dem Standardvorgehen, aber diese Möglichkeiten bestehen.
Sie haben in Ihrem Vortrag davon gesprochen, dass der positive Effekt einer Reha– z.B. der Zuwachs der Gehstrecke – über einen längeren Zeitraum anhält. Gilt dies auch für Patienten, die ihre Übungenzu Hause nicht mehr fortsetzen?
A. R. Koczulla: Die Datenlage sagt, dass Rehabilitationsmaßnahmen tatsächlich langanhaltende Effekte haben können. Meine persönliche Erfahrung spiegelt das allerdings nicht immer wider. Ich glaube, dass man den Patienten zu Hause gut weiterbegleiten muss und dass das Kraft- und Ausdauertraining dann ambulant stattfinden sollte. Möglicherweise auch App-basiert, hier gibt es auch für andere Erkrankungen erste Daten, die zeigen, dass es ganz gut funktionieren kann. Es ist wichtig, auch dann das individuelle, maßgeschneiderte Konzept zu betrachten. Denn nicht jeder wohnt in der Großstadt und hat die Möglichkeit, dort im Fitnessstudio, mit einem Physiotherapeuten, wie auch immer, zu trainieren und sich korrigieren zu lassen. Wir betreuen auch die Patienten, die eine mangelhafte Infrastruktur vorfinden, und dann müssen Individuallösungen gefunden werden. Deswegen bin ich überzeugt – das zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Medizin –, dass wir immer individueller, immer maßgeschneiderter werden müssen.
Damit haben Sie die Frage nach der Zukunft der Reha fast schon vorweggenommen – geht sie in Richtung Telemedizin?
A. R. Koczulla: Nicht zwangsläufig. Ich glaube, dass die Telemedizin eine Rolle spielen kann, aber ich betrachte das immer ganz gern als „Bauchladen“: Für den Patienten müssen wir aus diesem Bauchladen das richtige Therapiekonzept heraussuchen. Für einen schwerkranken, komorbiden Patienten kann die stationäre Reha am Anfang stehen, sie kann ambulant dann weitergeführt werden, und wenn er sich so weit stabilisiert, dass er gut zurechtkommt, dann können eben telemedizinische Konzepte das Ganze noch unterstützen. Bei einem leicht erkrankten Patienten kann es sein, dass man auch sehr frühzeitig mit einem telemedizinischen Konzept einsteigt. Man muss dabei individuelleOptionen prüfen, und entscheiden, ob ein telemedizinisches Konzept hilfreich sein kann: Wo steht der Patient, wie viele Komorbiditäten hat er, wie gut ist er auch in Konzepten, die sich mit Telemedizin beschäftigen, und welche Konzepte gibt es, mit denen man das gegebenenfalls umsetzen kann?
Arbeiten Sie mit bestimmten Programmen oder Apps? Sie haben in Ihrem Vortrag eine App erwähnt, die beim Übungen-Machen auch korrigiert?
A. R. Koczulla: Das ist eine COPD-App, die wir mitentwickelt und studientechnisch begleitet haben: Die Kaia-App ist durch diese Studienbegleitung auch als digitale Gesundheitsanwendung von den deutschen Kassen refinanziert, zumindest temporär. Das heißt, der Patient kann diese App auf Rezept bekommen. Diese wird in Deutschland für einen entsprechenden Trainings- und Behandlungszeitraum von drei Monaten von der Kasse bezahlt, dann muss sie nachrezeptiert werden. Es gibt im pneumologischen Bereich in Deutschland bislang zwei Apps: die gerade genannte Kaia-App und die NichtraucherHelden-App, mit der man eine Raucherentwöhnung per App versuchen kann durchzuführen.
Sie haben auch über die Palliativpatienten gesprochen. Wie kann die Reha diese Patientengruppe beeinflussen?
