Zeit, zu handeln: Warum wir jetzt ein smartes Prostatakrebsscreening brauchen
Univ.-Prof. DDr. (h.c. mult.) Shahrokh F. Shariat
Leiter der Universitätsklinik für Urologie
Comprehensive Cancer Center (CCC) Vienna
Medizinische Universität Wien AKH Wien
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Die neue 23-Jahres-Analyse der European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer (ERSPC) im New England Journal of Medicine markiert einen klaren Wendepunkt in der Prostatakrebsfrüherkennung. Die Evidenz ist eindeutig – weiteres Zögern ist nicht wissenschaftlich erklärbar, sondern gesundheitspolitisch fatal.
Einladungsgestütztes PSA-Screening senkt die Prostatakrebsmortalität um rund 13% – vergleichbar mit den Erfolgen etablierter Brust- und Darmkrebs-Screenings. Und das basiert auf Studiendesigns, die aus heutiger Sicht veraltet sind. Mit modernen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten wäre der Nutzen deutlich höher und die Belastungen für die Patienten wären spürbar geringer. Der alte Screening-Mythos stimmt nicht mehr: Die gängigen Argumente gegen das PSA-Screening stammen aus einer anderen Ära – einer Ära der Biopsie reflexartig nach jedem erhöhten PSA-Wert und der Übertherapie von Niedrigrisikotumoren. Ja, so war es einmal. Aber heute haben wir bessere Antworten. Wir sollten aufhören, die alten Fehler als Begründung zu nutzen, eine moderne Lösung nicht umzusetzen. Heute gilt: weniger Biopsien, weniger Überdiagnose, weniger Übertherapie – bei besserer Früherkennung von relevanten Tumoren. Weil Screening smart geworden ist: PSA-initiiert > risikobasiert > Bildgebung > gezielte Biopsie nur bei klinischer Relevanz. So einfach ist es im Kern.
„Cheaper, fairer, better“: Das derzeitige opportunistische Modell nach dem Motto „Wenn du möchtest, kannst du einen PSA-Test machen“ ist ineffektiv, unfair und teuer.
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Cheaper: Smart Screening senkt die Zahl von unnötigen Arztwegen und Biopsien, die Komplikationen und Folgekosten.
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Fairer: Organisierte Einladung erreicht alle Männer – nicht nur informierte, akademische oder wohlhabende.
Better: Früherkennung wird zielgerichteter, präziser, menschlicher – und rettet mehr Leben.
Das derzeitige opportunistische Screening-Modell hingegen führt zu Überdiagnosen bei jenen, die kaum profitieren, und zu Unterdiagnosen bei jenen, die am meisten zu gewinnen hätten – besonders Männer mit niedrigerem sozioökonomischem Status.
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache:
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Prostatakrebs ist die häufigste Tumorerkrankung des Mannes.
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Rund 7500 neue Diagnosen jährlich – steigend.
Die internationale Lancet-Oncology-Analyse projiziert bis 2040 eine Verdoppelung der Fälle. Wenn wir nichts ändern, werden wir in den kommenden 15 Jahren eine Welle vermeidbarer Metastasierungen erleben – mit hohen menschlichen, sozialen und ökonomischen Kosten.
Was heißt „smart“ konkret – und was heißt es nicht? Smart Screening heißt:
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PSA-initiierter Start, nicht zufällige Testung
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Bei erhöhtem PSA nicht sofort Biopsie, sondern moderne Bildgebung (z.B. multiparametrische MRT).
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Biopsie nur bei klinischem Verdacht – gezielt, präzise, minimalinvasiver.
Smart Screening heißt nicht:
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PSA-Bestimmung für alle, jederzeit, planlos
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Wiederholung des alten, biopsielastigen Modells
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Übertherapie von Niedrigrisikotumoren
Wenn wir Brust und Darm aktiv schützen – warum nicht auch den Mann und seine Prostata? Prostatakrebs verursacht mindestens so viel Leid, Tod, Angst und Kosten wie die Tumoren, auf die wir selbstverständlich screenen. Dem Screening auf all diese Tumoren liegen vergleichbare Zahlen zugrunde. Der einzige Grund für das Zögern ist ein veraltetes Bild von möglichem Screeningschaden, das durch moderne Diagnostik längst überholt wurde. Die onkologische Führung weiß: Wir verlieren bei Prostatakrebs die Chance auf Heilung, wenn wir zu spät kommen. Diese Chance liegt im frühen Stadium. Das späte Stadium kostet Leben, Lebensqualität und Millionen an Finanzmitteln.
Was jetzt zu tun ist: Wir brauchen keine weitere Debatte über das „Ob“ – sondern eine Entscheidung über das „Wie“. Und dieses „Wie“ sollten wir gemeinsam gestalten – mit der Österreichischen Krebshilfe, ÖGU, OeGHO, ÖRG, OGNMB, ÖGIM, den Prostatakrebs-Selbsthilfegruppen und weiteren Partnern entlang des onkologischen Versorgungspfads. Denn erst wenn Screening gemeinsam organisiert wird, wird es gerecht, wirksam und nachhaltig.
Fazit: Wir schulden Männern eine bessere Lösung. Die Evidenz ist da. Die Technik ist da. Die Erfahrung ist da. Was fehlt, ist der Mut zur Umsetzung. Smartes PSA-basiertes, risikoadaptiertes Screening ist billig, effizient, fair und besser – und es rettet Leben. Es ist an der Zeit, das alte Narrativ zu verlassen und ein modernes einzuführen, das Männer schützt, statt sie dem Zufall zu überlassen. Wir haben eine Verantwortung – wissenschaftlich, onkologisch, gesundheitspolitisch und menschlich. Jetzt ist der Moment, zu handeln.
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