Viele Verbesserungen in den letzten 20 Jahren
Präsident der Österreichischen Palliativgesellschaft (OPG) Leiter der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin am Klinikum Klagenfurt und am LKH Wolfsberg Lehrstuhl für Palliativmedizin an der Sigmund-Freud-Privatuniversität, Wien E-Mail: rudolf.likar@kabeg.at
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Die österreichische Palliativmedizin blickt in ihrer „organisierten“ Form ebenso auf eine rund 20-jährige Geschichte zurück wie JATROS Hämatologie & Onkologie– denn vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten, im Jahr 1999, wurde die Österreichische Palliativgesellschaft gegründet.
In den vergangenen 20 Jahren musste in der Palliativmedizin bzw. in Palliative Care sehr oft Neuland betreten werden, denn in den Anfängen musste das Konzept der Palliativversorgung erst einmal grundsätzlich erklärt und langsam etabliert werden. In den letzten beiden Jahrzehnten waren einige wichtige Fortschritte und Meilensteine zu verzeichnen. Ich möchte hier nur einige wenige beispielhaft herausgreifen.
Gesundheitsplanung integriert Palliativmedizin
Ein besonders wichtiger Erfolg auf gesundheitspolitischer Ebene war, dass bereits im Jahr 2004 im damaligen ÖBIG, der heutigen Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), ein Konzept für die bundesweite abgestufte Palliativversorgung fertiggestellt wurde und dieses dann über eine Artikel-15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern in die verbindliche Gesundheitsplanung einging. Auch wenn heute auf den verschiedensten Ebenen weiter Ausbaubedarf besteht, war dies doch eine beachtliche Leistung.
Fortschritte in der palliativen Symptomkontrolle
Auch einige wichtige medizinische Entwicklungen im Bereich der Symptomkontrolle gab es in den vergangenen beiden Jahrzehnten: Zum Beispiel wurden in der Schmerztherapie wichtige Fortschritte erzielt, etwa bei speziellen Medikamenten gegen den Durchbruchschmerz bei Krebspatienten. Wir haben inzwischen viele Erfahrungen mit Cannabinoid-Medikamenten, die mit ihrer Wirksamkeit bei ganzen Symptomclustern gerade für die Palliativmedizin eine wichtige Entwicklung darstellen. Auch die palliative Sedierung hat sich als wichtiges Element in der Symptomkontrolle etabliert.
Was die Schmerztherapie betrifft, waren wir vor 20 Jahren noch mit einer weit verbreiteten, massiven Opioidphobie konfrontiert. Heute stehen wir in Bezug auf diese Substanzen vor dem Problem, dass sie insbesondere in Nordamerika wohl deutlich zu großzügig und nicht immer leitliniengerecht eingesetzt wurden. Jetzt müssen wir einmal mehr wachsam sein, dass es nicht deshalb weltweit einen Backlash gibt und diese wichtigen Substanzen auch schwer kranken Menschen, zum Beispiel Krebspatienten, vorenthalten werden.
Sprechen über das Sterben
Zu den großen Fortschritten in den vergangenen zwei Jahrzehnten gehört es aus meiner Sicht auch, dass wir als Betreuende heute weniger Angst haben als früher, mit Menschen in ihrer letzten Lebensphase über das Thema Tod zu sprechen; zu besprechen, was auf sie zukommt und wie wir ihnen dabei effektiv helfen können. Wichtig ist es, dass sich hier auch noch viel stärker als bisher Konzepte der vorsorglichen Planung wie die Vorsorgevollmacht durchsetzen.
Und ein weiterer Punkt sei noch erwähnt: Zu den wichtigen Verdiensten der Palliativmedizin und der gesamten Palliativbewegung gehört, dass es in Österreich – jedenfalls bisher – keinen ernsthaften politischen Druck für eine Legalisierung von assistiertem Suizid oder aktiver Sterbehilfe gegeben hat. Natürlich haben wir immer wieder – auch aktuell wegen einer Verfassungsgerichtshof-Beschwerde und einer Petition – Forderungen nach einer Änderung der Gesetzeslage nach dem Vorbild der Schweiz, der Niederlande oder von Belgien. Wir konnten aber immer wieder nicht nur anhand unserer Erfahrung, sondern auch anhand von Studien zeigen, dass Patienten, die in einem palliativen Setting gut versorgt sind, so gut wie nie den Wunsch nach Sterbehilfe äußern. Ganz abgesehen davon, dass dieses die Lebensqualität massiv verbessert und in vielen Fällen sogar lebensverlängernd wirkt.