A. R. Koczulla: Ich habe Daten einer Londoner Studie präsentiert, die für ein Raunen gesorgt haben: Hier zeigte sich, dass das frühzeitige Ansprechen von palliativen medizinischen Konzepten bei den Patienten einen Überlebensvorteil bringt. Es ging um Patienten, die schon Luftnot hatten und mit denen man über Palliation gesprochen hat. Palliation heißt ja, dass man ein Stück weit die Blickrichtung ändert: sich nicht mehr auf einen kurativen Ansatz konzentriert, sondern in Richtung symptomatische Therapie fokussiert. Das heißt, Luftnot, Angst sollen therapiert werden. Die Reha kann ein Ort sein, wo man auch den Raum findet, so etwas durchzuführen. Im stationären Setup ist, glaube ich, vieles zeitlich sehr beschränkt, auch im ambulanten Setup wird man für diese Gespräche keine Ruhe und keinen Raum finden, aber sie sind notwendig, und deswegen muss man sie irgendwo durchführen. Am Ende des Tages bleibt dann wahrscheinlich häufig nur mehr das Reha-Setup. Aber ich gebe zu, dass mein damaliger Geschäftsführer auch sehr fragend geschaut hat: Wir wollen ja Therapie machen, und warum jetzt Palliation? Palliation heißt aber eben nicht zwangsläufig keine Therapie, sondern eine Therapie mit einem anderen Blickwinkel.
Dr. Lang hat am Schluss der Session die „Ambulant vs. stationär“-Frage gestellt. Was sagt Ihre Erfahrung: Kann man bei einer Reha von Adhärenz sprechen? In welchem Setting ist das Outcome besser?
A. R. Koczulla: Ich glaube, das ist ganz schwer zu beantworten. Natürlich gibt es Daten zum Vergleich von ambulanten, stationären und auch heimbasierten Konzepten und auch telemedizinische Ansätze wurden evaluiert. Man muss dabei jedoch auf die Strukturen in den einzelnen Ländern achten, die sind zum Teil sehr unterschiedlich. Deutschland hat z.B. relativ wenige zertifizierte ambulante pneumologische Rehabilitationszentren. Das heißt, hier wartet man lang auf einen stationären Platz und hat eben drei, vier Zentren, die das ambulant anbieten. Es ist also wirklich die Majorität. In Österreich gibt es zentrumsbasiert natürlich schon einige gute – auch ambulante – Konzepte. Ich glaube, das Wichtigere ist es, Qualitätsstrukturen vorzuhalten. Zu sagen: Das sind die Mindestanforderungen im ambulanten und im stationären Bereich. Da würde ich mir mehr Progression wünschen, das heißt aber natürlich auch: Es muss genügend Personal da sein, es muss genügend Struktur da sein, um dann eben auch diese Forderungen durchzusetzen. Und da hapert es an einigen Stellen. Man hat sehr wohl versucht, dies weltweit in eine Art Mindestkonzept zu gießen, und ist gescheitert, was auf ganz basale Dinge zurückgeführt wurde: Wir brauchen einen Raum, wir brauchen Patienten, wir brauchen einen Arzt und ein paar Therapeuten. Das ist mir ehrlich gesagt ein bisschen zu wenig.
Um auch noch auf Post- bzw. Long-Covid einzugehen? Wo stehen wir hier im Bezug auf die Reha?
A. R. Koczulla: Grob gesagt: Wir haben eine schlechte Datenlage. Das ist natürlich, wenn man so beginnt, vielleicht ein bisschen frustrierend, insofern würde ich sagen: Wir haben doch einige Daten ante portas.
Es gibt bestimmte Phänotypen, aber Long Covid ist so ein „umbrella term“, es schließt so viele unterschiedliche Symptome ein, dass es am Ende, wenn man genau schaut, viele „Mischmasch“-Patienten gibt. Wir müssen versuchen, diese Patienten etwas besser zu ordnen:
-
Es gibt Patienten, die einen schweren Verlauf haben, vielleicht im Krankenhaus, auf der Intensivstation gewesen sind, das sind die sogenannten PICS-Patienten („post intensive care syndrome“).
-
Wir sehen aber auch Patienten mit ambulantem Verlauf und Problemen in unterschiedlichen Bereichen: Das kann das Soma sein – Herz, Lunge –, das kann das Neuro-Cluster sein, das kann aber auch das Fatigue-Cluster sein, das uns sicherlich das meiste Kopfzerbrechen bereitet.
-
Der dritte Phänotyp: Wir haben eine Grunderkrankung, auf die sich Covid „draufgesetzt“ hat, und die Exazerbationen der Grunderkrankung ist nach der Leitlinie auch ein Long-Covid-Problem. Das heißt: Der Asthmatiker, dessen Zustand sich durch die postvirale Komponente verschlechtert, ist letztendlich laut der Leitliniendefinition ein Long-Covid-Patient.