Mit der Novelle des Ärztegesetzes im Dezember 2018 ist auch eine wichtige Klarstellung hinsichtlich der ärztlichen Begleitung von Patienten am Lebensende erfolgt. Es kommt rasch zu gefährlichen Dammbrüchen, wird einmal am gesetzlichen Sterbehilfeverbot gerüttelt. Das zeigen die Beispiele der wenigen Länder in Europa, die assistierten Suizid und aktive Euthanasie legalisiert haben. In den Niederlanden wurden die einbezogenen Patientengruppen laufend ausgeweitet, auch auf Kinder, und die Zahl der aktiven Euthanasiefälle ohne explizite Einwilligung der Betroffenen steigt.
In der palliativmedizinischen Praxis erweist sich etwa häufig auch eine nicht behandelte Depression als Ursache für einen Todeswunsch, der ein ernst zu nehmender Hilferuf ist, mit angemessener antidepressiver Behandlung und menschlicher Zuwendung aber auch wieder verschwindet. Umso beunruhigender ist es, dass der niederländische Euthanasiebericht 2017 bereits 83 Fälle von Sterbehilfe aufgrund psychiatrischer Erkrankungen aufweist, fast doppelt so viele wie noch zwei Jahre davor. 169 Fälle betrafen Demenz, ebenfalls eine massive Steigerung gegenüber den Vorjahren. Insgesamt sollte uns zu denken geben, dass sich die Fallzahlen in zehn Jahren mehr als verdreifacht haben und zuletzt bei mehr als 6500 Tötungen im Jahr lagen. Eine flächendeckende und qualitätsvolle palliativmedizinische Versorgung ist die ethische und humanistische Antwort auf Forderungen nach aktiver Sterbehilfe. Daher müssen wir sicherstellen, dass Palliative Care in Österreich für alle Menschen verfügbar ist, die sie benötigen.
Ein Blick in die Zukunft
So viel zu einigen Erfolgen der Palliativmedizin in den letzten 20 Jahren. Doch es bleibt auch noch viel zu tun. Mit Blick in die Zukunft ist das „Advanced Care Planning“ eine wichtige Maßnahme, die wir etablieren müssen. Gemeint ist damit eine frühzeitige Klärung mit den Betroffenen, was ihre Wünsche und Erwartungen an die palliative Betreuung sind. Unser Ziel ist es, auch in Österreich einzuführen, was in Deutschland bereits unter dem Titel „Behandeln im Voraus planen“ (Bivp) umgesetzt und gesetzlich verankert ist. „Advanced Care Planning“ könnte auch wesentlich zur Lösung von Problemen beitragen, die zurzeit in Pflegeheimen und in der Notfallmedizin bestehen. Ideal wäre es etwa, den Vorsorgedialog, der in den Hospizeinrichtungen bereits umgesetzt wird, auch in den Pflegeheimen zu etablieren und das Personal des Heimes im Umgang mit Palliativpatienten zu schulen.
Der Wunsch von rund 90% der Palliativpatienten ist es, ihren letzten Lebensabschnitt zu Hause in ihrer gewohnten Umgebung zu verbringen. Nach der Abschaffung des Pflegeregresses gibt es für die Angehörigen jedoch einen finanziellen Anreiz, pflegebedürftige Angehörige in einem Heim unterzubringen. Bei der Pflegeregressabschaffung hat man vergessen, die Strukturen im niedergelassenen Bereich zu stärken und auch dort eine entsprechende Finanzierung zu gewährleisten. Die Heime sind voll und können aussuchen, wen sie aufnehmen. Die Betreung von Palliativpatienten ist sehr aufwendig, sie sind aber nicht in der hohen Pflegestufe, die Pflegeheimen die höchsten Einnahmen bringt. Das führt dazu, dass es zwei bis drei Monate dauern kann, bis ein Palliativpatient von einem Pflegeheim aufgenommen wird.
Mit verstärkter Aufklärung von Patienten und Angehörigen kann auch verhindert werden, dass schwerkranke Palliativpatienten in ihrer allerletzten Lebensphase mit Notarzteinsatz zurück ins Krankenhaus gebracht werden, um dort zu sterben. Wir müssen den Angehörigen den Druck der Verantwortung nehmen und ihnen vermitteln, dass sie nichts falsch machen können. Wenn sie schwerkranke Patienten mit nach Hause nehmen, so erfüllen sie ihnen ihren letzten Lebenswunsch. Mögliche Szenarien können wir vorbesprechen und den Betroffenen einen Notfallbogen mitgeben, auf dem die Wünsche des Palliativpatienten festgehalten werden. Auf der anderen Seite ist es auch sehr wichtig, dass das Palliativwissen in den zentralen Notfallaufnahmen vorhanden ist, damit die Palliativpatienten auch von allen in den Notfallambulanzen Tätigen entsprechend betreut werden können und nicht übersehen werden.
Literatur:
beim Verfasser
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