-
Die vierte Gruppe ist die ME/CFS-Gruppe, von der wir wenig wissen. Darüber wird an vielen Stellen laut diskutiert, letztendlich haben wir meines Erachtens nach extrem wenig verstanden.
Wenn das wir jetzt im Bereich der Reha durchdeklinieren:
Für die schwer Erkrankten, die vielleicht auf der Intensivstation waren, stehen Daten zur Verfügung: Die profitieren. Für die ME/CFS-Patienten wird ein adaptives Konzept, das Pacing, vorgeschlagen, und man erhofft sich, dass der Zustand der Patienten besser wird. Ich habe ein Beispiel gezeigt, dass es so ist. Dann die Gruppe, die eine grundlegende Erkrankung hat: Asthma, vielleicht auch eine beginnende Fibrose: Da wissen wir, dass es ein sogenanntes Akut-auf chronisch-Phänomen geben kann, dass z.B. sich die Fibrose verschlechtert, wenn Covid dazu kommt. Oder Patienten, die eine Grunderkrankung im Sinne einer Depression oder Angststörung haben: Die haben verstärkt Long-Covid-Probleme. Und – wahrscheinlich – die Hauptgruppe: ambulanter Verlauf und danach Probleme in den genannten Clustern.
Zurzeit läuft ja eine Studie zu dieser Patientengruppe. Welche Erkenntnisse konnten Sie daraus bislang gewinnen?
A. R. Koczulla: Diese Gruppe haben wir uns tatsächlich im Rahmen einer ersten randomisierten kontrollierten Studie angeschaut; die Patienten wurden aus ambulanten Zentren rekrutiert, und es wurde erfragt, in welchem Kreis das Hauptproblem liegt. Sind es neurologische Beschwerden, Fatigue oder Soma? Will der Patient in eine Reha gehen und wäre er bereit an einer Studie teilzunehmen. Dann wurde gelost: Patienten wurden entweder der Gruppe 6 Monate Standardbetreuung und danach Reha zugewiesen oder der Gruppe, die direkt mit einer stationären 3-wöchigen Reha begann. Somit kommen wir zu hochqualitativen Daten. Diese Studie ist für ca. 150 Patienten gepowert, und eine erste Auswertung habe ich präsentiert: Sie schließt zurzeit ca. 90 Patienten ein, denen es besser im Hinblick auf die Lebensqualität, die Physis und die Psyche geht, vor allem, wenn Angst und Depression Teil der Beschwerden sind. Erste Daten zeigen auch, dass die Tagesaktivität steigt, dass Patienten im Reha-Programm deutlich mehr Schritte machen. Sodass es eben bei dieser Hauptklientel mit einem Cluster-Symptom-basierten Ansatz in einem randomisierten Programm tatsächlich Besserungen gibt.
Der schwierigste Part ist die ME/CFS-Gruppe. Das ist zwar eine kleine Patientengruppe, aber eine schwer kranke. In Österreich wird diese Gruppe, glaube ich, primär von den Neurologen behandelt, in Deutschland gibt es eine ME/CFS-Ambulanz für Kinder in München, für Erwachsene in Berlin bei Prof. Carmen Scheibenbogen. Anekdotische Berichte zeigten, dass sich der Zustand dieser Patienten möglicherweise tatsächlich mit einem sehr sehr langsamen, sehr sehr individuell auf die Person zugeschnittenen Programm mit sehr viel psychischer Unterstützung verbessern kann.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das könnte Sie auch interessieren:
Pulmonale Hypertonie: Was muss der Praktiker wissen?
Die pulmonale Hypertonie (PH) ist eine häufige klinische Manifestation einer heterogenen Gruppe von Erkrankungen, die meist durch Belastungsdyspnoe gekennzeichnet ist und hämodynamisch ...
Zukünftige pharmakologische Therapien bei COPD und Asthma
Die vielversprechenden Daten zum Einsatz von Biologika in der COPD-Behandlung, die RSV-Impfung, aber auch ganz neue Wirkstoffe zur Behandlung von Asthma und COPD wurden am SGP- ...